WELTTHEATERTAG: „Die ganze Welt ist eine Bühne…“

„…und alle Frauen und Männer bloße Spieler.“ William Shakespeare

Ich kann die Stunden, die ich in einem Theatersaal verbracht habe, gar nicht mehr zählen. Natürlich gab es Aufführungen, die mich mal mehr, mal weniger begeistert haben, aber ich kann mich nicht erinnern, je einen Theaterbesuch gänzlich bereut zu haben.

Besonders die Zeit der Pandemie hat mir wieder allzu anschaulich gezeigt, wie wichtig es für mich ist, am kulturellen Leben teilzunehmen. Die Monate „ohne“ habe ich noch in deutlicher aber wahrlich nicht bester Erinnerung. So war meine Freude umso überwältigender, als die Theater ihre Türen wieder öffnen durften: Ich saß im Theatersaal, lauschte dem Orchester und Tränen liefern mir über das Gesicht und sammelten sich unter meiner FFP2-Maske. Ich konnte nichts dagegen tun – es passierte einfach…! Vielleicht mag diese Reaktion der Einen oder dem Anderen aus meiner Leserschaft übertrieben erscheinen, und ich gestatte Euch gerne diese persönliche Haltung. Doch für mich war/ist/bleibt Kultur immer „existenziell“, und ohne sie habe ich das Gefühl, sowohl intellektuell als auch emotional zu vertrocknen.

In meinem Fall habe ich das Stadttheater Bremerhaven zu meinem „Stamm-Theater“ erwählt, dem ich mich schon über Jahre verbunden fühle. Es ist nicht das größte Theater! Es ist nicht das schönste Theater! Doch es ist wahrhaftig, ungekünstelt und bodenständig. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen, die hier arbeiten, einfach nur gutes Theater für ihr Publikum machen möchten – ohne Schnickschnack und Firlefanz. Vor einiger Zeit durfte ich bei einer exklusiven Führung auch einen BLICK HINTER DIE KULISSEN „meines“ Stadttheaters werfen.

Doch woran mag es liegen, dass selbst heutzutage – trotz einem digitalen Überangebot, das rund um die Uhr konsumiert werden kann – weiterhin Menschen ins Theater gehen oder Konzerte besuchen, sich mit einer Vielzahl anderer Menschen freiwillig in einen geschlossenen Raum setzten, um gemeinsam für einige Stunden in dieselbe Richtung zu schauen. Das Zauberwort lautet: „Live!“ Jede Aufführung ist einzigartig. Sie entsteht direkt in diesem Moment vor unseren Augen. Nichts ist vorhersehbar! Nichts ist wiederholbar! Dabei wird eine kreative Energie freigesetzt, die bestenfalls über den Bühnenrand hinweg auf das Publikum übergeht. In solchen magischen Momenten meine ich, dass der Kuss der Muse mich streift.

Nicht umsonst werden Theaterhäuser auch als Musentempel bezeichnet. Besonders die älteren Häuser mit der Patina der Jahr(hundert)e haben ein besonderes Flair, galten mit ihrem prunkvollen Bauten als Prestigeobjekte der jeweiligen Länder und spiegeln die Bedeutung der darstellenden Kunst in der Gesellschaft wieder. Eine Theaterpremiere war ein gesellschaftliches Ereignis, das nicht verpasst werden durfte. Es galt, zu sehen und gesehen zu werden…! Dagegen haben so manche Theaterbauten neueren Datums manchmal den Charme einer Tiefgarage.

Die schönsten Theater, die ich bisher besuchen durfte, waren die SEMPEROPER in Dresden (1996), das DET NY TEATER in Kopenhagen (2001) und das THEATER DES WESTENS in Berlin (2005).


SEMPEROPER in Dresden

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Von 1838 bis 1841 errichtete der Baumeister Gottfried Semper ein neues königliches Hoftheater. Die SEMPEROPER gilt mit seinem Rundbau in den Formen der italienischen Frührenaissance als eines der schönsten Theaterhäuser der Welt, und zugleich verbindet sich mit ihr der Weltruf künstlerisch hochkarätiger Leistungen, der sowohl vom Ensemble des Hauses wie auch durch zahlreiche internationale Gäste getragen wird. Mit zahlreichen Opern-Uraufführungen namhafter Komponisten wie Richard Strauss und Richard Wagner wurde hier Operngeschichte geschrieben.

Im Laufe der Jahrhunderte musste das Haus etliche Katastrophen überstehen: Im Jahre 1869 wurde das Gebäude bei einem Brand völlig zerstört. Da Gottfried Semper wegen seiner Beteiligung an den Maiaufständen viele Jahre lang sächsischen Boden nicht mehr betreten durfte, wurde sein neuer Entwurf unter der Bauleitung seines Sohnes Manfred Semper von 1871 bis 1878 am Theaterplatz ausgeführt. Dieser zweite Bau erlitt am Ende des Zweiten Weltkriegs durch den Luftangriff auf Dresden in der Nacht des 13. Februar 1945 schwere Schäden und brannte zu großen Teilen aus. Erst im Jahre 1977 begann der Wiederaufbau unter der Leitung von Wolfgang Hänsch als Chefarchitekt. Hierbei wurden einerseits der Zuschauerraum erweitert, andererseits die Wände im Bühnenbereich nach außen versetzt, um dem gestiegenen Platzbedarf des modernen Opernbetriebes gerecht zu werden. Die Anzahl der Sitzplätze wurde auf 1300 verringert. Ansonsten wurde das Gebäude Sempers Plänen entsprechend wiederaufgebaut.

Als ich im Jahre 1996 die SEMPEROPER kennenlernte, war ich überwältigt von der überbordenden Pracht, die sich mir darbot: Marmor, Kristalllüster, rote Teppiche und Wandmalereien verteilten sich über die Flure und Wandelgänge. Am Abend der besuchten Vorstellung war ich von den mannigfaltigen Eindrücken völlig überfordert. So hatte ich mich spontan entschieden, am nächsten Tag einer Führung durch das Opernhaus beizuwohnen, bei der ich – dank einer kompetenten Begleitung – amüsante Anekdoten aus dem Opernbetrieb erfuhr und auf so manche baulichen Details hingewiesen wurde. Übrigens: Die Inszenierung der Oper LA BOHÈME steht noch heute auf dem Spielplan des Hauses.


DET NY TEATER in Kopenhagen

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Das DET NY TEATER in Kopenhagen wurde erstmals 1908 eröffnet und gilt mit mehr als 12.000 m² als eines der größten Theater Dänemarks. Es befindet sich in einem Gebäude, das eine Passage zwischen zwei Straßen an der Grenze zwischen den Stadtviertel Vesterbro und Frederiksberg überspannt. Zum Hauptsaal mit mehr als 1.000 Plätzen kam nach einer umfassenden Renovierung des gesamten Theaters im Jahre 1994 ein kleineres Theater, das im Keller errichtet wurde, hinzu. Das Theater ist dem Vorbild der Pariser Oper nachempfunden, vereint jedoch eine Mischung verschiedener Stile. So findet man Elemente mit klassischem „Trompe-l’œil-Effekt“ neben Art-Deco-Elementen kombiniert.

Bis in die 60er Jahre wurde hier ein Repertoire aus Klassikern und zeitgenössischen dänischen und europäischen Dramen gegeben. Im Laufe der folgenden Jahre wurde es immer schwieriger, dieses Theater ohne Subventionen zu betreiben, sodass es 1971 vor der Schließung stand. Erst das Eingreifen des Landkreises und des Kulturministeriums konnten dies – zumindest vorübergehend – verhindern. Die kommenden Jahre markierten den Beginn einer Theaterkrise, die die allgemeinen Widrigkeiten der Branche widerspiegelte. Das stark vernachlässigte Theater schloss dann 1991 auf unbestimmte Zeit seine Pforten. Den neuen Eigentümern gelang es, Gelder für eine gründliche Renovierung aufzubringen und das Haus im Jahre 1994 mit einer Produktion von „Die Fledermaus“ als Spielstätte für Operette und Musical wiederzueröffnen.

Nun ist es eine Spielstätte hauptsächlich für Musicals und hat eine Reihe großer internationaler Musicals produziert. Das erfolgreichste davon war „The Phantom of the Opera“, das von 2000 bis 2002 lief und im Jahre 2018 „zurückkehrte“. Gespielt wird natürlich in der Landessprache. Als wir am 8. November 2001 dort im Zuschauerraum Platz nahmen, waren wir ganz gefangen von der Eleganz. Selten hat ein Theater mit dem dort gezeigten Stück eine solche Symbiose gebildet: Es schien, als würden „The Phantom oft he Opera“ und das DET NY TEATER eine kongeniale Einheit bilden.


THEATER DES WESTENS in Berlin

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Das THEATER DES WESTENS wurde 1895/1896 im Stil des wilhelminischen Historismus errichtet, blickt auf eine sehr abwechslungsreiche Vergangenheit unter verschiedenen Leitungen und wurde hauptsächlich als Opern- und Operettenbühne genutzt. So standen immer wieder in den unterschiedlichsten Produktionen große Stars auf dieser Bühne: Maria Callas, Mario del Monaco, Dietrich Fischer-Dieskau, Anneliese Rothenberger, Hermann Prey und Rudolf Schock.

Ab 1961 wurde es dann Spielstätte des internationalen Musicals und feierte mit der Premiere von „My Fair Lady“ einen fulminanten Einstand. Nachfolgeproduktionen konnten an diesen Erfolg nicht anknüpfen. Erst 1984 unter der Intendanz von Götz Friedrich und mit Helmut Baumann als künstlerischen Direktor schien sich das Blatt zu wenden. Helmut Baumann entwickelte sich zum führenden Musical-Fachmann, der eine gute Mischung aus unbekannten Stücken und Publikumsrennern bot. Mit der Premiere von „La Cage aux Folles“ im Jahre 1985, in der Baumann kurzfristig die Hauptrolle übernahm, sprach die Presse von einem Theaterwunder à la „My Fair Lady“. Das Stück stand 10 Jahre lang immer wieder auf dem Spielplan des Theaters.

Helmut Baumann wurde 1993 auch Intendant des THEATER DES WESTENS und sorgte mit einer abwechslungsreichen Stückwahl und herausragenden Inszenierungen für ein internationales Renommeé des Hauses. Doch das Ziel, hochwertige Musicals dem Publikum zu zeigen, konnte aufgrund geringerer öffentlicher Zuschüsse in Kombination mit einem Einstellungsstopp schlecht realisiert werden. Helmut Baumann verließ darauf das Haus mit Ende der Spielzeit im Sommer 1999. Die Jahre bis 2002 waren eher unrühmlich für dieses wunderbare Haus, bis „Stage Entertainment“ das Theater übernahm. Sie beschäftigt seitdem kein festes Ensemble mehr und zeigt Langzeit-Aufführungen ihrer Produktionen. Als wir am 31. Juli 2005 dort eine Vorstellung von „Die 3 Musketiere“ besuchten, waren wir geblendet von der Opulenz dieses Theaters.


Einen Eindruck vom Können Helmut Baumanns erhielten wir in den Jahren 2000 bis 2004: In dieser Zeit inszenierte er die Musicals „La Cage aux Folles“, „Cabaret“, „My Fair Lady“, „Kiss me, Kate“ und „Victor & Victoria“ am Bremer Theater. Ein wahrgewordener Musical-Traum…!

Erinnerungen: „La Cage aux Folles“ / Bremer Theater (Spielzeit 2000/01)

[Musical] Jerry Herman – HELLO, DOLLY! / Theater Bremen

Musik und Liedtexte von Jerry Herman / Buch von Michael Stewart / nach „The Matchmaker“ von Thornton Wilder / Deutsch von Robert Gilbert

Premiere: 25. November 2022 / besuchte Vorstellung: 9. Dezember 2022

Theater am Goetheplatz in Bremen / Großes Haus


Musikalische Leitung: William Kelley
Inszenierung: Frank Hilbrich
Choreografie: Dominik Büttner
Bühne: Volker Thiele
Kostüme: Gabriele Rupprecht
Choreinstudierung: Alice Meregaglia

Auf der offenen Bühne verteilt liegen diverse Paare Schuhe und warten auf ihre Besitzer*innen. Da ertönen die ersten Klänge der Ouvertüre, und im Kegel des Scheinwerfers beginnen plötzlich zwei Schuhpaare wie durch Zauberhand miteinander zu tanzen. Zum Eröffnungs-Song stürmt dann der Chor in Brautkleidung gewandet die Bühne, jede*r zuerst die passenden Schuhe suchend, um sich dann mit einem/r Partner*in in vielfältigen Konstellationen zu verbandeln. Sie alle scheinen zufriedene Kund*innen der wohl geschäftstüchtigsten Heiratsvermittlerin zu sein, die prompt mit Grandezza erscheint: Mrs. Dolly Levi…

…weiß alles, kann alles oder hat zumindest schon alles gesehen und erlebt. Als nunmehr Witwe und vormals selbst glücklich Verheiratete ist es ihr ein besonderes Anliegen, heiratswillige Einzelpersonen durch geschicktes Manipulieren und miteinander Verkuppeln in den Hafen der Ehe zu lotsen. Momentan hat sie allerdings einen schweren Brocken an der Angel: Der kauzige Horace Vandergelder, Besitzer eines Heu- und Futtermittelladens und Halbmillionär aus Yonkers, einem Vorort von New York, ist nur schwerlich zufriedenzustellen. Auch die amtierend Auserwählte Mrs. Irene Molloy, Besitzerin eines Hutladens in New York, scheint keine Gnade vor seinem strengen Blick zu finden. Dabei hat Dolly schon selbst einen Blick auf den liebenswerten Kauz geworfen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass Dolly absichtlich die beiden Mitarbeiter von Vandergelder, Cornelius Hackl und Barnaby Tucker, genau in dem Augenblick im Laden bei Irene und ihrer Assistentin Minnie Fay auftauchen und für Verwirrung sogen lässt, als der Bräutigam in spe vor der Ladentür steht, um seiner potenziellen zukünftigen Braut seine Aufwartung zu machen. Horace ist erbost und fühlt sich um sein Kuppel-Geld betrogen, doch Dolly verspricht ihm, am Abend im legendären Harmonia Gardens Restaurant endlich eine passende Partie zuzuführen. Als Horace pünktlich am vereinbarten Treffpunkt erscheint, wird er von Ernestina Money erwartet. Sie wurde von Dolly für diese Farce eingeweiht und zieht alle Register, um Horace in Dollys Arme zu treiben. Als dann zu seinem Schreck sowohl seine Nichte Ermengarde mit ihrem Künstler-Freund Ambrose als auch seine in Yonkers wähnenden Mitarbeiter Cornelius und Barnaby mit Irene und Minnie im Arm auf der Tanzfläche erscheinen, fühlt er sich dem Wahnsinn nah. Doch als schließlich Dolly selbst unter großem Jubel aller versammelten Kellner ins Harmonia Gardens Restaurant einzieht, schwand dem alten Dickkopf langsam, wer hier wohl die Richtige an seiner Seite wär…!


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Hach, das waren noch paradiesische Zeiten damals Anfang der 2000er, als Klaus Pierwoß noch Intendant am Bremer Theater war und sich mit Helmut Baumann für mehrere Jahre die Koryphäe des Musicals ans Haus holte, der einige seiner großen Berliner Erfolge hier an der Weser wiederholte. Seitdem wurde am Bremer Theater nicht mehr mit einer solch exquisiten Expertise dem klassischen Musical gefrönt – zumindest nicht in meiner Wahrnehmung. Ich warf über Jahre immer wieder einen hoffnungsvollen aber sinnlosen Blick zum Bremer Theater und war kurz davor, meinen Blick enttäuscht für immer abzuwenden, als plötzlich dieses Werk angekündigt wurde. Ich konnte mein Glück kaum fassen…!

In Bremen nahm sich Regisseur Frank Hilbrich diesem Musical-Fossil an und bemühte sich um eine Auffrischung. So stellte er die Vorzüge des Werkes in den Mittelpunkt, indem er die positive Energie, das Komödiantische und die brillante Musik hervorhob. Er entschlackte das Musical mit mal mehr, mal weniger überzeugenden Kürzungen im Text und verfrachtete die Handlung aus der Zeit der Jahrhundertwende heraus in die bunte Welt der 80er Jahre. Eine radikalere Modernisierung hätte dem Werk auch nicht gut getan, bzw. das Geschäftsmodel einer Dolly Levi in der heutigen Zeit ad absurdum geführt. Auch war in den 80ern die Emanzipation der Frau schon so weit vorangeschritten, dass ein Song wie „Motherhood/ Mutterschaftsmarsch“ hier nur mit einem ironischen Augenzwinkern von den Damen vorgetragen werden konnte. Hilbrichs Inszenierung setzt auf Tempo: Chor und Ballett scheinen bei den flotten Nummern ständig auf der Bühne zu sein, ohne das es hektisch wirkt. Gleichzeitig gönnt er den Balladen die nötige Ruhe, damit sie ihre Wirkung entfalten können.

William Kelley entfaltet mit den Bremer Philharmoniker einen satten Broadway-Sound, der geschickt zwischen Jazz, Swing und Schlager pendelt, sich süffig im Ohr verfängt und dort lange haften bleibt. Chordirektorin Alice Meregaglia besorgte die perfekte Disposition der agilen Sänger*innen des Opernchores, während Dominik Büttner die Tänzer*innen dank seiner abwechslungsreichen Choreografie mit flinken Füssen über die Bühne wirbeln ließ. Gemeinsam umrahmen sie alle auf das Allerbeste die feine Solistenriege.

Sie kam, sah und siegte: Gayle Tufts trat als Dolly Levi auf, und schon flogen ihr alle Sympathien zu. Sie „denglisht“ sich so herrlich authentisch und charmant durch ihre Dialoge und versprüht dabei so viel positive Energie. Kleingeister könnten durchaus auf den Gedanken kommen, ihr Defizite im Gesang und Schauspiel anzukreiden. Diese wären für mich nur einige von vielen Teilen ihrer liebenswerten „Personality“. Gayle Tufts schenkt ihrem Publikum pures Entertainment.

„Umspielt“ wurde sie von Solist*innen aus dem Opernensemble, die sich mit der sogenannten leichten Muse erfreulich wohl zu fühlen scheinen. Nun kommen die Songs eines klassischen Musicals den Stimmen von Opernsängern durchaus entgegen, was allerdings nicht bedeutet, dass jeder Opernsänger darin auch brilliert. Umso schöner, wenn beides auf das Beste zueinanderfindet.

Ulrike Mayer leiht der Irene Molloy ihren vollen Mezzo und zeigt die herbe Schöne als moderne Frau, die keinen Kerl braucht, um versorgt zu sein. Im Gegenteil: Sie braucht einen Mann auf Augenhöhe, der stark genug ist, um auch mal schwach zu sein. Diesen scheint sie im Cornelius Hackl von Ian Spinetti gefunden zu haben, der mit schönem Tenor und einnehmenden Spiel (insbesondere bei „It Only Takes a Moment/ Es kann oft ein Moment sein“) überzeugt. Das Buffo-Paar, bestehend aus Barnaby Tucker und Minnie Fay, findet in Timo Stacey und Elisa Birkenheier ihre Entsprechung: zwei junge, naive Menschen, die am Anfang ihres Lebens stehen, und mit Spielfreude und Natürlichkeit punkten. Als männliches Objekt von Dollys Begierde steht Christoph Heinrich auf der Bühne und lässt bei den div. Wutanfällen von Horace Vandergelder seinen tiefschwarzen Bass ertönen. Heinrich zeigt sowohl schauspielerisches wie komödiantisches Potential: Nur leider ist ein dauerhaftes „Granteln“ nicht abendfüllend. Ich hätte mir mehr Differenziertheit in der Rollengestaltung gewünscht, um nachzuvollziehen, warum eine patente Frau wie Dolly sich in diesen Miesepeter verguckt. Nur leider sind gerade die Passagen des Textbuches, die die weiche, verletzliche Seite von Horace beleuchten, dem Rotstift des Regisseurs zum Opfer gefallen. Schade!

Das Bühnenbild von Volker Thiele zeigt uns das Harmonia Gardens Restaurant in edlem Holz und mit gediegener Patina. Das Orchester sitzt erhaben auf der Empore. Dank flexibel verschiebbarer Bühnenteile, wie die Präsentationsflächen im Hutgeschäft oder die berühmte Showtreppe, vergehen nur wenige Sekunden zwischen den einzelnen Szenenwechseln. Die Kostüme von Gabriele Rupprecht überzeugen mit satten Farben im typischen 80er-Look, wie weite Oberteile mit breiten Reveres und Schulterpolstern, Taillengürtel und bunte Jogging-Anzüge. Herrlich!

Am Schluss der Aufführung standen wir in den Sitzreihen und spendeten frenetischen Applaus für eine überzeugende Gayle Tufts in der Titelrolle, für ein tolles Ensemble und für ein Musical aus der goldenen Ära des Broadways, das uns so herrlich den Alltag vergessen ließ.

Lust auf ein paar Zusatz-Information? Dann lest gerne die Interviews von der Hauptdarstellerin Gayle Tufts oder dem musikalischen Leiter William Kelley auf der Homepage des Theaters Bremen.


Die pfiffige Heiratsvermittlerin HELLO, DOLLY! wird voraussichtlich noch bis zum Ende der Spielzeit ihre Fäden am Theater Bremen spinnen.

[Kulturtipps] Juli/ August 2022…

Das Spielzeitheft für die nächste Saison an „meinem“ Stadttheater Bremerhaven ist erschienen und löste bei mir beim Studieren beinah einen Schreikrampf aus – vor Begeisterung!

So viel Schönes gab es dort für mich zu entdecken. So darf ich mich u.a. freuen auf das klassische Ballett „Dornröschen“, das Musical „Hairspray“, die Oper „Der Freischütz“ und Shakespeares „Viel Lärm um Nichts“. Auch die Konzerte des Philharmonischen Orchesters Bremerhaven werden mich wieder ins Theater locken – sei es mit dem 1. Familienkonzert „Coppélia“, das wieder in Kooperation mit der Tanzschule Dance Art entsteht, oder das Adventskonzert „Winter Wonderland“. Aber auch meine Gier nach guten Krimi-Stoffen wird gestillt mit Edgar Allen Poes „Der Untergang des Hauses Usher“ und „Mord im Orientexpress“ nach Agatha Christie. 

Doch auch die anderen Theater der Region bieten wieder Sehenswertes: Das Ohnsorg-Theater eröffnet die neue Spielzeit mit dem Klassiker „Dat Hörrohr“ von Karl Bunje, und am Bremer Theater gibt es das Musical „Hello, Dolly!“ mit Gayle Tufts in der Titelrolle.

Das so genannte Sommerloch könnte u.a. mit „Der Mordssommer“ vom bremer kriminal theater gestopft werden: Krimis, Lesungen, Konzerte u.v.m. finden „open air“ im Hof der Union-Brauerei statt. Oder wie wäre es mit einem Besuch einer Freilichtbühne? Die Freilichtbühne Lilienthal hat z. Bsp. als Familienstück „Peter Pan“ nach James M. Barrie und als Abendstück „Amadeus“ von Peter Shaffer im Programm.

Sehr zu empfehlen ist auch eine der zahlreichen Stadtführungen, die zu unterschiedlichen Themen-Schwerpunkten angeboten werden: Zuerst fein Essen gehen und dann die angefutterten Kalorien bei der Führung wieder abrennen. Perfekt! 😄


AUSSTELLUNG

  • 31. Juli – Vernissage Sommeratelier / Kunstverein Osterholz in Osterholz-Scharmbeck

FÜHRUNGEN


KOMÖDIE / LUSTSPIEL

  • 2. Juli – Premiere Ich lach mich tot von Alexander Houghton / piccolo teatro Haventheater in Bremerhaven
  • 28. August – Premiere Dat Hörrohr von Karl Bunje / Ohnsorg Theater Hamburg

KONZERT


KRIMI

  • bis 24. Juli – Der Mordssommer / div. Veranstaltungen / bremer kriminal theater

MÄRCHEN

  • bis 10. September – Peter Pan nach James M. Barrie / Freilichtbühne Lilienthal

SCHAUSPIEL

  • bis 9. September – Amadeus von Peter Shaffer / Freilichtbühne Lilienthal
  • 28. August – Premiere Drei Schwestern von Anton Tschechow / Theater am Goetheplatz in Bremen

Nanu! Ein Buch-Blogger gibt Kulturtipps! Wie kommt denn das? Die Antwort findet Ihr unter Der Anfang…!

Berücksichtigung finden natürlich hauptsächlich Veranstaltungen in meinem näheren Umfeld. Aber ich bin mir sicher, dass auch in Eurer Nähe viele spannende Veranstaltungen auf Euch warten!

Bitte beachten: Alle Angaben erfolgen ohne Gewähr! Aufgrund der Corona-Pandemie kann es kurzfristig zu Änderungen kommen: Für aktuelle Infos wendet Euch bitte direkt an die Veranstalter!

[Rezension] My Fair Lady. Weltmusicals für Kinder/ nach Alan Jay Lerner/ neu erzählt von Barbara Kindermann/ mit Illustrationen von Silke Leffler

Vor einiger Zeit trällerte ein Kollege die Melodie zu „Bringt mich pünktlich zum Altar“ während des Dienstes. Ich war sehr überrascht, da ich bisher annahm, dass Musical nicht zu seiner präferierten Musikrichtung gehörte. Und zugegeben, mein Kollege kannte diese Melodie nur in Zusammenhang mit einem Blödel-Text und hatte nicht den blassesten Schimmer, dass es sich hierbei um einen Song aus einem weltberühmten Musical handelt. Zum Glück konnte ich diesen Kulturbanausen aufklären!

Dabei fiel mir allerdings auch wieder etwas ein, das mich veranlasste, in alten Programm-Heften zu stöbern: Heute vor genau 34 Jahren sah ich mein erstes Musical auf einer Bühne: MY FAIR LADY.

Ich saß mit einer vergünstigten Schülerkarte im zweiten Rang des Theaters am Goetheplatz in Bremen (Bei meinem damaligen Budget, das ich mir durch Zeitungsaustragen verdingte, war Besseres nicht drin.), blickte aus der Vogelperspektive von oben herab über den ersten Rang und das Parkett zur Bühne und wartete gespannt auf das, was mich erwartete. Schließlich war ich als Theaterbesucher noch völlig unbeleckt und konnte diesbezüglich auf keine Erfahrungen zurückgreifen. Alles war für mich neu und aufregend: Die Musiker*innen des Orchesters stimmten ihre Instrumente, während ein Gong den Beginn der Vorstellung ankündigte. Langsam wurde das Licht gedimmt, und eine vibrierende Spannung bemächtigte sich meiner. Der Dirigent erschien, und das Publikum applaudierte, also applaudierte auch ich. Zu den ersten Takten der Ouvertüre hob sich der Vorhang und gab den Blick frei auf das Bühnenbild, das Covent Garden in London darstellen sollte. Das Spiel begann. Niemals zuvor hatte ich eine verführerische Symbiose, wie diese aus Musik, Text, Gesang, Schauspiel und Tanz, erleben dürfen,…

…und es war um mich geschehen. Seitdem hat mich das Musicalfieber nicht mehr losgelassen, und gerade MY FAIR LADY nimmt hier eine Sonderstellung ein. So saß ich im Laufe der Jahre in 6 Vorstellungen bei 4 verschiedenen Inszenierungen…

  • Bremer Theater am Goetheplatz: 06.06.1988 und 09.11.1990
  • Stadttheater Bremerhaven: 12.12.1997
  • Oldenburgisches Staatstheater: 10.12.1999
  • Bremer Theater am Goetheplatz: 21.12.2002 und 08.06.2003

… und nenne 14 verschiedene Cast-Aufnahmen mein Eigen – neben diversen Aufnahmen auf Englisch und Deutsch, auch auf Holländisch, Dänisch und Hebräisch,…

…und ich würde jederzeit mir auch die 5., 6. und 7. Inszenierung ansehen!

Jeder Mensch hat seinen besonderen Vogel.
Mein Vogel kann wahrhaftig „wundascheen“ singen!!!
🐦


Die Philosophie des Kindermann-Verlages ist so einfach wie genial:

„Kinder sollen sich Literaturklassikern spielerisch und unvoreingenommen nähern können.“

Damit dies gelingt, sorgt Verlegerin Anna Kindermann mit ihrem Team für wunderbar illustrierte Neuerzählungen. Denn die Klassiker haben es genau deshalb zu Weltruhm geschafft, da sie außergewöhnliche Geschichten von tollen Held*innen erzählen. Und so bietet in der Zwischenzeit das Verlagsportfolio nicht nur Weltliteratur, Poesie, berühmte Leute und Kunst für Kinder, sondern sogar auch die Nacherzählung zweier Musicals, für die Verlagsgründerin und Mutter der jetzigen Verlegerin verantwortlich war.

Und genau diese Nacherzählung gelingt ihr sehr charmant. Barbara Kindermann versteht es, die Kernhandlung prägnant zu präsentieren ohne dabei die Charaktere der Hauptpersonen zu vernachlässigen bzw. zu verwässern. Dabei flicht sie in die Dialoge immer wieder die Lyrik der Songs mit ein. Ein raffinierter Kniff: So erhält der Vorlesende die Möglichkeit an der entsprechenden Stelle seinen jungen Zuhörern den passenden Song vorzuspielen. Natürlich vorausgesetzt, man ist im Besitz einer Cast-Aufnahme. 😉


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Silke Leffler war mir bisher vornehmlich als Illustratorin für Papeterie ein Begriff und hat hierfür einen sehr eigenen Stil kultiviert. Ihre Werke fielen gerne durch die unverwechselbare Silhouette ihrer Figurinen im Zusammenspiel mit überdimensionale Blüten auf. Passend zum vorgegebenen Sujet fallen auch hier ihre Illustrationen sehr blumig und farbenfroh aus. Dabei bemüht sie sich, für die einzelnen Personen eine charakteristische Physiognomie zu finden, bleibt dabei aber leider innerhalb ihres gewohnten Korsetts und zeigt so – für meinen Geschmack – wenig Prägnanz und Individualität. Warum sie in ihren Illustrationen als gestalterisches Element Seiten aus dem Textbuch von Friedrich Schillers „Wilhelm Tell“ verwendete, blieb mir unverständlich. Vielleicht wollte Leffler mit diesem grafischen Kniff die Nähe dieser Geschichte zum Theater symbolisieren, wobei hier „Pygmalion“ von George Bernhard Shaw durchaus passender gewesen wäre.

Alles in allem sind diese Kritikpunkte doch nur meinem persönlichen Geschmack geschuldet und werden die Freude der Kids an diesem Buch nicht mindern. Im Gegenteil: Der Kindermann Verlag schafft auf wunderbare Weise, die Hemmschwelle der Kinder zur „hehren“ Kunst zu minimieren.


erschienen bei Kindermann/ ISBN: 978-3934029439