„Bleib man hier“, hatte meine Mutter zu mir gesagt, als es zur Beerdigung meines Großvaters ging. Sie hielt mich wohl für zu jung für diese Form des Abschieds. Dabei war ich schon 14. Und er war doch mein geliebter Großvater.
Unter buschigen Brauen konnte er gefährlich mit seinen blauen Augen hervorblitzen, wenn ihm etwas nicht passte. Aber er hatte immer ein grundgütiges Herz. Nach außen war er Honoratior – mit Hut, wenn er durch die Stadt ging. Im Inneren war er ganz unkonventionell. Man sah es an seinem ungewöhnlich sortierten Bücherschrank. Meist war er verschlossen und voller verbotener Dinge. Für mich hat er ihn geöffnet und manches Geheimnis gelüftet.
Mitten in dem Satz, mit dem er mir das Wort „Kossät“ erklären wollte – ein norddeutscher Begriff für Kleinbauer -, griff er sich an den Kopf und konnte nicht mehr weiter. Ein paar Tage später wurde er dahindämmernd aus unserem Haus getragen, ein Hüne von Gestalt, nun ganz hilflos…
Ich habe ihn nicht wiedergesehen. Ich habe ihn nicht mehr besucht im Krankenhaus, nicht seine Hand berührt auf dem Totenbett. Auch davor sollte ich wohl bewahrt werden. Nun pilgere ich um sein Grab, denke an ihn, spreche mit ihm. Es ist wohl auch eine Bitte um Verzeihung.
Ich war doch sein Junge – und habe mich gar nicht verabschiedet.
Kai-Uwe Scholz

Bei Ihrem schönen Text entdecke ich Parallelen zum Tod meines Großvaters „Opa Piep“.
Auch ein großer, starker Herr, ein Fischhändler mit eigener Firma. Er bekam an einem Wochenende einen Schlaganfall und der Notarzt war ein Kinderarzt, der die Dramatik nicht erkannte und meinte, mein Großvater solle bis Montag auf dem Sofa liegen bleiben und dann zum Hausarzt gehen.
14 Tage später ist er im Krankenhaus gestorben.
Bei meinem letzten Besuch am Krankenbett, drückte ich 10-jähriger Junge mich schüchtern in der Ecke herum und wusste nicht, was ich sagen sollte. Bis heute bereue ich, dass ich kein Wort des Abschieds fand.
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