[Noch ein Gedicht…] August Heinrich Hoffmann von Fallersleben – LIED DES NUSSKNACKERS

König Nussknacker, so heiß ich.
Harte Nüsse, die zerbeiß ich.
Süße Kerne schluck ich fleißig.
Doch die Schalen, ei, die schmeiß ich
Lieber andern hin,
Weil ich König bin.
Aber seid nicht bang!
Zwar mein Bart ist lang
Und mein Kopf ist dick
Und gar wild mein Blick.
Doch was tut denn das?

Tu keinem Menschen was,
Bin im Herzensgrund,
Trotz dem großen Mund,
Ganz ein guter Jung,
Lieb Veränderung,
Amüsier mich gern
Wie die großen Herrn.
Arbeit wird mir schwer,
Und dann mag ich sehr
Frommen Kindersinn,
Weil ich König bin.

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben

[Noch ein Gedicht…] Rainer Maria Rilke – ADVENT

Es treibt der Wind im Winterwalde
die Flockenherde wie ein Hirt,
und manche Tanne ahnt, wie balde
sie fromm und lichterheilig wird;

und lauscht hinaus. Den weißen Wegen
streckt sie die Zweige hin – bereit,
und wehrt dem Wind und wächst entgegen
der einen Nacht der Herrlichkeit.

Rainer Maria Rilke

[Noch ein Gedicht…] Anna Dix – WILLKOMM’NER HERBST

Schleicht der Herbst auf meinem Gartensteg,
Streut mir welke Blätter in den Weg.

Schaut in meine Augen tief und zag,
Ob mein klarer Blick sich feuchten mag.

Aber ich in milder Seelenruh‘
Neige lächelnd ihm mein Antlitz zu.

Dankend legt er in die Hände mir
Seiner letzten Astern blasse Zier.

Anna Dix

[Noch ein Gedicht…] Hedwig Lachmann – AM STRAND

Das helle Ufer schimmert feucht
Vom Schaum der Welle, die entwich.
In silbern flirrendem Geleucht
Verliert sich fern sein letzter Strich.

Die Segelboote fliegen aus –
Von Mitternacht, von Norden her
Kommt eine Woge hoch und kraus:
Geliebtes Meer, geliebtes Meer!

Hedwig Lachmann

[Noch ein Gedicht…] Heinrich Heine – NACHT LIEGT AUF DEN FREMDEN WEGEN

Nacht liegt auf den fremden Wegen,
Krankes Herz und müde Glieder;
Ach, da fließt, wie stiller Segen,
Süßer Mond, dein Licht hernieder.

Süßer Mond, mit deinen Strahlen
Scheuchest du das nächt’ge Grauen;
Es zerrinnen meine Qualen,
Und die Augen übertauen.     

Heinrich Heine


🌙✨ Heute ist der INTERNATIONALE TAG des MONDES! 🌙✨


[Noch ein Gedicht…] Erich Fried – MEER

Wenn man ans Meer kommt
soll man zu schweigen beginnen
bei den letzten Grashalmen
soll man den Faden verlieren

und den Salzschaum
und das scharfe Zischen des Windes einatmen
und ausatmen
und wieder einatmen 

Wenn man den Sand sägen hört
und das Schlurfen der kleinen Steine
in langen Wellen
soll man aufhören zu sollen
und nichts mehr wollen wollen nur Meer

Nur Meer 

Erich Fried

[Noch ein Gedicht…] Ludwig Uhland – FRÜHLINGSGLAUBE

Die linden Lüfte sind erwacht,
Sie säuseln und weben Tag und Nacht,
Sie schaffen an allen Enden.
O frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, sei nicht bang!
Nun muß sich alles, alles wenden.

Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
Man weiß nicht, was noch werden mag,
Das Blühen will nicht enden.
Es blüht das fernste, tiefste Tal;
Nun, armes Herz, vergiss der Qual!
Nun muss sich alles, alles wenden.

Ludwig Uhland

[Noch ein Gedicht…] Max Dauthendey – DIE AMSELN HABEN SONNE GETRUNKEN

Die Amseln haben Sonne getrunken,
Aus allen Gärten strahlen die Lieder,
In allen Herzen nisten die Amseln,
Und alle Herzen werden zu Gärten
Und blühen wieder.

Nun wachsen der Erde die großen Flügel
Und allen Träumen neues Gefieder,
Alle Menschen werden wie Vögel
Und bauen Nester im Blauen.

Nun sprechen die Bäume in grünem Gedränge
Und rauschen Gesänge zur hohen Sonne,
In allen Seelen badet die Sonne,
Alle Wasser stehen in Flammen,
Frühling bringt Wasser und Feuer
Liebend zusammen.

Max Dauthendey

[Noch ein Gedicht…] Hedwig Lachmann – CHRISTNACHT

Es steht ein Stern verloren
hoch über einem Haus;
drin ist ein Kind geboren:
Ein Licht geht von ihm aus.

Von wenigen vernommen,
tönt eine Botschaft fern:
Die Weisen und die Frommen
verkünden jenen Stern.

Da lauschen alle Ohren,
zu denen Kunde dringt:
Wo ist der Mensch geboren,
der mir Erlösung bringt?

Die Stätte zu betreten,
welch Weges muss ich zieh’n?
Das Wunder anzubeten,
wo gläubig niederknien?

Hedwig Lachmann