Dauer der Ausstellung: 23. März 2025 bis 29. März 2026 / Besuch: 10. September 2025
Kunstmuseum Bremerhaven
„Ich finde die so hässlich.“ war in einem Kommentar zu meinem Beitrag ALLTAGSMENSCHEN in einem der Bremerhaven-Foren zu lesen. Ich teile diese Einschätzung in keiner Weise, doch ich respektiere selbstverständlich die Meinung dieser Kommentatorin. Meine Antwort lautete: „Das ist das Gute bei Kunst: Wir müssen nicht alle das Gleiche schön finden. Schönheit liegt immer im Auge des Betrachters.“
Liegt Schönheit immer im Auge des Betrachters? Ja, liegt es! Dafür sind wir alle, jede*r für sich, individuelle Persönlichkeiten mit einem unterschiedlichen Erfahrungsschatz, aus dem wir schöpfen, aber aus dem wir auch werten. Meine Erfahrung hat mich gelehrt, dass Kunst nicht unbedingt im klassischen Sinne schön sein muss, um mein Interesse zu wecken. Wäre dies der Fall, dann hätte mein Besuch des Kunstmuseums in Bremerhaven direkt im ersten Raum schon geendet.
Allein der Anblick des Gebäudes, dieses viereckigen, dunkel verkleideten Quaders, gradlinig, schnörkellos, funktionell, das sich zwischen Stadttheater und Kino presst und die Ecke mit dem Eingangsportal keck in Richtung Theodor-Heuss-Platz reckt, löste auch bei mir keine Begeisterungsstürme aus und würde unter der Rubrik „Schöne Bauwerke in Bremerhaven“ mir nicht unbedingt als erstes in den Sinn kommen. Doch das Kunstmuseum ist auch nicht dazu da, um Schönheitswettbewerbe zu gewinnen. Es ist dazu da, um zeitgenössischer Kunst einen Rahmen zu bieten, in dem sie sich entfalten kann und darf.
„Der Titel der Ausstellung DIE STILLE REVOLTE DER DINGE bezieht sich unter anderem darauf, der Kunst die Verweigerung zuzugestehen, nur eine weitere elitäre Ware zu werden. Er könnte aber auch andeuten, dass man nicht willens ist, einen öffentlichen Dienst zu leisten, um ihre Existenz zu rechtfertigen. In dieser Ausstellung gibt es keine Anbiederung und kein Buckeln, keine offensichtlichen Gefälligkeitsversuche, keine gönnerhaften Rechtfertigungen oder Erklärungen.“
…las ich im Begleitheft zur Ausstellung und betrat gespannt den ersten Raum. Direkt gegenüber dem Eingang begrüßte mich mit ROSE PAINTING eine Wandinstallation von Yngve Holen, die mich an ein Rosettenfenster eines Doms erinnerte, dann meinte ich das Wurzelwerk eines Baumes zu erkennen. Umso erstaunter war ich, als ich erfuhr, dass es sich hierbei einen vergrößerten Scan der Radspeiche eines SUV, der aus Leimholz gefertigt wurde, handelte. Erstaunlich, wie die Wahrnehmung einer Form sich verändert, sobald Größe und Material nicht mehr dem Gewohnten entspricht.
Im 1. Stock betrat ich einen Raum und wurde mit einer Begegnung mit mir selbst beschenkt: Anfangs fragte ich mich „Wer kommt denn da durch die Tür?“, dann realisierte ich, dass es sich beim „Man in the Mirror“ um mich höchstpersönlich handelte. Mit MIRRORS WOULD DO WELL TO REFLECT MORE BEFORE SENDING BACK IMAGES möchte uns Juliette Blightman einladen, dass wir auf dem Stuhl vor dem Spiegel Platz und uns Zeit zur Reflexion nehmen. Denn was wir über andere Menschen sagen, ist vielmehr ein Spiegelbild unserer selbst.
Im Nebenraum stolperte ich beinah über zwei graue Plastikwannen mit schmutzigen Geschirr, an dem die Essensreste schon unschön festgetrocknet waren. Irritiert blickte ich zu Boden und fragte mich „Ist in Villarriba und Villabajo das Spülmittel ausgegangen?“. Doch irgendwie wirkte das Arrangement MALEWHITECORPORATEOPPRESSION von Georgie Nettells auch wie eine stille Revolte, als wolle jemand mir provokant zurufen „Wenn’s dich stört, dann mach doch selber!“
Wie konnte sich eine Tür, die wirkt als käme sie aus der Gründerzeit, in eine Ausstellung mit zeitgenössischer Kunst verirren? Hat irgendjemand sie hier abgestellt und versehentlich vergessen? Bei näherer Betrachtung erkannte ich, dass es sich zwar durchaus um eine alte Kassettentür handelte, die allerdings ein neues Farbkleid erhalten hatte. Leider war dieses neue Kleid nicht in derselben hohen Qualität ausgeführt, wie diese ursprünglich wunderschöne Tür handwerklich gearbeitet wurde. Mit MACKDOOR hinterfragt Lucy MxKenzie die Trennung zwischen Handwerk und Kunst.
Ich schob den Vorhang zur Seite und betrat einen beinah dunklen Raum. Nur direkt im Mittelpunkt war eine Lichtquelle, die LIGHT BOX von Kitty Kraus auszumachen, die an Intensität gewann, je mehr sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnten. Erstaunt stelle ich fest, dass die sichtbare Horizontallinie nicht auf die Wand gemalt wurde, sondern aufgrund der Ausrichtung der Lichtquelle entstand.
Außerhalb dieses Raumes gab es noch eine weitere Lichtinstallation OHNE TITEL von Kitty Kraus zu bewundern, die auch auf dem Plakat zur Ausstellung zu sehen ist – allerdings in ihrem Ursprungszustand. Die Arbeit besteht aus einer klassischen Glühbirne, die in einen Eisblock, der während der Dauer der Ausstellung langsam schmilzt, eingeschlossen wurde. Die Künstlerin bedient damit zwei Dimensionen: So sucht sich das geschmolzene Eis seinen Weg als Pfützen und Rinnsale seinen Weg durch den Raum und verändert sich dabei, je länger dieser Prozess andauert.
Auch im 2. Stock beeindruckte mich eine Lichtinstallation: UNTITELD von Cerith Whyn Evans war eine Lichtsäule bestehend aus mehreren Neon-Röhren, die eine theatralische Kraft ausstrahlte und je nach Position des Betrachtenden ihre Umgebung in unterschiedlich intensive Schatten tauchte. Es war magisch!
Nach dieser Dramatik sorgte mein Blick auf die fünf Grafiken OHNE TITEL von Christian Flamm für eine wohltuende Entspannung: Mit den minimalistischen Formen und der Collagen-artigen Zusammensetzung erinnerten mich die Werke an den reduzierten Stil des Pop-Arts.
Im Treppenhaus im 1. sowie 2. Stock entdeckte ich die Leuchtkästen OHNE TITEL 1 und OHNE TITEL 2 von Daniel Pflumm, die von ihrer Ästhetik durchaus auch ein Produkt eines bekannten schwedischen Möbelhauses hätten sein können. Ich sehe diese Assoziation nicht als Nachteil. Vielmehr sei es auch hier gestattet, die Trennung zwischen Gebrauchsdesign und Kunst zu hinterfragen.
Dies war meine ganz individuelle Auswahl an Kunstwerken: Jedes dieser Werke hatte mich ganz außerordentlich angesprochen, indem es mich verwirrte, zum Nachdenken anregte, zum Lächeln oder zum Staunen brachte und mich so verführte, länger bei ihm zu verweilen. Doch natürlich gibt es noch viele Kunstwerke weiterer Künstler*innen im Kunstmuseum Bremerhaven zu entdecken, und jede*r Besucher*in wird bei einem Besuch eigene Favoriten küren. Und trotz der eingangs erwähnten Schlichtheit und Gradlinigkeit des Gebäudes empfand ich die dortige Atmosphäre auch dank der natürlichen Ausleuchtung als sehr angenehm.
Für alle, die gerne die gewohnten Pfade verlassen und offen sind für neue Impulse, ist die Ausstellung DIE STILLE REVOLTE DER DINGE im Kunstmuseum Bremerhaven wärmstens zu empfehlen.
