Es war für mich wie ein Nachhausekommen: Nach längerer (in diesem Fall: unfreiwilliger) Abwesenheit öffnete ich die Tür, und eine Woge der Behaglichkeit stürzte über mich herein. Das Licht, die Gerüche, der Ton – alles war mir so vertraut, dass ich mich bedingungslos und ohne Angst fallen lassen konnte. Sanft gleitete ich in ein für mich bereitetes Bett, und luftige Kissen und Decken fingen mich weich auf.
Genauso fühlte ich mich, als ich dieses Buch aufschlug und endlich wieder in Flavias Welt eintauchen durfte. Fünf lange Jahre hatte sich Alan Bradley Zeit genommen, um Flavias Geschichte weiterzuspinnen. Fünf lange Jahre musste ich (und mit mir natürlich auch alle anderen Flavia-Groupies weltweit) ohne ein Lebenszeichen von ihr ausharren, und in mir keimte schon die Angst, dass es evtl. keine weitere Geschichte geben würde. Doch nun ist sie wieder da und hat für uns allerlei Überraschungen im Gepäck…
Major Greyleigh, ein ehemaliger Henker, wird tot aufgefunden. Todesursache: der Verzehr giftiger Pilze. Schnell gerät die Köchin Mrs Mullet ins Visier der Polizei. Doch ganz so einfach ist die Lösung nicht – Flavia ermittelt auf eigene Faust. Auf der Suche nach dem Mörder wird sie auf einige Familien aufmerksam, die durch den Henker Angehörige verloren und damit alle ein Motiv haben. Oder hat etwa ihre unerträgliche Cousine Undine etwas mit dem Tod des Henkers zu tun? Am Ende ihrer Nachforschungen kommt Unvorstellbares ans Licht: Flavia erfährt, was wirklich mit ihrem toten Vater geschah – das wohl größte Rätsel ihres Lebens.
(Inhaltsangabe der Homepage des Verlages entnommen!)
„Wenn irgendwo Pilze schmoren,
wird der Kriminalist unwillkürlich hellhörig.“
…äußerte sich schon Agatha Christie über diese äußerst beliebte Mordmethode in Kriminalromanen. Und hier werde auch ich als geneigter Leser natürlich sofort hellhörig. Wobei: Die herzensgute Mrs Mullet und ein heimtückischer Mord sind für mich nur schwerlich in Einklang zu bringen. Aber gerade meine durch die Lektüre der zehn Vorgänger-Bände gefestigte Vorstellung der handelnden Personen nutzt der Autor schändlich aus, um mich auf das sprichwörtliche Glatteis zu führen. Sind die Personen wirklich so, wie ich bisher meinte, dass sie es sind? In diesem Roman wird so vieles in Frage gestellt, dass ich ein wenig Zeit benötigte, um meinen kleinen Flavia-Kosmos neu aus- bzw. einzurichten.
Wie eingangs schon erwähnt, schenkt uns der Autor eine wohlige Sicherheit, indem er die bekannten Rahmenbedingungen nur wenig verändert. Und doch setzt Alan Bradley raffiniert neue Akzente, da er einige Personen in den Mittelpunkt schiebt, während andere Personen eher in den Hintergrund rücken. Dabei verändert sich zwangsläufig der Fokus: Bisher unerwähnte und darum umso überraschendere Eigenarten treten zutage und lassen die Figuren in einem neuen Licht erstrahlen. Der Autor gönnt seinen Figuren eine Weiterentwicklung, eine Wandlung, die sie wohltuend aus ihrer bisherigen Schablone (er)lösen.
Dies trifft auch auf unsere geliebte Heroin zu: Sie wird nun zu einer jungen Frau. Eine Wandlung, die auch sie selbst verwirrt, die sie aber umso menschlicher erscheinen lässt. Ähnlich wie der Titelheld der Harry Potter-Serie darf auch hier unsere Heldin einen Reifungsprozess durchleben, der ihr äußerst gut bekommt und aus der anfangs neumalklugen und nervigen Göre eine interessante und gereifte Persönlichkeit macht.
Die abermals abwechslungsreiche und packende Story würzt Bradley zusätzlich mit einem gerissenen Twist, der die Handlung urplötzlich in eine andere Richtung lenkt und so das Interesse der Leserschaft auf kommende Romane weckt. Und weitere Romane sind wahrlich vonnöten: Da sind noch so viele Fragen unbeantwortet geblieben, so viele lose Enden müssen noch miteinander verknüpft werden.
Zudem würde ich es mir so sehr wünschen, dass Alan Bradley angesichts seines reiferen Alters die Möglichkeit hätte, diese äußerst unterhaltsame Krimi-Reihe zu einem runden und somit gelungenen Abschluss zu führen. Flavia, Dogger, Mrs Mullet, Inspektor Hewitt, Undine und all die anderen wunderbaren Figuren hätten es wahrlich mehr als verdient.
