Nun wird es für mich langsam Zeit,…

…mich auf die Bücher zu stürzen. Nun hat das letzte Quartal des Jahres begonnen, zwei Lesungen warten auf mich und möchten mit Inhalt gefüllt werden. Und wie bei jedem Mal, muss ich nur meinen Hintern hochkriegen, um einen Anfang zu finden. Ist der Anfang gefunden, läuft der Rest wie von alleine – naja, beinah!

Doch was genau ist „der Rest“? Was geschieht hinter den Kulissen? Wie bereitet sich ein Vor-Leser auf eine Lesung vor?

Ich bin mir sicher, dass dies von Vor-Leser zu Vor-Leser sehr individuell ist. Gerne verrate ich hier meine Vorgehensweise.

Der Termin für eine abendfüllende Lesung steht schon sehr zeitig fest. Bei den beiden genannten Lesungen war der eine Termin schon vor einem Jahr geblockt, der 2. Termin kam im Januar dazu. Eine rechtzeitige Planung hat durchaus Vorteile: Zeit für Vorgespräche, Kontakt zu Presse und Kooperationspartnern knüpfen, Plakate und Eintrittskarten entwerfen undvielesmehr. Gleichzeitig birgt es auch die Gefahr, sich vorerst entspannt zurückzulegen, da man denkt „Ach, ich habe ja noch sooo viel Zeit!“.

Dann folgt die Suche nach einem Thema für die jeweilige Lesung. Entweder ich habe von vornherein eine zündende Idee oder es folgt spontan und unerwartet eine Eingebung – meistens zu den unmöglichsten Zeiten und in den merkwürdigsten Situationen. So verdanke ich die Idee für eine schaurig-schöne Lesung einem nächtlichen Gang zur Keramikabteilung.

Danach beginnt die Recherche: Wo finde ich ausreichendes Futter für dieses Thema? Entweder ich stöbere in meinem Bücher-Fundus, forsche im Internet, kaufe im Antiquariat oder konsultiere die Buchhändlerinnen meines Vertrauens.

Die Vorbereitung beginnt:

Pro Lesung sammeln sich dann ca. 10-15 Bücher bei mir an und liegen nach Themen geordnet griffbereit und unübersehbar „in meinem Weg“, damit ich auch immer-wieder-und-dauer-haft-und-pene-trant darüber stolpere. Bekomme ich dann endlich den schon oben erwähnten Popo hoch, beginnt das Studium. Die Texte werden „angelesen“ und unter folgenden Kritikpunkten beäugt: Gefällt es mir?/ Springt der Funke über?;  Kann ich daraus was machen?/ Bietet es Potential?; Ist es überhaupt vor-lesbar?/ Nicht jeder Text, der sich interessant liest, ist ebenso zum Vortragen geeignet.

Treffen die genannten Kriterien zu, kommen ca. 10-12 Texte ins „Recall“. Nun lese ich sie ausführlicher, prüfe, wie sie im Kontext mit den anderen Texten harmonieren und stelle eine erste, grobe Reihenfolge zusammen, achte auf den Spannungsbogen oder setzte bewusst Brüche in der Lesung. Dann lese ich die Texte laut und stoppe bei jedem Vortrag die Zeit.

Von den ausgewählten Texten werden einige wieder verworfen – entweder der Zeitumfang der Lesung wird überschritten, oder sie stören den Fluss der Lesung oder schaffen nicht die gewünschte Atmosphäre. Zum Schluss landen 5-8 Texte im Finale.

Nun beginnt meine Arbeit am Text: Ich feile an der Betonung, setzte bewusst Pausen ein, feile am Ausdruck und arbeite die jeweilige Stimmung heraus. Evtl. stelle ich auch einzelne Sätze leicht um, da sie dann natürlicher und somit flüssiger über meine Lippen kommen. Mit einem Bleistift mache ich mir entsprechende Zeichen im Text und notiere mir unterstützende Stichwörter am Textrand. Dabei wird der Text ca. 8-10x laut gelesen, weiter an der Interpretation gefeilt und die Feinheiten im Text weiter herausgearbeitet: ein klassisches Textstudium! 2-3 Tage vor der Lesung lasse ich die Texte in Ruhe, um das Erarbeitete nochmals sacken zu lassen und sie am großen Tag dann „frischer“ vortragen zu können.

Doch damit ist meine Arbeit noch nicht beendet: Schließlich folgt bei meiner Lesung nicht Text auf Text „ohne Punkt und Komma“– Nein! – zwischen den Texten wird lässig-locker-leicht geplaudert. Privat plaudere ich natürlich einfach so vor mich hin, wie jeder andere Laien-Plauderer auch. Bei meiner Lesung plaudere ich selbstverständlich höchst professionell und extrem gut vorbereitet. So fülle ich meine überleitende Moderation mit Biografischen und/oder Kuriosen zum jeweiligen Autor, verrate meine persönliche Bindung zum Text oder plaudere aus dem Nähkästchen eines ambitionierten Vor-Lesers. Und das alles will sehr gut vorbereitet sein…!

Jetzt kann mich nichts mehr schocken! Pustekuchen!

Der Tag X naht:

Ging es mir bis dahin blendend, ändert sich dies schlagartig an DIESEM Tag: Die Nacht zuvor schlafe ich eigentlich immer recht ordentlich. Im Laufe des Vormittags breitet sich ein unangenehmer Druck in meinem Magen aus, an meinen Schläfen spüre ich einen Spannungsschmerz, und meine Blase hat plötzlich ein extrem eingeschränktes Fassungsvolumen.

Wieso denke ich plötzlich an diesen Schlager von Gitte, der sich jetzt geschwürmäßig in meinem Kopf Raum nimmt und mit dem Rhythmus seiner Melodie gegen meine Schädeldecke pocht?

Lampenfieber!

½ Stunde vor Beginn: Mir ist nicht gut! Ich könnte jetzt gemütlich auf dem Sofa liegen. Ach was! Ich MÜSSTE jetzt auf dem Sofa liegen, mich einer Entspannungstechnik hingeben und auf die Wirkung einer doppelten Aspirin warten. Mein vegetatives Nervensystem arbeitet dafür einwandfrei und versorgt mich mit einer überdurchschnittlichen Schweißbildung.

„Warum mache ich diese verdammte Sch….. eigentlich immer wieder?“

½ Stunde nach Beginn: Die Zuhörer haben ihre Plätze eingenommen – viele bekannte & liebe Gesichter, schon nach dem ersten gelesenen Absatz spüre ich…

„Ich hab´ Euch am Haken!“ – geiles Gefühl…

Ende der Lesung: Begeisterung!!!

„Du machst doch im nächsten Jahr wieder eine Lesung, oder?“ Aber natürlich mache ich im nächsten Jahr wieder eine Lesung! Wer könnte daran zweifeln!

Der Vor-Leser verlässt äußerst zufrieden und beglückt aber auch erschöpft die Stätte seines Triumphes!

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