[Gastbeitrag] SELFPUBLISHING. ICH MACH DAS DANN MAL SELBST! von Lars Schmitz-Eggen

Kennt Ihr das auch: Es gibt Menschen, die scheinen schon seit ewigen Zeiten ein Teil Eures Lebens zu sein. So geht es mir mit Lars. Seine Frau Britta und ich sind gefühlt seit der Steinzeit miteinander befreundet, und so blieben auch unseren Männern nichts anderes übrig, als sich anzufreunden. Allerdings haben sie sich nicht nur angefreundet, sondern auch ineinander einen Leidensgenossen gefunden und sich miteinander solidarisch erklärt. Beispiel gefällig? Aber gerne: In den Jahren als Britta und ich exzessiv im Krippenspiel unsere Kirchengemeinde involviert waren, wollte die Beiden doch tatsächlich eine Selbsthilfegruppe für „Krippenspiel-geschädigte Ehepartner“ gründen. Und obwohl Britta und mir diese Solidarität suspekt erschien, und wir alles versuchten, dieses Aufbegehren im Keim zu ersticken, war die Verbundenheit der „unterdrückten Gatten“ stärker. Ihr werdet es sicher schon bemerkt haben: Wir 4 pflegen einen sehr besonderen Humor! 😂

Und selbstverständlich haben wir auch den Entstehungsprozess seines ersten Sachbuches mit Interesse verfolgt. Ich fand seine Entscheidung, ein Buch in Eigenregie zu veröffentlichen und ohne den Background eines Verlages in Anspruch nehmen zu können, sehr mutig. Er verfolgte sein Ziel mit einer bewundernswerten Konsequenz, da er an das Thema glaubte. Neugierig habe ich mich damals immer wieder nach dem Stand der Dinge erkundigt und erfuhr so Details aus dem Verlagswesen, die mir bis dato völlig unbekannt waren. Wir freuten uns so sehr mit ihm, als sein Werk endlich erschien. Für mein Exemplar bat ich um eine Widmung, die er mir natürlich gegeben hat.

Anscheinend scheint „schreiben“ ein ähnlich hohes Suchtpotenzial zu haben wie „lesen“: Lars hat es selbstredend nicht nur bei der Veröffentlichung dieses einen Sachbuchs belassen…! 😉


Wer viel liest, ertappt sich vermutlich früher oder später bei dem Gedanken, selbst einmal ein Buch schreiben zu wollen. Bei mir war das jedenfalls vor über 20 Jahren so. Nun verdiene ich allerdings als Journalist mit dem Schreiben meinen Lebensunterhalt. Insofern klingt der Gedanke an ein eigenes Buch vielleicht nicht ganz so ambitioniert. Konkret wurde der Gedanke bei mir 1997, als ich mich an den Untergang des Hapag-Lloyd-Frachters „München“ erinnerte. Das Schiff sank 1978 während eines Sturms im Nordatlantik unter rätselhaften Umständen. Mancher erinnert sich vielleicht an das Unglück, zu dessen Zeitpunkt ich gerade mal 13 Jahre alt war. 1997 wollte ich jedenfalls die Geschichte noch mal im Detail nachlesen, fand aber kein Sachbuch zu diesem Thema. Dann halt nicht, lese ich was anderes, könnte man meinen. Aus irgendeinem Grund ging ich aber stattdessen in eine Uni-Bibliothek, fand dort einen längeren Aufsatz zum Schicksal der „München“ – und war infiziert. Der Aufsatz enthielt so viele Ansatzpunkte für tiefergehende Recherchen, dass ich an dem Thema dranblieb. Motto: „Wenn’s zu dem Thema kein Buch gibt, dann schreib ich es halt selbst!“

Die folgenden drei Jahre investierte ich einen Großteil meiner Freizeit in Recherchen rund um die „München“. Wochenlang ging ich zum Beispiel im Bremer Staatsarchiv ein und aus. Hier lagen (liegen?) alle Akten zu dem Fall, allerdings für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Dank meines Presseausweises gewährte man mir unter strengen Auflagen Einsicht in die hunderten von Seiten. Kopieren verboten! Mühsam wertete ich Seite für Seite systematisch aus. Neue Details zum „München“-Fall waren für mich wie Schätze, die in mir Endorphine freisetzten und zum Weitermachen anspornten. Ich steckte meine volle Konzentration in den Inhalt dieses Buchs. Wie aus dem Text und einigen wenigen Fotos später einmal ein „richtiges“ Buch würde, daran dachte ich in den drei Jahren kaum. So sprach ich die ersten Verlage auch erst an, als ich der Meinung war, mein Buch sei jetzt (inhaltlich) fertig. Es folgten diverse frustrierende Begegnungen mit Menschen aus der Verlagswelt. Selbst ein klitzekleines Endorphin wäre zwischendurch mal schön gewesen, gab’s aber nicht. Manche fanden das Schicksal der „München“ als Buchthema nicht spannend genug – sprich: sie sahen zu geringe Aussichten auf ausreichende Verkaufszahlen. Andere zeigten sich scheinbar begeistert, erwähnten im Nachsatz aber, dass ich bzw. ein von mir zu findender Sponsor die Druckkosten in fünfstelliger Höhe übernehmen müsste. Einer der namhaftesten Verlage für Schifffahrtsliteratur antwortete mir nicht, sondern griff das Thema selbst auf. Als Schnellschuss brachte er ein reich bebildertes Werk zu „meinem“ Thema heraus. Damit war ich aus dem Rennen. Das Thema war im Handel von einem renommierten Verlag besetzt worden. Alle anderen hatten daraufhin kein Interesse mehr an meiner Buch-Idee. „Sie sind zu spät!“, hieß es sinngemäß. Drei Jahre Arbeit umsonst…?

Der Zufall wollte es, dass damals die Idee der Selbst- bzw. Eigenverlage – neudeutsch Selfpublishing genannt – an Fahrt aufnahm. Auslöser waren günstige neue Druckverfahren, die „Publishing on Demand“ ermöglichten: Ein Buch wird erst gedruckt, wenn es von einem Kunden bestellt worden ist. Dadurch fallen keine Lagerkosten an, und es besteht kein Risiko, sich mit seiner geschätzten Druckauflage zu verkalkulieren. Nachteil: Der Titel steht nicht im Regal eines Buchhändlers, sondern „nur“ im Internet auf den Webseiten der (heute) zahllosen Online-Bookstores. Einer der ersten Anbieter dieses Druckverfahrens in Deutschland war BoD aus der Nähe von Hamburg, heute vielleicht der größte Dienstleister auf diesem Gebiet. Mein „München“-Buch gehörte zu den ersten Titeln, die dank BoD in den Handel kamen. Ich bat eine Kollegin, die sich mit InDesign auskannte, meinen Text und einige Schwarz-Weiß-Fotos so zu layouten, dass es ein Buch ergab. Ich denke, diese äußerliche Beschreibung des Paperbacks würde auch unter den professionellen Augen von Ute Gartmann (Buchhandlung „die schatulle“) bestehen können. Von opulent war es jedenfalls weit entfernt. Und weil vergleichbare Sachbücher im Handel nicht zu finden waren, an denen ich mich hätte orientieren können, legte ich als Verkaufspreis willkürlich 15 Euro fest. Das war gerade so viel, dass mir von jedem verkauften Exemplar knapp zwei Euro als Honorar blieben. Damit war ich unbemerkt in die Rolle eines typischen Selfpublishers gerutscht: recherchieren, schreiben, herstellen, vermarkten, vertreiben und abrechnen. Man muss sich um alles selbst kümmern. So verfasste ich einen kurzen Pressetext, in dem ich mein Buch vorstellte, und schickte ihn mit einer Abbildung des Covers an die maritime Fachpresse und diverse norddeutsche Zeitungen. Dann hieß es warten und geduldig sein. Beißt jemand an? Ja! Einige Redaktionen griffen meine Pressemitteilung auf, und die ersten Bestellungen trudelten ein – die meisten bei BoD, einige auch direkt bei mir zu Hause. Ich wurde mutiger, erweiterte den Kreis der Adressaten und überlegte, wie ich mein Buch in den stationären Handel – sprich: Buchhandlungen – bringen könnte. Auf Schifffahrt spezialisierte Fachbuchhandlungen nahmen mir einige Exemplare als Kommissionsware ab, hier und dort kam mein „München“-Buch auch in die Shops von Schifffahrtsmuseen. In einem Augenblick des Übermuts schickte ich auch der Literaturredaktion des Nachrichtenmagazins „Focus“ ein Rezensionsexemplar. Deren dreizeiliger Hinweis auf meine Neuerscheinung gab dem Buchverkauf einen gehörigen Schub.

Der wirtschaftliche Aspekt stand für mich aber (zum Glück) nicht an erster Stelle. Mir ging’s zunächst nur ums Thema, das mich angefixt hatte. Nach dem Erscheinen merkte ich dann, wie sehr das Thema viele Menschen auch über 20 Jahre nach dem Untergang der „München“ immer noch bewegte: Seeleute und ehemalige Besatzungsmitglieder meldeten sich bei mir noch Jahre nach dem Erscheinen ebenso wie Angehörige der verschollenen Besatzung, Personen, die an der Suche nach der „München“ beteiligt waren, Funker anderer Schiffe, die wenige Stunden vor dem SOS-Ruf mit dem deutschen Frachter Kontakt hatten. Alle hatten das Bedürfnis, mir ihre Erinnerungen rund um die „München“ mitzuteilen und mit mir über das Schiff und die Menschen an Bord zu sprechen. Für mich sind diese Begegnungen das größte Honorar, das ich mir vorstellen kann. Die Erfahrungen, die ich mit meinem „München“-Buch gemacht habe, waren so positiv, sodass weitere Titel zu verschiedenen Themen auf demselben Weg entstanden sind.

Selfpublishing ist für mich seitdem keine Notlösung, sondern eine gleichwertige Alternative zu einem Verlagsvertrag. Mir war es immer wichtig, thematisch ungebunden, ohne Termindruck und verlegerischen Vorgaben zum Inhalt, ohne Verpflichtungen im Rahmen von Marketingmaßnahmen und ohne kurzen Verkaufszeitraum arbeiten zu können. Dafür nahm und nehme ich es in Kauf, mit meinen Titeln nicht automatisch im stationären Handel präsent zu sein und vermutlich eine geringere verkaufte Auflage zu erzielen. Mittlerweile sind alternative Wege der Publikation nichts Ungewöhnliches mehr: Websites, Blogs, Newsletter, Podcasts oder YouTube-Channels machen Autoren unabhängig von Verlagen bzw. Redaktionen und bieten sehr gute Chancen, als Fachmann/-frau thematische Nischen zu besetzen und hochwertigen Inhalt zu publizieren. Selfpublishing gehört in diese Reihe und ist heute keineswegs mehr das, was anfangs – zugegeben – nicht ganz zu Unrecht behauptet wurde: Eine Plattform für von Verlagen abgewiesenen Autoren, die ohne Lektorat, ohne grafischem Sachverstand und ohne professionellem Vertriebsnetzwerk den Buchmarkt zusätzlich verstopfen. Auf diesem alternativen Weg kann man durchaus erfolgreich sein, wobei „Erfolg“ jeder für sich definieren muss. Diverse Dienstleister gibt es heute, die Selfpublisher auf Wunsch begleiten und dabei helfen, am Ende ein Buch vorzulegen, das auch optisch professionellen Ansprüchen genügt.

Lars Schmitz-Eggen


Lars Schmitz-EggenLars Schmitz-Eggen wurde 1965 in Aachen geboren und verbrachte seine Kindheit und Jugend im Raum Köln sowie Luxemburg. Nach Abitur und Zivildienst absolvierte er ein Volontariat im Bastei-Lübbe-Verlag. Ab 1990 war er als Lokalredakteur beim Remscheider General-Anzeiger und der Kölnischen Rundschau tätig. 1994 wechselte er als Redakteur zum Feuerwehr-Magazin in Bremen, ab 1996 war er Chefredakteur des Rettungs-Magazins. Von 1994 bis 1997 studierte er (berufsbegleitend) Kommunikationswissenschaften an der FU Berlin. Seit 2019 ist er als freier Journalist tätig.

Weitere Informationen findet Ihr auch hier.

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