Da hat sich Volontär Martin Kreutzer arg weit aus dem Fenster gelehnt, als er gegenüber seinem Chefredakteur Oliver Michels und der Leiterin des Feuilletons Linda Hellwig vollmundig behauptet, er könne ein Exklusiv-Interview mit dem momentan angesagtesten Performance-Künstler Lukas Moretti ergattern. Denn schließlich wären er und Moretti miteinander bekannt – Ja! – er würde sogar so weit gehen und behaupten, sie wären seit der gemeinsamen Studienzeiten miteinander befreundet. Während Hellwig eher misstrauisch reagiert, ist Michels sofort Feuer und Flamme und schickt den selbsternannten „Star-Reporter“ nach München zum neuen Stern am Künstlerhimmel. Und natürlich reagiert Moretti auf das Erscheinen von Martin Kreutzer wie erwartet: Er kann sich weder an ihn noch an eine gemeinsame Studentenzeit erinnern, und für ein Interview für dieses rechtsversiffte Schmierenblatt steht er nie und nimmer zur Verfügung. Kreutzer ist verzweifelt. Zumal ihm seine Chefin Linda Hellwig telekommunikativ im Nacken sitzt, will heißen, sie droht ihm via Handy Höllenqualen an, sollte er nicht liefern. Und so greift er in seiner Not zu einer Lüge, hämmert ein fiktives Interview in die Tastatur seinen Laptops, schickt dieses zur Redaktion und fällt danach in einen unruhigen Schlaf. Am nächsten Morgen ist nichts mehr wie am Abend zuvor! Am nächsten Morgen wird bekannt, dass die Leiche von Lukas Moretti neben Gleisen in der Nähe seines Heimatortes gefunden wurde. Chefredakteur Michels ist begeistert. Seine Redaktion ist exklusiv im Besitz des absolut letzten Interviews von Lukas Moretti, und so schickt er seinen journalistischen Gold-Jungen Kreutzer zum Ort des Geschehens zwecks Hintergrund-Recherche: Fotos vom Fundort der Leiche, Statements der Einsatzkräfte, Interviews der trauernden Hinterbliebenen etc. Und Martin Kreutzer macht sich – gezwungenermaßen – auf den Weg und findet sich unvermittelt in einem Kaleidoskop der menschlichen Absonderlichkeiten wieder…!
Nachdem ich seinen amüsanten Gedichtband Angst vor Lyrik wahrlich genossen habe, war ich sehr gespannt auf den Erstlings-Roman von Moritz Hürtgen und stürzte mich – nachdem das Rezensionsexemplar mich erreichte – voller Vorfreude in die Handlung. Doch irgendwie fremdele ich leider mit diesem Werk. Die bissige Ironie, die in der Kürze der Verse so fulminant witzig zündete, wirkte auf mich in der Langstrecke eines Romans eher unangenehm. Zumal auch die Figuren wenig Sympathie ausstrahlten, vielleicht auch wenig Sympathie ausstrahlen sollen.
Dabei liefert Hürtgen durchaus einen interessanten Mix aus Medienschelte, Realsatire und Gesellschaftskritik und nimmt dabei Anleihen an dem Genre des Kriminalromans. Die Geschehnisse im Hotel riefen in mir zudem Assoziationen an Stephen Kings „Shining“ hervor. Hinter jeder Ecke, signitiv nach jeder gelesenen Seite lauerte wieder eine neue turbulente Entwicklung und trieb so die Handlung weiter voran.
Doch als naiv Unbeteiligter fragte ich mich, ob der Autor mit seiner Schilderung bewusst schamlos übertreibt oder eher die brutale Realität der Medienlandschaft mit ihren manischen Protagonisten und menschenverachtenden Methoden beschreibt. Letzteres würde mich eher ängstigen, für ersteres fehlte mir trotz aller Überhöhung eine Spur mehr Humor (bzw. ein Humor, den ich erkennen und verstehen konnte). Ein amüsiertes wie erleichterndes Auflachen beim Lesen hätte mir zwischendrin durchaus gutgetan.
So legte ich den Roman bedauerlicherweise mit zwiespältigen Gefühlen aus den Händen: Ich fand ihn nicht schlecht. Doch die Verwirrung, die er in mir auslöste, behielt dabei leider die Oberhand. Schade!