[Lustspiel] Carlo Goldoni – DER DIENER ZWEIER HERREN / Stadttheater Bremerhaven

Komödie nach Carlo Goldoni / in einer Fassung von Kay Neumann

Premiere: 21. September 2024 / besuchte Vorstellung: 13. Oktober 2024

Stadttheater Bremerhaven / Großes Haus


INSZENIERUNG Kay Neumann
BÜHNE & KOSTÜME Monika Frenz
MUSIK Jan-Hendrik Ehlers
DRAMATURGIE Peter Hilton Fliegel
LICHT Katharina Konopka


„Logik? Die ist für gut zwei Stunden außer Kraft gesetzt.
Wird ohnehin überbewertet.“

lässt Tobia Fischer in ihrem Bericht zur Premiere in der Nordsee-Zeitung verlauten. Und: Recht hat sie! Es ist manchmal ein Vergnügen, auf die Logik zu pfeifen. Dann genieße ich es, mich in meinem Sitz im Zuschauersaal einfach nur zurücklehnen zu dürfen, wunderbar unterhalten zu werden und alles um mich herum – von den Katastrophen in der Welt bis zu meinen kleinen Alltagsärgernissen – auszublenden.

Über 270 Jahre hat die Komödie von Carlo Goldoni nun schon auf dem Buckel. Damals in Mailand uraufgeführt gilt sie als Höhepunkt der Commedia dell’arte. Doch kann man die damaligen Rollenklischees der Geschlechter heutzutage noch auf einer Bühne zeigen, und zündet der Humor von 1746 auch noch im Jahre 2024? Antwort: „Ja!“ und „Ja!“, wenn jemand wie Regisseur Kay Neumann fähig ist, eine eigene Fassung zu kreieren ohne dabei das Original gänzlich zu verstümmeln. Kay Neumann schuf eine Bremerhavener Fassung und traf damit sowohl voll ins Schwarze wie auch mitten in mein Humor-Zentrum. Da werden die Namen der Charaktere einge(nord)deutscht, die Handlung wird einfach von Venedig nach Bremerhaven transferiert und mit viel Lokalkolorit und Anspielungen auf hiesige Gegebenheiten garniert. Er scheucht das talentierte Schauspiel-Ensemble des Stadttheaters Bremerhaven in einem immensen Tempo über die Bühne und krönt dies – als Running Gag – mit drei Musikern, die, kaum sind sie auf der Bühne erschienen, auch schon wieder von ihr verjagt werden. Zudem spickt er seine Inszenierung mit witzigen Regie-Einfällen zwischen Slapstick und Groteske.

Wobei: So genau will Neumann sich bzgl. der Zeit, in der die Handlung spielt, nicht festlegen lassen. Bühne und Kostüme von Monika Frenz würden zu den 80ern ebenso wie ins Heute passen. Auf jeden Fall spielt die Komödie zu einer Zeit, in der es noch kein TikTok, Smartphone und ähnlichen entlarvenden Schnickschnack gab, da sonst folgende Irrungen und Wirrungen schier unmöglich gewesen wären…

Kaufmann Hosemann hat gerade die Verlobung seiner Tochter Clara mit dem Anwaltssohn Silvester Friesdorf bekannt gegeben, da kündigt sich sein tot geglaubter Geschäftspartner an: Frederick Rasperg, dem Clara versprochen war. Hosemann wittert ein Geschäft, ist Rasperg doch wesentlich reicher als Doktor Friesdorf. In Fredericks Kleidern steckt jedoch dessen Schwester Beatrix, die dringend Geld braucht, um ihren flüchtigen Geliebten zu unterstützen, nachdem dieser ihren Bruder bei einem Streit erstochen hat. Ihr Diener Plietschmann ist dabei keine Hilfe, flirtet er doch lieber mit Hosemanns Bedienter Charlotte, streunt hungrig in der Stadt herum, statt vor Hosemanns Haus zu warten wie befohlen, und verdingt sich noch bei einem zweiten Herrn (der Beatrix’ Geliebter Felix ist), um endlich an etwas zu essen zu kommen. Als jetzt noch für beide Herren Briefe von der Post abzuholen sind, obwohl Plietschmann nicht lesen kann, die Koffer von zwei Herren im selben Gasthaus untergebracht werden müssen, ohne dass die es gegenseitig merken, und als Gipfel der Verwirrung Beatrix mit Hosemann in einem Zimmer und Felix im anderen gleichzeitig ein Menu serviert bekommen sollen, ohne dass Wirt Schunke das Spiel durchschaut – als all das kulminiert, kommt selbst das ausgekochte Schlitzohr Plietschmann ins Schwitzen. Dass Silvester durch die Straßen zieht und den vermeintlichen Rivalen Frederick Rasperg umlegen will; Clara weiß, dass Beatrix kein Mann ist, aber das nicht verraten darf; dass Charlotte und Plietschmann sich ihre Liebe gestehen und im nächsten Moment in einen üblen Streit geraten; dass Plietschmann, um nicht aufzufliegen, sowohl Felix als auch Beatrix erzählt, dass der jeweils andere tot sei – auch in diesem Durcheinander behält DER DIENER ZWEIER HERREN alle Bälle in der Luft, doch so langsam wird die Luft dünn. Wie es sich für eine Verwechslungskomödie gehört, löst sich am Ende alles in Wohlgefallen auf und alle Liebenden finden zueinander. Wie im richtigen Leben – „das war ironisch!“

(Inhaltsangabe dem Programmheft zu dieser Produktion entnommen.)

Bei offenem Vorhang hat das Publikum bereits vor Vorstellungsbeginn die Möglichkeit, einen Blick auf das Bühnenbild von Monika Frenz zu werfen: Hohe Betonwände mit stilvollen Holzelementen suggerieren Modernität – beinah so, als wäre eine der alten Bremerhavener Fischhallen zum stylischen Loft umgebaut worden. Die unterschiedlichen Schauplätze entstehen durch das Öffnen der Holzelemente und dem Versenken der Betonwände und bieten so dem Regisseur die Möglichkeit, sein Ensemble einer Screwball-Komödie gleich durch die eine Öffnung verschwinden und durch eine andere Öffnung wieder erscheinen zu lassen. Da wirkt die Außenfassade der Gaststätte von Wirt Schunke, die eine frappierende Ähnlichkeit mit dem real existierenden Hafenrestaurant „Treffpunkt Kaiserhafen“, der selbsternannten „letzten Kneipe vor New York“, aufweist, schon beinah wie eine Reminiszenz an die gute alte Zeit (Wann immer diese auch war?!).


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Wenn eine Komödie reibungslos funktionieren soll, bedarf es eines gut eingespielten Ensembles, bei dem niemand sich in den Vordergrund drängt, sondern sich gegenseitig die Pointen zugespielt und gegönnt werden. Frank Auerbach gibt einen schleimigen, speichelleckenden Hosemann, der stets auf seinen Vorteil bedacht ist und sogar seine Tochter meistbietend verhökert. Als sein Gegenüber zeichnet Kay Krause den Doktor Friesdorf als aalglatten Strategen, der gleichzeitig Vater von Silvester und Anwalt von Hosemann in Personalunion ist. Interessenskonflikt: Friesdorf doch nicht, da seine Interessen nur bei ihm selbst liegen.

Hosemanns Tochter Clara wird von Anna Caterina Fadda als moderne junge Frau porträtiert, die erfrischend unprätentiös ihr Leben äußerst patent selbst in die Hand nimmt und ihren Liebsten aufrichtig liebt. Ihr „love interest“ Silvester wird von Alexander Smirzitz als nerdiger Schlacks verkörpert, der so herrlich jammern kann und sich mit seinem vermeintlichen Nebenbuhler Frederick alias Beatrix einen urkomischen Zweikampf liefert, der mit Taekwondo beginnt und in einem Schuhplattler endet. Julia Lindhorst-Apfelthaler in der Doppelrolle Frederick/Beatrix versucht verzweifelt ihre Maskerade aufrecht zu erhalten und verzettelt sich dabei immer mehr in die von ihr provozierten Widersprüche. Apropos „love interest“: Beatrix zu Unrecht verdächtigter Lover Felix kommt in der wohlgeformten Gestalt von Marc Vinzing als selbstverliebter Ken-Verschnitt mit gebleachtem Zahnpasta-Lächeln daher.

Aom Flury kredenzt als Wirt Schunke seinen Gästen so manches, was bereits jenseits der Grenze des Genießbaren scheint, dass ich ihm und seiner Kaschemme von Herzen einen Besuch des Gesundheitsamtes wünsche. Marsha B Zimmermann führt als Charlotte, der Bediensteten im Hause Hosemann, ein strenges Regime, sorgt resolut für Ordnung, zeigt Haltung und bietet so jedem, der sich ihr entgegen stellt, die Stirn: Obrigkeit hin oder her.

Auch wenn es bei einer guten Komödie auf die Ensemble-Leistung ankommt, braucht es doch oft einen Charakter, der die Fäden in der Hand behält und den anderen Figuren Impulse sendet, um sie so zum Agieren zu befähigen. Hier ist es selbstverständlich unser Titelheld: Als Plietschmann, DER DIENER ZWEIER HERREN, hat Henning Z Bäcker alle Hände voll zu tun, seine*n Arbeitgeber*in (scheinbar) zufriedenzustellen, doch dabei die jeweilige Situation möglichst zum eigenen Vorteil zu nutzen. Da wird schwadroniert und geprotzt, mit der holden Weiblichkeit in Form Hosemanns Bediensteter Charlotte geschäkert, mit den (Waden-)Muskeln gespielt und die Wahrheit voller Überzeugung so sehr gedehnt und verzehrt, dass auch wir im Publikum ihm nur Glauben schenken konnten. Bei der fulminanten Menü-Szene hechtet er von dem einem zum nächsten Séparée, immer bedacht von den servierten Köstlichkeiten ausreichend für sich selbst abzuzweigen: Tupperware, wer braucht schon Tupperware, wenn das (letzte) Hemd am Leibe eine Brusttasche besitzt.

Last but not least: Jan-Hendrik Ehlers und seine beiden Musikus-Kollegen Marco Priedöhl und Stephan Werner konnten mir wahrlich leidtun. Kaum waren sie auf der Bühne erschienen, um fröhlich aufzuspielen, da wurden sie von Charlotte auch schon wieder vom Parkett gescheucht, gefegt, gelockt oder sonst wie komplimentiert. Nach dem frenetischen Schlussapplaus standen die auf der Bühne arg verschmähten Musiker im Foyer, um ihrer Kunst zu frönen. Lachend rief ich Jan-Henrik Ehlers zu „Na, da kommt ihr ja doch noch zum Zuge,…!“ „…und endlich dürfen wir bis zum Ende spielen!“ gab er grinsend zurück. Und noch beim Parkhaus waren die schmissigen Melodien, die durch die geöffneten Türen des Theaters nach draußen strömten, zu hören.

Wer ein geeignetes Mittel gegen die Herbst-Depression sucht, der wird im Stadttheater Bremerhaven fündig. Nebenwirkungen: Zerrungen der Gesichtsmuskulatur, Zwerchfell-Verspannung und ganz viel gute Laune! 🤣


Kleine Appetithappen von DER DIENER ZWEIER HERREN gefällig?

Mit Plietschmann alleine im Fahrstuhl…?! Ich bin mir nicht sicher, ob es eine ungetrübte Freude wäre. Was meint ihr,…

…oder vielleicht doch eher einen kleinen Probeneinblick mit Henning Z Bäcker?


Noch bis zum Februar 2025 darf am Stadttheaters Bremerhaven beobachtet werden, wie DER DIENER ZWEIER HERREN seine Gunst verteilt.

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