Ein neues Jahr hat begonnen: Wenn ich auf meine ersten Rezension in einem Neuen Jahr zurückblicke, dann hat sich in den letzten Jahren beinah so etwas wie eine kleine Tradition entwickelt. Nur allzu gerne bin ich ins Jahr mit der Rezension eines Bilderbuches gestartet. Warum sollte ich also in diesem Jahr mit dieser schönen Tradition brechen?! 😊
Bär und Maus sind beste Freunde. Eines schönen Tages aber streiten sie sich fürchterlich. Aus lauter Wut, weil der Bär einfach zornig nach Hause gegangen ist, lässt die Maus ihm ausrichten, dass sie ihn nie wieder sehen will! Doch die Nachricht, die bis zur Bärenhöhle am Berggipfel überbracht werden sollte, kommt, weitergenuschelt und -gemurmelt, schließlich so ganz anders an als geplant. Was für ein Glück für Maus und Bär! Inzwischen tut es den zerstrittenen Freunden nämlich ganz schrecklich leid und sie vermissen sich sehr. Der Versöhnung steht nichts mehr im Weg.
(Inhaltsangabe der Homepage des Verlages entnommen!)
Wie gerne haben wir als Kinder „Stille Post“ gespielt und uns dabei gar köstlich amüsiert, wenn am Ende etwas völlig anderes, wenn nicht sogar wahnwitziges herauskam, als das, was die ursprüngliche Nachricht war. Als Kinderspiel völlig harmlos kann diese Vorgehensweise im Alltag etliche Tücken beinhalten. Kommunikation zwischen zwei Personen funktioniert am besten auf dem direkten Wege. Eine Bitte wie „Richte XY bitte aus, dass…!“ an einen Dritten birgt zwangsläufig die Gefahr, dass Fehler in der Übermittlung passieren. Dabei unterstelle ich dem Überbringer der Nachricht noch nicht einmal Böswilligkeit. Viel zu viele Faktoren spielen dabei eine Rolle, die Einfluss auf unsere Wahrnehmung nehmen.
So ergeht es auch all den Tieren in Andrea Tuschkas charmanter Geschichte, die alle ihr Bestes geben, die Nachricht der Maus korrekt an den Bären weiterzuleiten. Doch wie im wahren Leben gerät der gute Wille ins Straucheln, und heraus kommt eine ganz andere Nachricht. Zum Glück, denn sonst wären unsere beiden Held*innen wahrscheinlich immer noch zerstritten, und das wäre doch zu schade, oder? So ganz nebenbei vermittelt die Autorin ihren jungen Leser*innen, wie Kommunikation funktionieren sollte: respektvoll und auf dem direkten Weg. Auch zeigt sie mit der Wahl ihrer Held*innen (Maus und Bär), dass sich eine Freundschaft völlig unabhängig von der Herkunft entwickeln kann und auch stark genug ist, um eine Meinungsverschiedenheit zu überstehen.
Rebekka Stelbrink hat diese Geschichte nicht einfach „nur“ illustriert: Vielmehr hat sie zu Pinsel, Schere, Papier, Stifte, Aquarell- und Acrylfarbe gegriffen, um daraus – ganz analog – Papiercollagen zu kreieren. Äußert filigran und mit viel Liebe und Geduld ließ sie so die Welt rund um Maus und Bär entstehen. Dabei erschuf sie dreidimensionale Welten, die mich mit vielen witzigen Details begeisterten und amüsierten: Da schlummern die Eulen in ihrer Baumhöhle, hinter einem Strauch lugt der Schwanz des Fuchses hervor, im Fluss tummeln sich die Fisch zwischen dem Farn, und der Waschbär hängt seine frischgewaschene Wäsche auf. Doch ihr besonderes Augenmerk legte die Künstlerin auf unsere beiden Hauptprotagonist*innen, die ihr absolut entzückend gelungen sind und eine ansteckende Positivität ausstrahlen. In ihrer Farbgebung blieb sie wohltuend dezent natürlich und zeigt trotzdem eine immense Variationsbreite.
Ein gutes Bilderbuch vermittelt seine Botschaft(en) nie plakativ. Vielmehr ermöglicht es seinen jungen Leser*innen, sich der Geschichte auf verschiedenen Ebenen anzunähern und bietet ihnen somit Raum für Phantasie und Interpretation. Andrea Tuschka und Rebekka Stelbrink ist dies bei ihrer entzückenden Geschichte STILLE POST gar vortrefflich gelungen.
