[Rezension] Caroline Graham – DAS RÄTSEL VON BADGER’S DRIFT

Da begleitet mich eine Fernsehserie bereits seit 20 Jahren, und im Laufe der Zeit habe ich beinah familiäre Gefühle gegenüber den Figuren entwickelt. Bei jedem Wieder(fern)sehen mit „Inspector Barnaby“ (Originaltitel: „Midsomer Murders“) stellt sich bei mir der Miss Marple-Effekt* ein: Ich habe das Gefühl, ich begrüße gute, alte Bekannte – alles ist vertraut, doch es ist immer wieder schön!

Als ich erfuhr, dass die Kriminalromane von Caroline Graham, die als literarische Vorlage der Serie dienten, wieder aufgelegt werden, vollführte ich das entsprechende Duo der Freude: Aufschrei und Luftsprung. Und so krallte ich mir in der Buchhandlung meines Vertrauens auch unverzüglich den ersten spektakulären Fall von einem meiner Lieblings-TV-Schnüffler…

Badger’s Drift, ein verschlafenes Nest zwischen sanft geschwungenen grünen Hügeln. Der Inbegriff von Ruhe. Hier gibt es einen Pfarrer, einen Dorfarzt und eine freundliche alte Jungfer, die sich mit selbst gebackenen Keksen einen Namen gemacht hat. Doch als Miss Simpson im nahe gelegenen Wald spazieren geht, wird sie Zeugin eines Vorfalls, der besser unentdeckt geblieben wäre. Denn kurz darauf ist die freundliche alte Dame tot. Miss Simpsons Tod sei nicht verdächtig, sagen die Dorfbewohner. Aber Miss Lucy Bellringer will sich damit nicht abfinden: Ihre Freundin wurde ermordet, dessen ist sie sicher. Hartnäckig setzt sie dem unwilligen Detective Chief Inspector Barnaby zu, bis er nachgibt und den Fall untersucht. Und tatsächlich kommt Barnaby bald schon langjährigen Rivalitäten, Skandalen und Affären auf die Spur und entdeckt erste Risse in der blankpolierten Fassade des Dorfes…

 (Inhaltsangabe der Homepage des Verlages entnommen!)

„Inspector Barnaby“: einschalten – zurücklehnen – wohlfühlen! Ähnliches erhoffte ich mir auch von der Romanvorlage. Es begann so vielversprechend: Wie beim Pilot-Film der Serie begann auch der Roman mit dem bekannten Opening. Ich frohlockte innerlich und wartete gespannt auf das erste Auftauchen der von mir so geliebten Figuren. Allzu lange wurde meine Geduld nicht auf die Probe gestellt, denn schon ab Seite 21 waren sie präsent. Doch je weiter ich las, umso mehr verdunkelte sich meine Stirn und legte sich in tiefe Falten, die nichts Gutes erahnen ließen.

Sie waren alle da: DCI Tom Barnaby mit Gattin Joyce und Tochter Cully, Doktor Bullard und Sergeant Troy sowie die kauzige Landbevölkerung. Doch warum nur wurden sie alle von Caroline Graham so negativ porträtiert? Anscheinend gibt es nach Einschätzung der Autorin in der von ihr erdachten Grafschaft Midsomer niemanden, der es verdient hätte, liebenswert charakterisiert zu werden.

Dabei schreibt Graham durchaus flott und versteht es, die Handlung detailliert aufzubauen. Auch die Rückblenden in die Vergangenheit einiger Protagonist*innen sind ihr gut gelungen und erlaubten mir als Leser Rückschlüsse für deren Handlungen in der Roman-Gegenwart.

Nur leider drängte sich mir bei der weiteren Lektüre die Frage auf, ob die Autorin selbst ihre Figuren mag? Da ich dies in Zweifel zog, erschien es nicht verwunderlich, dass die Figuren auch zueinander wenig Sympathie aufbringen konnten. Es fehlten mir die feinen Nuancen in deren Charakterisierung, wie die – mit einem Augenzwinkern quittierten – drolligen Eigenarten, die eine Person so liebenswert machen. Auch die im TV so amüsanten Frotzeleien zwischen Barnaby und Troy haben hier aufgrund des mangelnden Humors einen deutlich beißenderen Unterton. Sollte Humor in diesem Roman vorhanden sein, dann hat sich diese spezielle Art des Humors mir leider nicht erschlossen.

Umso mehr bewunderte ich im Nachhinein die Kreativen der TV-Serie, allen voran die Schauspieler*innen, die mit Können und Charme liebenswerte Nuancen aus ihren Figuren herauskitzelten und so den Weg bereiteten, dass diese Serie zu einem internationalen Hit wurde.

Auf dem Umschlag wurde wieder einmal (wie so oft) ein Vergleich mit der „Queen of Crime“ bemüht: „Seit Agatha Christie hat niemand bessere Krimis geschrieben.“ Dieser Einschätzung der Londoner The Sunday Times kann ich mich leider nicht anschließen.


*Der Miss Marple-Effekt beruht auf den 4 Filmen aus den 60ern mit Margaret Rutherford in der Titelrolle. Da lege ich mich mit einer Tüte Chips auf’s Sofa, kuschle mich unter die Wolldecke und spreche die bekannten und geliebten Dialoge mit: „Es können nicht alle Menschen jung und hübsch sein. Das wissen Sie doch am besten, Mr. Ackenthorpe.“

Na, wer von euch errät, aus welchem Film dieses Zitat stammt?


erschienen bei Alibi (Dörlemann) / ISBN: 978-3038201588 / in der Übersetzung von Ursula Walther