[Ausstellung] Laura und Christel Lechner – ALLTAGSMENSCHEN / Stadt Bremerhaven

Dauer der Ausstellung: 24. Juli bis 25. Oktober 2025 / Besuch: 21. August 2025
Kunst im öffentlichen Raum / Skulpturen in der Bremerhavener Innenstadt


KUNST IM ÖFFENTLICHEN RAUM kann funktionieren – muss aber nicht. Obwohl: Was bedeutet „funktionieren“? Wie lautet da die Definition? „Funktioniert“ Kunst erst dann, wenn sie sich dem öffentlichen Raum anpasst und möglichst harmonisch mit ihm verschmilzt. Oder ist ein „Funktionieren“ erst dann gelungen, wenn die Kunst einen Bruch zu ihrem Umfeld darstellt und somit die Gemüter der Betrachtenden erhitzt? So viele, schwer zu beantwortende Fragen…!

So vielfältig wie die Kunst ist, so individuell ist der Blickwinkel, und so persönlich ist das Empfinden beim Betrachten incl. der Möglichkeiten zur Interpretation. Die Künstlerinnen Laura Lechner und Christel Lechner beschäftigen sich über Jahrzehnte mit KUNST IM ÖFFENTLICHEN RAUM und haben dafür ein ganz und gar wunderbares Medium gewählt. Sie kreieren lebensgroße Skulpturen aus Beton. Ihre ALLTAGSMENSCHEN „stellen eine künstlerische Inszenierung des Alltäglichen dar. Berührende Momentaufnahmen die zeigen, was gemeinhin übersehen wird: Das gelebte Leben in seiner reinsten Form. Ungeschönt und dennoch fern von Banalität.“ (Quelle: Homepage der Künstlerinnen)

​Nach Wiedenbrück, Oberkirch, Höxter, Fulda, Sylt und Montreux haben die ALLTAGSMENSCHEN nun auch den Weg in die Seestadt an der Weser gefunden und bereichern mit ihrer bloßen Anwesenheit die Innenstadt. Dank der div. Foto-Gruppen auf Social Media konnte ich bereits einen Blick auf die lustigen Gesell*innen werfen. So startete auch ich vorfreudig meinen Spaziergang durch die Bremerhavener Innenstadt und kam dabei an vielen Orten vorbei, an denen ich schon sehr lange nicht mehr war.

Da stand der FERNGLASMANN auf der oberen Promenade der Havenwelten. Doch anstatt durch sein Fernglas einen Blick auf die Weite des Wassers zu werfen, drehte er diesem den Rücken zu und richtete seinen Blick die Fassade des ATLANTIC Hotel Sail City hinauf. Stehen normalerweise dort oben die Menschen auf der Aussichtsplattform, genießen das Panorama und wagen einen voyeuristischen Blick hinunter, so hatte der FERNGLASMANN den Spieß umgedreht und sie nun ins Visier genommen. Automatisch folgte auch ich seinem Blick…!

Wenige Meter weiter hätte ich beinah das AMERIKANISCHE PAAR übersehen, das am Museumshafen nahe dem Übergang zum Columbus Center am Hafenbecken stand. Es wirkte, als könnte es frisch mit einem Kreuzfahrtschiff angekommen sein. Dabei hatten die Beiden selbst für den Sommer eine sehr luftige Garderobe gewählt. Vielleicht waren sie mit Badeanzug und Badeshorts auch gerade auf den Weg in die nahe Shopping-Meile, um sich für das abendliche Käpt’ns Dinner neu einzukleiden. Doch wo nur hatten sie bei dem Outfit das Portemonnaie oder die Kreditkarte versteckt?

Direkt an der Columbusstraße gegenüber dem Bergungsschlepper SEEFALKE stolperte ich über einen MANN MIT TRENCHCOAT & KOFFER. Da stand er nun mit seinem Gepäck am Rande des Wassers und wartete stumm. Doch sein südländisch erscheinendes Aussehen sprach zu mir und bot mir reichlich Raum zur Interpretation: Kam er als Geflüchteter gerade an? Oder wollte er sich als Auswanderer auf den Weg in eine neue Welt wagen? Oder war er einer der vielen ausländischen Matrosen, die auf einen der Schiffe der Hochseefischerei anheuern wollten?

Beim Eingang der Theaterkasse am Stadttheater Bremerhaven stieß ich mit einem weiteren STADTBESUCHER zusammen, der in entspannter Haltung auf etwas oder jemanden zu warten schien. Auf mein freundliches „Moin! Kann ik wat hölpen?“ verzog er keine Mine. Eindeutig war er nicht von hier und verstand darum kein Platt.


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Bei der Städtischen Sparkasse musste ich hurtig zur Seite springen, da DIE PUTZFRAU, nachdem sie anscheinend frisch durch die Schalterhalle gewischt hatte, ihren Putzeimer mit dem Schmutzwasser direkt vor meinen Füssen auf der Straße entleerte. Meinen Ausruf der Empörung schluckte ich schnell hinunter, da sie ihren Putzlappen noch drohend in der Hand hielt. Bei dieser resoluten Person hätte ich sicherlich den Kürzeren gezogen.

Plötzlich kreuzte eine lustige Schar Typen mit ihrer POLONAISE meinen Weg. Sie schienen direkt aus der großen Kirche zu kommen und wirkten sehr fröhlich, ja, beinah ausgelassen. Sie blickten aus glasigen Augen in die Welt, und ein seliges Lächeln umspielte ihre Lippen. Vielleicht waren sie allesamt Mitglieder des Kirchenvorstands, bei denen die Weinprobe zwecks Wahl des Messweines ein bisschen aus dem Ruder gelaufen war? Wer weiß…?

Bei der Abriss-Ruine des alten Karstadt-Gebäudes stieß ich auf ein Trio BAUARBEITER, das weniger mit Arbeiten beschäftigt war, dafür umso entspannter das Treiben auf dem Wochenmarkt beobachtete. Kein Wunder, das der Abriss dieses traditionsreichen Hauses in den letzten Monaten so ins Stocken geriet: „Meine Herren, wenn sie in dem Tempo weiter-„arbeiten“, wird das hier nie was?“ Was sie wohl in ihren roten Taschen hatten? Pausenbrot und Bier?

Mit GERAFFTE RÖCKE zog die Dame am Wasserspiel in der Fußgängerzone zwischen Mühlenstraße und Keilstraße alle Blicke auf sich. Ihre Mundwinkel zuckten schelmisch, als amüsierte sie sich über die Reaktionen der vorbeieilenden Fußgänger*innen. Doch nichts und niemand könnte sie davon abhalten, diese kleine kühlende Erfrischung zu genießen.

An der Ecke Keilstraße/Columbusstraße direkt gegenüber dem Deutschen Auswandererhaus konnte ich gerade noch ausweichen, sonst hätte mich sicherlich das BERLINER PAAR über den Haufen gerannt. Sie schritt resolut voran, während er verzweifelt versuchte, ihrem Tempo Stand zu halten und sie dabei mit einem großen Schirm vor der Sonne zu beschatten. Ich konnte mir ein amüsiertes Schmunzeln nicht verkneifen. So wirkte dieses charmante Pärchen auf mich, als wären sie aus der Feder des bekannten Illustrators Hans Traxler direkt auf den Fußweg geflossen.

„Mich interessiert das, was die Menschen verbindet. So schafft die Kunst der Alltagsmenschen einen Perspektivenwechsel und dient als das verbindende Element.“ lässt Laura Lechner auf ihrer Homepage verlauten. Ich muss ihr attestieren, dass ihr dies ganz hervorragend gelungen ist. Ich schaute mir die Skulpturen an, sofort startete mein Kopfkino, und ich fragte mich, welche Geschichten sich dahinter verbergen könnten. Beinah automatisch entwarf ich für jeden ALLTAGSMENSCHEN eine eigene kleine Biografie. Ich nahm ihre Wirkung am besagten Standort wahr oder folgte ihrem Blick. Beides veranlasste mich, meine Sichtweise auf die mir bekannte Umgebung zu ändern. Auf meinem Spaziergang durch die Innenstadt erlebte ich zufällige Begegnungen mit Passant*innen und kam mit ihnen ins Gespräch: Es war immer eine angenehm leichte Plauderei, so als würde die Lebendigkeit, die die Figuren ausstrahlten, auch auf uns abfärben.

Leichtigkeit, Lebendigkeit, Leben: Da saß ich nun an der Weser, spürte den Wind, der die Weiten der Nordsee schon erahnen ließ, und blickte über das Wasser in die Ferne. Dank dem schützenden Deich hinter mir durfte ich für einen kostbaren Moment dem Lärm der Stadt entsagen und genoss so sehr diesen stillen, friedvollen Augenblick. Ohne meinen Besuch bei den ALLTAGSMENSCHEN wäre mir dies entgangen…!


Habt ihr Lust auf einen humorvollen Spaziergang durch die Innenstadt Bremerhavens? Dann findet ihr auf der HOMEPAGE der ALLTAGSMENSCHEN alle nötigen Informationen.