[Rezension] Französische Weihnachten/ herausgegeben von Annette Wassermann & Italienische Weihnachten/ herausgegeben von Klaus Wagenbach

Andere Länder andere Sitten! Oder auch: Andere Länder andere Weihnachts-Rieten! Das kann auch die moderne Globalisierung nicht verhindern. Nie waren wir uns so „nah“ (!) wie heute. Via Internet kommunizieren wir mit der ganzen Welt und haben dank Social Media überall „Freunde“. Manches wirkt dabei auf mich recht oberflächlich und wie auf Massenkompatibilität getrimmt, denn nur dann gibt es von den Mitgliedern der Community einen „Daumen hoch“. Gleichheit ist so herrlich unangestrengt!

Ich will mich aber anstrengen – gerne sogar! Ich will auch keine Gleichheit, – im Gegenteil – ich will es bunt, abwechslungsreich und vielfältig. Ich will die ganze kulturelle Bandbreite. Ich will andere Menschen und ihre Kulturen kennenlernen und mit ihnen in Beziehung treten. Denn in Beziehung treten, bedeutet, sich mit Menschen auseinandersetzten, und das macht Arbeit! Ich will mir von anderen Kulturen gerne das abgucken, was mir gefällt und mich dabei trotzdem auf meine Wurzeln besinnen. Denn ich habe eine eigene Identität, die sich u.a. aus Genen, Wissen und Erfahrungen zusammensetzt und mit der familiären Vergangenheit verknüpft ist.

Weihnachten ist ein wunderbares Paradebeispiel für Vielfalt: In vielen Ländern der Erde wird die Geburt Jesu Christie mit diesem Fest gefeiert. Viele Völker dieses Erde feiern somit aus dem gleichen Grund und doch wieder recht unterschiedlich. Ein Blick zu unseren europäischen Nachbarn genügt…!

In „Französische Weihnachten“ gibt Herausgeberin Annette Wassermann uns einen vielfältigen Querschnitt der französischen Literaturszene u.a. mit Erzählungen von Olivia Rosenthal, Leila Slimani, Colette, Marcel Pagnol oder Michel Houellebecq. Irgendwie dachte ich bei Weihnachten in Frankreich (Achtung: Klischee) an verschneite Gassen in Paris und „Savoir-vivre“ in federleichte Worte verpackt. Diese Anthologie offenbart uns sozusagen eine andere Seite der französischen Seele. In den Geschichten dreht sich alles um Beziehungen (Geht es nicht immer um Beziehungen?): Mutter/Vater vs. Tochter/Sohn, Ehefrau vs. Ehemann, Geliebte vs. Geliebter, Schwester/Bruder vs. Bruder/Schwester und.so.weiter.und.so.fort! Die Erzählungen speisen sich aus der Melancholie des Vergänglichen und aus den Erinnerungen der Vergangenheit. Vieles bleibt unausgesprochenes. Es wird getan, als freue man sich über die Geschenke, da sich über Geschenke gefreut werden muss – es gehört sich so! Und wie überall auf der Welt, wenn Menschen, die sich als Familie bezeichnen, zusammenkommen, wird viel zu viel geredet und viel zu wenig gesagt.

Auch in den Geschichten in „Italienische Weihnachten“ dreht sich vieles um Beziehungen. Doch Herausgeber Klaus Wagenbach wählte für seine Sammlung auch Werke aus, in denen es eher mystisch und märchenhaft und durchaus auch humorvoll zugeht. Da hat durchaus das südländische Temperament der Italiener seinen Einfluss auf die Sicht der Dinge. Zudem resultiert der Witz in einigen Geschichten aus der Absurdität in alltäglichen Begebenheiten und dem scheinbaren Hang der Italiener zur Dramatisierung. Hier wird (im Vergleich zu den Franzosen) prinzipiell über alles gesprochen, und dies erfolgt möglichst temperamentvoll. Autor*innen wie Sebastiano Vassalli, Andrea Camilleri, Natalia Ginzburg, Leonardo Sciascia und Laura Mancinelli kreierten Erzählungen zwischen Fiktion und Realität, zwischen Moderne und Tradition.

Beiden Anthologien sind gemein, dass sie weder anbiedernd gefällig daherkommen noch leicht-bekömmliche Fast-Food-Kost anbieten. Dem Leser wird die Auseinandersetzung mit dem Gelesenem abverlangt, und dies kann durchaus die Erinnerung an eigene Erfahrungen wiederaufleben lassen. Diese Erzählungen eignen sich nur bedingt als launige Feiertagslektüre unter dem Tannenbaum: Sie sind erwachsen.


erschienen bei Wagenbach Salto/ ISBN: 978-3803113467 (Französische Weihnachten) & ISBN: 978-3803113221 (Italienische Weihnachten)

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