[Rezension] O. Henry – Das Geschenk der Weisen/ mit Illustrationen von Patrick James Lynch

„Ein Dollar und siebenundachtzig Cent.“ Della ist verzweifelt: Mehr als diese klägliche Summe konnte sie vom kargen Haushaltsgeld nicht abzwacken und zusammensparen. Dabei würde sie ihrem Jim so gerne ein ihm würdiges Weihnachtsgeschenk bereiten. In ihrer Verzweiflung und aus Liebe zu ihrem Gatten veräußert sie ihren wertvollsten Besitz: Sie geht zu einer Perückenmacherin und verkauft ihr langes, prachtvolles Haar. Den Erlös investiert sie in eine wunderbare Uhrkette. Endlich könnte Jim seine prächtige Taschenuhr, die bisher an einem schnöden Lederband baumelt, voller Stolz vorzeigen. Doch auch Jim möchte seiner Della einen langgehegten Wunsch erfüllen und hält für sie eine Überraschung bereit…!

Es gibt sie, die Geschichten, die meine Seele berühren und für alle Zeit einen Platz in meinem Herzen haben. Dabei trifft dies – zumindest bei mir – nicht auf die großen Geschichten der Literatur zu. Es sind nicht die epischen Romane, die einen immerwährenden Platz in meinem Gedächtnis einnehmen und beim bloßen Gedanken an sie ein Lächeln auf meinen Lippen zaubern. Nein, ganz im Gegenteil! Vielmehr sind es die kleinen, beinah belanglos anmutenden Geschichten, die ohne großes Tamtam auskommen, und in denen nicht wirklich viel passiert. Aber gerade diese Schlichtheit sickert tief in mein Innerstes, bewegt mich auf einer ganz zarten Weise und überwältigt mich mit einer Flut an Gefühlen.

Eine dieser Geschichten ist „Das Geschenk der Weisen“ von O. Henry. Dabei erschien es anfangs so, dass unsere Bekanntschaft nicht von langer Dauer sein würde. Unser erstes Zusammentreffen gestaltete sich wenig vielversprechend: Ich muss ungefähr 34 Jahre alt gewesen sein, als ich auf der Suche nach einer witzig-pfiffigen Weihnachtsgeschichte war, die ich auf einer entsprechenden Feier vortragen wollte. „Das Geschenk der Weisen“ ließ mich merkwürdig unberührt. Ich fand sie „nett“ – nicht mehr, nicht weniger – und wir wissen alle, was „nett“ in Wirklichkeit bedeutet. Das Buch verschwand damals auf unbestimmte Zeit wieder im Bücherregal.

Im Jahre 2015 plante ich nun unter dem Titel „Früher war mehr Lametta!“ meine erste Adventslesung, stöberte dazu durch die Regale mit meiner Weihnachtslektüre und stieß dabei wieder auf O. Henrys Erzählung. Ich las, und beim Lesen liefen mir unvermittelt die Tränen über die Wangen. Ich erkannte, dass ich als Mensch und Leser erst reifen musste, um für den Zauber dieser Geschichte empfänglich zu sein. Seitdem sind Della und Jim ständige Gäste bei meinen Advents- und Weihnachtslesungen. Und selbst wenn keine Lesung in meinem Kalender steht, greife ich zum Buch, um abermals ihrem Zauber zu erliegen.

„Ein Dollar und siebenundachtzig Cent.“ Mit diesem Satz beginnen sie alle – alle Übersetzungen, die mir bisher bekannt sind, und bekannt waren mir bisher sieben (!) Übersetzungen. Man findet diese wunderbare Weihnachtsgeschichte in vielen Anthologien, und jeder Verlag scheint bemüht, eine eigene Übersetzung vorzulegen. Doch Übersetzung ist nicht gleich Übersetzung: Manchmal sind es nur die kleinen Feinheiten, die Einfluss auf den Tonfall einer Geschichte nehmen und so eher dem persönlichen Gusto entsprechen. So favorisiere ich die Übersetzung von Theo Schumacher, die ich als erstes kennenlernen durfte. Dieser Umstand ist sicherlich darin begründet, dass ich diese Fassung schon so häufig gelesen und mir den Text für meine Lesungen „erarbeitet“ habe. Denn fairerweise sei erwähnt, dass die anderen Übersetzer*innen ihren Job nicht weniger gut gemacht haben.



Vielleicht werdet Ihr Euch fragen, warum ich mir – wo ich schon sieben Übersetzungen mein Eigen nenne – nun noch ein Buch mit der achten Übersetzung zulege? Ganz einfach: Es sind die Illustrationen! Schon seit einiger Zeit schleiche ich um dieses Buch herum, ohne einen Blick hineinzuwerfen, aus Angst, ich könnte zum Kauf verführt werden. Denn rein rational betrachtet, brauche ich dieses Buch nicht. Doch schon die Illustration auf dem Cover hat eine magische Anziehungskraft auf mich: Zwei junge Menschen stehen in inniger Umarmung vereint. Ihre Körperhaltung zueinander drücken so viel Liebe und Zärtlichkeit aus.

In diesem Jahr konnte ich mich nicht länger beherrschen, bzw. ich hatte das Gefühl, dass ich in der momentan verrückten Zeit ein wenig Trost brauchte und wusste instinktiv, dass ich ihn beim Betrachten dieses Buches finden werde. Und so machte ich erstmalig die Bekanntschaft mit dem Talent des irischen Künstlers Patrick James Lynch, der schon Illustrationen für Kinderbücher, Märchen und klassische Geschichten kreiert und Plakate für Opernhäuser und Theater gestaltet hat. Seine Bilder zu O. Henrys Werk sind traumhaft und von einer atmosphärischen Dichte, wie ich sie vorher noch nicht gesehen hatte. Ein Blick, eine Geste, die Körperhaltung der Personen, die gewählte Bild-Perspektive und der Sepia-Ton der Bilder – dies alles steht immer im direkten Zusammenhang mit den Worten. Und trotz aller Melancholie war immer ein Schimmer der Hoffnung spürbar.

Da mir diese Geschichte so sehr vertraut ist, brauchte ich den Text nicht parallel beim Betrachten der Bilder zu lesen. Ich schaute mir nur die herrlichen Illustrationen an und ließ sie auf mich wirken. Wieder liefen mir Tränen der Rührung die Wangen hinab, und – Ja! – da verspürte ich auch ein wenig Trost!


Für alle, die nun auch die Bekanntschaft mit Della und Jim machen möchten, habe ich hier eine Liste der mir vorliegenden Fassungen zusammengestellt.

Geschichte enthalten in Anthologien mit Werken von div. Autor*innen:

  • Die Wunder zu Weihnachten. Geschichten, die glücklich machen / Übersetzung von Christine Hoeppener / erschienen im Insel Verlag
  • Nichts als Weihnachten im Kopf / Übersetzung von Regina Roßbach / erschienen im Kampa Verlag
  • Heller Stern in dunkler Nacht / Übersetzung von Elisabeth Schnack / erschienen im Arena Verlag
  • Das große Weihnachtsbuch / Übersetzung von Franziska Kleiner / erschienen im Eulenspiegel Verlag
  • Reclams Weihnachtsbuch / Übersetzung von Siegfried Schmitz/ erschienen im Reclam Verlag
  • Alle Jahre wieder / Übersetzung von Theo Schumacher / erschienen im Diogenes Verlag

Geschichte enthalten in Anthologien mit Werken von O. Henry:

Illustrierte Fassungen:

  • O. Henry: Das Geschenk der Weisen / mit Illustrationen von Lisbeth Zwerger / Übersetzung von Theo Schumacher (s.a. oben: Alle Jahre wieder) / erschienen im NordSüd Verlag
  • O. Henry: Das Geschenk der Weisen / mit Illustrationen von Patrick James Lynch / Übersetzung von Eva-Maria Altemöller / erschienen im Sanssouci Verlag

erschienen bei Sanssouci / ISBN: 978-3990560525 / in der Übersetzung von Eva-Maria Altemöller

[Rezension] Monika Utnik-Strugata – Die schönste Zeit. Weihnachten in aller Welt/ mit Illustrationen von Ewa Poklewska-Kozietto

Blicken wir auf die Länder unserer Erde, dann wirken die Völker selten vereinter als zum Weihnachtsfest. Es scheint schier unglaublich, dass überall auf der Welt die Geburt eines Kindes gefeiert wird, das vor zweitausendunddreiundzwanzig Jahren auf die Welt kam. So identisch auch der Ursprungsgedanke war und ist, so gibt es doch von Land zu Land, manches Mal sogar von Region zu Region einige Unterschiede, wie die Menschen das Fest begehen. Diese Unterschiede zeugen von einer wunderbaren kulturellen Vielfalt auf unserer Erde. Sie zu kennen, hilft Barrieren abzubauen und stiftet Toleranz.

Autorin Monika Utnik-Strugata hat hierzu – gemeinsam mit der Künstlerin Ewa Poklewska-Kozietto – ein ganz wunderbares Bilderbuch erschaffen. In kleinen Kapiteln, die hervorragend zum Vorlesen einladen, begab ich mich auf eine Rundreise um unseren Globus und staunte über einige mir bisher unbekannten Traditionen, entdeckte humorvolle und berührende Geschichten aber erfuhr ebenso von so manchen Kuriositäten.

Das Lucia-Fest, an dem am 13. Dezember in Schweden Umzüge mit Kerzen stattfinden, ist in der Zwischenzeit ja durchaus auch uns schon bekannt. Weniger bekannt ist allerdings der Brauch aus Spanien, bei dem sechs oder zwölf Knaben einen spektakulären Tanz vor dem Hauptaltar einer Kirche aufführen. Auch war mir nicht bekannt, dass im Dezember die Menschen in Kolumbien oder Mexiko sich gern gegenseitig Streiche spielen – ähnlich unserer Aprilscherze.

Auch wird mancher Aberglaube, der in einigen Ländern noch weit verbreitet ist, beleuchtet, warum am Heiligabend etwas nicht (oder gerade doch) getan werden sollte. Anekdote aus meiner Kindheit: Ich bin mit der Warnung aufgewachsen, dass ich auf keinem Fall zwischen Weihnachten und Neujahr meine Wäsche nach draußen hängen sollte, da dies mir Unglück für das kommende Jahr bringen würde. Warum? Wieso? Weshalb? Diese Fragen konnte mir niemand beantworten: Es war eben ein Aberglaube, der von Generation zu Generation weitergegeben wurde.

Selbst klassische Geschichten, die schon so sehr ein Teil der internationalen Weihnachtstraditionen geworden sind, finden in diesem Buch Erwähnung: Da werden dem geizigen Scrooge „Die Geister der Weihnacht“ heraufbeschworen, und „Der Nussknacker und der Mäusekönig“ buhlen um die Gunst der entzückenden Clara. Aber auch die Herkunftsgeschichte des wohl bekanntesten Weihnachtsliedes der Welt „Stille Nacht“ bleibt nicht im Verborgenen.



Auch den unterschiedlichen Pflanzen, die besonders zur Advents- und Weihnachtszeit beliebt sind, werden in diesem Buch ebenso gewürdigt, wie den verschiedenen Bräuchen, die Glück und Zufriedenheit für das Neue Jahr bringen sollen. Und selbstverständlich erhalten die jüngsten Leser*innen endlich Antworten auf einige sehr, sehr wichtige Fragen, wie „Wie sieht eigentlich der Nikolaus aus?“ oder „Wer bringt die Geschenke?“.

Die Illustrationen von Ewa Poklewska-Kozietto sind ganz wundervoll: Einerseits wirken sie herrlich verspielt mit einer beinah kindlichen Naivität. Andererseits sind sie aber doch so detailreich, dass sie uns einen gelungenen Einblicke zur jeweiligen Region ermöglichen, sei es in der Gestaltung der landestypischen Trachten, der landschaftlichen Unterschiede oder der architektonischen Besonderheiten.

So saß ich staunend über diesem Buch gebeugt und erfreute mich an seiner Lektüre. Dabei konnte ich mir so manches Mal einen überraschten Ausruf nicht verkneifen, um dann meinen Gatten anzusprechen: „Ach, schau mal. Das hätte ich nicht gedacht! Hast Du gewusst, dass…?“ Es folgte immer die Information über ein weihnachtliches Detail, das ich bisher für „typisch deutsch“ hielt aber anscheinend aus einem anderen Land „gemopst“ wurde. Und so fühlte ich mich wieder einmal bestätigt, dass wir alle hier auf dieser unserer Erde auf der einen oder anderen Art miteinander verbunden sind…!


erschienen bei NordSüd / ISBN: 978-3314105432 / in der Übersetzung von Angelika Gajkowski

[Rezension] O. Henry – Das Geschenk der Weisen. Und andere Weihnachtserzählungen

Der große Meister für die kleinen Geschichten über die noch kleineren Leute hat wieder zugeschlagen und erlebt – dank dem Anaconda Verlag – eine kleine Renaissance. Nachdem der Verlag mich Anfang des Jahres schon mit einer Sammlung an Geschichten quer durch sein Wirken und Werken erfreut hatte, legt er nun – pünktlich zum Weihnachtsgeschäft – ein kleines, schmales Büchlein mit Weihnachtserzählungen nach. Von Optik, Umfang und Zusammenstellung kann hier getrost von einem Geschenkbuch gesprochen werden, das durchaus als attraktive Beigabe zum Hauptgeschenk fungieren kann.

Neben o. Henrys wahrscheinlich bekannteste (und von mir so sehr geliebte) Geschichte Das Geschenk der Weisen beinhaltet diese Sammlung noch drei weitere Erzählungen mit weihnachtlichem Tenor.

Da dürfen wir den Obdachlosen Soapy kennenlernen, der beim Wintereinbruch in New York verzweifelt versucht – wie in jedem Jahr – durch ein kleines Vergehen ein warmes Plätzchen im Zuchthaus für drei Monate zu ergattern. Doch was er auch immer anstellt, die Cops wollen ihn partout nicht einbuchten…!
Oder kennt Ihr vielleicht schon den Stadtvater der Goldgräbersiedlung Yellowhammer, der es sich in den Kopf gesetzt hat, am Heiligabend alle Kinder als Weihnachtsmann verkleidet mit Präsenten zu erfreuen. Leider hat er dabei übersehen, dass es in der gesamten Siedlung kein einziges Kind gibt…!
Aber auch die Rachephantasien von Frio Kid, die er für seinen Nebenbuhler Madison Lane hegt, der statt seiner die Gunst der schönen Rosita McMullen erlangen konnte, verpuffen dank des Zaubers der Weihnacht…!

O. Henrys Geschichten handeln stets von den kleinen Leuten, die abseits des Glamours des Broadways oder fern aller Wildwest-Romantik versuchen ihr Leben zu meistern. Oftmals sind sie auf der Suche nach einem kleinen Stück vom Glück und müssen auf dem Weg dorthin so manche Unwegsamkeit überwinden. Dabei schimmert in seinen Beschreibungen immer ein Funke Hoffnung durch den scheinbar trüben Alltag. Als Meister des „Twists“ verblüfft er seine Leserschaft am Ende der Story gerne mit eben genau diesem – einer unvorhersehbaren und somit umso überraschenderen Wendung.

In seinem recht kurzen aber sehr produktiven Leben schrieb O. Henry beinah vierhundert Geschichten: Da dürfen wir uns ja noch auf so manche literarische Perle freuen.

Hinweis: Wer die Anthologie Die besten Geschichten schon sein Eigen nennt, kann sich dieses Büchlein getrost schenken, es dafür aber gerne verschenken: Die oben erwähnten vier Geschichten sind in der besagten Anthologie ebenfalls enthalten.


erschienen bei Anaconda / ISBN: 978-3730611487 / in der Übersetzung von Alexandra Berlina

[Rezension] Die Wunder zu Weihnachten. Geschichten, die glücklich machen/ herausgegeben von Clara Paul

Ach, Glück, was ist das schon! Alle hecheln ihm hinterher, doch nur die wenigsten werden ihm habhaft. Und sollte ich ihm mal habhaft werden, was passiert dann? Bin ich dann für immer und ewig, sozusagen gänzlich allumfassend zufrieden? Aber kann „glücklich sein“ wirklich ein dauerhafter Zustand sein? Ist es nicht eher nur ein kurzer Moment, kaum da und nach nur einem Wimpernschlag auch schon wieder fort – einem Schmetterling gleich, der von Blüte zu Blüte flattert?

Und hier verspricht uns Herausgeberin Clara Paul gleich ein ganzes Buch mit Geschichten, die glücklich machen – sozusagen 230 Seiten pures Glücksgefühl! „Na!“ dachte ich so bei mir „Wenn sie da mal nicht den Mund etwas zu voll genommen hat!“ und begann zu lesen – und ich las und las und las…

  • …von „Das Geschenk“, das Hauslehrer Justus unverhofft dem Schüler Martin macht (aus „Das fliegende Klassenzimmer“ von Erich Kästner),
  • …von „Der Schatz des Kindes“ (Antoine de Saint-Exupéry), das die Kleinsten uns Erwachsenen einem Geschenk gleich am Heiligen Abend bereiten,
  • …von dem bescheidenen Wunsch eines armen Mannes nach einem tierischen Weggefährten, der ihm in „Stille Nacht Zaubernacht“ (Dominique Marchand) durch einen Zauberer erfüllt wird,
  • …von den beiden kleinkriminellen aber höchst sympathischen Hallodris, die an Heiligabend „Das Wunder von Striegeldorf“ (Siegfried Lenz) erleben dürfen,
  • …von „Der Große Karpfen Ferdinand“ (Eva Ibbotson), der beim Weihnachtsfest das Leben einer ganzen Familie erschüttert,
  • …von Eltern, die in ihrem Übereifer für „Der doppelte Weihnachtsmann“ (Paul Maar) sorgen und dies ihrem Sprössling plausibel erklären müssen,
  • …von einem Doktor, der in trauter Runde eine „Weihnachtsgeschichte“ (Guy de Maupassant) zum Besten gibt, die von einem Wunder handelt, das er höchstpersönlich erlebt hat,
  • …von „Felix holt Senf“ (Erich Kästner), der für diese scheinbar simple Aufgabe ganze fünf Jahre benötigte, während seine Eltern ihm Jahr für Jahr die Bockwürste warm halten,
  • …von einer Mutter, die auf die Frage ihres Sohnes „Was war das für ein Fest?“ (Marie Luise Kaschnitz) dieses widerwillig zu erklären versucht und trotz aller negativen Beschreibungen ihm den Zauber nicht gänzlich nehmen kann,

…und ich las viele, viele weitere wunderbare Geschichten von namhaften Autor*innen, die alle von wundersamen Begegnungen, unglaublichen Begebenheiten und besinnlichen Momenten zu berichten wussten.

Da saß ich nun in meinem Lesesessel und war ganz in diesem Buch vertieft: Manchmal hielt ich vor Spannung den Atmen an, manchmal lachte ich amüsiert laut auf, und manchmal kullerte eine Träne der Rührung meine Wange hinunter. Ein warmes Gefühl breitete sich in mir aus, und ließ mich einen wohligen Seufzer ausstoßen.

Sollte mich da beim Lesen dieser Geschichten vielleicht tatsächlich ein Hauch von Glück gestreift haben…? ✨


erschienen bei Insel/ ISBN: 978-3458361015

[Rezension] Rainer Moritz – Fräulein Schneider und das Weihnachtsturnier

Fräulein Schneider von der Buchhaltung ist eine Erscheinung: Nicht von ungefähr nennen sie ihre Kolleg*innen hinter vorgehaltener Hand „Miss Marple“ aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit der großen britischen Mimin Margaret Rutherford. Doch in der gesamten Firma würde niemand es wagen, sie direkt so anzusprechen. Auch Konrads Papa benutzt diesen Spitznamen nur, wenn er zuhause die neusten Anekdoten von Fräulein Schneider berichtet, z. Bsp. dass sich hinter Ihrer reservierten und Ehrfurcht gebietenden Fassade ein leidenschaftlicher Fußball-Fan verbirgt. Doch nun ist Fräulein Schneider in Rente und würde sich doch sicher zu Weihnachten über eine kleine Aufmerksamkeit freuen. So denkt es sich Konrads Mama und schickt ihn an Heiligabend mit einem kleinen Präsent zu ihr hin. Konrad ist wenig begeistert. Doch dieser Besuch gestaltet sich als kleine Überraschung: Fräulein Schneider ist privat nämlich gar nicht so reserviert, wie Papa immer erzählt hat. Vielmehr fordert sie ihn im Tipp-Kick-Fußball heraus und entpuppt sich in den folgenden Wochen und Monaten als strenge Trainerin. Bald ist die Idee eines Weihnachtsturniers geboren, dessen Erlös wohltätigen Zwecken zugeführt werden soll. Und so entwickelt sich aus einer kleinen Idee langsam aber stetig ein überregionales Phänomen…!

Das er schreiben kann, das wusste ich: Hatte ich doch schon einige seiner Werke u.a. mit kuriosen Literaturgeschichten, seiner Liebeserklärung an die Buchhandlung oder auf den Spuren bekannter Dichter mit Freude gelesen. Doch einem seiner gänzlich fiktiven Werke hatte ich mich bisher noch nicht gewidmet. Umso gespannter war ich auf diese Erzählung…!

Nun stellt für mich die Kurzgeschichte eine Königsdisziplin innerhalb der schreibenden Zunft dar. All das, was auch auf 300, 500 oder 1000 Seiten passiert, muss auch in eine Kurzgeschichte passen: interessante Charaktere, logischer Handlungsaufbau, fesselnder Spannungsbogen, überraschender Twist, intelligente Dialoge, eine Prise Humor und natürlich ganz viel Gefühl. Besonders das Letztere darf bei einer Weihnachtsgeschichte nicht fehlen. Und so kann ich in diesem Fall Herrn Moritz nur attestieren, dass er mit Fräulein Schneider alles richtig gemacht hat.

Beim Aufbau geht er recht raffiniert vor, indem er das Geschehen aus dem Rückblick von Konrad erzählt, der als erwachsener Mann eine Traueranzeige von seiner Mutter geschickt bekommt, die eine Erinnerungsflut in ihm freisetzt. Dabei ist seine Geschichte wohltuend un-kitschig. Vielmehr erzählt er sie frisch, eher nüchtern, beinah beiläufig aus der Perspektive eines damals 12-jährigen Jungens, der sich seine ihm logisch erscheinenden Erklärungen im Rahmen seines Erfahrungsschatzes zurechtlegt.

Dabei stoßen hier mit Fräulein Schneider und Konrad zwei Protagonisten aufeinander, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Beide schaffen scheinbar mühelos die hohe Kunst der gegenseitigen Akzeptanz. Als erfahrener Leser glaubte ich zu wissen, wie diese Figuren zu funktionieren haben. Rainer Moritz schlug mir dabei ein Schnippchen, indem er meine Erwartungen nicht erfüllte. Vielmehr sorgte er dafür, dass in der Geschichte ein leichter Ton von Heiterkeit mitschwingt, ich von ungeahnten Wendungen überrascht wurde, und so das Lesen für mich zu einem kurzweiligen Vergnügen wurde.

Ich bin mir sehr sicher, dass Fräulein Schneider und Konrad sich einen Platz innerhalb der Advents- und Weihnachts-Lektüre erobern werden. Diese beiden sympathischen Typen hätten es verdient…!

Lust auf weitere Meinungen? Dann empfehle ich Euch die Rezension meines Blogger-Kollegen HAUKE HARDER von „Leseschatz“ und den DOFI 206 von der Buchhandlung meines Vertrauens.


erschienen bei edition chrismon/ ISBN: 978-3960382553

[Rezension] Eine Leiche zum Advent. Das große Buch der Weihnachtskrimis/ herausgegeben von Otto Penzler

Mit Schwung wuchtete ich den Wälzer aus dem Bücherregal, schwankte leicht unter dem Gewicht, bis mein Gleichgewicht sich wieder ausbalanciert hatte, und taperte dann mit kleinen vorsichtigen Schritten Richtung Lesesessel. Mit einem leidvollen Stöhnen ließ ich mich ins Polster fallen, während besagter Wälzer auf meinem Bauch den nötigen Halt zur Ablage fand…!

Üppiges Format, über 700 Seiten starker Umfang, gefüllt mit 49 kriminellen Erzählungen: Bei der Zusammenstellung dieser Anthologie dachte Herausgeber Otto Penzler sicherlich nicht an „weniger ist mehr“. Vielmehr stand hier wohl eher „klotzen und nicht kleckern“ im Vordergrund. Und dabei bewies er zudem bei der Auswahl der Stories ein äußerst glückliches Händchen. Doch nichts anderes hätte ich von einer Koryphäe, wie er sie ist, auch erwartet. Schließlich zählt er zu den international führenden Fachleuten für Kriminalliteratur.

Nun ergeben – zumindest für mich – Krimis und Weihnachten den „perfect match“: Nichts fesselt meine Aufmerksamkeit mehr als ein zünftiger Mord – selbstverständlich nur rein literarisch: Wenn sich durch die perfekte Idylle langsam das Grauen seinen Weg bahnt, und die festliche Besinnlichkeit dem Horror eines Verbrechens weicht…! Vielleicht sollte ich Krimis schreiben?!

Nein, das überlasse ich doch lieber den Profis dieser Zunft. Selbstverständlich findet man in einer solchen Zusammenstellung auch die üblichen Verdächtigen: Da blinkt „Der blaue Karfunkel“ von Arthur Conan Doyle. Bei Mary Higgins Clark wird „Das große Los“ gezogen. Rex Stout schickt seinen Schnüffler Nero Wolfe auf „Die Weihnachtsfeier“. Edgar Wallace stolpert über „Die Chapham-Affäre“. Und Gilbert Keith Chesterton lässt Father Brown über „Die fliegenden Sterne“ sinnieren. Nun könnte ich mich über eine wenig originelle Auswahl mokieren, die wieder Werke beinhaltet, die gefühlt schon überall erschienen sind. Ich könnte mich mokieren, tue es aber nicht, da ich diese Entscheidung durchaus nachvollziehen kann. Eine Krimi-Anthologie ohne bekannte Namen würde dem durchschnittlichen Leser kaum einen Anreiz zum Kauf bieten. Seien wir ehrlich: Jeder von uns greift eher bei dem zu, was er kennt, oder?

So sind diese hinlänglich bekannten Geschichten, die in all den Jahren seit ihrer Entstehung nichts von ihrer literarischen Qualität eingebüßt haben, von weniger bekannten Geschichten „umzingelt“, die von Autor*innen stammen, die sich bzgl. Talent, Originalität und Qualität nicht hinter den großen Namen zu verstecken brauchen.

Zumindest mir waren Namen wie Catherine Aird, Thomas Hardy, Meredith Nicholson, Marjorie Bowen oder Norvell Page bisher kein Begriff. Wie schön, dass Penzler vor jeder Geschichte den/die Autor*in kurz vorstellt. Dabei sind so manche Kuriositäten zu entdecken: Da veröffentlichen zwei Cousins unter dem Pseudonym Ellery Queen äußerst erfolgreich ihre Kriminal-Stories, in denen sie ihren Detektiv ebenfalls Ellery Queen nennen. Oder Autor Peter Todd schenkte uns herrlich skurrile Sherlock Holmes-Parodien, in denen er die Marotten des Helden genüsslich persifliert, um sich durch sie gleichzeitig respektvoll vor der Vorlage zu verbeugen.

Zudem begeistert mich diese Zusammenstellung durch seine Vielfalt: Sei es aufgrund der unterschiedlichen Entstehungszeiten der Geschichten, der vielfältigen Ausdrucksformen der Autor*innen, der vielen phantasievollen Arten des „Um-die-Ecke-bringens“ oder der stilistischen Bandbreite, die von traditionell bis modern, von lustig bis unheimlich, von trashig bis rätselhaft reicht.

Oftmals gibt es bei solchen Anthologien einige herausragende Leistungen zu bewundern aber ebenso viel Mittelmaß zu ertragen. Ohne Licht gibt es eben auch keinen Schatten! Doch überraschenderweise konnte ich hier keinen nennenswerten literarischen Ausrutscher ausmachen. Im Gegenteil: Ich fühlte mich rundum bestens unterhalten!

Nun muss ich nur noch diesen Wälzer von meinem Bauch wieder unfallfrei ins Regal bugsieren…! 🙄


erschienen bei Bastei Lübbe/ ISBN: 978-3431039665

[Rezension] L. Frank Baum – Die abenteuerliche Geschichte des Weihnachtsmannes

Weiß jemand von Euch, wie der Weihnachtsmann auf die Welt kam? Nein, ich meine jetzt nicht die moderne Form des Weihnachtsmannes, die sich uns seit den frühen 30er Jahren des letzten Jahrhunderts dank einer cleveren Werbekampagne der Coca-Cola Companie ins Gedächtnis gebrannt hat. Vielmehr meine ich den klassischen Weihnachtsmann, der doch ein Mensch sein soll, oder? Doch wie schafft er es, in nur einer einzigen Nacht alle Kinder dieser Erde zu beschenken? Und warum wird er nicht älter? Diese und ähnliche Fragen stellte ich mir schon als Kind und erhielt leider nie Antworten darauf. Bis heute…!

Nach der Lektüre dieses kleinen, feinen Büchleins waren alle meine Fragen, die mich seit Kindertagen beschäftigt hatten, beantwortet. Niemand geringerer als der bekannte amerikanische Autor L. Frank Baum (* 1856; † 1919) lieferte mir alle Fakten, die ich benötigte, um meinen Wissensdurst zu stillen. Kein Wunder: Als Schöpfer von Der Zauberer von Oz kennt er sich schließlich mit magisch-mystischen Wesen und ihren Welten aus. 1902 erschien Die abenteuerliche Geschichte des Weihnachtsmannes erstmals im Original als illustriertes Bilderbuch. Doch auch die mir vorliegende Reclam-Fassung ohne Bilder kann überzeugen. L. Frank Baum (das L steht für Lyman) ging bei seinem Bericht über das Leben des Weihnachtsmannes streng chronologisch vor und unterteilt dessen Lebenslauf in die Rubriken Kindheit, Mannesjahre und Alter.

Im Wald von Burzee wurde der Weihnachtsmann (Äh, also, da war er natürlich noch nicht der Weihnachtsmann sondern einfach nur ein Baby wie jedes andere Baby auch.) als Findelkind von einer Waldnymphe aufgezogen. Um den kleinen Fratz besser rufen zu können, nannte ihn seine Zieh-Mama schlicht und ergreifend „Claus“. Und so wuchs Claus glücklich und zufrieden in eben jenem Wald von Burzee auf, der von etlichen unsterblichen Bewohnern wie Elfen, Knooks, Ryls und Nymphen bevölkert wurde. Claus wurde zum Mann, der respektvoll und gütig gegenüber allen Lebewesen des Waldes war. Doch auch er verspürte in seiner Sturm- und Drang-Zeit den Wunsch, das heimatliche Nest zu verlassen, um eigene Erfahrungen zu sammeln. So siedelte er sich am Waldesrand an und hatte seine ersten Begegnungen mit anderen Menschen. Schnell erkannte er, dass es soziale Unterschiede gab, es in der Welt der Menschen nicht immer gerecht zugeht, und dass die Kinder immer diejenigen sind, die am meisten leiden. Und so reifte in ihm der Plan, den Kindern durch selbstgeschnitztes Spielzeug eine Freude zu bereiten. Schnell sprach sich dies im Lande herum, und immer mehr Kinder äußerten den Wunsch nach einem schönen Spielzeug. Als Ein-Mann-Betrieb kam Claus kaum mit der Produktion nach. Zumal die bösen Awgwas, die auf den steinigen Bergspitzen lebten und alle Wesen des Waldes hassten, ihm immer wieder in die Quere kamen. Awgwas liebten Zwietracht und Zorn: Glück bzw. glückliche Menschen waren ihnen zuwider. Dank der Hilfe seiner Familie aus dem Walde konnte Claus diese miesen Typen besiegen. Doch Hilfe brauchte Claus auch weiterhin, da sich immer mehr Kinder auf der Welt Geschenke wünschten. So sprangen die Wesen des Waldes im hilfreich zur Seite und stiegen tatkräftig in seine Spielzeugproduktion ein. Sogar der Herrscher des Waldes, der Große Ak ließ sich erweichen und stellte Claus einige Rentiere, die seinen Schlitten ziehen sollten, zur Verfügung – allerdings nur für eine einzige Nacht. Und so produzierte Claus das ganze Jahr über Spielzeug, um es dann am Heiligenabend an die Kinder dieser Welt zu verteilen. Doch auch Claus kam in die Jahre und wurde älter. Die Reisen wurden immer beschwerlicher, da seine Kräfte langsam schwanden. Da beschlossen die unsterblichen Bewohner ihm ebenfalls Unsterblichkeit zu schenken…!

Waow! Zwischen zwei kleinen Buchdeckeln können ganze Welten entstehen, in denen eine Menge passieren kann. Völlig gebannt las ich dieses entzückende Büchlein in einem Rutsch an nur einem Nachmittag. Ich fühlte mich zurückversetzt in eine Zeit, als Geschichten noch „anders“ erzählt wurden: ruhiger, feiner, besinnlicher. Mit altmodischem Charme lässt der Autor uns an seiner phantasievollen Geschichte teilhaben. Klug nimmt er die bekannten Fakten rund um den Weihnachtsmann und verknüpft sie auf originelle Weise mit der Handlung seines Märchens, sodass alles völlig plausibel und logisch erscheint.

In den Mittelpunkt dieser Geschichte stellt L. Frank Baum deutlich ein humanitäres Weltbild, das geprägt ist durch Nächstenliebe, Toleranz und ein friedliches Miteinander. Dabei haftet seinem Werk weniger etwas belehrend-aufklärerisches an als vielmehr der märchenhaft-phantastische Grundton, der die Leserschaft vortrefflich unterhält.

Mag auch der Duktus seiner Sprache vielleicht nicht mehr allzu zeitgemäß sein, für mich war es eine wunderbar-märchenhafte Reise in eine vergangene Epoche!


erschienen bei Reclam / ISBN: 978-3150112359 / in der Übersetzung von Marion Hertle 

[Rezension] Dawn Casey – Wir warten auf Weihnachten. mit den schönsten Wintergeschichten aus aller Welt/ mit Illustrationen von Zanna Goldhawk

Die Tage werden kürzer und kürzer. Der erste leichte Frost setzt sich auf Gräser, Büsche und Bäume. Und so hat auch unser Kater beschlossen, dass es neben mir auf dem Sofa deutlich gemütlicher ist als auf seinem bisherigen Outdoor-Platz. Kater und Kerl rücken mehr zueinander und genießen gemeinsam die kuscheligen Momente. Und während sich das Katzentier schnurrend an meine Seite schmiegt, blättere ich in diesem zauberhaften Buch und lasse mich entführen in andere Länder.

Dawn Casey nimmt uns mit auf eine Reise durch die Märchen, Mythen und Sagen aus aller Welt: Wir besuchen den weißen Bärenkönig in Norwegen, suchen in der Ukraine mit den Tieren des Waldes Schutz in einem Handschuh oder nähen mit einem Schneider aus Polen einen Mantel für Mond. In Schottland lauschen wir dem Lied eines kleinen Rotkehlchens, erfreuen uns in China am Geschenk eines Hasen oder staunen über silberne Tannenzapfen aus dem eigenen Heimatland.

Aus Frankreich kommt mit Der kleine schwarze Kater eine sehr eigene und weniger anarchische Variation von Die Bremer Stadtmusikanten, die gänzlich ohne „Etwas Besseres als den Tod findest du überall.“ auskommen. Und selbst auf bekannte wie allzeit beliebte Geschichten wie Der Nussknacker von E.T.A. Hoffmann und Die Schneekönigin von Hans Christian Andersen müssen wir nicht verzichten. Komplementiert wird diese abwechslungsreiche Sammlung mit Volksmärchen bzw. -sagen aus Japan, Mexiko, Frankreich, Russland, England, Sibirien, Grönland, Südafrika, Griechenland und Irland.

Dawn Caseys Nacherzählungen haben einen einfachen, unaufgeregten Ton und verzichtet auf die allzu gruseligen bzw. brutalen Details des Originals, ohne dabei den Handlungsverlauf zu verändern. Ihre Sprache ist von einer poetischen Schlichtheit, womit die Geschichten sich hervorragend zum Vorlesen für jüngere Kinder eignen.



Doch dies alles wird durch die Kunst von Zanna Goldhawk in den Schatten gestellt. Schon die wunderbare Gestaltung des Einbands erweckte in der Buchhandlung meines Vertrauens sofort meine Aufmerksamkeit. Wie unter Zwang streckte ich meinen Arm aus, griff mir das Buch, um in ihm zu blättern. Seite für Seite steigerte sich meine Begeisterung – über das geschmackvolle Vorsatzpapier zu den liebevollen Illustrationen am Seitenrand bis zu den ganzseitigen Kunstwerken.

Da tanzt der Nussknacker mit Marie durch eine zauberhafte Weihnachtswelt, Polarlichter verwandeln die Berge in geheimnisvolle Welten, die Schneekönigin schwebt in einem gläsernen Schlitten über den Nachthimmel, die Sonne erstrahlt in satten rot-orangen Tönen und der Eisbärenkönig erkundet im kristallenen Blau sein Reich. Dabei würde ich den Stil von Zanna Goldhawk als phantasievoll-naiv beschreiben, der mich oftmals an klassische Bauernmalerei erinnerte, wo das Haupt-Motiv durch Blumen, Blättern und Ranken umkränzt wird.

Als Liebhaber schöner Märchenbücher freue ich mich immer über einen weiteren Schatz für meine Sammlung: Dieses Buch hat mich gänzlich bezaubert!


erschienen bei Knesebeck / ISBN: 978-3957285225 / in der Übersetzung von Kathrin Köller

[Rezension] Janosch – Morgen kommt der Weihnachtsbär

Bisher hatte ich mit Janosch kaum Berührungspunkte: Während meiner eigenen Kindheit war er mir nicht präsent, als Heranwachsender hätte ich seine Bücher als „uncool“ abgestempelt, und im frühen Erwachsenenalter mangelte es in meinem Umfeld an Kindern im entsprechenden Alter, die für eine Anknüpfung hätten sorgen können. Und so ist dieses kleine Büchlein aus dem Reclam-Verlag mein erster intensiverer Kontakt mit diesem modernen Märchenerzähler.

Apropos Reclam-Verlag: Ich bin immer wieder erstaunt, welche Bandbreite an Autor*innen und Themen es zwischen dem gelben Einband der nur 10 x 14,5 cm großen Heftchen zu entdecken gilt. Lange Zeit haftete dem Verlag – völlig zu Unrecht – das Image der schnöden Schüler-Lektüre an. Doch mir dienten die Publikationen in der bekannten Optik so manches Mal als hilfreiche Vorbereitung auf einen Opern- oder Schauspiel-Abend. In der Zwischenzeit hat Reclam sich auch im Hardcover-Bereich etabliert und begeistert mit Büchern in besonderer Ausstattung. Doch nach wie vor verfolgt dieser Verlag sein vor Hunderten von Jahren festgelegtes Ziel, Weltliteratur für kleines Geld zu publizieren, um diese jedem und jeder zugänglich zu machen. Und so verwundert es kaum, dass der Verlag auch einige Werke eines Allrounders wie Janosch in die Galerie ihrer (modernen) Klassiker einreiht.

Der Weihnachtsbär macht seinen alljährlichen Rundgang, um die Wunschzettel einzusammeln. Manche Wünsche sind schon recht ungewöhnlich, andere dagegen wenig überraschend: Da wünscht sich das kleine Roselchen einen Tiger, kann aber vom Weihnachtsbär auf eine Katze runtergehandelt werden, und die Mäusemutter Anneliese hätte gerne wie in jedem Jahr die aktuelle Ausgabe der Gelben Seiten, da die so lecker nach Zitrone schmecken. In der Zwischenzeit ist der Quasselkasper auf der Suche nach einer Wurstelbude, landet aber in der Hütte des Oberförsters und wird dort von dessen Frau als Krippenpersonal rekrutiert. Dabei hat der Oberförster ganz andere Sorgen: Er müsste die gemopsten Tannenbäume aus dem Wald der oberforstamtlichen Behörde melden, findet aber allzu menschliche Gründe, warum er es unterlässt. Währenddessen ist der charmante Hallodri Kater Mikesch auf der Suche nach einem behaglichen Unterschlupf über die Feiertage. Doch die Damen, die er mit seiner Anwesenheit „beehrt“, werden ihm alle allzu anspruchsvoll. Der Weihnachtsbär sammelt weiterhin die Wunschzettel ein: Der blinde Maulwurf würde sich über eine Illustrierte mit Bildern freuen. Der kleine Bär hätte gerne eine fetzige Krawatte, und der kleine Tiger wünscht sich an Weihnachten Schnee. Diesen Wunsch kann der Weihnachtsbär auf jeden Fall erfüllen, denn schließlich ist er gut befreundet mit Frau Holle…!

Janosch erzählt liebevoll seine Geschichten über kleine und große Wünsche, von tierischen Gesellen und allzu menschlichem. Und wie jeder gute Geschichtenerzähler versteckt er seine Botschaften dezent und leise und lässt sie sanft in die Handlung einfließen. Er verpackt sie in einer humorvollen, mal flapsigen, mal skurrilen Sprache, die amüsiert und aufhorchen lässt. Seine phantasievolle und warmherzige Art, Geschichten zu erzählen, findet sich auch in seinen Illustrationen wieder. Dabei überzeugt er mit einem ganz eigenen Stil, der Figuren wie der kleiner Bär, der kleiner Tiger und die Tigerente als seine Schöpfungen unverkennbar machen und so einen hohen Wiedererkennungswert haben.

Dieses kleine charmante Büchlein erfreute mich als Erwachsener ebenso, wie es sicherlich auch schon so manches Kind erfreut hat bzw. erfreuen wird. Zudem eignet es sich mit seinen 24 Kapiteln hervorragend als literarischer Adventskalender, der zum Vorlesen verführt. Eine ganz und gar bezaubernde Lektüre…!


erschienen bei Reclam / ISBN: 978-3150143124

ebenfalls erschienen bei Little Tiger/ ISBN: 978-3931081423

[Rezension] Gladys Mitchell – Geheimnis am Weihnachtsabend

Gladys Maude Winifred Mitchell (* 1901; † 1983) wurde in Oxfordshire geboren, studierte in London Geschichte und arbeitete als Lehrerin. Im Jahre 1929 erschuf sie die berühmte Detektivin Beatrice Adela Lestrange Bradley, die sie in über sechzig Kriminalromanen ermitteln ließ. Dabei bedachte sie ihrer Heldin mit Interessen, die durchaus ihren eigenen entsprachen:  So war Gladys Mitchell nicht nur eine fundierte Kennerin der Werke von Sigmund Freud sondern interessierte sich auch für Okkultismus. Neben Agatha Christie und Dorothy L. Sayers gehörte sie dem britischen „Detection Club“ an und erhielt 1976 die höchste Ehrung der Crime Writer’s Association. Die Romane wurden Ende der 90er Jahre unter dem Titel The Mrs. Bradley Mysteries von der BBC verfilmt – mit Diana Rigg (Mit Schirm, Charme und Melone) in der Titelrolle und Neil Dudgeon (Inspector Barnaby) als Chauffeur George.

Mrs. Adela Bradley, praktizierende Psychologin und selbsternannte Hobby-Detektivin, befindet sich mit ihrem Chauffeur George auf dem Weg zu ihrem Neffen Carey Lestrange, der in der Grafschaft Oxfordshire eine erfolgreiche Schweinezucht betreibt, um dort in geruhsamer Eintracht im Kreise von Familie und Freunden die Weihnachtsfeiertage zu verbringen. Nur leider bleibt es weder geruhsam noch einträchtig: Die Mär eines Geistes, der nur einmal im Jahr ausgerechnet am Weihnachtsabend erscheint und diejenigen, die ihn zu Gesicht bekommen, im Laufe des kommenden Jahres in den Tode zieht, erhitzt seit Generationen die Gemüter der Dorfbewohner. Auch an diesem Weihnachten sorgt die Geschichte für reichlich Gesprächsstoff, zumal alle von der dubiosen Wette eines Unbekannten wissen, der den ansässige Anwalt Mr. Fossder und den benachbarten Schweinezüchter Geraint Tombley mit der Summe von 200 Pfund herausgefordert hat, sich dem Geist entgegenzustellen. Als dann am Heiligabend die Leiche von Mr. Fossder auf einem Feldweg entdeckt wird, spricht offiziell von Seiten der Polizei alles für einen natürlichen Tod durch Herzinfarkt. Doch die eine oder andere Ungereimtheit, die bei oberflächlicher Betrachtung belanglos wirken könnte, erregt die Aufmerksamkeit von Mrs. Bradley. Gemeinsam mit ihrem Neffen Carey und dem Chauffeur George stürzt sie sich in die Ermittlungen…!

Bisher waren die Krimi-Ausgrabungen aus dem Klett-Cotta Verlag eine sichere Bank für kurzweilige Unterhaltung mit nostalgischem Charme. Und wenn ich mir die Vita der Autorin bzw. deren Stellenwert innerhalb der britischen Kriminalliteratur anschaue, dann war die deutschsprachige Veröffentlichung dieses Romans (bzw. ihrer Romane) mehr als überfällig. Und augenscheinlich schien dieser Krimi alle meine Erwartungen an einem „Whodunit“ zu erfüllen: eine engagierte Amateur-Ermittlerin, ein zupackendes Faktotum, ein üppiges Handlungspersonal mit vielen potentiellen Verdächtigen, jede Menge Verwicklungen…

…und auch wenn formal alles richtig zu sein schien, haderte ich mit diesem Krimi. Dies lang nicht unbedingt in der Tatsache begründet, dass der deutsche Titel einen süffigen Weihnachtskrimi versprach, die Handlung sich allerdings über mehrere Monate – von Weihnachten bis Pfingsten – hinzieht. Vielmehr musste ich mit Bedauern feststellen, dass mir selten eine Hauptperson so unsympathisch war wie Mrs. Adela Bradley. Beinah schien es, als hätten die Besonderheiten ihrer Patienten auf ihr eigenes Verhalten abgefärbt. So manche ihrer Reaktionen nahm ich als befremdlich wahr: hämisches Kichern, bösartiger Blick, Echsenlächeln. Zudem wurden ihre Hände immer wieder mit Klauen verglichen. Diese Beschreibung erschien mir ebenso wenig schmeichelhaft, wie ihre Angewohnheit, alle und jede*n als „Kind“ zu titulieren, was eher herablassend auf mich wirkte.

Dieser Krimi erschien im englischen Original unter dem Titel Dead Men’s Morris im Jahre 1936 und war schon der 7. Fall, in dem Mrs. Bradley die Krimi-Bühne betrat. Vielleicht hätten sich mir viele ihrer Eigenarten mit dem Wissen aus den vorherigen Romanen erklärt, mein Verständnis geweckt und sie weniger unsympathisch auf mich wirken lassen. So empfand ich eben diese Allüren mehr als nur irritierend.

Schade! Ich hatte mich so sehr gefreut, eine weitere amüsant-kauzige Protagonistin in die Reihen meiner geliebten wie verehrten Hobby-Ermittler*innen hinzufügen zu dürfen.


erschienen bei Klett-Cotta / ISBN: 978-3608986730 / in der Übersetzung von Dorothee Merkel

Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!