LESE-HIGHLIGHTS 2022…

Dat Johr geit to End, un de Lichter verbrennt.Man, de Tied stickt een Licht an in di.Dat Johr geit to End, un de Lichter verbrennt.Man, de Tied stickt een Licht an in di.

Ja, das Jahr geht zu Ende! Nur noch wenige Tage, und dann ist auch dieses Jahr Geschichte. Und wie am Ende eines jeden Jahres überkommt mich ein wenig Wehmut, die sich gerne auch in meine von mir freudig erwartete Jahresend-Depression verwandelt: Ich bin noch erschöpft vom alten Jahr, blicke frustriert auf das Neue Jahr und denke bei mir „Jetzt geht der ganze Sch… von vorne los!“ Wenigstens einmal im Jahr gönne ich mir den Luxus, suhle mich hemmungslos in Selbstmitleid und heule in meinem stillen Kämmerlein ein paar Taschentücher nass.

Und doch ganz bin ich noch nicht soweit, meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen: Werfen wir doch gemeinsam erstmal einen Blick zurück auf mein Lese-Jahr, das mitunter ein wenig holperig daherkam. Die Gründe für manches Stocken in meinem Lesefluss lassen sich in eine der drei folgenden Kategorien einsortieren: „Lustlosigkeit“, „Zeitlosigkeit“ oder „Lust- und Zeitlosigkeit“. An einer „Buchlosigkeit“ kann es definitiv nicht gelegen haben: Mein SuB überzeugt nach wie vor mit einer stattlichen Höhe.

Trotz des einen oder anderen Romans neueren Datums, griff ich dieses Jahr eher zu den Klassikern und entdeckt für mich so einige Schätze, die bisher wenig bis gar keine Aufmerksamkeit von mir erhielten – völlig unverständlich! Mein neu erwachtes Interesse an den Klassikern wird auch noch Auswirkung auf die Wahl meiner Lektüre im kommenden Jahr haben. Doch dazu später mehr. Hier erstmal meine Jahres-Highlights 2022…



  • Im Februar erfreute ich mich an der wunderbaren Anthologie Die besten Geschichten mit Werken vom Meister der „Short-Story“ O. Henry, von dem ich bis dahin nur seine wohl bekannteste Geschichte „Das Geschenk der Weisen“ kannte.
  • Den Mai eröffnete ich passender Weise mit Frühlingsgefühle. Geschichten von der Liebe von Anton Čechov und war wieder bezaubert von seinem melancholisch-heiteren Erzählstil.
  • Der Juni entführte mich mit Kurt Tucholsky auf Schloß Gripsholm. Hans Traxler bereicherte diese charmante Geschichte mit seinen gelungenen Illustrationen.
  • Im Juli brauchte ich für Gesang zwischen den Stühlen. Gedichte von Erich Kästner zwar keine gut geölten Stimmbänder, dafür forderten seine Gedichte meine volle Aufmerksamkeit.
  • Heinrich Mann machte mich ebenfalls im Juli bekannt mit Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen, zu dem Martin Stark (nomen est omen) ausdrucksstarke Illustrationen beitrug.
  • Im August erkannte ich mit Schrecken, dass ich Erich Kästners Das fliegende Klassenzimmer noch nie gelesen hatte und musste diesen Zustand sofort ändern.
  • Den Oktober verbrachte ich in England auf Einladung von Oscar Wilde, der mich in Das Gespenst von Canterville mit seiner famosen Fabulierkunst entzückte.
  • Im Rahmen meiner geliebten Rubrik LEKTÜRE ZU FEST machte ich im November dank Morgen kommt der Weihnachtsbär erstmalig die Bekanntschaft mit Janosch: eine Bekanntschaft, die ich gerne weiter vertiefen möchte.
  • Im Dezember kurz vorm Fest konnte ich der Versuchung nicht länger widerstehen und beschenkte mich selbst mit einer Illustrierten Fassung von O. Henrys Das Geschenk der Weisen, die der Künstler Patrick James Lynch mit seinen Bildern veredelt hat.

So, der Rückblick auf mein Lese-Jahr ist geschafft. Nun kann ich mich hemmungslos gehen lassen und meinem Jahresend-Depri frönen: Die Familienpackung Papiertaschentücher liegt schon bereit. Aber keine Angst: Dieser Zustand wird nicht lange andauern. Nach einiger Zeit werde ich wie Phönix aus der Asche wieder erscheinen – gänzlich frustbefreit – und dann kann es wieder weitergehen!

Ich wünsche Euch einen guten Rutsch und für das Neue Jahr 2023 nur das Allerbeste!

Liebe Grüße
Andreas

[Rezension] O. Henry – Das Geschenk der Weisen/ mit Illustrationen von Patrick James Lynch

„Ein Dollar und siebenundachtzig Cent.“ Della ist verzweifelt: Mehr als diese klägliche Summe konnte sie vom kargen Haushaltsgeld nicht abzwacken und zusammensparen. Dabei würde sie ihrem Jim so gerne ein ihm würdiges Weihnachtsgeschenk bereiten. In ihrer Verzweiflung und aus Liebe zu ihrem Gatten veräußert sie ihren wertvollsten Besitz: Sie geht zu einer Perückenmacherin und verkauft ihr langes, prachtvolles Haar. Den Erlös investiert sie in eine wunderbare Uhrkette. Endlich könnte Jim seine prächtige Taschenuhr, die bisher an einem schnöden Lederband baumelt, voller Stolz vorzeigen. Doch auch Jim möchte seiner Della einen langgehegten Wunsch erfüllen und hält für sie eine Überraschung bereit…!

Es gibt sie, die Geschichten, die meine Seele berühren und für alle Zeit einen Platz in meinem Herzen haben. Dabei trifft dies – zumindest bei mir – nicht auf die großen Geschichten der Literatur zu. Es sind nicht die epischen Romane, die einen immerwährenden Platz in meinem Gedächtnis einnehmen und beim bloßen Gedanken an sie ein Lächeln auf meinen Lippen zaubern. Nein, ganz im Gegenteil! Vielmehr sind es die kleinen, beinah belanglos anmutenden Geschichten, die ohne großes Tamtam auskommen, und in denen nicht wirklich viel passiert. Aber gerade diese Schlichtheit sickert tief in mein Innerstes, bewegt mich auf einer ganz zarten Weise und überwältigt mich mit einer Flut an Gefühlen.

Eine dieser Geschichten ist „Das Geschenk der Weisen“ von O. Henry. Dabei erschien es anfangs so, dass unsere Bekanntschaft nicht von langer Dauer sein würde. Unser erstes Zusammentreffen gestaltete sich wenig vielversprechend: Ich muss ungefähr 34 Jahre alt gewesen sein, als ich auf der Suche nach einer witzig-pfiffigen Weihnachtsgeschichte war, die ich auf einer entsprechenden Feier vortragen wollte. „Das Geschenk der Weisen“ ließ mich merkwürdig unberührt. Ich fand sie „nett“ – nicht mehr, nicht weniger – und wir wissen alle, was „nett“ in Wirklichkeit bedeutet. Das Buch verschwand damals auf unbestimmte Zeit wieder im Bücherregal.

Im Jahre 2015 plante ich nun unter dem Titel „Früher war mehr Lametta!“ meine erste Adventslesung, stöberte dazu durch die Regale mit meiner Weihnachtslektüre und stieß dabei wieder auf O. Henrys Erzählung. Ich las, und beim Lesen liefen mir unvermittelt die Tränen über die Wangen. Ich erkannte, dass ich als Mensch und Leser erst reifen musste, um für den Zauber dieser Geschichte empfänglich zu sein. Seitdem sind Della und Jim ständige Gäste bei meinen Advents- und Weihnachtslesungen. Und selbst wenn keine Lesung in meinem Kalender steht, greife ich zum Buch, um abermals ihrem Zauber zu erliegen.

„Ein Dollar und siebenundachtzig Cent.“ Mit diesem Satz beginnen sie alle – alle Übersetzungen, die mir bisher bekannt sind, und bekannt waren mir bisher sieben (!) Übersetzungen. Man findet diese wunderbare Weihnachtsgeschichte in vielen Anthologien, und jeder Verlag scheint bemüht, eine eigene Übersetzung vorzulegen. Doch Übersetzung ist nicht gleich Übersetzung: Manchmal sind es nur die kleinen Feinheiten, die Einfluss auf den Tonfall einer Geschichte nehmen und so eher dem persönlichen Gusto entsprechen. So favorisiere ich die Übersetzung von Theo Schumacher, die ich als erstes kennenlernen durfte. Dieser Umstand ist sicherlich darin begründet, dass ich diese Fassung schon so häufig gelesen und mir den Text für meine Lesungen „erarbeitet“ habe. Denn fairerweise sei erwähnt, dass die anderen Übersetzer*innen ihren Job nicht weniger gut gemacht haben.



Vielleicht werdet Ihr Euch fragen, warum ich mir – wo ich schon sieben Übersetzungen mein Eigen nenne – nun noch ein Buch mit der achten Übersetzung zulege? Ganz einfach: Es sind die Illustrationen! Schon seit einiger Zeit schleiche ich um dieses Buch herum, ohne einen Blick hineinzuwerfen, aus Angst, ich könnte zum Kauf verführt werden. Denn rein rational betrachtet, brauche ich dieses Buch nicht. Doch schon die Illustration auf dem Cover hat eine magische Anziehungskraft auf mich: Zwei junge Menschen stehen in inniger Umarmung vereint. Ihre Körperhaltung zueinander drücken so viel Liebe und Zärtlichkeit aus.

In diesem Jahr konnte ich mich nicht länger beherrschen, bzw. ich hatte das Gefühl, dass ich in der momentan verrückten Zeit ein wenig Trost brauchte und wusste instinktiv, dass ich ihn beim Betrachten dieses Buches finden werde. Und so machte ich erstmalig die Bekanntschaft mit dem Talent des irischen Künstlers Patrick James Lynch, der schon Illustrationen für Kinderbücher, Märchen und klassische Geschichten kreiert und Plakate für Opernhäuser und Theater gestaltet hat. Seine Bilder zu O. Henrys Werk sind traumhaft und von einer atmosphärischen Dichte, wie ich sie vorher noch nicht gesehen hatte. Ein Blick, eine Geste, die Körperhaltung der Personen, die gewählte Bild-Perspektive und der Sepia-Ton der Bilder – dies alles steht immer im direkten Zusammenhang mit den Worten. Und trotz aller Melancholie war immer ein Schimmer der Hoffnung spürbar.

Da mir diese Geschichte so sehr vertraut ist, brauchte ich den Text nicht parallel beim Betrachten der Bilder zu lesen. Ich schaute mir nur die herrlichen Illustrationen an und ließ sie auf mich wirken. Wieder liefen mir Tränen der Rührung die Wangen hinab, und – Ja! – da verspürte ich auch ein wenig Trost!


Für alle, die nun auch die Bekanntschaft mit Della und Jim machen möchten, habe ich hier eine Liste der mir vorliegenden Fassungen zusammengestellt.

Geschichte enthalten in Anthologien mit Werken von div. Autor*innen:

  • Die Wunder zu Weihnachten. Geschichten, die glücklich machen / Übersetzung von Christine Hoeppener / erschienen im Insel Verlag
  • Nichts als Weihnachten im Kopf / Übersetzung von Regina Roßbach / erschienen im Kampa Verlag
  • Heller Stern in dunkler Nacht / Übersetzung von Elisabeth Schnack / erschienen im Arena Verlag
  • Das große Weihnachtsbuch / Übersetzung von Franziska Kleiner / erschienen im Eulenspiegel Verlag
  • Reclams Weihnachtsbuch / Übersetzung von Siegfried Schmitz/ erschienen im Reclam Verlag
  • Alle Jahre wieder / Übersetzung von Theo Schumacher / erschienen im Diogenes Verlag

Geschichte enthalten in Anthologien mit Werken von O. Henry:

Illustrierte Fassungen:

  • O. Henry: Das Geschenk der Weisen / mit Illustrationen von Lisbeth Zwerger / Übersetzung von Theo Schumacher (s.a. oben: Alle Jahre wieder) / erschienen im NordSüd Verlag
  • O. Henry: Das Geschenk der Weisen / mit Illustrationen von Patrick James Lynch / Übersetzung von Eva-Maria Altemöller / erschienen im Sanssouci Verlag

erschienen bei Sanssouci / ISBN: 978-3990560525 / in der Übersetzung von Eva-Maria Altemöller

[Rezension] O. Henry – Das Geschenk der Weisen. Und andere Weihnachtserzählungen

Der große Meister für die kleinen Geschichten über die noch kleineren Leute hat wieder zugeschlagen und erlebt – dank dem Anaconda Verlag – eine kleine Renaissance. Nachdem der Verlag mich Anfang des Jahres schon mit einer Sammlung an Geschichten quer durch sein Wirken und Werken erfreut hatte, legt er nun – pünktlich zum Weihnachtsgeschäft – ein kleines, schmales Büchlein mit Weihnachtserzählungen nach. Von Optik, Umfang und Zusammenstellung kann hier getrost von einem Geschenkbuch gesprochen werden, das durchaus als attraktive Beigabe zum Hauptgeschenk fungieren kann.

Neben o. Henrys wahrscheinlich bekannteste (und von mir so sehr geliebte) Geschichte Das Geschenk der Weisen beinhaltet diese Sammlung noch drei weitere Erzählungen mit weihnachtlichem Tenor.

Da dürfen wir den Obdachlosen Soapy kennenlernen, der beim Wintereinbruch in New York verzweifelt versucht – wie in jedem Jahr – durch ein kleines Vergehen ein warmes Plätzchen im Zuchthaus für drei Monate zu ergattern. Doch was er auch immer anstellt, die Cops wollen ihn partout nicht einbuchten…!
Oder kennt Ihr vielleicht schon den Stadtvater der Goldgräbersiedlung Yellowhammer, der es sich in den Kopf gesetzt hat, am Heiligabend alle Kinder als Weihnachtsmann verkleidet mit Präsenten zu erfreuen. Leider hat er dabei übersehen, dass es in der gesamten Siedlung kein einziges Kind gibt…!
Aber auch die Rachephantasien von Frio Kid, die er für seinen Nebenbuhler Madison Lane hegt, der statt seiner die Gunst der schönen Rosita McMullen erlangen konnte, verpuffen dank des Zaubers der Weihnacht…!

O. Henrys Geschichten handeln stets von den kleinen Leuten, die abseits des Glamours des Broadways oder fern aller Wildwest-Romantik versuchen ihr Leben zu meistern. Oftmals sind sie auf der Suche nach einem kleinen Stück vom Glück und müssen auf dem Weg dorthin so manche Unwegsamkeit überwinden. Dabei schimmert in seinen Beschreibungen immer ein Funke Hoffnung durch den scheinbar trüben Alltag. Als Meister des „Twists“ verblüfft er seine Leserschaft am Ende der Story gerne mit eben genau diesem – einer unvorhersehbaren und somit umso überraschenderen Wendung.

In seinem recht kurzen aber sehr produktiven Leben schrieb O. Henry beinah vierhundert Geschichten: Da dürfen wir uns ja noch auf so manche literarische Perle freuen.

Hinweis: Wer die Anthologie Die besten Geschichten schon sein Eigen nennt, kann sich dieses Büchlein getrost schenken, es dafür aber gerne verschenken: Die oben erwähnten vier Geschichten sind in der besagten Anthologie ebenfalls enthalten.


erschienen bei Anaconda / ISBN: 978-3730611487 / in der Übersetzung von Alexandra Berlina

LEKTÜRE zum FEST…

TATA! Ich bitte um einen Tusch! Kaum haben wir uns von T-Shirts und Shorts getrennt und sie zur Winterruhe gebettet, da steht WAS vor der Tür? Nein, nicht das Christkind und auch nicht der Weihnachtsmann – aber es wird Zeit für meine von mir so heißgeliebte Rubrik LEKTÜRE ZUM FEST.

Und wieder habe ich eine Auswahl sowohl aus den Neu-Erscheinungen wie auch der Back-List getroffen. Dabei bin ich (natürlich) mehr als nur geringfügig fündig geworden. Wenn dies Jahr für Jahr so weitergeht, dann benötige ich für meine LEKTÜRE ZUM FEST bald einen eigenen Raum, ein eigenes Regal hat sie schon…!

Selbstverständlich darf beim Fest der Liebe auch ein zünftiger Weihnachts-Krimi nicht fehlen,…

  • Gladys Mitchell – Geheimnis am Weihnachtsabend
  • Eine Leiche zum Advent. Das große Buch der Weihnachtskrimis/ herausgegeben von Otto Penzler/ mit Illustrationen von Melanie Korte
  • Oliver Schlick – Rory Shy, der schüchterne Detektiv

Übersicht LEKTÜRE ZUM FEST 2022

...aber ich hoffe natürlich sehr, dass ich Euer Interesse ebenso für meine Auswahl an Klassikern, Erzählungen und Bilder-Büchern wecken kann, und – Wer weiß? – vielleicht verlockt Euch die eine oder andere Geschichte, sie in gemütlicher Zweisamkeit oder im Kreise Eurer Lieben vorzulesen. Es würde mich freuen!

  • Dawn Casey – Wir warten auf Weihnachten. mit den schönsten Wintergeschichten aus aller Welt/ mit Illustrationen von Zanna Goldhawk
  • Janosch – Morgen kommt der Weihnachtsbär
  • L. Frank Baum – Die abenteuerliche Geschichte des Weihnachtsmannes
  • Die Wunder zu Weihnachten. Geschichten, die glücklich machen/ herausgegeben von Clara Paul
  • Rainer Moritz – Fräulein Schneider und das Weihnachtsturnier
  • Froh und munter. Mit Weihnachtsgeschichten von F. Scott Fitzgerald, Sue Hubbell, Joan Aiken u.v.a./ herausgegeben von Shelagh Armit und Marie Hesse
  • O. Henry – Das Geschenk der Weisen. Und andere Weihnachtsgeschichten
  • Monika Utnik-Strugata – Die schönste Zeit. Weihnachten in aller Welt/ mit Illustrationen von Ewa Poklewska-Kozietto
  • Nikolai Gogol – Die Nacht vor Weihnachten/ mit Illustrationen von Mehrdad Zaeri

Ich wünsche Euch von Herzen sowohl kriminalistische wie auch besinnliche Lese-Stunden!

Liebe Grüße
Andreas


P.S.: Wenn Planung und Wirklichkeit aufeinandertreffen, da kann so einiges passieren. Darum: Alle Angaben ohne Gewähr! 😉


[Rezension] O. Henry – Die besten Geschichten

William Sydney Porter – wie O. Henry mit richtigem Namen hieß – erblickt im Jahre 1892 das Licht der Welt und war zeitlebens ein wahrer „Tausendsassa“, der nichts unversucht ließ, um sich und die Seinen finanziell halbwegs über Wasser zu halten. So verdingte er sich u.a. als Verkäufer, Cowboy und Bankangestellter. Die letztere Tätigkeit hätte er lieber lassen sollen: Verführte sie ihn doch zu einer „kleinen“ Unterschlagung, bei der er (dummerweise) geschnappt wurde und daraufhin eine mehrjährige Haftstrafe verbüßen musste. Kaum wieder auf freiem Fuß trat er eine Stelle als Journalist bei der Houston Post an, konnte somit seiner bisher vernachlässigten Leidenschaft dem Schreiben frönen und avancierte in kürzester Zeit zu einem der bestbezahlten Schriftsteller Amerikas. Sein Pseudonym „O. Henry“ fand er übrigens in einem Arzneimittelhandbuch, als er sich im Gefängnis zum Apothekergehilfen weiterbildete.

Zu O. Henrys bekanntesten Geschichten zählt mit Sicherheit Das Geschenk der Weisen. Diese bitter-süße Erzählung über zwei junge Menschen, die sich so sehr zugetan sind, dass sie bereit sind, das Wertvollste was sie besitzen für den anderen herzugeben. Diese wunderschöne Geschichte ist auch bei uns in div. Übersetzungen und mannigfaltigen Aufmachungen erhältlich. Wobei ich von den vier mir bekannten Fassungen immer noch die Übersetzung von Theo Schumacher für den NordSüd-Verlag bevorzuge. Dabei möchte ich die Leistung von Alexandra Berlina zu dieser Anthologie nicht schmälern. Manchmal sind es nur die kleinen Feinheiten, die Einfluss auf den Tonfall einer Geschichte nehmen und so eher dem persönlichen Gusto entsprechen. Somit beschert uns Alexandra Berlina keine schlechtere Übersetzung als ihre Vorgänger*innen. Zumal wir in den Genuss kommen, uns weiteren Stories widmen zu dürfen.

Zur schon erwähnten Geschichte gesellen sich hier 14 weitere, die zwischen den Jahren 1906 bis 1911 entstanden sind, und uns so einen Einblick aus seinen New Yorker-Erzählungen ebenso geben, wie aus den Kurzgeschichten, die vom Leben im Wilden Westen erzählen. Diese Anthologie bietet somit einen abwechslungsreichen Querschnitt aus seinem Œuvre und ermöglicht uns, einen absoluten Meister der „short story“ näher kennenzulernen.

O. Henrys Held*innen sind immer gestrauchelte Persönlichkeiten, die oftmals am Rande des Existenzminimums leben und zu Beginn der Geschichte mit einer scheinbar ausweglosen Situation konfrontiert werden. Dabei zeichnet er das Setting nicht erdrückend düster, sondern lässt immer einen hoffnungsvollen Lichtblick in seiner Beschreibung erahnen. Ebenso spürbar ist die Sympathie, die er seinen Held*innen gegenüber empfindet. So werden sie mit ihren Gefühlen, Handlungen und Entscheidungen nie entblößt, sondern immer mit Respekt porträtiert. Am Schluss belohnt er sie mit einer geglückten Lösung.

In den meisten seiner Stories überraschte er mich zudem mit unvorhersehbaren Wendungen: So lässt er die Handlung einer vermeintlichen Pointe entgegensteuern, nur um kurz vor dem Ende mit einem unvorhersehbaren Twist eine gänzlich neue Pointe zu präsentieren. Dabei erscheinen die Wendungen absolut nachvollziehbar. Zudem lässt er es mit einer erfrischenden Leichtigkeit geschehen. Dies zeugt von seiner brillanten Erzählkunst, die ich so bisher in dieser Qualität noch nicht „erlesen“ durfte.

Mit dieser gelungenen Anthologie haben wir die Chance, einen wunderbaren Geschichtenerzähler wiederzuentdecken.


erschienen bei Anaconda/ ISBN: 978-3730610992

Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

MONTAGSFRAGE #113: Wie hoch ist euer Leseanteil in einer Fremdsprache, und warum lest ihr nicht die Übersetzung?

Die heutige MONTAGSFRAGE lässt sich schnell beantworten:

Mein Leseanteil in einer Fremdsprache beläuft sich auf NULL Prozent,
weil ich prinzipiell und ausschließlich Übersetzungen lese.

Die Gründe hierzu liegen für mich auf der Hand, wie ich es in meiner Antwort zu einer der früheren MONTAGSFRAGEN schon formuliert hatte und hier zitieren möchte:

Ich bin und bleibe ein Fremdsprachen-Legastheniker: Französisch hatte ich als Schulfach schnellstmöglich abgewählt, und als beste Note in Englisch konnte ich mit einer 4 „glänzen“. Dafür hat mein Mann ein Faible für Sprachen, war als Austauschschüler in Frankreich, frischte im Rahmen eines Bildungsurlaubes sein „Französisch“ auf und hatte zum Zwecke der urlaubsbedingten Völker-Verständigung auch schon Dänisch und Schwedisch gelernt. So kommt es, dass ich ihn in fremd(sprachig)en Gefilden immer vorschicke, während in der Heimat immer ich voran stürme. Aber ich vermisse auch nichts: Meine Kernkompetenzen liegen definitiv auf anderen Gebieten.

Und obwohl ich so gar nicht sprachaffin bin, finde ich es ganz wunderbar, dass es so viele unterschiedliche Sprachen gibt. Zeugt dies doch von einer immensen kulturellen Vielfalt auf unserer großen, bunten Welt.

So ziehe ich meinen imaginären Hut vor all den talentierten Übersetzer*innen, denen ich es verdanke, auch als Fremdsprachen-Legastheniker an dieser kulturellen Vielfalt teilhaben zu dürfen. Die Arbeit der Übersetzer*innen darf nicht unterschätzt werden: Tragen sie doch eine große Verantwortung am Erfolg eines literarischen Werkes im jeweiligen Land.

Als ich die erste Übersetzung von Edgar Allan Poes Gedicht „Der Rabe“ las, war ich etwas enttäuscht und fragte mich, warum dies nun eines der bekanntesten und beliebtesten Werke von Poe sein sollte. Meine Recherche ergab, dass im Laufe der Jahrzehnte mindestens 10 unterschiedliche deutsche Übersetzungen entstanden sind. So begab ich mich weiter auf die Suche nach einer Fassung, die den von mir erhofften Rhythmus von Sprache und Reime wiedergab, und fand sie glücklicherweise in der Übersetzung von Carl Theodor Eben.

Vor einiger Zeit habe ich zur Anthologie „Nichts als Weihnachten im Kopf“ aus dem Kampa Verlag eine Rezension veröffentlicht. In dieser wunderbaren Anthologie findet sich auch eine meiner liebsten Weihnachtsgeschichten „Das Geschenk der Weisen“ von O. Henry. Schon nach wenigen Sätzen wurde mir klar, dass es sich hier um eine Neu-Übersetzung (von/ 2019) handeln musste. Dabei erscheinen die Veränderungen zur älteren Übersetzung von Theo Schumacher aus dem Jahre 1994 nur marginal. Aber gerade diese kleinen Feinheiten nehmen Einfluss auf den Tonfall der Geschichte, bringen diese sprachlich zum Funkeln und würden mich somit immer die ältere Übersetzung wählen lassen,…

…und so trägt die Qualität der Übersetzung eine nicht unerhebliche Rolle, ob ich besagte Geschichte für eine meiner Lesungen auswähle, und sie mich so zu einer flüssigen Interpretation animiert.

…und bevorzugt Ihr das Original, oder greift Ihr doch eher zur „Fälschung“??? 


Antonia Leise von „Lauter & Leise“ hat dankenswerterweise DIE MONTAGSFRAGE: Buch-Blogger Vorstellungsrunde wiederbelebt und stellt an jedem Montag eine Frage, die Interessierte beantworten können und zum Vernetzen, Austauschen und Herumstöbern anregen soll! Ich bin gerne dabei!!!

In meinem MONTAGSFRAGE-Archiv findet Ihr Fragen & Antworten der vergangenen Wochen.

MONTAGSFRAGE #103: Welches Buch läuft leider nicht so erfolgreich, wie du es ihm wünschen würdest?

Neue Woche – neues Glück – neue Montagsfrage: Ich hoffe, Ihr hattet ein gemütliches Wochenende mit einem fleißigen Nikolaus bzw. einer fleißigen Nikoläusin. „Eigentlich“ hatte ich mich bzgl. der heutigen Montagsfrage innerlich schon entspannt zurückgelehnt und erwartete ganz traditionell die Frage, die Antonia uns auch schon in den vergangenen Jahren zu dieser Zeit gestellt hat: Welches Buch gehört dieses Jahr auf jeden Fall auf die Weihnachtswunschliste? Doch diesmal präsentiert sie eine Frage aus dem Fundus, der zur MONTAGSFRAGE #100 zusammengetragen wurde und hat mich damit mehr als kalt erwischt. In der heutigen Zeit ist auch auf nix mehr verlass! (theatralisches Seufzen)

Gerade entdecke ich die Autorin Vicki Baum (1888-1960) für mich: Von Menschen im Hotel war ich sehr begeistert, und entsprechend überraschte mich Baums moderner Tonfall, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Im Verlag Kiepenheuer & Witsch sind einige ihrer Werke noch als Taschenbuch-Ausgabe erhältlich, führen dort aber eher ein Schattendasein. Da ist es erfreulich, dass andere Verlage einen kleinen Vorstoß in Richtung Hardcover wagen: So liegt Vor Rehen wird gewarnt schon griffbereit auf meinem Couch-Tisch und wird mir die Weihnachtsfeiertage verschönen.

Natürlich darf auch eine der Jahreszeit entsprechenden Geschichte nicht fehlen. Diese kleine Geschichte fand schon häufig hier auf meinem Blog Erwähnung und gehört zum festen Repertoire meiner Advents- und Weihnachtslesungen: „Das Geschenk der Weisen“ von O. Henry. Sie hat zwar schon so einige Jahre auf dem Buckel und ist in unterschiedlichen Übersetzungen in vielzähligen Weihnachtsbüchern erschienen. Doch Obacht: Übersetzung ist nicht gleich Übersetzung. Diese Erfahrung musste ich leider allzu häufig – und somit nicht nur bei dieser Erzählung – machen. Ich persönlich kenne in der Zwischenzeit drei Übersetzungen dieser feinen und leisen Geschichte. Manchmal sind die jeweiligen Unterschiede nur gering und könnten als unerheblich eingestuft werden. Aber gerade diese minimalen Feinheiten nehmen Einfluss auf den Tonfall der Geschichte, schaffen Atmosphäre und bringen diese sprachlich zum Funkeln. So trägt die Qualität der Übersetzung eine nicht unerhebliche Rolle, ob die besagte Geschichte mein Herz berührt, und ich sie für eine meiner Lesungen auswähle.

Bei „Das Geschenk der Weisen“ von O. Henry favorisiere ich die Übersetzung von Theo Schumacher, die im NordSüd-Verlag entweder als eigenständiges Bilderbuch mit den stimmungsvollen Illustrationen von Lisbeth Zwerger oder innerhalb der Anthologie Frohe Weihnachten erschienen ist. Beide Ausführungen eignen sich hervorragend zum Verschenken – oder Ihr beschenk Euch selbst…!!! 🎁😍

…und welche literarischen Werke haben Eurer Meinung nach bisher zu wenig Aufmerksamkeit erhalten?


Antonia Leise von „Lauter & Leise“ hat dankenswerterweise DIE MONTAGSFRAGE: Buch-Blogger Vorstellungsrunde wiederbelebt und stellt an jedem Montag eine Frage, die Interessierte beantworten können und zum Vernetzen, Austauschen und Herumstöbern anregen soll! Ich bin gerne dabei!!!

In meinem MONTAGSFRAGE-Archiv findet Ihr Fragen & Antworten der vergangenen Wochen.

[Rezension] O. Henry – Das Geschenk der Weisen/ mit Illustrationen von Lisbeth Zwerger

Es gibt Geschichten, die müssen für einen Leser erst reifen, oder vielleicht muss der Leser auch erst für eine Geschichte reifer werden: Als ich vor einigen Jahren meine erste weihnachtliche Lesung vorbereitete, las ich zum ersten Mal diese Geschichte. Damals fand ich sie „nett“…

…nicht mehr, nicht weniger!

Einige Jahre später „stolperte“ ich wieder über diese Geschichte und wurde gefangen von O. Henrys melodischen Sprachstil, von der Schlichtheit seiner Erzählung und von den tiefen Gefühlen, die darin verborgen waren: Zwei junge Menschen überraschen sich gegenseitig mit einem Geschenk zum Weihnachtsfest – wenig spektakulär und gleichzeitig so wunderbar. Selbst beim wiederholten (Vor-)Lesen werde auch ich immer wieder berührt von dieser kleinen Geschichte voller Wärme und Menschlichkeit.

Eine Geschichte, die nun ihren festen Platz in meinem Vorlese-Repertoire zum schönsten Fest des Jahres gefunden hat…

…nicht mehr, nicht weniger – und doch so viel!

erschienen bei NordSüd/ ISBN: 978-3314015427

…oder siehe auch Lektüre zum Weihnachtsfest vom 28. November 2018