[Rezension] Thomas Gsella – Ich zahl’s euch reim. Neue politische Gedichte

Heinrich Heine hat es getan, Kurt Tucholsky hat es getan, Annette von Droste-Hülshoff hat es getan, Frank Wedekind hat es getan, und selbstverständlich hat Erich Kästner es auch getan, wie unzählige Poet*innen vor und nach ihnen…! Die Rede ist vom „politischen Gedicht“. Die Auseinandersetzung mit politischen Themen in Form der Lyrik ist (beinah) so alt wie die Menschheit. Dichter erhoben schon seit jeher gerne ihre Stimmen, um Missstände anzuprangern und die Mächtigen in Politik und Gesellschaft bloß zu stellen. Der besondere Reiz an dieser Form der Lyrik lag/liegt für die Leserschaft auch in der Offenbarung der persönlichen Meinung des Lyrikers, der mit seinen Versen die eigene Parteilichkeit aufdeckt.

Thomas Gsella ist in der Szene wahrlich kein Unbekannter und somit definitiv auch kein „unbeschriebenes Blatt“. Im Gegenteil: Er hat für Zeitschriften wie „Stern“ und „Titanic“ schon so manches Blatt mit seinen heiter-ironischen Versen gefüllt. Die in diesem Band veröffentlichten Gedichte sind in den Jahren zwischen 2016 und 2021 in div. Magazinen erschienen und hier nun erstmals in Buchform versammelt.

Doch was zeichnet ein politisches Gedicht aus? …vor allem sein Zeitbezug mit dem Wissen der Leser*innen um die momentane Situation. Die Pointe eines politischen Gedichts wird erst dann für mich verständlich, wenn ich um die Hintergründe weiß. Ich muss informiert sein, und dieses „informiert sein“ setzt eine eigenständige Auseinandersetzung mit den aktuellen Themen in Politik und Gesellschaft voraus.

Gsellas Interessen sind da breit gefächert. Ob Laschet/Söder/Scholz, ob Biden/Trump, ob Plagiatsvorwürfe/Fridays for Future/die Alternativen, ob Podcasts/Talkshows/wahlweise mit oder ohne Till Schweiger: Sie alle bekommen bei ihm genüsslich ihr Fett weg. Selbst die Farce um die Übersetzung der Gorman-Gedichte wird von seiner spitzen Feder nicht verschont. Vielmehr ritzt er mit ihr ins Fleisch der Gleichgültigkeit und erzwingt so meine volle Aufmerksamkeit. So manches Mal stockte mir beim Lesen erst der Atem vor so viel Frechheit, bis sich ein Lachen aus meiner Kehle befreien konnte. Der Mann hat Chuzpe – mein Respekt!

Dabei muten seine Verse bei einer oberflächlichen Betrachtung eher harmlos an. Erst ein zweiter oder sogar dritter Blick enthüllt die Respektlosigkeit. Wobei es durchaus nicht schaden kann, bei der Lektüre sein Gehirn einzuschalten. Denn für den Genuss von einer intelligenten Lyrik brauche ich als Leser eben genau das: Intelligenz! Mit einem originellen Versmaß, charmanten Formulierungen bzw. Umschreibungen und einem locker-leichten Vers-Rhythmus konnte er so auch den Vor-Leser in mir sowohl überzeugen wie auch begeistern.

Doch die Anziehungskraft eines guten Lyrikers speist sich nicht nur aus seinem Talent, zielsicher den Finger in die Wunden seiner Opfer zu legen bzw. hemmungslos mit Verse um sich zu schlagen. Vielmehr sollte er einen ausgeprägten Hang zur Selbst-Ironie besitzen. Denn die Kunst besteht darin, sich und sein Profession, zwar ernst aber nicht allzu ernst zu nehmen. Der Gsella beherrscht diese Kunst!

Wahl

Er hat ja nicht, wie man erzählt,
Die Macht sich nur ergriffen.
Nein, Hitler wurde auch gewählt.
So ist auf Wahl gepfiffen.

Gewählt sind Trump und Erdogan
(Ab jetzt wird’s immer doofer:)
Und May und Merkel und Orbán
Und, ächz, der Horst Seehofer!

Doch herrschen soll der beste Mann!
Der tollste Weltenleiter!
Sein Name fängt mit Thomas an
(Und geht mit Gsella weiter…)

Thomas Gsella


erschienen bei Kunstmann/ ISBN: 978-3956144578

Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

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