[Rezension] Heinz Janisch – Hans Christian Andersen. Die Reise seines Lebens/ mit Illustrationen von Maja Kastelic

„Buch des Monats“ im März 2020, Nominierung für „Jugendsachbuchpreis 2020 des Vereins für Leseförderung e. V.“ und eine Platzierung auf der Shortlist „Die schönsten Deutschen Bücher 2020“ – zudem war dieses Buch für drei Jahre ein fester Gast auf meiner Wunschliste. Und das ist wahrlich die größte Auszeichnung, da dies absolut nicht selbstverständlich ist. Denn die Wunschliste eines Buchbloggers ist einem stetigen Wandel ausgesetzt: Da sehe ich bei Blogger-Kolleg*innen, auf einer Verlagsseite oder in einschlägigen Foren ein Buch, dass mir interessant erscheint, und – Schwupps! – notiere ich mir den Titel auf meiner Wunschliste. Einige Monate später entdecke ich den Titel wieder auf eben jener Liste, frage ich mich, was mich daran interessiert hat, und – Schwupps! – ist der Titel wieder gestrichen. Doch einige Werke verbleiben auf dieser geheimnisvollen Wunschliste und landen dann bestenfalls im heimischen Bücherregal. So wie dieses Buch…

In einer Kutsche sitzt das Mädchen Elsa. Zusammen mit ihrer Mutter ist sie auf dem Weg nach Kopenhagen. Ihnen gegenüber sitzt ein weiterer Passagier, der Elsas Aufmerksamkeit erregt. Neugierig fragt sie ihn „Bist du alt?“. Ihre Mutter ist entsetzt, doch der Fremde entpuppt sich als der berühmte Schriftsteller Hans Christian Andersen, der nur allzu gerne auf die Fragen des wissbegierigen Kindes reagiert. Und so entwickelt sich ein lebhaftes Gespräch zwischen den Beiden in dessen Verlauf Andersen Elsa erzählt, wie aus dem Sohn eines armen Schuhmachers der gefeierte Schriftsteller werden konnte. Beinah so phantastisch wie seine Märchen mutet auch diese Geschichte an…!


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Hans Christian Andersen war wahrlich keine einfache Persönlichkeit. Er galt als Außenseiter, der mit seinem unkonventionellen Verhalten bei gesellschaftlichen Anlässen aneckte. Auch sein Erscheinungsbild schien wenig für ihn einzunehmen. So beschrieb Friedrich Hebbel ihn als „lange, schlottrige, lemurenhaft-eingeknickte Gestalt mit einem ausnehmend hässlichen Gesicht“. Auch strapazierte er die Geduld von Gastgebern und ihm bekannten Schriftstellern über Gebühr: Ein anfangs auf 14 Tage angedachter Besuch bei Charles Dickens und dessen Familie verlängerte er unabgesprochen um weitere drei Wochen. Dabei legte er solch ausgefallene Allüren an den Tag, mit denen er gewaltig am Nervenkostüm seiner Gastgeber zerrte. So kann man durchaus die Notiz verstehen, die Dickens nach Andersens Abreise auf dem Spiegel des Gästezimmers hinterließ: „Hans Andersen schlief fünf Wochen in diesem Zimmer. Der Familie kam es vor wie eine Ewigkeit.“

Zeitlebens – selbst auf der Höhe seines Erfolges – schien der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Andersen das Gefühl zu haben, er würde zu wenig Anerkennung erhalten, und so forderte er diese vehement von seinem Gegenüber ein. Mit dem Wissen um die Hintergründe ist es umso erstaunlicher, dass diese komplizierte Dichter-Persönlichkeit so wunderbare Kunstmärchen voller Anmut und Zartheit schuf. Autor Heinz Janisch nimmt in seiner Geschichte die dichte Atmosphäre der Anderschen Märchen auf und zeichnet ein ansprechenderes Bild von Dänemarks berühmtesten Dichter: Aus dem exzentrischen Eigenbrötler wird die freundliche und zugewandte Reisebekanntschaft, die nur allzu gerne mit seiner kleinen Begleiterin plaudert. Dabei verknüpft Janisch gekonnt die Lebensgeschichte des Autors mit dessen Märchen und zeigt so mögliche Parallelen auf bzw. verdeutlicht Andersens Abneigung gegen die Pädagogik der damaligen Zeit. Dabei bedient er sich einer beinah poetischen Sprache, die ihren Zauber insbesondere beim Vorlesen entfaltet (Ich weiß, wovon ich spreche. Ich habe es erprobt!). Wunderbar flüssig perlen Sätze und Dialoge über die Zunge. Janisch schuf einen charmanten Spannungsbogen, bei dem er das Märchenhafte der Geschichte nie aus dem Fokus verliert.

Maja Kastelic unterstützt mit ihren Illustrationen die Erzählung von Heinz Janisch kongenial, indem sie Elemente eines klassischen Bilderbuchs mit denen der Graphic Novel kombiniert, und so eine ganz eigen Dynamik in der Erzählweise kreiert. Dabei variierte sie in der Farbgebung, um so die unterschiedlichen Erzählebenen hervorzuheben. So wählte sie für die Vergangenheit, also für den Teil der Geschichte, der vom Werdegang Andersen handelt, einen düsteren Sepia-Ton. Die Gegenwart leuchtet in den Farben eines sonnigen Sommertags, während die Märchenaspekte in bunten Farben erstrahlen.

Zudem verführt sie uns zum besonders aufmerksamen Betrachten des Buches, da sie in ihren Bildern sowohl einige Held*innen aus Kinderbüchern wie auch deren Schöpfer*innen versteckte – eine ganz und gar charmant-respektvolle Verbeugung vor dem Talent wunderbarer Kinderbuch-Autor*innen, denen wir als Kind vergnügliche Lese-Stunden verdankten, da sie uns die Welt erklärten und sie so erfahrbarer machten.


erschienen bei NordSüd / ISBN: 978-3314104220

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