[Rezension] ESEL HUND KATZE HAHN. Geschichten, Gedichte und Lieder von den Bremer Stadtmusikanten/ Anna Lott (Hrsg.)

Ist es nicht erstaunlich? Da werden vier altersschwache Gesellen die bekanntesten Botschafter einer Stadt, die sie nachweislich nie erreicht haben. Es klingt wie im Märchen.

Es war einmal…

…im Jahre 1819, als DIE BREMER STADTMUSIKANTEN erstmals in der Sammlung „Kinder- und Hausmärchen“ der Brüder Grimm auftauchten. Doch erst 80 Jahre später entdeckten die Bremer selbst das (Werbe-)Potenzial der vier Musikanten und wussten es als Wahrzeichen für ihre Stadt zu nutzen.

Doch irgendwie hatte ich immer schon dieses undefinierbare Gefühl, dass die Geschichte nicht zu Ende erzählt wurde: Da blieben mir zu viele Fragen unbeantwortet. Glücklicherweise kann da nun Anna Lott mit diesem Bilder-Lese-Buch Licht ins märchenhaft-nebulöse Dunkel bringen. Gemeinsam mit einer Vielzahl ihrer Schreiber- und Illustrations-Kolleg*innen, die allesamt in, um oder drumherum von Bremen zuhause sind, bleiben (beinah) keine Fragen mehr offen.

Neben Herausgeberin Anna Lott steuerten ebenfalls Michael Augustin, Carolin Helm, Jörg Isermeyer, Ulrike Kuckero, Hendrik Lambertus, Johanna Lindemann, Florian Müller und Hortense Ullrich ihre phantasievollen Geschichten, Lieder oder Gedichte bei. Die Künstler*innen Anke Bär, Bettina Bexte, Lois Brendel, Ina Clement, Mario Ellert, Martin Ernsting, Ruben Hilgert, Marie-Lulu Högemann, Olaf Kock, Tessa Rath und Valeska Scholz haben das Geschriebene wunderbar in Szene gesetzt. Entstanden ist ein ganz und gar unterhaltsames und abwechslungsreiches Buch, das mir beim Anschauen und darin Schmökern eine Menge Spaß bereitet hat.

Habt ihr euch am Ende eines Märchens nicht auch schon oft gefragt, wie es weiterging? Denn irgendwie ist eine Schlusssatz wie „…und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende!“ sehr unbefriedigend, lässt Raum für Spekulationen und verführt zu einem fordernden

„Ja, und? Was passierte DANN?“

Da lieferte das Original-Märchen unseren Kreativen sowohl Impulse, die Geschichte in mannigfaltigen Richtungen weiterzuspinnen, als auch Inspiration, sich an einer moderneren Deutung zu wagen. So eröffnet das Buch mit „Des Märchens zweiter Teil“ von Michael Augustin in den farbenfrohen Pastell-Illustrationen von Marie-Lulu Högemann und erzählt die Geschichte nicht nur logisch nachvollziehbar weiter, sondern präsentiert gleichzeitig die schon längst überfällige Auflösung zum Märchen DER RATTENFÄNGER VON HAMELN. Bei „Im Taxi durch Bremen“ begleiten wir den Dachs, wie er seine tierischen Fahrgäste per Daxi (!) durch die Hansestadt zum Weserstadion kutschiert, nichtsahnend, dass einige Fahrgäste die berühmten Musiker sind, die in eben jenem Weserstadium ihren großen Auftritt haben werden. In den drolligen Illustrationen von Valeska Scholz erkannte ich viele Orte und Sehenswürdigkeiten Bremens wieder. Aber auch den vertriebenen Räubern wird eine Geschichte bzw. eine Räuberballade gewidmet: Hendrik Lambertus berichtet in „Der kleine Räuber Balduin“ von einem raffinierten Komplott zwischen den Stadtmusikanten und dem kleinsten Räuber aus der kriminellen Bande.

Bei Jörg Isermeyer scheint es sich um einen Tolkien-Fan zu handeln: Anders kann ich es mir nicht erklären, dass er die zwei Teile seines Endzeit-Märchens „Der Lauf der Dinge“ mit „Die Gefährten“ und „Die zwei Türme“ untertitelte. Natürlich schickt er in seiner modernen Version andere Tiere (Eisbär, Rentier, Orang-Utan und eine Hummel) auf eine wichtige Mission, die mit einer reduzierten aber stimmungsvollen Farbgebung von Bettina Bexte visualisiert wurde.

Kinderliedermacher Florian Müller widmet dem dynamischen Quartett gleich fünf Songs, die von Martin Ernsting eindrucksvoll verschönt wurden. Dank Anke Bär und Max Görgen dürfen wir einen exklusiven Blick in das Tour-Tagebuch der fantastischen Vier (😉) werfen und erhalten so einen humorvollen Eindruck vom Leben dieser Superstars. Anna Lott verrät uns charmant, „Wie die Bremer Stadtmusikanten unter die Erde gekommen sind“, und liefert so die Erklärung, warum aus einem Gully vor der Bremer Bürgerschaft tierische Töne zu hören sind.

Silhouette DIE BREMER STADTMUSIKANTEN

Ach, und wer von euch nun unbedingt wissen möchte, „Warum die Bremer Stadtmusikanten nie in Bremen ankamen…!“, dem wird die entsprechende Antwort von Johanna Lindemann in ihrer zwei-geteilten Geschichte beschert, die übrigens herrlich skurril von Mario Ellert verschönt wurde. Doch natürlich darf auch das Original-Märchen von 1819 nicht fehlen, das nach wie vor seinen ganz besonderen Charme hat. Lois Brendel hat das Märchen mit eleganten Illustrationen in einer Art Linoldruck verschönt, die an die wundervollen Reliefs erinnern, wie sie noch in einigen Alt-Bremer Häusern zu finden sind.

Es gibt in diesem Buch noch so viel mehr zu entdecken, und jede*r, ob nun klein oder groß, wird dabei sicherlich seine Favoriten küren: Der einen gefällt mehr diese Geschichte, dem anderen gefällt mehr jenes Gedicht. Doch genau so soll/muss es bei einem guten Bilder-Lese-Buch sein, das so sehr verführerisch ist, dass es immer wieder nur allzu gerne in die Hand genommen wird.

Stellte sich mir nur noch die (nicht ernst gemeinte) Frage, ob der Carl Schünemann-Verlag nun zu früh oder zu spät mit diesem Buch auf dem Markt kam? Der 200. Geburtstag der vier Musiker wurde schon im Jahre 2019 ganz groß gefeiert, und ihren 205. Geburtstag haben sie erst im nächsten Jahr.

Doch im Endeffekt spielt es keine Rolle, da dieses Buch einfach nur durch und durch Freude bereitet!


Schon so einige Male sind sie mir über den Weg gelaufen, und darum gibt es hier auf meinem Blog unter dem Schlagwort DIE BREMER STADTMUSIKANTEN auch bereits einiges zu entdecken.


erschienen bei Carl Schünemann / ISBN: 978-3796112089
Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

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