Es ist wohl eine der bekanntesten und beliebtesten Geschichten der Welt: Charles Dickens A CHRISTMAS CAROL. Darum wäre es für mich auch müßig, überhaupt auch nur ein Wort zu diesem Klassiker der Weltliteratur zu verlieren. Ebenso müßig ist es hierbei, der jeweiligen Übersetzung übermäßig Aufmerksamkeit zu schenken, da alle Übersetzer*innen eine großartige Arbeit geleistet haben. Oftmals sind es nur Nuancen, die für mich ausschlaggebend sind, welche Fassung mir als Vor-Leser geschmeidiger über die Lippen kommt. Da die mir vorliegenden Übersetzungen alle auf einem ähnlich hohen Niveau sind, wäre ich allerdings als „purer“ Leser nicht fähig, einen Favoriten zu küren. Da empfinde ich die unterschiedliche Benennung des Titels schon verwirrender: Neben EINE WEIHNACHTSGESCHICHTE taucht auch EIN WEIHNACHTSMÄRCHEN und EIN WEIHNACHTSLIED als Titel ein und derselben Geschichte auf.
Also erlaube ich mir, mein Augenmerk auf die optische Umsetzung zu legen. Zumal ich bereits zwei Mal das Vergnügen hatte, eine illustrierte Fassung rezensieren zu dürfen. Während ich bei Lisbeth Zwergers Illustrationen die schlichte Zurückhaltung schätze, begeistern mich die Bilder von Patrick James Lynch mit ihrer atmosphärischen Detailgenauigkeit.
Für die Illustration der vorliegenden Fassung war nun die norwegische Künstlerin Lisa Aisato verantwortlich. Wie ihre beiden Vorgänger*innen konnte auch sie mich dank ihres sehr eigenen Stils vollkommen überzeugen.
Sie schuf wahre Kunstwerke: detailreich, phantasievoll, sphärisch.
Ihre Figuren gefallen durch einen ironisierenden Realismus. Ihre Physiognomie erscheint etwas überhöht, gefällt aber durch Skurrilität und einer liebevollen Kauzigkeit. Es sind Charakterköpfe, die ich im klassischen Sinne nicht als schön bezeichnen würde. Dafür lässt sie die Gesichter „sprechen“: Die Empfindungen sind den Figuren ins Gesicht geschrieben, und Lisa Aisato zeigt kunstvoll, wie sich die Mimik durch die unterschiedlichen Gefühlsregungen verändert. Besonders eindrucksvoll empfand ich die Veränderung von Scrooges Gesicht zu Beginn der Geschichte im Vergleich zum Ende: Ein Lächeln bewirkt wahre Wunder!
Doch auch das Setting, in dem unsere Held*innen agieren, gestaltete sie atmosphärisch dicht mit einem Touch in Richtung Aquarell, der die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit fließend erscheinen ließ. Dabei wählt sie interessante Perspektiven und einen abwechslungsreichen Bildaufbau.
Welcher illustrierten Fassung würde ich nun den Vorrang geben? Ich kann es nicht sagen! Eine Entscheidung fiele mir schwer. Jede Künstlerin und jeder Künstler hat eine sehr persönliche Handschrift und eröffnet mir so immer wieder neue und überraschende Blickwinkel auf eine Geschichte, die ich so sehr liebe.
Umso schöner ist es, dass ich mich nicht entscheiden muss!
