[Rezension] Margery Allingham – CAMPION. TÖDLICHES ERBE

Das goldene Zeitalter der Kriminalroman scheint sehr fruchtbar gewesen zu sein. Wie sonst ließe es sich erklären, dass die Verlage immer wieder in den Archiven fündig werden, so manche Wiederentdeckungen entstauben und deren Schöpfer*innen gerne vollmundig auf eine Stufe mit der „Queen of Crime“ stellen. In diesem Falle wird sogar werbewirksam auf dem Einband ein Zitat von Agatha Christie „herself“ bemüht:

„Margery Allingham sticht aus der Masse heraus
wie ein helles Licht in der Dunkelheit.“

Nach so viel Lobhudelei war meine Erwartungshaltung natürlich hoch, und mit der entsprechenden Vorfreude ausgestattet begann ich mit der Lektüre…

Die Familie Gyrth ist im Besitz eines legendären Kelches. Seine Schönheit und die Legenden, die sich um ihn ranken, machen ihn unersetzlich. In einer fensterlosen Kapelle aufbewahrt, sollte er vor Diebstahl sicher sein. Aber als Percival, der derzeitige Erbe der Familie, Opfer eines verpfuschten Entführungsversuchs wird, ahnt er, dass der Schatz in Gefahr ist. Kurzentschlossen wendet er sich an Albert Campion, einen der besten Detektiv, die England je kannte. Und so beginnt Campion zu ermitteln…

(Inhaltsangabe der Homepage des Verlages entnommen!)

„Margery Allingham? Margery Allingham? Woher kenne ich diesen Namen?“ grübelte ich vor mich hin, doch der erhoffte zündende Einfall entpuppte sich als Rohrkrepierer. Erst als ich mich (dank Suchmaschine) mit der Vita der Autorin beschäftigte und mein Blick auf eine Liste vorhandener Verfilmungen haften blieb, schimmerte endlich ein Hauch von Erkenntnis durch den trüben Nebel der Unwissenheit. Ende der 80er Jahre wurden von der BBC acht Romane für das englische Fernsehen verfilmt. In den Hauptrollen standen Peter Davison in der Titelrolle und Brian Glover als Magersfontein Lugg vor der Kamera. Und eben genau diese Serie befindet sich schon seit geraumer Zeit im Bestand meiner umfangreichen DVD-Sammlung. Da ich mich nicht mehr ausreichend an sie erinnern konnte, schob ich flugs die erste DVD in den Player. Etliche Minuten später wusste ich, warum mir so wenig im Gedächtnis haften geblieben war: Die Verfilmung dieses Romans wirkte auf mich ermüdend langatmig und spannungsarm.

Dabei hält sich zumindest diese Folge nah am literarischen Original: Doch im Vergleich zur visuellen Umsetzung schaffte es die Autorin in ihrer Vorlage wenigstens eine gewisse Spannung aufzubauen und die Szenen flott abzuspulen. Ich könnte nicht behaupten, dass ich mich bei der Lektüre dieses Krimis gelangweilt hätte. Doch leider ist unser Held von einer enttäuschenden Farblosigkeit. Da werten ihn auch seine klugen Gedanken und raffinierten Schachzüge nicht auf. Sein hünenhafter Assistent Magersfontein Lugg zeigt da deutlich mehr Profil mit seiner kriminellen Vergangenheit, dem flotten Mundwerk und einer ordentlichen Portion gesundem Menschenverstand. Selbst viele der Nebenrollen haben deutlich mehr Ecken und Kanten als unser kriminalistischer Hero.

Auch wirkte die Handlung auf mich wie ein Mosaik aus nur allzu bekannten Einzelteilen und ließ mich an Werke von Edgar Allen Poe (geheimnisvolle verschlossene Räume) und Arthur Conan Doyle (geisterhafte Untier) denken. So war es dem Roman bedauerlicherweise nicht vergönnt, in Würde altern zu können, da ihm sowohl die Originalität der schon eingangs erwähnten Agatha Christie wie auch die Intelligenz einer Josephine Tey fehlen.

Fazit: Es ist durchaus ein netter, flott zu lesender Krimi. Doch leider ist die Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass er ebenso kurz in meiner Erinnerung haften bleiben wird, wie schon zuvor die TV-Serie von der BBC.


erschienen bei Klett-Cotta / ISBN: 978-3608966756 / in der Übersetzung von Edith Walter
Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

[Rezension] Agatha Christie – Etwas ist faul. Kurzgeschichten

Ich saß in meinem Sessel und schwitzte vor mich hin: Draußen brannte die Sonne vom Himmel, die sich nur dann und wann eine Pause gönnte, wenn Regenschauer sie verdunkelten. Doch dies brachte keine Erleichterung. Vielmehr sorgte die Kombination beider Wetterphänomene dafür, dass sich die tropische Flora und Fauna bei uns sehr, sehr wohl fühlen würde. Ich saß in meinem Sessel und schwitzte vor mich hin: In meinen Händen hielt ich das Rezensionsexemplar mit Erzählungen eines russischen Dichters. Ich ertappte mich dabei, wie ich schon seit geraumer Zeit auf immer die gleiche Stelle im Buch starrte ohne einen Hauch von Ahnung, was ich da gerade gelesen hatte. Ich bemitleidete mich voller Inbrunst selbst! Dann traf ich genau die richtige Entscheidung: Unter diesen Bedingungen brauchte es eine leichte unterhaltsame Lektüre…!

Unter dem Original-Titel The Listerdale Mystery erschien in Großbritannien im Jahr 1934 diese Anthologie mit 12 Kurzgeschichten, von denen einige auch über die Grenzen Englands hinaus sehr populär wurden. Besonders zwei Geschichten tauch(t)en gerne auch in anderen Zusammenstellungen auf.

In „Der Traum vom Glück“, die gerne in Sammlungen mit Weihnachtsgeschichten erscheint, schlägt ein junger, naiver Mann über die Stränge, ganz entgegen der Haltung seiner korrekten Verlobten, gönnt sich heimlich von einem Lotto-Gewinn einen Sportwagen. Schon bei seiner ersten Spritztour wird er plötzlich in eine aufregende Verwicklung mit einer unbekannten Schönen verstrickt, wie er sie sonst nur aus seinen geliebten Groschenromanen kennt. Bei „Haus Nachtigall“ (in anderen Übersetzungen auch „Villa Nachtigall“) heiratet eine junge Frau überstürzt einen ihr beinah Fremden und zieht mit ihm in ein abgelegenes Cottage. Merkwürdige Ereignisse und das widersprüchliche Verhalten ihres Gatten veranlassen sie, näheres über ihn und seine Vergangenheit in Erfahrung zu bringen.

Doch auch die anderen Geschichten sind äußerst unterhaltsam, spiegeln den damaligen Zeitgeist mit seinen gesellschaftlichen Unterschieden und den geläufigen Klischees bzw. Vorurteilen wieder. Wobei ich nach wie vor der Meinung bin, dass Agatha Christie dieses Stilmittel sehr bewusst einsetzte, um den vorherrschenden Standesdünkel zu karikieren. Ihren Hang zur Liebesschmonzette (unter dem Pseudonym Mary Westmacott veröffentlichte sie einige Liebesromane) konnte sie auch hier nicht gänzlich unterdrücken, bündelte diesen allerdings in einer heiter-ironischen Überzeichnung in der Beschreibung so mancher Situation.

Prinzipiell eine Meisterin im Kreieren von Dialogen zeigt sie hier ihr Können schon in recht frühen Jahren ihrer Karriere. Wieder einmal ertappte ich mich dabei, dass ich mitten bei dieser vergnüglichen Lektüre begann, laut zu lesen. Ein sehr gutes Zeichen für die Qualität der Dialoge! Zudem überzeugt Christie abermals mit prallen Charakteren jeglicher Couleur, wobei sie ihr Augenmerk immer besonders auf die Frauen-Typen richtet, die von ihr stets mit Selbstbewusstsein, Verve und Esprit porträtiert werden.

Der Abschluss dieser amüsanten Anthologie bildet die Geschichte „Schwanengesang“, die von einer höchst ungewöhnlichen Aufführung der Oper Tosca berichtet, bei der der Sänger des Scarpia mit einem Messer in der Brust auf offener Bühne sein Lebenslicht aushaucht. Gerade als passionierter Theaterbesucher bereitete mir diese Geschichte eine besondere Freude – zumal mein Stammtheater die neue Spielzeit mit Tosca eröffnet.

„Geschichten zum Wegnaschen“ urteilte damals The Times Literary Supplement und dieser Einschätzung kann ich mich uneingeschränkt anschließen. Zudem dieses Naschwerk bar jeglicher Kalorien und Kohlehydrate daherkommt. 😋


erschienen bei Atlantik / ISBN: 978-3455015010 / in der Übersetzung von Pieke Biermann, Hella von Brackel, Günter Eichel, Maria Meinert, Felix von Poellheim, Karl H. Schneider, Edith Walter und Renate Weigl

[Rezension] Agatha Christie – Der Hund des Todes. Erzählungen

Irgendwie hatte die „Queen of Crime“ einen deutlichen Faible zum Mystischen: Anders kann ich mir ihre Abstecher ins Übersinnliche und Gespenstische à la Edgar Allen Poe nicht erklären. Doch auch die Irrungen und Wirrungen der menschlichen Psyche bzw. die Psychoanalyse und die Psychiatrie scheinen ihr Interesse geweckt zu haben. Und so verließ sie immer wieder gerne die gewohnten Krimi-Pfade und schrieb Geschichten, die mich beim Lesen an die beliebten Horror- und Mystery-Comics meiner Jugend erinnerten – nur diesmal in Worte gefasst.

Schon bei Der seltsame Mr Quin ließ sie diese Vorliebe anklingen, der sie in dieser Anthologie noch hemmungsloser frönte: Mysteriöse Zeichen in Form eines riesenhaften Hundes warnen vor nahendem Unheil. Ein Neffe missdeutet die Warnung seines Onkels, der darauf einen gewaltsamen Tod findet. Eine scheinbar zufällig im Zugabteil zusammentreffende Gruppe von vier Männern muss schaudernd erkennen, dass ein dunkles Geheimnis sie miteinander verbindet. Da hören Anwohner aus einem Haus immer wieder das Weinen eines Kindes, obwohl dieses Haus schon seit Jahren nicht mehr bewohnt ist. Eine reiche Witwe glaubt wahnsinnig zu werden, weil aus einem Radioapparat die Stimme ihres verstorbenen Gatten ertönt. Ein junger Mann meint immer wieder zu einer bestimmten Tageszeit einen Hilferuf zu hören und zweifelt an seinem Verstand, da sein Umfeld diese Rufe nicht vernimmt. Ein anderer junger Mann benimmt sich plötzlich wie eine Katze und scheint seiner geheimnisvollen Stiefmutter hörig. Ein wohlhabender Mann hört – nachdem er Zeuge eines furchtbaren Unfalls wurde – immer wieder die zarten Töne einer Flöte und entscheidet sich für eine radikale Änderung in seinem Leben. Ein Medium steigert sich so sehr in ihre Trance hinein, dass sie den herbeigerufenen Geist materialisiert und daran verstirbt. Ein wie von Geisterhand auf einer staubigen Oberfläche erscheinendes SOS erregt die Aufmerksamkeit eines Reisenden, der dadurch einen Mord verhindern kann.

Zwischen all diesen Erzählungen, die von allerlei geheimnisvollen Ereignissen berichten, ragt Die Zeugin der Anklage beinah wie ein Fremdkörper heraus. Einerseits hat die Story mit über 70 Seiten einen deutlich üppigeren Umfang als die anderen Geschichten. Andererseits haben wir es mit einer klassischen Kriminalgeschichte zu tun, der das Übersinnliche gänzlich fehlt. Dies schmälert natürlich in keinster Weise die Qualität dieser Erzählung. Ganz im Gegenteil: Vielmehr zeigt sich hier Agatha Christies Können in Vollendung, und sie überraschte mich mit einer weiteren, mir bisher unbekannten Fassung. Mrs. Christie war sich nie zu schade, die eigenen Werke weiterzuentwickeln bzw. zu überarbeiten: Sie adaptierte gerne ihre Romane selbst für die Bühne und scheute sich nicht vor radikalen, doch bühnentauglichen Veränderungen. So wurde aus dem Roman Tod auf dem Nil mit Poirot das Bühnenstück Mord an Bord ohne Poirot. Und auch Die Zeugin der Anklage machte auf ihrem Weg von der kleinen Zeitungsgeschichte zur großen Bühne mehrere Metamorphosen durch.

Allein Die Zeugin der Anklage rechtfertigt schon den Erwerb dieses Buches – sofern eine Rechtfertigung nötig erscheint. Doch auch die anderen Geschichten verstanden es durchaus, mich zu unterhalten.


erschienen bei Atlantik / ISBN: 978-3455015034 / in der Übersetzung von Marfa Berger, Maria Meinert, Edith Walter und Renate Weigl

Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!