„Adrian Gray wurde im Mai 1862 geboren und starb Weihnachten 1931 eines gewaltsamen Todes durch die Hand eines seiner eigenen Kinder. Das Verbrechen geschah aus dem Augenblick heraus, ohne Vorsatz, und der Mörder, noch nicht beunruhigt, geschweige denn verängstigt, stand nur stumm da, starrte ungläubig die Waffe auf dem Tisch an und sah dann zu dem Toten hin, der im Halbdunkel am Fuß der schweren Vorhänge lag.“
…lauten die ersten Zeilen dieses Kriminalromans: Noch tappt der Leser im Dunkel, welcher Spross der Gray-Familie den Familien-Oberhaupt ermordet hat. Vielmehr machen wir vorerst die Bekanntschaft mit den einzelnen Mitgliedern dieser zwar angesehenen aber nicht glücklichen Familie, bei der Prestige wichtiger scheint als Menschlichkeit. So zeichnet Anne Meredith feine Portraits der Familienmitglieder, die mal mehr mal weniger Sympathie beim Leser wecken.
…und plötzlich ist der Mord geschehen: Der Leser erfährt sofort, wer diese schändliche Tat begangen hat. Die Spannung dieses Krimis beruht somit nicht auf der klassischen Frage „Whodunit?“, sondern „Wird es dem Täter gelingen, seine Spuren zu verwischen?“ und „Wie wirkt sich die Tat auf das Leben der anderen Familienmitglieder aus?“.
Der Roman besticht mit einer gut durchdachten Handlung, dem intelligenten Wechseln der Erzählperspektiven und mit geschliffenen Dialogen – eine eher unübliche wie ungewohnte Herangehensweise für Krimis, die zu jener Zeit gerne „cosy“ waren.
Von „cosy“ ist dieser psychologisch-feine Roman sehr weit entfernt, dessen Original-Titel „Portrait of a Murderer!“ mir auch deutlich passender scheint als die eher farblose deutsche Titelwahl.
Dieser Roman war ein verschollener kriminalistischer Schatz aus dem Jahre 1933, den der Klett-Cotta Verlag dankenswerterweise für uns Leser wieder ans Tageslicht gehoben hat.