[Rezension] Margaret Mitchell – Vom Wind verweht (Neu-Übersetzung)

Zuerst jahrzehntelang geliebt, verehrt, mit Tolstois „Krieg und Frieden“ verglichen und mit einem Hollywood-Monumentalfilm geadelt; dann beinah ebenso lange verspottet, zur seichten Hausfrauen-Lektüre abgekanzelt und als „politically incorrect“ verfemt: Nun startet Margaret Mitchells Erstlingswerk – wie Phönix aus der Asche steigend – hoffentlich zu einem neuen Siegeszug durch die Buchhandlungen. Zu verdanken ist dies einem rührigen Verlag, der das Potenzial hinter der trivial anmutenden Story erkannte, und das Wagnis einging, eine neue Übersetzung in Auftrag zu geben: Denn die Welt hat sich seit der ersten Übersetzung von Martin Beheim-Schwarzbach aus dem Jahre 1937 stark gewandelt. Begrifflichkeiten müssen neu überdacht und der Blick auf das Werk neu justiert werden. Und so steht in meiner Rezension auch weniger die Handlung an sich im Vordergrund – zumal ich bei einem so populären Werk den Inhalt als bekannt voraussetzen darf – vielmehr werde ich meinen Fokus auf die Übersetzungen richten. Seit etlichen Jahren steht eine gebundene Ausgabe von Vom Winde verweht in meinem Bücherregal, begleitet mich schon beinah ⅔ meines Lebens und fand somit auch Eingang in meiner Sammlung Die Bücher meines Lebens. So schlug ich neugierig (aber auch ein wenig ängstlich) die ersten Seiten der neuen Übersetzung auf und begann mit der Lektüre. Zum besseren Vergleich habe ich mir die Mühe gemacht und einige Kapitel bzw. einzelne Passagen beider Übersetzungen parallel gelesen.

Schon beim Titel fällt eine kleine aber sehr bedeutende Änderung auf: Im Zuge der Neu-Übersetzung ging dem Titel ein Buchstabe verloren. Aus dem dramatisch-schwülstigen „Vom Winde verweht“ wurde ein klareres „Vom Wind verweht“. Es ist erstaunlich, wie das Weglassen eines einzigen Buchstabens den Klang eines Titels verändern kann.

Wenn man den Gerüchten Glauben schenken darf, entstand die erste Übersetzung unter Zeitdruck: Der Erfolg des Romans schwappte über den großen Teich. David O. Selznick hatte die Filmrechte erworben und startete auf der Suche nach der Hauptdarstellerin eine Werbekampagne, die bisher einzigartig in den USA war. Der deutsche Verlag wollte möglichst schnell die Nachfrage seiner Leser*innen befriedigen: Eine deutsche Übersetzung musste her. Vielleicht lässt sich so die eine oder andere Lücke in der Handlung, die eine oder andere „holprige“ Übertragung erklären. Und doch hat Martin Beheim-Schwarzbach damals nicht schlechter gearbeitet. Schließlich war seine Übertragung ein Produkt der damaligen Zeit und begeisterte über Jahre Hunderte von Leser*innen. Damals herrschten eben ein anderer Duktus und ein anderer Ton vor, und somit ist Beheim-Schwarzbachs Leistung im historischen Kontext nicht minder zu achten.

Was häufig im Zuge der Popularität des Filmes vergessen wird, ist, dass wir es hier mit einem gut konstruierten Roman zu tun haben, der immerhin mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde. Ich glaube kaum, dass eine vor Kitsch triefende Liebes-Schmonzette (in deren Ecke „Vom Winde verweht“ gerne gedrängt wurde) diesen renommierten Preis erhalten hätte. Margaret Mitchell wandte sich gegen dem damals vorherrschenden Trend und schuf mit Scarlett O’Hara und Rhett Butler zwei Anti-Helden, die beide völlig gegen dem gängigen Klischee agierten und denen ein Happy End verwehrt wurde. Ihr Werk kann sowohl als Anti-Kriegs- als auch als Emanzipations-Roman gesehen werden.

Auf stattlichen 1328 Seiten durchleben Mitchells Protagonist*innen existenzielle Veränderungen und sind Schicksalsschlägen ausgesetzt, die sie zwingen, ihre wahren Charaktere zu offenbaren. Dabei liegt der Fokus deutlich verstärkt auf den weiblichen Figuren, die hier vor dem Hintergrund einer sich schnell verändernden Zeit gezwungen werden, eine rapide Entwicklung zu durchlaufen. Den Leser*innen wird ein buntes Kaleidoskop an (vornehmlich) weiblichen Identifikationsfiguren präsentiert: Neben den unterschiedlichen Mütter-Figuren wie Ellen O’Hara oder Beatrice Tarleton, die mit sehr antagonistischen Methoden Familie, Bedienstete und Plantage managen, gibt es mit der Sklavin Mammy eine resolute Persönlichkeit, der ihr Stand zwar bewusst ist aber sich von ebensolchem Dünkel nicht befreien kann. Scarlett O’Hara vereint in ihrem egoistischen, dem eigenen Vorteil bedachten und sprichwörtlich über Leichen gehenden Verhalten eher männliche Züge. Diesen Widerspruch zum damalig vorherrschenden Rollenklischee versucht sie mit anerzogenen weiblichen Verhaltensmustern zu kontrastieren. Für Rhett Butler ist sie ein ebenbürtiges Gegenüber: Obwohl er sie völlig durchschaut – dafür sind sich diese beiden Charaktere zu ähnlich – begehrt und liebt er sie, würde sich für sie aber nie gänzlich offenbaren. So wahrt er seine Geheimnisse, die weder Scarlett noch die Leser*innen erfahren werden. Während ihm Scarletts damenhaftes Getue eher amüsiert und zur Ironie reizt, hegt er gegenüber Melanie Wilkes eine zarte Sympathie und verspürt einen tiefen Respekt, gerade weil sie mit jeder Faser ihres Seins eine Dame ist. Mitchell beschreibt sie als eine eher unscheinbare junge Frau von zarter Konstitution, unter der sich eine überraschende Zähigkeit verbirgt, mit einem scharfen Verstand und bar jeglicher Falschheit. So ist für mich auch eher Melanie die eigentliche, häufig unterschätzte Heldin dieses Romans.

In der Übersetzung des Duos Andreas Nohl und Liat Himmelheber wurden rassistische Untertöne deutlich gemildert: Das Wort „Nigger“ findet sehr überlegt Anwendung und beschreibt darüber hinaus eher die Haltung von demjenigen, der dieses Wort benutzt. Im Alltagsgespräch wird vielmehr von „Darkys“ gesprochen und wirkt auf mich als Leser weniger diskriminierend. Doch nicht immer scheint die Abmilderung gänzlich gelungen. So bemühen die Übersetzer sich, die Physiognomie der „Darkys“ (😉) möglichst neutral zu beschreiben, und es wirkt auf mich auch genauso: bemüht! Birgt in der Beschreibung eines Gesichtes schon eine Gefahr zum Rassismus? Doch trotz dieses kleinen Einwands empfinde ich die Neu-Übersetzung als absolut gelungen. Sie erscheint beträchtlich schlanker, beinah sachlich – von übermäßigen Pathos befreit und dadurch deutlich zeitgemäßer in einer erfrischenden Leichtigkeit. Und wie beim fehlenden Buchstaben im Titel, sind es manchmal nur Kleinigkeiten, die die Aussage eines Satzes verändern können: War Scarletts letzte Satz bisher ein „Schließlich, morgen ist auch ein Tag!“, schließt sie den Roman nun mit einem optimistischeren „Schließlich: Morgen ist ein neuer Tag!“.

So erhält „Vom Wind verweht“ endlich die verdiente Chance, den Dünkel der Trivialität abzuschütteln und seinen angestandenen Platz im Kreise der großen Unterhaltungsliteratur einzunehmen.


Anmerkung: Das in unserer heutigen verrückten Welt, wo Worte plötzlich eine neue Bedeutung erhalten und von Menschen für ihre niederen Zwecke missbraucht werden, literarische Werke neu überdacht werden, finde ich wichtig und richtig. Doch ich möchte auch auf folgendes hinweisen: Ich habe „Vom Winde verweht“ gelesen und bin kein Rassist geworden. Ich habe mich als Kind über Pippi Langstrumpf und ihrem Vater, dem Negerkönig in Taka-Tuka-Land amüsiert und bin kein Rassist geworden. Ich habe Agatha Christies Krimi „Und dann gab’s keines mehr“, in dem der alte Kindereim „Zehn kleine Negerlein“ eine entscheidende Rolle spielt, mit Freude gelesen und bin kein Rassist geworden. Kein Mensch wird ein Rassist, weil er diese Bücher gelesen hat. Ein Mensch wird ein Rassist, weil er in seinem gestörten Weltbild eine verabscheuungswürdige Ideologie verinnerlicht hat und somit zu großmütigen Gesten wie Toleranz und Menschlichkeit, die wichtige Säulen unserer Gesellschaft sind, nicht fähig ist.


erschienen bei Kunstmann/ ISBN: 978-3956143182

Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

4 Kommentare zu „[Rezension] Margaret Mitchell – Vom Wind verweht (Neu-Übersetzung)

  1. Hättest Du die Anmerkung nicht geschrieben, hätte ich das getan. 😉

    Gegen Neuübersetzungen spricht natürlich wenig, solange diesen Neuübersetzungen nicht die „sprachliche Entschärfung“ als Intention zugrunde liegt. Denn Texte sollten eigentlich immer vor dem Kontext ihrer zeitlichen Entstehung gelesen werden und ich kann von halbwegs mündigen Lesern – außer Friedrich Merz – erwarten, dass sie ein Buch auch dementsprechend einordnen.

    Im Übrigen kann ich zur hier vorliegenden Übersetzung nichts sagen, weil ich noch nicht mal das in meinem Bücherschrank befindliche Exemplar aus den 50ern gelesen habe. Ich weise nur darauf hin, dass am Beispiel „Herr der Ringe“ anschaulich deutlich gemacht werden kann, dass eine Neuübersetzung nicht immer eine gute Idee sein muss … 😉

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    1. …„mündiger Leser“: Du sagst es, und darum meine Anmerkung!!! Ich habe häufig schon Rezensionen gelesen, in denen mit einem Aufschrei der Empörung darauf hingewiesen wurde, dass gewisse Formulierungen in der heutigen Zeit so nicht mehr „politically correct“ sind. Und ich gebe ihnen Recht – wenn es sich dabei um aktuelle Werke lebender Autor*innen handelt.
      Aber ich bleibe mal bei meinem Beispiel mit Pipi Langstrumpf und ihrem Papa, dem Negerkönig in Taka-Tuka-Land: Ich bin mir sicher, dass es niemanden gibt, der Astrid Lindgren in ihren Werken Rassismus unterstellt. Es war eine Formulierung, die in der Entstehungszeit des Buches gang und gebe war. Als „mündiger Leser“ weiß ich so etwas: Eine Neu- bzw. Umformulierung ist somit für meine Begriffe völlig fehl am Platze.
      Zu „Vom Wind(e) verweht“: Die Unterschiede in der Übersetzung fallen natürlich im direkten Vergleich besonders ins Auge. Ich habe zu meinem Glück den Luxus, dass ich nun beide Versionen mein Eigen nennen darf. Auch wenn ich die Neu-Übersetzung leichter und zeitgemäßer empfinde, habe ich beider Versionen gleich gerne gelesen!

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  2. Letztes Zitat Rhett Butlers: Idon´t give you a damm (Es ist mir egal)
    Die neue ,wohl nicht sehr treffende Übersetzung, lautet: “ Es interessiert mich nicht die Bohne“

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