MONTAGSFRAGE #134: Gibt es ein Buch, das Dir sehr gefallen hat, Du aber nicht noch einmal lesen würdest?

„Sag niemals nie…!“ – Sean Connerys letzter Einsatz als Spion im Auftrag ihrer Majestät könnte durchaus auch als Untertitel für diese MONTAGSFRAGE dienen. „Sag niemals nie…!“ – Sicher könnte ich jetzt vollmundig behaupten, dass ich das eine oder andere Werk nicht mehr lesen würde, obwohl es mir sehr gefallen hat, aber

…aber was schert mich in einer Woche/einem Monat/einem Jahr mein Geschwätz von heute, wenn ich gerade dann zu genau diesem/jenen/welchen Zeitpunkt das dringende, unbändige und nicht zu stillende Bedürfnis verspüre, eben genau das Werk wieder lesen zu wollen, das ich nicht noch einmal lesen wollte. Somit ist meine Antwort zur heutigen MONTAGSFRAGE auch nur als ein kurzfristig gültiges Zeitdokument zu sehen – sozusagen ein Schnappschuss, der meine momentane Meinung im Wort festhält aber keine Gültigkeit für die Ewigkeit besitzt. Logisch, oder?

Doch nun hurtig ran an eine Beantwortung der Frage: Ich würde gerne die besagten Bücher in zwei Kategorien einteilen:

  1. Bücher, die mir sehr gefallen haben, die ich aber nicht nochmals lesen würde und darum auch nicht mehr in meinem Besitz sind.
  2. Bücher, die mir sehr gefallen haben, die ich aber nicht nochmals lesen würde aber trotzdem für immer und ewig in meinem Besitz bleiben werden.

Zur 1. Kategorie zählen interessanterweise viele Bücher, die ich im Rahmen meiner Blogger-Tätigkeit teilweise als Rezensionsexemplar zwecks Besprechung erhalten habe. Alle diese Bücher haben mir wirklich so sehr gefallen, dass ich vollmundige Rezensionen verfasst und sie überschwänglich gelobhudelt habe. Dieses Urteil habe ich voller Überzeugung getätigt, und ich würde diese Bücher auch immer wieder wärmstens weiter empfehlen. Doch da auch meine Lebenszeit begrenzt ist, und ich zudem den Wunsch verspüre, ganz viel und mir noch unbekannte Literatur zu entdecken, habe ich diese Werke (durchaus mit einem weinenden Auge) weiterziehen lassen. Zu diesen Büchern zählen u.a.:

Zur 2. Kategorie zählen hauptsächlich Werke, die mich in einer besonderen Lebenssituation getroffen haben – und „treffen“ trifft es genau! Unsere Begegnung war so prägend, dass sie zum Teil in die Ruhmeshalle „Die Bücher meines Lebens“ eingezogen sind. Da möchte ich gerne zwei Werke stellvertretend nennen:

Beide Werke dürfen sich mit Recht als Epos bezeichnen, denn allein von ihrem Seiten-Umfang sind sie epochal und können so durchaus einschüchternd wirken. „Vom Wind verweht“ bringt es in der Neuübersetzung auf stattliche 1200 Seiten und wird von „Die Elenden“ mit über 1500 Seiten sogar noch übertrumpft. Da würde ich es mir sehr genau überlegen, ob ich mich an eine solche literarische Schwarte nochmals ran traue. Zudem schlummert in mir die Angst, dass ich sie bei einem wiederholten Lesen vom Sockel des Besonderen stoße und somit brutal entzaubere, da sich meine Sichtweise (zwangsläufig) nach all den Jahren verändert hat. Ist es mir das wert…???

Diese Bücher sind so sehr mit mir und meinem Leben verwoben, dass sie immer ihren Platz in meinem Bücherregal haben werden.

…???


Antonia Leise von „Lauter & Leise“ hat dankenswerterweise DIE MONTAGSFRAGE: Buch-Blogger Vorstellungsrunde wiederbelebt und stellt an jedem Montag eine Frage, die Interessierte beantworten können und zum Vernetzen, Austauschen und Herumstöbern anregen soll! Ich bin gerne dabei!!!

In meinem MONTAGSFRAGE-Archiv findet Ihr Fragen & Antworten der vergangenen Wochen.

MONTAGSFRAGE #106: Was war dein Lesehighlight 2020?

Nur noch einige wenige Tage und dann wird dieses Jahr endlich der Vergangenheit angehören. Nie zuvor war ich so froh, dass ein Jahr vorbei geht, wie in 2020. Aber nie zuvor hat uns ein Jahr auch so viel abverlangt wie in 2020. Was wird uns das Schicksal für das Jahr 2021 bereithalten?

Meine frühere Chefin und ich saßen am letzten Arbeitstag des Jahres gerne auf einer Tasse Kaffee zusammen und ließen gemeinsam das vergangene Jahr mit seinen vielfältigen Aufgaben, Ereignissen und Herausforderungen Revue passieren. In den ersten Jahren unserer Zusammenarbeit verabschiedeten wir uns mit dem hoffnungsvollen Satz „Im nächsten Jahr wird alles besser!“. Aber es wurde nicht unbedingt „besser“, vielmehr endwickelte sich das folgende Jahr meistens anders als gedacht. Darum änderten wir auch unseren Jahresabschluss-Satz in „Im nächsten Jahr wird alles anders!“.

Und doch wünsche ich mir für das Neue Jahr ganz unbescheiden beides: Das Jahr 2021 soll bitte „besser“ und somit „anders“ als das Jahr 2020 werden!

Was aber niemals „besser“ war, und somit auf keinen Fall „anders“ werden soll, ist meine Liebe zum Lesen. In diesem Jahr durfte ich mich an gänzlich unterschiedlichen und doch sehr besonderen Lektüren erfreuen. Zwar segelte ich durchaus auch auf bekannten Gewässern, erforschte aber ebenso unbekannteres Terrain. Bei meinem Rückblick stellte ich mit ein wenig Verwunderung fest, dass meine Lesehighlights in diesem Jahr eher „die ollen Kamellen“ waren, die entweder von mir erstmals wahrgenommen oder wiederentdeckt wurden.


Im Februar beschäftigte ich mich mit Margaret Mitchells Epos Vom Wind verweht, das in einer frischen Neu-Übersetzung erschienen ist. Dieser Klassiker fand schon Eingang in Die Bücher meines Lebens und animierte mich zu der Abhandlung Wie ein Cover die Wahrnehmung beinflusst.

Der Juli stand ganz im Zeichen von Erich Kästner und seinem Werk: Besonders das kleine Büchlein Über das Verbrennen von Büchern nahm mich gefangen. Seine Berichte u.a. über die Bücherverbrennung im Mai 1933 sind Zeugnis und Mahnung zugleich.

Im Rahmen meiner kleinen Kästner-Retrospektive beschäftigte ich mich erstmals auch mit dem Erfinder der charmanten Bildergeschichten Vater und Sohn. Erich Ohser (alias E.O. Plauen) war ein enger Freund Kästners, dessen Schicksal mich erschütterte.

An Menschen im Hotel von Vicki Baum wagte ich mich im September und erlebte eine kleine Überraschung: Ich erwartete eine in die Jahre gekommene Geschichte und entdeckte einen fesselnden Gesellschaftsroman. Mein Interesse an weiteren Werken der Autorin war geweckt…!

Im Oktober traute ich mich endlich, einen Blick in die Schmuckausgabe von Michael Endes Die unendliche Geschichte zu werfen und wurde nicht enttäuscht: Die Illustrationen von Sebastian Meschenmoser sind berauschend. Warum ich zögerte? Auch dieser Kinderbuchklassiker gehört zu Die Bücher meines Lebens.

Ebenfalls im Oktober begeisterte mich der eindrucksvolle Bildband LOVING: Männer, die sich lieben. Fotografien von 1850-1950 und berührte mein Herz. Über Jahre haben die beiden Autoren Hugh Nini und Neal Treadwell Fotos liebender Männer gesammelt, die zu einer Zeit entstanden sind, als die Gesellschaft weniger liberal eingestellt war.


So endet der Jahresrückblick mit meinen Lesehighlights doch eher hoffnungsfroh: Mit einem guten Buch als Begleiter stelle ich mich auch den Herausforderungen des Neuen Jahres.

Es gibt noch so viele wunderbare Bücher zu entdecken, und auch im Jahre 2021 werden einige weitere dazu kommen…!

…und was waren Eure Lesehighlights 2020?


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MONTAGSFRAGE #82: Welche Neuerscheinung des Jahres hat dich bisher richtig umgehauen?

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass mich keines der neu erschienenen und von mir gelesenen Bücher „richtig umgehauen“ hat. Das mag daran liegen, dass ich mich einigen Romanen aus dem Herbst-Programm erst jetzt widmen konnte und somit nur wenig Zeit fand, um die Neuerscheinungen dieses Jahres zu lesen. Zudem war ich für April mit der ersten Runde zu Literaten im Fokus beschäftigt, bin weiterhin in der Vorbereitung für die nächsten Runden und musste leider die Vorstellungen der Autoren neu terminieren: Der Erscheinungstermin für einige Bücher, die ich unbedingt vorstellen möchte, wurde vom Verlag verschoben, und so gibt es meine Mini-Retrospektive über Georges Simenon erst im Frühjahr 2021.

Doch die wenigen Neuerscheinungen, die mir in die Finger kamen, haben mir durchaus gefallen,…

…aber „richtig umhauen“ mit Karacho, Trommeln und Fanfaren konnte mich leider keines der beiden Werke.

Am ehesten trifft dies auf die Neu-Übersetzung eines alten Klassikers zu,…

…der in Text und Optik „ent-kitscht“ wurde und somit verjüngt auf neue Leser*innen wartet.

Es zeichnet sich jedoch jetzt schon ab, dass auch die Herbst-Saison mir nur vereinzelt Neuerscheinungen bescheren wird: Mit „Literaten im Fokus“ bin ich weiterhin gut beschäftigt, und zudem möchte ich meinem SuB mehr Aufmerksamkeit schenken.

…und welche Neuerscheinungen haben Euch begeistert???


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Vom Wind(e) verweht: Wie ein Cover die Wahrnehmung beeinflusst…

Schon immer war das Design eines Covers dem jeweiligen Zeitgeschmack ausgesetzt und spiegelte sich in der präferierten Ästhetik wieder. Ein Cover sollte im besten Fall für den enthaltenen Roman als Werbung fungieren, somit die Aufmerksamkeit der Leserschaft auf das Werk lenken und deren Begehrlichkeit wecken. Gleichzeitig soll es auch über den Inhalt informieren und dessen Besonderheiten hervorheben. Aber die Art der Cover-Gestaltung kann ein literarisches Werk auch durchaus schaden und ihm ein eher negatives Image verpassen. „Vom Wind(e) verweht“ ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie das Cover-Design sein Image prägte, und der Roman so zwischen den ambivalenten Polen „Weltliteratur“ und „Groschenroman“ hin und her pendelte.

Ich habe mir den Spaß erlaubt und einen Blick auf die Cover-Gestaltung der letzten Jahrzehnte geworfen: Alle Angaben erfolgen ohne Anspruch auf Vollständigkeit und sind somit „ohne Gewähr“!


Claassen - 1937.jpg

1937 erschien der Roman erstmals im Claassen-Verlag mit einem zeittypischen Umschlagbild in einer eher reduzierten Farbgebung. Auf dieses Ursprungs-Design wurde vom Verlag im Laufe der Jahre gerne zurückgegriffen. So auch im Jahre 1984 als der Film zu Weihnachten zum ersten Mal im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde und dem Roman zu neuer Popularität verhalf. Die Übersetzung stammte von Martin Beheim-Schwarzbach.

Doch auch der Claassen-Verlag war vor geschmacklichen Verfehlungen nicht gefeit: So wirkt das Cover von 1970 sehr plakativ, lässt eine schmalzige Liebes-Schmonzette vermuten und hätte auch als Werbung für den Film fungieren können. Folge-Auflagen wirken da durchaus dezenter, griffen in der Farbgestaltung auf ein gedecktes Violett zurück und wählten Filmfotos in einem Sepia-Ton. Stehen bei den gewählten Fotos zwar durchaus Vivien Leigh und Clark Gable im Mittelpunkt, so wurde wenigstens auf ein schmachtendes Anhimmeln bzw. einen Kuss verzichtet. Kurzzeitig wurde der Roman im Jahre 1978 auch im Kölner Lingen-Verlag publiziert: Aufgrund dessen seitenstarkem Umfangs entschied man sich hier für einen Zwei-Teiler – eine Entscheidung, die sicher bei vielen Leser*innen eine Sehnenscheidenentzündung der Hand verhindert hat. Die Gestaltung des Covers war ganz im Stil der 70er-Jahre: klar, frisch und mit wenigen aber leuchtenden Farben.


Im Taschenbuch-Format machte Margaret Mitchells Epos eine erstaunliche Reise durch die Verlage: beginnend im „rororo“ Rowohlt Verlag über den Heyne-Verlag bis zum Ullstein-Verlag, wo nach wie vor die aktuell erhältliche Taschenbuch-Fassung (Übersetzung: Martin Beheim-Schwarzbach) verlegt wird. Bei der Gestaltung der Covers verwendeten die Verlage gerne knallige Rot-Violett-Töne und griffen zwecks besserer Wiedererkennung auf die bekannten Filmfotos zurück. Doch in dieser Kombination rückt der Roman leider eher in die Nähe des Bahnhofskiosks und weniger in Richtung Bibliothek.


Auch in den diversen Buch-Clubs erfreute sich „Vom Winde verweht“ eine immense Beliebtheit. Gerne wurde auch dort auf die bewerten Konterfeis von Leigh und Gable zurückgegriffen oder zumindest als Illustration angedeutet. Wobei es hier zwei außergewöhnliche Ausnahmen gab: In der Ausgabe der Büchergilde Gutenberg von 1996 zeigt eine Pastellkreide-Zeichnung kindlich-naive Szenen des Plantagen-Lebens im sonnigen Süden der USA und steht damit karikierend entgegen dem Inhalt. Dagegen wirkt das Cover vom Deutschen Bücherbund von 1964 überraschend modern und erinnert in seiner Ästhetik an die Covers verschiedener Indie-Verlage neueren Datums.


Auch in der DDR erschien der Roman 1964 im Verlag Buch und Welt. Selbstverständlich wurde bei der Gestaltung des Umschlags auf die Verwendung von Filmfotos verzichtet. Über die Gründe kann ich nur spekulieren: Einerseits war der Film hier weniger bekannt, andererseits könnten auch urheberrechtliche Gründe eine Rolle gespielt haben. Ein Novum stellte dafür die Taschenbuch-Ausgabe aus dem Rütten & Roening-Verlag von 1989 dar: Zum einen wurde der Roman zwecks besserem Handlings drei-geteilt, andererseits zierte die Covers jeweils eine stilisierte Pusteblume im unterschiedlichen Stadium des „Verwehens“. Diese einfache wie geniale Idee habe ich gerne bei der Wahl des Bildes zu diesem Beitrag aufgegriffen.


Kunstmann - 2020.jpg

Nun im Jahre 2020 stehen die Zeichen günstig für ein Comeback von Margaret Mitchells Epos. 70 Jahre nach ihrem Tod wurden die Rechte an dem Werk gemeinfrei. Der rührige Kunstmann-Verlag ergriff die Chance und schenkte dem Werk nicht nur eine neue Übersetzung durch Andreas Nohl und Liat Himmelheber. Auch das Cover erhielt – passend zur schlankeren Übersetzung – eine überfällige Frischzellen-Kur, wirkt nun deutlich eleganter und knüpft in seiner reduzierten Farbgebung an die Tradition des Ursprungs-Covers an. Bei seinem Umfang von 1328 Seiten muss die/der Leser*in zwar weiterhin einen literarischen Ziegelstein stemmen, dafür braucht der Roman aber nicht mehr verschämt versteckt und kann auch hemmungslos in der Öffentlichkeit gelesen werden. Happy End!


Für alle die vom Thema „Buchcover-Klischees“ nicht genug bekommen, möchte ich gerne den äußerst kurzweiligen Beitrag meiner Blogger-Kollegin Marion Rave von „schiefgelesen“ ans Herz legen.

[Rezension] Margaret Mitchell – Vom Wind verweht (Neu-Übersetzung)

Zuerst jahrzehntelang geliebt, verehrt, mit Tolstois „Krieg und Frieden“ verglichen und mit einem Hollywood-Monumentalfilm geadelt; dann beinah ebenso lange verspottet, zur seichten Hausfrauen-Lektüre abgekanzelt und als „politically incorrect“ verfemt: Nun startet Margaret Mitchells Erstlingswerk – wie Phönix aus der Asche steigend – hoffentlich zu einem neuen Siegeszug durch die Buchhandlungen. Zu verdanken ist dies einem rührigen Verlag, der das Potenzial hinter der trivial anmutenden Story erkannte, und das Wagnis einging, eine neue Übersetzung in Auftrag zu geben: Denn die Welt hat sich seit der ersten Übersetzung von Martin Beheim-Schwarzbach aus dem Jahre 1937 stark gewandelt. Begrifflichkeiten müssen neu überdacht und der Blick auf das Werk neu justiert werden. Und so steht in meiner Rezension auch weniger die Handlung an sich im Vordergrund – zumal ich bei einem so populären Werk den Inhalt als bekannt voraussetzen darf – vielmehr werde ich meinen Fokus auf die Übersetzungen richten. Seit etlichen Jahren steht eine gebundene Ausgabe von Vom Winde verweht in meinem Bücherregal, begleitet mich schon beinah ⅔ meines Lebens und fand somit auch Eingang in meiner Sammlung Die Bücher meines Lebens. So schlug ich neugierig (aber auch ein wenig ängstlich) die ersten Seiten der neuen Übersetzung auf und begann mit der Lektüre. Zum besseren Vergleich habe ich mir die Mühe gemacht und einige Kapitel bzw. einzelne Passagen beider Übersetzungen parallel gelesen.

Schon beim Titel fällt eine kleine aber sehr bedeutende Änderung auf: Im Zuge der Neu-Übersetzung ging dem Titel ein Buchstabe verloren. Aus dem dramatisch-schwülstigen „Vom Winde verweht“ wurde ein klareres „Vom Wind verweht“. Es ist erstaunlich, wie das Weglassen eines einzigen Buchstabens den Klang eines Titels verändern kann.

Wenn man den Gerüchten Glauben schenken darf, entstand die erste Übersetzung unter Zeitdruck: Der Erfolg des Romans schwappte über den großen Teich. David O. Selznick hatte die Filmrechte erworben und startete auf der Suche nach der Hauptdarstellerin eine Werbekampagne, die bisher einzigartig in den USA war. Der deutsche Verlag wollte möglichst schnell die Nachfrage seiner Leser*innen befriedigen: Eine deutsche Übersetzung musste her. Vielleicht lässt sich so die eine oder andere Lücke in der Handlung, die eine oder andere „holprige“ Übertragung erklären. Und doch hat Martin Beheim-Schwarzbach damals nicht schlechter gearbeitet. Schließlich war seine Übertragung ein Produkt der damaligen Zeit und begeisterte über Jahre Hunderte von Leser*innen. Damals herrschten eben ein anderer Duktus und ein anderer Ton vor, und somit ist Beheim-Schwarzbachs Leistung im historischen Kontext nicht minder zu achten.

Was häufig im Zuge der Popularität des Filmes vergessen wird, ist, dass wir es hier mit einem gut konstruierten Roman zu tun haben, der immerhin mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde. Ich glaube kaum, dass eine vor Kitsch triefende Liebes-Schmonzette (in deren Ecke „Vom Winde verweht“ gerne gedrängt wurde) diesen renommierten Preis erhalten hätte. Margaret Mitchell wandte sich gegen dem damals vorherrschenden Trend und schuf mit Scarlett O’Hara und Rhett Butler zwei Anti-Helden, die beide völlig gegen dem gängigen Klischee agierten und denen ein Happy End verwehrt wurde. Ihr Werk kann sowohl als Anti-Kriegs- als auch als Emanzipations-Roman gesehen werden.

Auf stattlichen 1328 Seiten durchleben Mitchells Protagonist*innen existenzielle Veränderungen und sind Schicksalsschlägen ausgesetzt, die sie zwingen, ihre wahren Charaktere zu offenbaren. Dabei liegt der Fokus deutlich verstärkt auf den weiblichen Figuren, die hier vor dem Hintergrund einer sich schnell verändernden Zeit gezwungen werden, eine rapide Entwicklung zu durchlaufen. Den Leser*innen wird ein buntes Kaleidoskop an (vornehmlich) weiblichen Identifikationsfiguren präsentiert: Neben den unterschiedlichen Mütter-Figuren wie Ellen O’Hara oder Beatrice Tarleton, die mit sehr antagonistischen Methoden Familie, Bedienstete und Plantage managen, gibt es mit der Sklavin Mammy eine resolute Persönlichkeit, der ihr Stand zwar bewusst ist aber sich von ebensolchem Dünkel nicht befreien kann. Scarlett O’Hara vereint in ihrem egoistischen, dem eigenen Vorteil bedachten und sprichwörtlich über Leichen gehenden Verhalten eher männliche Züge. Diesen Widerspruch zum damalig vorherrschenden Rollenklischee versucht sie mit anerzogenen weiblichen Verhaltensmustern zu kontrastieren. Für Rhett Butler ist sie ein ebenbürtiges Gegenüber: Obwohl er sie völlig durchschaut – dafür sind sich diese beiden Charaktere zu ähnlich – begehrt und liebt er sie, würde sich für sie aber nie gänzlich offenbaren. So wahrt er seine Geheimnisse, die weder Scarlett noch die Leser*innen erfahren werden. Während ihm Scarletts damenhaftes Getue eher amüsiert und zur Ironie reizt, hegt er gegenüber Melanie Wilkes eine zarte Sympathie und verspürt einen tiefen Respekt, gerade weil sie mit jeder Faser ihres Seins eine Dame ist. Mitchell beschreibt sie als eine eher unscheinbare junge Frau von zarter Konstitution, unter der sich eine überraschende Zähigkeit verbirgt, mit einem scharfen Verstand und bar jeglicher Falschheit. So ist für mich auch eher Melanie die eigentliche, häufig unterschätzte Heldin dieses Romans.

In der Übersetzung des Duos Andreas Nohl und Liat Himmelheber wurden rassistische Untertöne deutlich gemildert: Das Wort „Nigger“ findet sehr überlegt Anwendung und beschreibt darüber hinaus eher die Haltung von demjenigen, der dieses Wort benutzt. Im Alltagsgespräch wird vielmehr von „Darkys“ gesprochen und wirkt auf mich als Leser weniger diskriminierend. Doch nicht immer scheint die Abmilderung gänzlich gelungen. So bemühen die Übersetzer sich, die Physiognomie der „Darkys“ (😉) möglichst neutral zu beschreiben, und es wirkt auf mich auch genauso: bemüht! Birgt in der Beschreibung eines Gesichtes schon eine Gefahr zum Rassismus? Doch trotz dieses kleinen Einwands empfinde ich die Neu-Übersetzung als absolut gelungen. Sie erscheint beträchtlich schlanker, beinah sachlich – von übermäßigen Pathos befreit und dadurch deutlich zeitgemäßer in einer erfrischenden Leichtigkeit. Und wie beim fehlenden Buchstaben im Titel, sind es manchmal nur Kleinigkeiten, die die Aussage eines Satzes verändern können: War Scarletts letzte Satz bisher ein „Schließlich, morgen ist auch ein Tag!“, schließt sie den Roman nun mit einem optimistischeren „Schließlich: Morgen ist ein neuer Tag!“.

So erhält „Vom Wind verweht“ endlich die verdiente Chance, den Dünkel der Trivialität abzuschütteln und seinen angestandenen Platz im Kreise der großen Unterhaltungsliteratur einzunehmen.


Anmerkung: Das in unserer heutigen verrückten Welt, wo Worte plötzlich eine neue Bedeutung erhalten und von Menschen für ihre niederen Zwecke missbraucht werden, literarische Werke neu überdacht werden, finde ich wichtig und richtig. Doch ich möchte auch auf folgendes hinweisen: Ich habe „Vom Winde verweht“ gelesen und bin kein Rassist geworden. Ich habe mich als Kind über Pippi Langstrumpf und ihrem Vater, dem Negerkönig in Taka-Tuka-Land amüsiert und bin kein Rassist geworden. Ich habe Agatha Christies Krimi „Und dann gab’s keines mehr“, in dem der alte Kindereim „Zehn kleine Negerlein“ eine entscheidende Rolle spielt, mit Freude gelesen und bin kein Rassist geworden. Kein Mensch wird ein Rassist, weil er diese Bücher gelesen hat. Ein Mensch wird ein Rassist, weil er in seinem gestörten Weltbild eine verabscheuungswürdige Ideologie verinnerlicht hat und somit zu großmütigen Gesten wie Toleranz und Menschlichkeit, die wichtige Säulen unserer Gesellschaft sind, nicht fähig ist.


erschienen bei Kunstmann/ ISBN: 978-3956143182

Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

[Die Bücher meines Lebens] Margaret Mitchel – Vom Winde verweht

– 1986 –


Was liest ein schwuler Junge Mitte der 80er Jahre auf dem Höhepunkt der AIDS-Debatte? Richtig! …ein 916-Seiten starkes Epos über Bürgerkrieg, Sklaven und verzärtelten Ladies in Korsett und Krinoline!

Dabei interessierte mich weniger Scarlett O’Hara: In ihr konnte ich lesen wie in dem sprichwörtlich offenen Buch. So war sie in ihren egoistischen Beweggründen völlig durchschaubar, hatte in ihrer unverblümten Arroganz allerdings durchaus Unterhaltungswert. Vielmehr war Rhett Butler das Objekt meines Interesses und (im schicklichen Maße) meiner Begierde. Dieser hochgewachsene Mann in den besten Jahren und mit dem frechen Funkeln in den Augen war geradezu prädestiniert, als Projektionsfläche meiner erotischen Fantasien zu fungieren. Was blieb mir auch anderes übrig? Es waren die 80er Jahre, und die sogenannte Schwulen-Seuche AIDS wütete. „Schwul“ galt als gängiges Schimpfwort. Zuhause, in der Schule oder im Freundeskreis zuzugeben, selbst „ein warmer Bruder“ zu sein, wäre einem emotionalen Todesurteil gleichgekommen. Selbst noch 7 Jahre später endete mein erstes Outing gegenüber meinen Eltern in einem völligen Desaster, da hätte ich mich im Jahre 1986 nie getraut, irgendetwas in dieser Richtung anzudeuten. So blieb ich alleine mit meinen Gefühlen und Sehnsüchten…

…und flüchtete mich in die Welt meines Romanhelden. Männliche Vorbilder waren in meiner näheren Umgebung absolute Mangelware: Zu mindestens gab es keine, die ich mir gerne zum Vorbild genommen hätte (Schwule Vorbilder waren schier nicht existent.). „Vom Winde verweht“ bot all das, was das schwule Herz eines naiven, jungen Mannes begehrte: das große, seitenstarke Drama voller Emotionen, Irrungen und Wirrungen. Zwischen den Zeilen meinte ich, Parallelen zu meinem eigenen Leben, meinen eigenen Empfindungen zu entdecken: Was passiert mit Menschen, die aus ihrer Welt gerissen (verstoßen) werden? Sind sie ebenso in der Lage, in einem anderen Lebensmodel hinein zu wachsen und zu gedeihen? Besteht auch für diese Menschen die Möglichkeit, glücklich zu werden?

Ich war verunsichert, ängstlich und voller Zweifel…!

Rhett Buttler schien nie zu zweifeln: Inmitten des Chaos stand dieser attraktive Kerl mit dem dunklen Haar und den breiten Schultern wie ein Fels in der Brandung, handelte mit stoischer Ruhe und scheute sich nicht, unbequeme Entscheidungen zu treffen und ungewöhnliche Wege zu gehen. Konventionen interessierten ihn nicht. Seite für Seite, Kapitel für Kapitel schlich sich diese Romanfigur tiefer in mein Herz und prägte somit sowohl mein Männer-Bild als auch meinen Männer-Geschmack.

Um eventuellen Fragen vorzubeugen: Nein! Mein Angetrauter entspricht äußerlich so gar nicht diesem Männer-Bild. Die Wege der Liebe sind eben tückisch und voller Überraschungen…!

❤️


erschienen bei claassen/ ISBN: 978-3546467544

Im Januar 2020 erscheint die lang erwartete und längst überfällige Neu-Übersetzung im Verlag Antje Kunstmann/ ISBN: 978-3956143182.


[Die Bücher meines Lebens] Ein Vorwort…

50 Jahre – ein halbes Jahrhundert habe ich nun auf dem Buckel: Nur eine Zahl wie jede andere auch…? Ja! und Nein!

Ich merke, dass diese Zahl etwas mit mir „macht“, …dass diese Jahre etwas mit mir gemacht haben. Die nahende 50 hat viele Gedanken und Gefühle in mir frei gesetzt, mich zum Grübeln gebracht und mich „gezwungen“, meinen bisherigen Lebens- und Lesens-Weg zu überdenken. Ich war nie jemand, der frühere Entscheidungen irgendwann bereut hat oder über erlittene Schicksalsschläge in Selbstmitleid verfallen wäre. Nein! Alles, was mir in meinem Leben bisher passierte, hat im Nachhinein einen Sinn ergeben. Alles, was mir in meinem Leben bisher passierte, hat mich zum Umdenken verleitet und mir geholfen, längst überfällige Entscheidungen zu treffen, um eine neue Richtung auf meinem Lebensweg einzuschlagen. Trotzdem möchte ich – wenn es sich bitte vermeiden lässt – einige dieser Schicksalsschläge nicht ein weiteres Mal durchleben müssen.

So turbulent mein Leben auch durchaus war, gab es doch immer eine Konstante, und diese Konstante war das Lesen für mich.

In den vergangenen 50 Jahren haben mich unzählige Bücher auf meinem Weg begleitet – Bücher, die so vielfältig wie ihre Autorinnen und Autoren, so unterschiedlich wie die ihnen zugedachten Leserinnen und Leser und so bunt wie das Leben waren. Jedes Buch, das ich gelesen habe, hat seine Spuren bei mir hinterlassen – auf der einen oder anderen Weise, mal mehr oder mal weniger intensiv. Und doch fiel es mir nicht schwer, diese ganz persönliche Auswahl zu treffen.

14 literarische Werke haben es auf meine Liste geschafft, und ich musste schmunzelnd feststellen, dass weder die Werke von namhaften Vertretern der „Sturm & Drang“ noch der „Aufklärung“ einen Platz auf meiner Liste erhalten haben, und keines dieser Werke war je auf einer Longlist des Deutschen Buchpreises. Mit 50 Jahren muss ich mir und dem Rest der Welt nichts mehr vormachen: Ein „Aufpimpen“ der Liste mit klangvolleren Namen kam für mich nicht in Frage! Dafür erlaube ich mir den Luxus und bin mit mir hemmungslos ehrlich: Diese Bücher haben mich durch außergewöhnliche Lebenssituationen begleitet, Emotionen in mir ausgelöst, mich getröstet, geleitet und inspiriert, mir Mut gemacht, mich ermahnt und lang verschollene Erinnerung hervor gelockt.

Sie haben es mehr als verdient, hier gewürdigt zu werden.

  • 1974: Walter Müller & Heinz Kampmeier Unsere neue Fibel
  • 1976: Hans Jürgen Press Die Abenteuer der schwarzen hand
  • 1977: Enid Blyton 5 Freunde im alten Turm
  • 1979: Michael Ende Die unendliche Geschichte
  • 1982: Janina David Ein Stück Himmel – Erde – Fremde
  • 1984: Fynn Hallo, Mister Gott, hier spricht Anna
  • 1986: Margaret Mitchel Vom Winde verweht
  • 1990: Victor Hugo Die Elenden
  • 1993: Rita Mae Brown Venusneid
  • 1997: Armistead Maupin Stadtgeschichten
  • 2002: Truman Capote Frühstück bei Tiffany
  • 2007: Erich Kästner Drei Männer im Schnee
  • 2011: Agatha Christie Und dann gab’s keines mehr
  • 2018: Anne Müller Sommer in Super 8

Einige Werke habe ich Euch bei früheren Gelegenheiten schon einmal vorgestellt: Ich habe diese Texte genommen, gelesen, in mich hinein gehorcht und sie entsprechend redigiert. Weitere Werke werde ich Euch im Laufe der nächsten Tage und Wochen vorstellen: So erlaube ich mir, die 50 einige Wochen lang gemeinsam mit Euch zu feiern!

Ich wünsche Euch viel Spaß bei dieser Rückschau auf mein (Lese-)Leben!

Liebe Grüße
Andreas

P.S.: …und lieber ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel als ein falscher Fünfziger im Herzen! 😉