Ist es Schicksal? Manchmal begegnet man einen Menschen und findet ihn spontan sympathisch. So erging es mir mit Carmela, als sie uns (mehrmals) in unserem Stamm-Hotel im Hamburg über den Weg lief. Morgens beim Frühstück fiel mir eine junge Frau im Service-Team auf, die mit ihrer Herzlichkeit für sich einnahm und dank einem enormen Sprachtalent problemlos mit den internationalen Gästen kommunizierte. Da ich ein neugieriges Kerlchen bin, sprach ich sie an. Ich vermutete, dass sie „irgendetwas mit Sprachen“ studiert hätte. Beinah schüchtern gestand sie mir, dass sie ursprünglich Schauspielerin sei. Und wie viele ihrer ebenso talentierten Kolleg*innen gab bzw. gibt es eben auch bei Carmela zwischen den Produktionen immer wieder s.g. Durststrecken, in denen trotzdem gelebt (vielleicht manchmal sogar: überlebt) werden muss.
Über die sozialen Netzwerke blieben wir in Kontakt und nahmen Anteil am Leben des anderen, indem wir „Likes“ verschenkten und mit Kommentaren nicht geizten. Carmela sendete mir immer ein mutmachendes „Toi-Toi-Toi“ zu meinen Lesungen, und ich freute mich mit ihr über jedes Theater- und Film-Projekt, an dem sie beteiligt war. Doch unseren Wunsch, uns in Hamburg wieder zu treffen, konnten wir uns bisher leider nicht erfüllen, da unser Timing bisher denkbar ungünstig war („Gerne“ verpassten wir uns um nur wenige Tage). Und dann erschien Corona auf der Bildfläche, und das Reisen kam vorerst zum Erliegen. Umso mehr freue ich mich nun, dass Carmela sich bereit erklärt hat, einen Gastbeitrag für meinen Blog beizusteuern. Im Vorfeld war sie sehr unsicher, ob ihr schriftstellerisches Talent mir genügen würde. Meiner Meinung nach schätzt sie sich völlig falsch ein: Ich finde ihren Text ganz wundervoll…!
„Zwei Herzen? Ja, natürlich, aber warum nicht auch zwei Seelen?“ Das war das Erste, woran ich gedacht habe, als Andreas mir dieses Thema vorschlug. Ich weiß auch nicht warum! Irgendwie fehlte mir das Wort „Seele“ in diesem Zusammenhang, denn „Seele“ ist nicht gleich „Herz“. Vielleicht hat „Herz“ mit Temperament zu tun, mit Lebhaftigkeit, vor allem, wenn ich an „Herzschlag“ denke. Das Wort „Seele“ verbinde ich eher mit langsamen Gedanken, Gefühlen und einer inneren Stimmung.
Ich schwebe zwischen zwei völlig entgegengesetzten Welten: Sizilien (Das nicht gleich Italien ist!) und Deutschland. Meine Mutter ist im schönen Celle geboren, in der Nähe von Hannover, während mein Vater Sizilianer war, und ein Stipendium für ein Medizinstudium in Hamburg bekommen hatte. Es waren die 60er Jahre: Die beiden hatten sich am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf kennengelernt und wurden ein Paar. Nach einigen Jahren entschied sich mein Vater, zurück in die Heimat zu kehren, um dort einer Tätigkeit als Medizin-Professor an der Universität Catania nachzugehen.
Meine Mutter fuhr einfach nach und blieb bis heute auf der Insel. Vier Kinder sind aus dieser Beziehung entstanden, und alle sind auf Sizilien geboren. Aber die Verbindung zu Deutschland wurde nie schwächer, vor allem für die ersten zwei Kinder, die viel häufiger als die letzten Zwei (Ich bin die Jüngste!) die deutschen Verwandten besuchten. Als Kind und als Mädchen war ich selten in Deutschland, aber meine Mutter sprach Deutsch (das „gute“ Deutsch aus Hannover 😉). Von den Tanten und Großtanten bekamen wir immer die leckere Süßigkeiten aus dem Norden und führten lustige Telefongespräche, in denen sich die zwei Sprachen auf drolligste Weise vermischten.
Ich kam später dazu, eine persönlichere Beziehung zu Deutschland aufzubauen: Zuerst studierte ich Germanistik an der Uni, und nach dem Studium besuchte ich die Theaterschule Aachen für Schauspiel und Regie. Ich lernte Deutschland auf meine eigene Weise kennen und vor allem ganz allein. Seitdem habe ich angefangen, regelmäßig zu „pendeln“. Wenn ich ehrlich bin, und mir kommen dabei wieder die Wörter „Herz“ und „Seele“ in den Sinn, verbinde ich das erste Wort mit „meiner“ Insel und „meinem“ Vulkan, der so mächtig über Catania herrscht, und das zweite Wort mit Deutschland, das in mir ein Gefühl von Ruhe und „Pause machen“ erweckt.
Sizilien – das „Herz“ – bedeutet für mich Chaos, Schmutz, Gewalt, Desorganisation, Arbeitslosigkeit, Mafia und Schlamperei aber auch Schönheit, Geschichte, Fröhlichkeit, Hitze und Liebe. Deutschland – die „Seele“ – steht bei mir für Sauberkeit, Respekt, Ordnung, Organisation, Kälte und Regen, wunderbaren Kuchen und ausgezeichnetes Brot. In Deutschland kann ich mich vom „Inferno“ Siziliens erholen, mir die geweinten Tränen über das Desaster auf der Insel aus dem Gesicht wischen und meiner Seele Gutes tun. Dann aber – nach einer gewissen Weile – muss ich mein Herz wieder stärker schlagen spüren und dem Tempo des Ätnas folgen. Ich möchte wieder laut sprechen und laut schreien und mich bei Wein und Musik treiben lassen.
Und das geht sicherlich immer so weiter bis ans Ende meiner Tage: Solange mein Herz schlägt und meine Seele fühlt…!
Carmela Silvia Sanfilippo
Carmela Silvia Sanfilippo zeigte ihr Talent schon in div. Theater-, Film- und Fernsehproduktionen sowohl in Deutschland als auch in Italien. So war sie dort u.a. festes Ensemble-Mitglied der Satire-Show „Metropolitaun“ und spielte Rollen in den beliebten TV-Krimis „Amore criminale“ und „Il commissario Montalbano“. Doch auch auf der Bühne konnte sie Publikum wie Kritiker gleichermaßen begeistern: So wurde ihr 2019 von der Stadt Leonford der „38. Premio Città di Leonforte“ für ihre schauspielerische Leistung im Stück „Una lunga attesta“ verliehen. Mit Gresi e gli altri (Gresi und die Anderen) schuf sie ihre eigene One-Women-Show, in der sie in unterschiedliche Rollen-Typen schlüpft und diese satirisch persifliert. Als Gresi könnt Ihr sie sowohl auf facebook als auch auf instagram bewundern.
Weitere Informationen findet Ihr auch hier.
Ach das ist so schön zu lesen – obwohl ich Celle nicht mag – Catania mehr mag… vielleicht treffen wir uns mal auf einen Espresso bei Antonio mit den Jungs oder wir trinken ihn in Calatabiano/ Pasteria ! Das deutsch- sizilianische Duo : Ute&Nino
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Deal! 😄
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Ein sehr spannender Beitrag, voller Herz und Seele. Es ist schon etwas Besonderes, so zwischen den Kulturen aufzuwachsen. Ich lebe seit zwanzig Jahren in Norditalien, also mit einem nicht ganz so extremen Kulturunterschied, aber ich komme aus Ostdeutschland, dieser Aspekt verstärkt den gefühlten Sprung. Auch meine Töchter sind hier in Italien geboren, wer weiß, ob sie mal nach Deutschland gehen. Es bleibt spannend.
Danke für den interessanten Text, auf den ich erst jetzt gestoßen bin. Herzliche Grüße aus der Lombardei! Anke
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Hallo Anke!
Es freut mich sehr, dass Dir Carmelas Gast-Beitrag so gut gefallen hat: Ich habe ihr gleich davon berichtet!
Ich wünsche Dir und Deiner Familie alles Gute!
Herzlichen Gruß
Andreas
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