[Rezension] Danièle Linhart – BURNOUT. Arbeiten, bis man den Verstand verliert/ mit Illustrationen von Zoé Thouron

Vor 12 Jahren traf es auch mich: Nicht aus heiterem Himmel, nicht unvorbereitet, nicht ohne Vorwarnung, denn die Anzeichen waren schon Wochen, sogar Monate vorher für jede*n in meinem näheren Umfeld wahrnehmbar. Nur nicht für mich, bzw. ich wollte sie nicht sehen! Dabei waren die Zeichen mehr als eindeutig: Ich fühlte mich ständig müde und antriebsarm. Freude verspürte ich nur noch sehr selten. Dafür nisteten sich Knochen- und Gliederschmerzen bei mir ein und teilten sich meinen Körper mit unspezifischen Grippe-Symptomen. Schlafstörungen gepaart mit Rücken- und Nacken-Verspannungen sorgten dafür, dass die Migräne häufig bei mir zu Gast war. Die Signale, dass mit mir und meinem Leben etwas nicht stimmte, hätten nicht deutlicher ausfallen können. Doch ich funktionierte!

Ich war erst bereit, eine Entscheidung zu treffen, als mein Körper und meine Seele drohten, gänzlich zu streiken. Es war an einem Wochenende im März: Wie ein weidwundes Tier streifte ich unruhig durch die Wohnung, weinend und wimmernd, bis die Entscheidung feststand „Du brauchst Ruhe – sofort und reichlich!“. Trotzdem schleppte ich mich die nächsten beiden Tage zu meinem Arbeitsplatz. Einerseits gab es an beiden Tagen noch Termine, die wichtig für die mir anvertrauten Menschen waren. Andererseits wollte ich nochmals in mich hineinspüren, ob mein Gefühl mich nicht trüge. Meine Selbstwahrnehmung war so sehr durcheinander geraten, dass ich mir und meinen Empfindungen nicht mehr traute. Am Dienstagabend saß ich im Sprechzimmer meines damaligen Hausarztes, brach zusammen und bat inständig um eine AU. Am Mittwochmorgen war ich außerstande, das Bett zu verlassen. Doch der Heilungsprozess konnte nun endlich beginnen…!

Warum haben sich Burnout, Depressionen und sogar Selbstmorde am Arbeitsplatz in allen westlichen Gesellschaften so ausgebreitet, obwohl es heißt, dass die Arbeit in den letzten Jahrhunderten so viel weniger anstrengend geworden ist? Danièle Linhart beschreibt, auch auf humorvolle Art und Weise, was die perversen Auswirkungen der heutigen Managementmethoden sind, die die Arbeitnehmer*innen zunehmend prekarisieren und sie manchmal sogar an ihrem eigenen Wert und ihren Rechten zweifeln lassen.

(Inhaltsangabe der Homepage des Verlages entnommen!)

Ich glaube, selten klaffte bei mir die Schere aus Erwartung und Realität so weit auseinander, wie bei diesem Werk aus der Comic-Bibliothek des Wissens des Verlagshauses Jacoby & Stuart. Die Comic-Bibliothek des Wissens beschäftigt sich mit zeittypische Themen, die in dieser modernen Form der Wissensvermittlung dem nach Aufklärung Suchenden näher gebracht werden – eine großartige Idee, um auch sperrige Themen ansprechend und überschaubar zu präsentieren.

Doch warum wurde meine Erwartung enttäuscht, schließlich wurde mir genau das geboten, was der Werbetext versprach? Im Grunde belausche ich als Leser eine Unterhaltung zwischen Großvater und Tochter, die sich über die Arbeitsbedingungen der Vergangenheit im Vergleich zur Gegenwart (und der daraus resultierenden Belastungen) austauschen. In diese Unterhaltung schaltet sich der erwachsene Sohn der Tochter per Telefon ein, und später taucht eine Freundin des Großvaters auf. Beide – Sohn wie Freundin – zeigen deutliche Anzeichen eines Burnouts. Das war’s! Mehr passiert nicht!

Die Fakten bringt die Autorin auf den Punkt und schafft es, ein komplexes Thema, komprimiert und somit verständlich darzustellen. Doch mir fehlte die Leichtigkeit in der Umsetzung: Hätte ich damals während des Burnouts dieses Buch in die Hand bekommen, es hätte mich womöglich noch zusätzlich deprimiert. Der im besagten Werbetext versprochene Humor war leider für mich nicht wahrnehmbar. Vielmehr registrierte ich eher einen pessimistischen Grundton, der einem vom Burnout Betroffenen zusätzlich depressiv verstimmen könnte. Zudem gefiel mir die plakative Schwarz-Weiß-Einteilung nicht, in der der Arbeitgeber der Feind und der Arbeitnehmer das Opfer darstellt. Das Zustandekommen von Burnout lässt sich leider nicht damit begründen, dass nur ein Partner der Schuldige ist. Dazwischen gibt es eine Vielzahl an Grau-Abstufungen, und – Ja! – manchmal schimmert es trotz allem auch ein wenig bunt durch die angekratzte Oberfläche der geschundenen Seele.

Apropos bunt: Die Illustrationen sind zwar durchaus gefällig und zeigen eine eigenständige Handschrift bei den Charakteren. Doch hätte ich mir mehr Kreativität gewünscht, die das manchmal sehr starr wirkende Korsett eines Gesprächs aufbricht.

Wer sich für die arbeitsgeschichtlichen Hintergründe zu Burnout interessiert, ist mit dieser Ausgabe aus der Comic-Bibliothek des Wissens bestens beraten. Doch ich stellte mir die Frage „Ist es wirklich das, was ich über Burnout wissen möchte?“. Als betroffener Mensch wäre es mir egal, zu wissen, woher Burnout kommt. Ich möchte nur, dass es wieder geht!


erschienen bei Jacoby & Stuart / ISBN: 978-3964282217 / in der Übersetzung von Edmund Jacoby

Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

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