[Rezension] Guy de Maupassant – Der Horla/ mit Illustrationen von Anna und Elena Balbusso

Wie eng ist der Grat zwischen Genie und Wahnsinn? Wie schmal ist die Grenze zwischen mentaler Gesundheit und geistiger Verwirrung? Wie durchlässig sind die Übergänge unserer Psyche zu Phantasie und Wahrheit? Eben war der Held dieser Erzählung noch ein gesunder, dem Leben zugewandter Mann, nur einen Augenblick später zweifelt er am Zustand seines Geistes.

Guy de Maupassant wurde zu Lebzeiten von den vermeintlichen Literaturkennern eher belächelt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts galten die ausschweifenden Romane von Gustave Flaubert, Honoré de Balzac oder Stendhal als das Nonplusultra der französischen Literatur. So kleine, niedliche Erzählungen, die für jedermann leicht zugänglich waren, wurden da eher gering geschätzt. Erst viel später sollte Maupassant die ihm zustehende Anerkennung für seine Impulse auf die französische Literatur erhalten.

„Der Horla“ ist eine der wenigen phantastischen Geschichten aus seiner Feder und spiegelt sein Interesse an der Beinflussbarkeit der menschlichen Psyche wider. So soll er selbst wiederholt an Halluzinationen und Wahnvorstellungen gelitten haben. Umso erstaunlicher, wie klar und differenziert er den mentalen Verfall des Protagonisten beschreibt. In Tagebuchform lässt er uns am Leid seines Helden teilhaben. In Wellen verschlechtert sich dessen Zustand, was der Autor auch mit einer Veränderung im Schreibstil erkennen lässt. In den entspannten Phasen berichtet der Held ausschweifend und in blumigen Sätzen von seinem Leben, während bei den psychotischen Schüben eine Stakkato-artige Sprache den stätigen geistigen Verfall kennzeichnet.


Diese Diashow benötigt JavaScript.


Anfangs hatte ich eher ein Schauermärchen à la Edgar Allan Poe erwartet und war umso erstaunter über die beinah analytische Herangehensweise des Autors an diesem Thema. Maupassant versteht es brillant, die Spannung in dieser Novelle aus der inneren Zerrissenheit des Protagonisten und seinem Gefühl einer ständigen Gehetztheit zu entwickeln. Dieser versucht anfangs noch, rationale Erklärungen für seine irrationale Wahrnehmung zu finden, um dann mehr und mehr von seiner Autonomie als eigenständige Persönlichkeit zu verlieren. Je mehr sich die Sinne verwirrten und die Seelenpein zunahm, umso mehr steigerte sich die Handlung zum beinah unumgänglichen Finale.

Für diese illustrierte Fassung der Novelle konnte der Reclam-Verlag wieder auf die Kunstwerke von Anna und Elena Balbusso zurückgreifen, die für die französischsprachige Ausgabe im Jahre 2010 erschaffen wurden. Wie schon bei Das Bildnis des Dorian Gray schufen die Balbusso-Zwillinge auch hier abermals ätherisch-phantastische Illustrationen. Die Darstellung von Gesichtern bzw. deren Mimik fiel diesmal detailreicher aus und zeigt so die Ängste der Figuren in aller Deutlichkeit. Mit ihrer ausgeprägten Bildsprache sprengen sie die Grenzen zwischen Realität und Surrealismus und erinnerten mich sowohl an die Schöpfungen eines Salvador Dalí als auch an die skurrile Ästhetik von Monty Python.

Neben seiner großartigen Übersetzung bereichert Ernst Sander diese Edition mit einem informativen Nachwort, in dem er Wissenswertes zum Autor preisgibt und das Werk im Zusammenhang zu dessen Lebenslauf einordnet.

Abermals ist es dem Reclam-Verlag gelungen, einen Klassiker der Weltliteratur in einem äußerst geschmackvollen und hochwertigen Erscheinungsbild zu präsentieren und so mein bibliophiles Herz zu erfreuen.


erschienen bei Reclam / ISBN: 978-3150114568 / in der Übersetzung von Ernst Sander

Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

ebenfalls erschienen bei Hofenberg/ ISBN: 978-3843076135 (ohne Illustrationen)

[Rezension] Oscar Wilde – Das Bildnis des Dorian Gray/ mit Illustrationen von Anna und Elena Balbusso

Er ist schön. Er ist so schön, dass er seinem ergebenen Freund dem Maler Basil Hallward zu einem seiner besten Porträts inspiriert. Er ist so schön, dass selbst der für seinen Sarkasmus bekannte Lord Henry Wotton von seiner Schönheit geblendet ist, ihm mit verführerischen Worten gänzlich neue Gedanken in den Kopf setzt und fortan zu seinem persönlichen Mentor wird. Er ist so schön, dass er den Gedanken nicht ertragen kann, dass diese Schönheit im Laufe der Zeit welkt, während sein Porträt in ewiger Jugend weiterhin erstrahlen wird. Wie ungerecht erscheint Dorian Gray diese Tatsache. Umso erstaunter bemerkt er eine Veränderung am besagten Gemälde, nachdem er beinah herzlos auf den Suizid seiner von ihm verstoßenen Geliebten reagierte. Die Veränderungen am Gemälde sind anfangs nur vage auszumachen, dann werden sie immer offensichtlicher. Keine seiner noch so verworfenen Ausschweifungen der vergehenden Jahre hinterlässt in seinem engelsgleichen Gesicht den allerkleinsten Makel. Stattdessen entwickelt sich sein Porträt zu einer widerwärtigen und abstoßenden Fratze seiner selbst. Dorian fühlt sich so sehr unantastbar, dass er selbst vor dem Mord an dem Schöpfer dieses Bildes nicht zurückschreckt. Doch auch wenn sein Antlitz unberührt bleibt, so bleibt das Bildnis als mahnendes Zeugnis für jede seiner Verfehlungen bestehen. Die Angst um seiner Entdeckung verführt Dorian zu einer verhängnisvollen Tat…!

Neben etlichen Erzählungen und Märchen, Bühnenstücke und Essays war „Das Bildnis des Dorian Gray“ der einzige Roman, den Oscar Wilde veröffentlichte. Ich las diesen Roman und war versucht, alle intelligenten Zitate, geistreichen Bonmots und süffisanten Bemerkungen zu markieren. Doch ich unterließ dies, da ich fürchtete, dass danach in meinem Buch mehr markierter als un-markierter Text zu finden wäre. Nachdem ich schon einige seiner Stücke auf der Bühne bewundern und mich an seinem Erstlingswerk Das Gespenst von Canterville erfreuen durfte, hege ich gegenüber diesem Autor eine kleine Bewunderung. Dieser Mann war ein so genauer Beobachter der menschlichen Natur und zudem ein brillanter Erzähler und fulminanter Satiriker. Mit geschliffenen Worten deckte er die Verlogenheit und Heuchelei der damaligen Gesellschaft auf, in der Schönheit und Jugend beinah götzenhaft verehrt wurden. Der schöne Schein galt mehr als die realen Personen hinter der Fassade. Wer es wagte, diese Fassade einzureißen, musste bestraft werden.

Nach Erscheinen des Romans wurde dieser von Kritikern wortwörtlich in der Luft zerrissen. Die Rezensenten fanden kein einziges gutes Wort an diesem Werk und wünschten es auf den Scheiterhaufen. War dieser Umstand schon empörend, sollte im Jahre 1895 im legendären Schauprozess gegen Wilde diese Farce auf die Spitze getrieben werden. Die Anklage versuchte mit genau diesem Roman, den Beweis für Wildes Schuld zu erbringen. Da wurden Textpassagen aus dem Zusammenhang der Handlung gerissen und öffentlich zitiert, um mit ihnen Wildes wahres Wesen, seine dekadenten Gedanken und abstoßenden Moralvorstellungen offenzulegen. Es ging hier nicht um die Wahrheitsfindung, vielmehr sollte eine kritische Stimme an der damaligen verklemmt-viktorianischen Gesellschaft mundtot gemacht und seine Reputation im Kreuzverhör demontiert werden. Der Künstler wurde unter Zuhilfenahme – oder vielmehr: Missbrauchs – seines Kunstwerks diskreditiert. Das Ergebnis: Wilde wanderte für zwei Jahre ins Zuchthaus.


Ich glaube, kaum ein anderer Roman ist in so vielen Übersetzungen und so vielen Verlagen erschienen wie „Das Bildnis des Dorian Gray“. Und auch der renommierte Reclam-Verlag hat schon einige Editionen dieses Romans im Verlags-Portfolie. Nun legt er auch eine illustrierte Fassung vor, zu der die Schwestern Anna und Elena Balbusso Illustrationen schufen, die beinah ätherisch bzw. wie ein Gemälde wirken. Wobei die Figuren mit makellos-maskenhaften Gesichtern theatralisch innerhalb eines Settings agieren, das – auch aufgrund der gewählten Perspektive – wie ein Bühnenbild eines Wilde-Stückes erscheint. Atmosphäre erhalten die Illustrationen durch das Spiel von Licht und Schatten sowie der detaillierten Wiedergabe von den Strukturen der dargestellten Stoffe und Tapeten. Das gesamte Erscheinungsbild dieses Buches ist äußerst geschmackvoll gestaltet: von der feinen Abstimmung der Farben über das ansprechende Muster des Vorsatzpapiers bis zur Gestaltung der Seitenzahlen. Das Papier fühlt sich glatt und seidig an, während der Einband eine leicht raue Textur vorweist, so als wäre er zum Schutz von einem Firnis, wie sie bei Gemälde verwendet werden, überzogen. Ich bin mir sehr sicher, dass der Ästhet Wilde Gefallen an diesem Buch gefunden hätte.


Im Mai 1897 wurde Oscar Wilde – durch die Zwangsarbeit psychisch und physisch massiv angeschlagen – aus dem Gefängnis entlassen. Er kehrte seinem Heimatland, dass ihn so wenig schätzte, den Rücken und ging nach Paris ins Exil, wo er mehr schlecht als recht lebte und ständig auf das Wohlwollen von Freunden und Gönnern angewiesen war. Im Laufe der verbleibenden Jahre verschlechterte sich sein Gesundheitszustand zusehends, und doch blieb er bis zum Schluss der Schöngeist mit dem erlesenen Geschmack. So warf er einen letzten Blick auf die abscheuliche Tapete seiner Unterkunft und verabschiedete sich von der Welt mit den Worten:

„Die Tapete und ich liefern uns ein tödliches Duell. Einer von uns beiden muss gehen.“


erschienen bei Reclam / ISBN: 978-3150114445 / in der Übersetzung von Ingrid Rein

Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

ebenfalls erschienen bei Reclam/ ISBN: 978-3150050088, Diogenes/ ISBN: 978-3257214116, anaconda/ ISBN: 978-3730612583 und Insel/ ISBN: 978-3458360841 (alle ohne Illustrationen) oder als Graphic Novel erschienen bei Knesebeck/ ISBN: 978-3957285454