[Rezension] Thomas Gsella – HEREIMSPAZIERT. Neue komische Gedichte

Der legitime Nachfolger von Joachim Ringelnatz, Heinz Erhardt und Konsorten ist wieder da!

Nach ICH ZAHL’S EUCH REIM. Neue politische Gedichte steht er nun abermals hinter dem Bar-Tresen, kreiert lyrische Cocktails zu allerlei menschlichen Absonderlichkeiten und kredenzt seine Martinis nicht nur gereimt sondern auch noch geschüttelt – mit ein wenig Satire anstatt einer Olive.

Diesmal präsentiert sich Thomas Gsella „ganz privat“, politisches wird tunlichst vermieden (Wer’s glaubt!). Da wird hemmungslos in Vers-Form über Lust und Liebe – gerne auch incl. Orgasmus, sowie passenderweise über Schuld und Sühne schwadroniert. Er thematisiert in Versen Fußball und Zölibat (oder: Zölibat im Fußball?). Allgemein scheint im Leben des Thomas Gsella der Fußball eine feste Größe zu sein, dem er gerne in mannigfachen Facetten – von der WM in Katar über Spielerfrauen bis Frauenfußball – seine Aufmerksamkeit schenkt.

Doch auch mit ganz pragmatischen Alltags-Tipps zu Brückentagen, Grabinschriften und Gehaltsverhandlungen kann er aufwarten und kennt sich nur allzu gut mit so mancher Tücke des Objekts aus, sei es bei Partnerbörsen, dem Schlüsseldienst oder der Post.

Natürlich geht´s nicht gänzlich ohne Politik (s.a. „Vermutungen zu Alice Weidel u.a.“), aber auch hier ist Gsella ganz der innovative Aufklärer, der mit überraschenden Denkanstößen Verständnis beim Gegenüber generiert (ACHTUNG: Ironie). Selbst anlässlich des Todes der Queen findet er tröstende Verse für das trauernde Volk und lotst uns sicher durch das Kalenderjahr mit seinen mannigfaltigen Feiertagen und dem Wechsel der Jahreszeiten.

So manches Mal fordert mich seine Kunst heraus – weniger mit der persönlichen Haltung des Dichters, die zwischen den Zeilen stets sehr deutlich erkennbar bleibt: Da finde ich mich durchaus wieder. Vielmehr reimt er manchmal etwas unorthodox, variiert den Rhythmus und weicht vom erwarteten Reim-Schema ab. Doch mit großer Freude stelle ich mich dieser Herausforderung: Rückt er doch nur allzu gerne auch mit seiner Themenauswahl vom Erwarteten ab.

Jedes, wirklich und wahrhaftig jedes Thema scheint ihm würdig, in Lyrik gebettet zu werden – getreu dem Motto „Wenn es sich reimt, tut es gar nicht mehr so weh!“. Doch es kam durchaus nicht selten vor, dass mir das Lachen beim Lesen einer seiner gereimten Ergüsse spontan im Halse hängen blieb. Mit Thomas Gsella verlasse ich als Leser die gefälligen Pfade und begebe mich auf einen holprigen Untergrund, was es umso aufregender macht, ihn Schritt für Schritt zu erkunden.

Böse, ja, böse sind sie auch, seine Verse, herrlich böse – und so wahr!


AN DIE HETZER & SCHWÄTZER

Ihr Rassisten, die ihr jene tretet,
Die das Elend fliehn und den Tyrann,
Habt die Lüge Tag und Nacht trompetet:
Retter zögen Flüchtlingsboote an.

Wissenschaftler haben nun bestätigt:
Nichts an eurer Lüge traf je zu.
Doch aus dem, der Tag und Nacht unflätigt,
Fallen Fladen wie aus einer Kuh.

Wäre nicht so eklig euer Denken,
So verschimmelt euer Wort und faul,
Würdet ihr den Kopf nun schamrot senken
Und verkünden: „Gut, wir halten’s Maul.“

Thomas Gsella


erschienen bei Kunstmann / ISBN: 978-3956146039
Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

[Rezension] Peer Gahmert & Philipp Feldhusen – TATORT MÄRCHEN. Wie die Bremer Stadtmusikanten seit mehr als 200 Jahren den Rechtsstaat verhöhnen

„Etwas Besseres, als den Tod findest du überall…!“

Mit diesem Satz betteln vier zwielichtige Wesen schon seit Jahren bzw. Jahrzehnten – Ach, was sage ich! – seit Jahrhunderten um das Mitleid unschuldiger Leser*innen. Und dieser Satz ist es auch, der das Bild der berühmten Bremer Stadtmusikanten prägte und ihnen den Anschein von harmlosen und hilfsbedürftigen Kreaturen gab. Doch das ist nun vorbei, denn ihr falsches Spiel wurde endlich aufgedeckt.

Der unermüdlichen und aufopferungsvollen Recherche von Peer Gahmert und Philipp Feldhusen ist es zu verdanken, dass dieser Mythos zu guter Letzt entmystifiziert wurde. Denn so unschuldig, wie sich diese vier Tiere immer gaben, waren sie bei weiten nicht. Unter Vorspiegelung falscher Tatsachen und geschickter Täuschung ihres Umfeldes haben sie sich an dem Hab und Gut anderer bereichert. Ihre kriminelle Energie beweisen sie schon mit der Wahl ihres Namens: Sie nennen sich vollmundig „Bremer“ Stadtmusikanten, haben aber nachweislich Bremen nie erreicht. Vielmehr haben sie weit vor den Toren der Hansestadt in einem unübersichtlichen Wald die Besitzer einer Hüte aus eben dieser verjagt, sie aufgrund ihrer äußeren Erscheinung als Räuber tituliert und somit auf das Schmählichste verunglimpft. Diese armen, alten Männer wurden somit ihrer Existenz beraubt und sind wahrscheinlich in den unwirtlichen Tiefen der Wälder gar kläglich zu Grunde gegangen.

Gahmert und Feldhusen haben die scheinbar unüberwindbare Bürde auf sich genommen, am Sockel der Identifikationsfiguren einer gesamten Stadt zu rütteln. Hierzu führten sie gefährliche Feldstudien durch, indem sie im privaten Umfeld die eigenen Kinder und Eltern um ihre Wahrnehmung zu diesem Märchen baten. Fachlich untermauerten sie ihre These, indem sie eine Vielzahl an Interviewpartner aus unterschiedlichen beruflichen Kontexten zu Wort kommen ließen. Aus sehr mannigfaltigen Perspektiven wurde so das Phänomen „Bremer Stadtmusikanten“ beleuchtet: So wurden – neben einer Literaturwissenschaftlerin, einem Rechtshistoriker und einem Anwalt – u.a. auch die Polizei und der ehemalige Bürgermeister der Hansestadt um ein Statement gegeben. Selbst wenn die Meinung der Interviewpartner von der These der Autoren abwich bzw. diese scheinbar widerlegt wurde, ließen sie sich durch schnöde Fakten nicht von ihrem Glauben abbringen.

Als krönenden Abschluss offerieren sie ihrer nach Wahrheit lechzenden Leserschaft eine redigierte Fassung des Märchens, die – meiner Meinung nach – unverzüglich in jede Grimm’sche Märchensammlung integriert werden sollte. Diese Maßnahme scheint mir längst überfällig, da die Ur-Fassung nunmehr seit über 200 Jahren irreparable Schäden in abertausenden Kinderseelen hinterlassen hat. Ja, auch in meiner…! Auch meine Seele wurde zutiefst verletzt, und sie ist es noch immer. Ihr seht es mir vielleicht nicht an, aber in mir schlummert ein sensibler Schöngeist, der gefangen ist im Körper eines übergewichtigen Fernfahrers.

Intuitiv habe ich immer gespürt, dass mit diesem Märchen etwas nicht stimmte. Nun habe ich Gewissheit, und meine Wunden können endlich heilen. So danke ich diesen beiden mutigen Autoren aus übervollem Herzen, die mir den Glauben an den echten, reinen und wahren investigativen Journalismus wiedergegeben haben.

Peer! Philipp! Wenn es in unserem Land einen Pulitzer-Preis gäbe, ihr hättet ihn verdient!

Lust auf weitere Informationen? Dann empfehle ich Euch den Artikel Tatort Märchen: Das wahre Gesicht der Bremer Stadtmusikanten.


erschienen bei Seriöser Verlag/ ISBN: 978-3982246901