[Rezension] Engelbert Humperdinck – Hänsel und Gretel / im Vergleich: Bilderbuch mit Musik & Oper erzählt als Hörspiel mit Musik

Ojemine, oje, oh Schreck! Ich fürchte, dies wird in der Geschichte dieses Blogs meine erste Rezension, in der es einen reellen Verriss geben wird. Ups, sprach ich etwa von nur einem Verriss? Tschuldigung, da muss ich mich korrigieren: Ihr müsst nun sehr stark sein, denn es werden zwei Verrisse!

Wie unschwer in der Vergangenheit zu erkennen, liebe ich das Theater, besonders das Musiktheater, und bin der felsenfesten Überzeugung, dass die Kinder nicht früh genug an diese wundervolle Kunstform herangeführt werden können. So freue ich mich jedes Mal „wie Bolle“, wenn ich Bücher entdecke, die den potentiellen Mini-Zuschauer*innen auf phantasievolle und kindgerechte Weise den Zugang erleichtern und so die Angst vor einem Theaterbesuch verscheuchen. Da gibt es auf dem Markt glücklicherweise einige Verlage, die hierbei sehr rührig sind. Leider nicht immer überzeugend…

HINWEIS: Bei der obigen Aufnahme handelt es sich nicht um die, die dem Buch bzw. Hörspiel beigefügt ist. Es ist eine ältere Aufnahme, und sie dient nur dazu, einen Eindruck von der Musik zu vermitteln. 

„Hänsel und Gretel“ ist – dank der wundervollen Musik von Engelbert Humperdinck – eine der schönsten Opern, die ich kenne. Gekonnt verknüpfte Humperdinck bekannte Kinderlieder mit seinen eigenen Kompositionen und schuf so ein Werk voller traumhaft-romantischer Melodien. Diese Oper zählt zu den beliebtesten Werken in der Opernliteratur und wird besonders in der Advents- und Weihnachtszeit an vielen Theatern und Opernhäusern im Land aufgeführt. Auch „mein“ Stadttheater Bremerhaven präsentiert in diesem Jahr eine eigenständige Inszenierung, die ich mir selbstverständlich nicht entgehen lassen durfte: Bericht folgt…!


Susa HämmerleHänsel und Gretel. Kinderoper nach Engelbert Humperdinck/ mit Illustrationen von Peter Friedl

Zu den eingangs erwähnten Verlagen zählt auch der Annette Betz-Verlag. Schon die erste Begegnung mit einem der musikalischen Bilderbücher (Ein Amerikaner in Paris) löste eine Welle der Verzückung bei mir aus. Auch das zweite Werk (Die Fledermaus) konnte mich mit kleinen Einschränkungen überzeugen. Doch diesmal blätterte ich fassungslos durch dieses Bilderbuch und war maßlos enttäuscht.

Susa Hämmerle lieferte mit ihrem Text eine zwar solide doch leider wenig märchenhaft-poetische Nacherzählung. Eben auch jenes Märchenhafte suchte ich bei den Illustrationen von Peter Friedl vergebens: Ich empfand sie weniger ansprechend als vielmehr verstörend. Seinem Setting fehlten Charme und Atmosphäre, die Figuren ließen Ausstrahlung vermissen. Zudem verlieh er den Gesichtern der Kinder einen unangenehmen Ausdruck der Leere und ließ sie so unangebracht alt erscheinen.

Bei der Begleit-CD wurde auf das Archiv des renommierten NAXOS-Labels zurückgegriffen und eine historische Aufnahme aus den 50er Jahren gewählt. Unter dem Dirigat von Herbert von Karajan sangen die Sopranistinnen Elisabeth Grümmer und Elisabeth Schwarzkopf das bekannte Geschwisterpaar. Leider hört man der Aufnahme das Alter deutlich an, da auf ein sensibles Remastering verzichtet wurde. Auch bedeuten große Namen nicht zwangsläufig ein zufriedenstellendes Ergebnis. Die beiden weltberühmten Sängerinnen geben die Titelpartien unpassend geziert-damenhaft. Da spielen erwachsene Frauen wenig überzeugend zwei Kinder und gestalten so ihren Rollen völlig unglaubwürdig. Doch auch der legendäre Maestro hatte durchaus schon bessere Tage: Selten habe ich die Ouvertüre so blutleere und wenig dynamisch gehört. Ein Zustand, der leider von ihm während der gesamten Aufnahme konsequent fortgeführt wurde.

In der Neu-Auflage dieses musikalischen Bilderbuches von 2019 tauschte der Verlag sowohl die Illustrationen wie auch die Aufnahme zur Begleit-CD aus. Dieses Buch liegt mir nicht vor, und so darf ich mir zu den neuen Illustrationen von Christa Unzner kein Urteil erlauben. Bei der Auswahl der Aufnahme hatten die Verantwortlichen diesmal ein deutlich glücklicheres Händchen und wählten eine Aufnahme aus dem Archiv der BERLIN CLASSICS (s.a. unten).


1 CDs/ Hänsel und Gretel, erzählt als Hörspiel mit berühmten Melodien und Arien (2008)/ Idee, Text und Regie: Richard Braun/ mit Luca Zamperoni, Thomas Hof, Marina Mehlinger, Hans Henrik Wöhler, Manja Kloss u.a.

„Oper erzählt als Hörspiel mit Musik“: Das Konzept kann klappen, muss aber nicht…! Da hier der visuelle Aspekt durch die Illustrationen fehlte, lag die Aufmerksamkeit gänzlich auf der akustische Umsetzung. Schon mein erster Blick ins Booklet löste Enttäuschung bei mir aus, da auch hier auf die schon erwähnte Einspielung der Oper unter der musikalischen Leitung von Herbert von Karajan zurückgegriffen wurde. Richard Braun bemühte sich um eine kindgerechte und humorvolle Textfassung, die ihm streckenweise auch durchaus gelang. Einige Gags wirkten auf mich allerdings etwas bemüht witzig. Auch das Einfließen der Musik in die Handlung glückte nicht immer zufriedenstellend: Der Erzähler hatte die Handlung schon bis zu einem gewissen Punkt erzählt, als eine Musik-Einspielung folgte, die die Handlung sozusagen wieder „zurückspulte“. Zudem traf der Umstand ein, den ich im Vorfeld schon befürchtet hatte: Die Sprechstimmen harmonierten nicht mit den Gesangsstimmen. Zudem wurde das Geschwisterpaar für mich völlig unpassend von Erwachsenen gesprochen: Es gibt doch sicherlich genügend talentierte Kinder, die die Parts deutlich überzeugender gemeistert hätten, oder?


FAZIT: Liebe Vorleser*innen! Sie brauchen weder das Bilderbuch noch das Hörspiel. Aus dem großen Angebot an Aufnahmen der Oper „Hänsel und Gretel“ suchen sie sich bitte die aus, die ihnen am besten gefällt (Meine Favoriten erfahren sie am Ende dieses Beitrags!). Zudem haben sie doch sicherlich ein Buch mit Märchen der Brüder Grimm im Haus. Dies schnappen sie sich und machen sich im Märchentext dort Notizen, wo welches Musikstück passen könnte. Dann kuscheln sie sich mit ihren „Opfern“ unter einer Wolldecke zusammen, lesen das Märchen vor und lauschen gemeinsam den wundervollen Melodien. Ich bin mir sicher, das wird ganz und gar wunderbar…!!! 💖


erschienen bei Annette Betz / ISBN: 978-3219114195 (Bilderbuch) bzw. aMOR / ISBN: 978-3944063225 (Hörspiel)
Aufnahmen dieser Märchenoper gibt es viele, und natürlich sind mir nicht alle bekannt. Doch von den mir bekannten empfehle ich folgende Aufnahmen:
  • Münchner Rundfunkorchester unter der Leitung von Kurt Eichhorn mit Anna Moffo (Hänsel), Helen Donath (Gretel) und Christa Ludwig (Hexe), erschienen bei RCA Classics / EAN: 743212528121
  • Staatskapelle Dresden unter der Leitung von Otmar Suitner mit Ingeborg Springer (Hänsel), Giesela Schröter (Gretel) und Peter Schreier (Hexe), erschienen bei Berlin Classics / EAN: 782124200725
  • Symphonie-Orchester des Bayrischen Rundfunks unter der Leitung von Jeffrey Tate mit Anne-Sofie von Otter (Hänsel), Barbara Bonney (Gretel) und Marjana Lipovšek (Hexe), erschienen bei EMI / EAN: 077775402223