[Rezension] Heinrich Spoerl – DIE FEUERZANGENBOWLE

„Ein Loblied auf die Schule – aber es ist möglich, dass die Schule es nicht merkt.“
Heinrich Spoerl

Es gibt Filme, die scheinen nie zu altern. Natürlich sieht man ihnen die Jahre an: Regie, Kameraführung sowie Erzählstil und -tempo waren damals anders. Auch die Art des Schauspiels unterschied sich durchaus gegenüber moderneren Filmen. Und trotzdem bleibt diese unbeschwerte Frisch erhalten, konserviert auf Zelluloid und – im besten Fall – für die nachfolgenden Generationen sanft remastert und digitalisiert. Als vor 80 Jahren Heinz Rühmann erstmals die Primaner-Mütze zum Gruße lupfte und keck in die Kamera lächelte, hätte wahrscheinlich niemand damit gerechnet, dass dieser Film irgendwann zu den Klassikern des deutschen Kinos zählen würde.

Dabei standen die Sterne für diesen Film anfangs wenig günstig: Der Reichserziehungsminister versuchte die Freigabe des Films zu verhindern, da er in ihm die Autorität der Schule und der Lehrer gefährdet sah. Zumal es aufgrund des 2. Weltkrieges einen massiven Lehrermangel gab. Zudem verzögerte Heinz Rühmann absichtlich immer wieder die Dreharbeiten zum Film, um so die Einberufung der jungen Darsteller zum Kriegsdienst möglichst lange hinauszuschieben.

Umso erstaunlicher ist es, dass dieser Film trotz aller widrigen Umstände eine launige Leichtigkeit ausstrahlt. Auch die Hörspielfassung aus dem Jahre 1970 mit Hans Clarin als „Pfeiffer mit drei Eff“ konnte sich diese freche Unbeschwertheit bewahren. Als ich im letzten Jahr meine Rezension zum Hörspiel verfasst, keimte in mir der Wunsch, endlich auch die literarische Vorlage kennenzulernen.

Bei einer launigen Stammtischrunde, die durch Genuss besagter Feuerzangenbowle noch angeheizt wurde, schwelgen die anwesenden Herren in Erinnerungen an ihre Schulzeit. Ja, das waren noch Zeiten, als sie jung und mit Flausen im Kopf Streiche gegen die Pauker ausheckten und sich zum ersten Mal in die Schülerinnen des benachbarten Mädchen-Gymnasiums verliebten. Einzig Dr. Johannes Pfeiffer kann keine Anekdoten beitragen, da er privat unterrichtet wurde. Seine Freunde sind entsetzt: Die beste Zeit im Leben eines jungen Mannes blieb ihm verwehrt. Dieser Umstand muss schleunigst geändert werden. Kurzerhand werden entsprechende Unterlagen fingiert, Pfeiffer passend ausgestattet und auf das Gymnasium einer Kleinstadt verfrachtet. Seine Verlobte Marion ist ganz und gar nicht entzückt. Dafür ist Pfeiffer umso entzückter von der reizenden Eva, der Tochter des Direktors seiner Penne…!

Er hatte ja so recht, der Herr Spoerl: Es ist wirklich ein Loblied auf die Schule. Da skizziert er liebevoll seine Figuren, pointiert die Handlungen der Schüler und ironisiert mit Herz die Eigenarten der Lehrer. Der Autor ergreift keine Partei: Alle sind bei ihm gleichwertig. Es wird nicht über- oder sogar gegeneinander gelacht, man lacht gemeinsam!

Damit ist DIE FEUERZANGENBOWLE der literarische Gegenentwurf zu Heinrich Manns PROFESSOR UNRAT aus dem Jahre 1905. Dort wird die Schule zu einem Kriegsschauplatz für willkürliche Bestrafungen, wo Schüler und Lehrer wie verfeindete Parteien aufeinanderprallen. Hier wirken die Schelmenstücke von Hans Pfeiffer und seinen Kameraden wie harmlose Lausbubenstreiche, die nie über die imaginäre Grenze des Anstandes hinausgehen und so vom Respekt, den die Schüler gegenüber ihren Lehrern (aber ebenso auch umgekehrt) empfinden, zeugt.

Spoerls Sprache ist schnörkellos, unprätentiös, beinah unpathetisch. Klar, schlank und ohne viel Firlefanz gönnt er der Geschichte den nötigen Raum, um zu atmen, um sich zu entfalten. Übermäßige Beschreibungen sucht man hier vergebens: Was sollte er auch detailreich beschreiben, das der damaligen Leserschaft nicht schon mehr als zur Genüge aus eigenem Erleben bekannt war. Lieber skizzierte er mit sicherem Strich die prägnanten Charaktere seiner Figuren. Dabei beherrschte er die Kunst, die schmale Grenze zur Karikatur nicht zu überschreiten. Nur so stellte er sicher, dass seine Figuren so wunderbar menschlich blieben.

Ja, Herr Spoerl, es ist wahrhaftig ein Loblied auf die Schule:
…charmant, herzerwärmend und sooo lustig!


erschienen bei Droste / ISBN: 978-3770021383

[Rezension] Gilbert Keith Chesterton – Pater Brown. Tod und Amen

Ungewöhnliche Ermittler*innen sind im Krimi-Genre äußerst beliebt: Da darf es gerne die altjüngferliche Lady aus einem verschlafenen Nest in der Provinz, der dickliche Privatdetektiv mit einem Hang zur Orchideenzucht oder das Violine spielende Superhirn mit mangelnder Empathie sein. Sie alle haben sich schon vor Jahrzehnten einen immerwährenden Platz im Herzen ihrer Leserschaft erobert. Besonders reizvoll scheint es allerdings, wenn die ursprüngliche Profession des Ermittlers scheinbar völlig konträr zu Mord und Totschlag steht. Da bewegt sich z. Bsp. ein Geistlicher von der göttlichen Kanzel hinab in die Untiefen der menschlichen Existenz, um dort die christliche Nächstenliebe zu propagieren: Der Himmel trifft auf die Hölle.

Als Gilbert Keith Chesterton zwischen 1910 und 1935 einundfünfzig Erzählungen über Pater Brown verfasste, die zunächst in Zeitschriften und anschließend zusammengefasst in fünf Sammelbänden erschienen, hätte er sicher nicht damit gerechnet, dass sich seine Schöpfung auch noch heute einer großen Beliebtheit erfreut und die Vorlage für manche filmische Umsetzung liefert(e). So schlüpften sowohl Alec Guinness als auch Heinz Rühmann für das Kino in die Soutane. Für das deutsche Fernsehen trieb erst Josef Meinrad und später Ottfried Fischer den Monsignore in die Verzweiflung. Und die BBC scheucht seit einigen Jahren höchst unterhaltsam Mark Williams als Schnüffler vor Gottes Gnaden über den Bildschirm.

Nun hat der kleine, unbedeutende Land-Pater, der sich eher bescheiden im Hintergrund hält und darum von Kriminalen und Kriminellen nur allzu gerne unterschätzt wird, seine Heimat im Schweizer Kampa-Verlag gefunden und befindet sich dort in bester Gesellschaft mit Kommissar Maigret, Commissaire Lacroix und  Chief Superintendent Gamache.

Für diesen Sammelband wurde die Übersetzung von Hanswilhelm Haefs, der nachgesagt wird, dass sie sehr nahe am englischen Original bleibt, behutsam von Julian Haefs redigiert und um die Übersetzung der noch fehlenden 51. Geschichte „Father Brown und die Midasmaske“ ergänzt. So umfasst dieser Schmöker stattliche 1268 Seiten incl. ein zwölfseitiges Nachwort und 67 Seiten an Anmerkungen. Besonders die Anmerkungen haben es in sich: Erklären sie doch so manche humoristische Anspielungen, politische Seitenhiebe und zeittypische Besonderheiten, die wir aus heutiger Sicht als Unkundige der damaligen Epoche nur schwerlich verstehen würden. Sind der Anmerkungen auch viele, so stören sie nicht den Fluss der Geschichte und können eher als Obolus betrachtet werden, der Rückschlüsse auf die persönliche Haltung des Autors zum jeweiligen Thema zulässt.

Allen Geschichten ist gemein, dass sie raffiniert konstruiert sind und gerne mit einem Twist überraschen. Unser Held trifft in seinen Abenteuern auf vielschichtige Charaktere in interessanten Settings, deren jeweilige Beschreibung der Autor sehr atmosphärische gestaltet. Dabei erfährt die geneigte Leserschaft von unserem Titelhelden recht wenig. Viele Details aus seiner Vergangenheit müssen aus Nebensätzen zusammengereimt werden. Pater oder vielmehr Father Brown (die englische Anrede Father wurde bei den Übersetzungen beibehalten) dient vielmehr als Projektionsfläche seiner Co.-Stars wie Valentin, Chef der Pariser Polizei, oder dem Meisterdieb Flambeau. Wer die kurzweilige BBC-Serie kennt und somit auch bei den Erzählungen humorvolle Krimi-Komödien erwartet, wird verwundert sein: Im Vergleich zur filmischen Adaption sind die Geschichten oftmals sehr düster, beinah gespenstisch-schaurig und manchmal durchaus brutal in ihrer Beschreibung der Morde. Unwillkürlich erinnerten sie mich an die Stories von Edgar Allan Poe, der als Wegbereiter des Symbolismus in der Literatur gilt. Ähnliches meinte ich auch bei G. K. Chesterton erkennen zu können, wo Alltägliches überhöht dargestellt wird und so an Bedeutung gewinnt.

Ich mag Anthologien sehr gerne. Bestenfalls (so wie hier) sind sie wie ein literarisches Büffet: Ich nasche mal hier, probiere mal da. So tat bzw. tue ich es auch bei diesem Werk: Von allen 51 Geschichten habe ich noch nicht gekostet. Doch das Buch liegt – wie eine offene Pralinenschachtel – immer griffbereit auf dem Tischchen neben meinem Lesesessel, und so kann ich jederzeit nach Lust und Laune „hineingreifen“ und weiternaschen!


erschienen bei Kampa / ISBN: 978-3311125662 / in der Übersetzung von Hanswilhelm Haefs und Julian Haefs

Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!