[Rezension] Joachim Mischke – DER KLASSIK-KANON. 44 Komponisten, von denen man gehört haben muss/ mit Illustrationen von Lucia Götz

Vielleicht geht´s euch auch so: „Eigentlich“ (Ich bitte, meine Wortwahl zu beachten!) kenne ich doch schon recht viele klassische Kompositionen. „Die vier Jahreszeiten“ von Vivaldi haben sich zu wahren Evergreens gemausert. Wenn Mozart seinen Helden Tamino in „Die Zauberflöte“ von „Dies Bildnis ist bezaubernd schön“ schwärmen lässt, bin ich nur allzu gerne bereit, mich ebenfalls dem Schwärmen hinzugeben. Natürlich weiß ich auch, wo Tschaikowski die Rohrflöten zum Tanzen bringt. Und bei „Da-da-da-da Da-da-da-da“ denke ich weniger an die Neue Deutsche Welle sondern vielmehr an Beethovens „Sinfonie Nr. 5“.

Doch dann dringt eine vertraute Melodie an mein Ohr, bei der ich weder die Komponistin bzw. den Komponisten benennen kann, noch dass ich sie einem Werk zuordnen könnte. Müsste ich mich nun für dieses Unwissen schämen? Ganz sicher nicht! Meine Devise lautete immer „Ich muss nicht alles wissen. Ich muss nur wissen, wo es steht!“, und so greife ich beherzt zu einer sachkundigen Lektüre…!

Klassik ist für viele ein Buch mit sieben Siegeln und zudem ein Thema, bei dem man sich leicht blamiert: Was war noch mal der Unterschied zwischen Haydn und Händel, Schostakowitsch und Schubert? Dabei verbinden sich mit diesen Komponisten und ihren Werken die faszinierendsten Geschichten. Joachim Mischke stellt die 44 Wichtigsten von ihnen vor und erzählt von bunten Pullovern, tödlichen Duellen, wüsten Fehden – und lässt uns dabei erleben, warum man die Welt der Klassik am Liebsten nie wieder verlassen möchte, wenn man sie erst einmal betreten hat.

(Inhaltsangabe der Homepage des Verlages entnommen!)

„Dieses Buch soll ein kurzer, kein erschöpfender Ratgeber sein, eine legale Einstiegsdroge in die Kunstform des Komponierens von Musik. Für Vollständigkeit ist hier kein Platz, dann wäre es bloß ein weiteres Lexikon. Die Lust an der Lücke ist mir wichtiger.“ verrät uns der Autor schon im Vorwort, traf mit diesen Worten bei mir genau ins Schwarze und ließ mich innerlich jubeln. So macht er Mut, sich gänzlich unbefangen mit der klassischen Musik zu beschäftigen. Ressentiments gegenüber dieser oft als Hochkultur betitelten Kunstform sind gänzlich unbegründet: Im Mittelpunkt sollte immer die Freude an der Musik (insbesondere, wenn sie live dargeboten wird) stehen.

Als interessierter Laie brauche ich zum Einstieg ins Thema kein seitenstarkes Lexikon und keine allumfassende Biografie. Im Gegenteil: Kurz, knapp und möglichst unterhaltsam möchte ich etwas über die Komponistin bzw. den Komponisten erfahren. Und genau dies bietet mir Joachim Mischke auf jeweils 4½ Seiten, auf denen er im lässigen Plauderton die Höhen und Tiefen aber auch so manche Anekdote aus dem Künstler*innen-Leben nicht verschweigt. Musik-Tipps bietet er uns am Ende des Lebenslaufs unter den Rubriken „Die Einstiegsdroge“, „Das typischste Stück“ und „Für Fortgeschrittene“ sowie mit ein bis zwei weiteren Punkten, die Hinweise auf Originelles, Ungewöhnliches oder Kurioses im jeweiligen Œuvre geben.

Glücklicherweise vermied Lucia Götz in ihren Illustrationen eine ironische Überhöhung. Vielmehr tilgte sie aus den Porträts den unnötigen Tand, indem sie sie auf die markantesten Merkmale reduzierte. Und doch blieb die Persönlichkeit stets klar zu erkennen – wenn auch mit einem humorvollen Augenzwinkern. Dieses launige Gesamtpaket aus Porträt, Text und Musik-Tipps animierte mich, mich mit der einen oder anderen Komposition weiter zu beschäftigen bzw. sie neu für mich zu entdecken.

Mit „Abgesehen von den Giganten, an denen man wirklich nicht vorbeikommt, ist die Auswahl der Komponisten und Komponistinnen sehr subjektiv und gerade deswegen garantiert ein Anlass, sich aufzuregen, weil diese fehlt oder jener.“ versucht Joachim Mischke bereits im Vorwort potenziellen Unken-Rufern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Nein, aufregen will und mag ich mich nicht, denn dafür gefällt mir dieses Buch zu sehr. Unken muss ich aber leider trotzdem: Es verwundert mich schon sehr, dass Herr Mischke als ein ausgewiesener Klassik-Experte unter den „44 Komponisten, von denen man gehört haben muss“ mit Fanny Hensel und Clara Schumann nur zwei Frauen einen Platz einräumte. Ich unterstelle Herrn Mischke, das er da sicherlich noch einige mehr benennen könnte. Zumal die Frauen nicht weniger oder schlechter komponiert haben als die Männer. Oftmals erschufen sie ihre Meisterinnen-Werke sogar unter deutlich beschwerlicheren Bedingungen. Diesen Umstand empfinde ich bei einem relativ aktuellen Werk (Erstveröffentlichung: 2020) wie diesem als sehr bedauerlich. Nur allzu gerne hätte ich seine launigen Lebensläufe zu weiteren herausragenden Komponistinnen gelesen, die somit meine Neugier geweckt hätten, mehr über sie in Erfahrung zu bringen. Dass es da für mich als amateurhafter Klassik-Fan noch viel zu entdecken gilt, verdeutlicht mir sehr eindrucksvoll diese Liste von Komponistinnen verschiedener Epochen der Musikgeschichte.

Lieber Herr Mischke, lieber Hoffmann und Campe-Verlag! Ich hoffe sehr auf eine Neu-Auflage, bei der die Damen gleichermaßen berücksichtigt werden. Es würde mich sehr freuen!


erschienen bei Hoffmann und Campe / ISBN: 978-3455010039

[Rezension] Hamburg zum Verweilen. Mit Geschichten die Stadt entdecken/ herausgegeben von Antje Flemming & Folke Havekost

Hamburg – meine Perle!

In der Zwischenzeit waren wir schon wieder bei dir, haben eine Vorstellung in einem unserer Lieblingstheater besucht, so ganz nebenbei ein bisschen Großstadt-Luft geschnuppert und dabei hautnah erlebt, wie unterschiedlich je nach Bundesland und Inzidenzwert die Corona-Bestimmungen umgesetzt werden. Doch irgendwie hat uns die Corona-Pandemie Stadt-müde gemacht: Unsere Sinne waren so sehr auf „Lockdown“ heruntergefahren, dass uns der städtische Trubel eher unangenehm war. So wird es wohl noch einige Zeit dauern, bis wir uns wieder auf den Weg zu einem ausgiebigen Rundgang durch die Stadt begeben.

„Mit Geschichten die Stadt entdecken“ verspricht der Reclam-Verlag mit seiner neuen Reihe an Stadtführern, und so setzt der Verlag dem jeweiligen Ort literarisch sein Denkmal. In gewohnter Stadtführer-Manier befinden sich im vorderen wie hinteren Umschlag die Straßenkarten. Hier entdeckt der interessierte Reisende Hinweise zu Sehenswürdigkeiten mit Angabe der Seitenzahl, wo die dazugehörigen Texte im Buch zu finden sind. Zu jedem der genannten Plätze liefern die Herausgeberinnen eine informative Einleitung, bevor sie die Literat*innen selbst zu Wort kommen lassen.

So spazieren wir mit Kurt Tucholsky über die sündige Reeperbahn, besuchen mit Joachim Ringelnatz die Seemannsmission in Altona und vergnügen uns mit Fanny Müller bei einem Straßenfest im Schanzenviertel. Hubert Fichte berichtet uns von der legendären „Palette“ am Gänsemarkt, mit Karen Duve besteigen wir ein Taxi am Jungfernstieg und treffen uns mit Heinrich Heine auf dem Rathausmarkt. Willi Bredel lädt uns ins St. Pauli Theater ein, und Uwe Timm verrät uns, wo es in der Neustadt die beste Currywurst gab.

Die Elbe können wir sowohl mit Joachim Mischke von der Plaza der Elbphilharmonie wie auch mit Wolfgang Borchert von Blankenese aus bewundern. Franz Kafka verrät uns seine Gedanken zum Tierpark Hagenbeck, Carl von Ossietzky verführt uns zu einer Fahrt auf der Alster, und mit Matthias Nass werfen wir einen Blick ins Wohnhaus von Loki und Helmut Schmidt. Hans Erich Nossack lässt uns an einem außergewöhnlichen Gespräch auf der Lombardbrücke teilhaben, und Ilse Frapan plaudert über die Leute, die die Kirche St. Michaelis besuchen, während in deren unmittelbarer Nähe Simone Buchholz über die Landungsbrücken schlendert.

Die Namen der Autor*innen lassen es erahnen: Die zeitliche Einordnung der Texte umspannt mehrere Jahrhunderte. So kommen wir in den Genuss sehr unterschiedlicher Erzählstile, spannen einen unterhaltsamen Bogen aus der Vergangenheit bis zur Gegenwart und erleben Hamburg aus den Blickwinkeln verschiedener Epochen.

Wer seine Lieblingsstadt gerne auf einem literarischen Rundgang „neu“ für sich entdecken möchte, der ist mit dieser Reihen bestens beraten.


erschienen bei Reclam/ ISBN: 978-3150205648