[Rezension] Hamburg zum Verweilen. Mit Geschichten die Stadt entdecken/ herausgegeben von Antje Flemming & Folke Havekost

Hamburg – meine Perle!

In der Zwischenzeit waren wir schon wieder bei dir, haben eine Vorstellung in einem unserer Lieblingstheater besucht, so ganz nebenbei ein bisschen Großstadt-Luft geschnuppert und dabei hautnah erlebt, wie unterschiedlich je nach Bundesland und Inzidenzwert die Corona-Bestimmungen umgesetzt werden. Doch irgendwie hat uns die Corona-Pandemie Stadt-müde gemacht: Unsere Sinne waren so sehr auf „Lockdown“ heruntergefahren, dass uns der städtische Trubel eher unangenehm war. So wird es wohl noch einige Zeit dauern, bis wir uns wieder auf den Weg zu einem ausgiebigen Rundgang durch die Stadt begeben.

„Mit Geschichten die Stadt entdecken“ verspricht der Reclam-Verlag mit seiner neuen Reihe an Stadtführern, und so setzt der Verlag dem jeweiligen Ort literarisch sein Denkmal. In gewohnter Stadtführer-Manier befinden sich im vorderen wie hinteren Umschlag die Straßenkarten. Hier entdeckt der interessierte Reisende Hinweise zu Sehenswürdigkeiten mit Angabe der Seitenzahl, wo die dazugehörigen Texte im Buch zu finden sind. Zu jedem der genannten Plätze liefern die Herausgeberinnen eine informative Einleitung, bevor sie die Literat*innen selbst zu Wort kommen lassen.

So spazieren wir mit Kurt Tucholsky über die sündige Reeperbahn, besuchen mit Joachim Ringelnatz die Seemannsmission in Altona und vergnügen uns mit Fanny Müller bei einem Straßenfest im Schanzenviertel. Hubert Fichte berichtet uns von der legendären „Palette“ am Gänsemarkt, mit Karen Duve besteigen wir ein Taxi am Jungfernstieg und treffen uns mit Heinrich Heine auf dem Rathausmarkt. Willi Bredel lädt uns ins St. Pauli Theater ein, und Uwe Timm verrät uns, wo es in der Neustadt die beste Currywurst gab.

Die Elbe können wir sowohl mit Joachim Mischke von der Plaza der Elbphilharmonie wie auch mit Wolfgang Borchert von Blankenese aus bewundern. Franz Kafka verrät uns seine Gedanken zum Tierpark Hagenbeck, Carl von Ossietzky verführt uns zu einer Fahrt auf der Alster, und mit Matthias Nass werfen wir einen Blick ins Wohnhaus von Loki und Helmut Schmidt. Hans Erich Nossack lässt uns an einem außergewöhnlichen Gespräch auf der Lombardbrücke teilhaben, und Ilse Frapan plaudert über die Leute, die die Kirche St. Michaelis besuchen, während in deren unmittelbarer Nähe Simone Buchholz über die Landungsbrücken schlendert.

Die Namen der Autor*innen lassen es erahnen: Die zeitliche Einordnung der Texte umspannt mehrere Jahrhunderte. So kommen wir in den Genuss sehr unterschiedlicher Erzählstile, spannen einen unterhaltsamen Bogen aus der Vergangenheit bis zur Gegenwart und erleben Hamburg aus den Blickwinkeln verschiedener Epochen.

Wer seine Lieblingsstadt gerne auf einem literarischen Rundgang „neu“ für sich entdecken möchte, der ist mit dieser Reihen bestens beraten.


erschienen bei Reclam/ ISBN: 978-3150205648

[Rezension] Fanny Müller – Keks, Frau K. und Katastrophen

Vor langer, langer Zeit lief auf WDR die unterhaltsame Sendung „Was liest Du?“, in der Jürgen von der Lippe zusammen mit prominenten Gästen Bücher vorstellte. Im Jahr 2005 war der wunderbare Dirk Bach zu Gast, und die Beiden lasen aus „Keks, Frau K. und Katastrophen“ von Funny Müller.

Ich hatte mich köstlich darüber amüsiert und bin am nächsten Tag hyperaktiv losgerannt, um mir dieses Buch zu besorgen.

Und nun sitze ich hier und schreibe meine eigene kleine Kolumne – `tschuldigung REZENSION…

Vorweg: Fanny Müller, wer ist das? Diese Frage werden sich außer mir sicher einige der WDR-Zuschauer gestellt haben. Wo hat sich diese Frau versteckt? Wieso ist sie mir als einigermaßen (ein)gebildeter Leser bisher nicht in die Finger und somit nicht vor`s Auge gekommen?

Die Antwort ist eigentlich sehr einfach: die Frau schreibt Kolumnen für div. Zeitschriften. Und da ich ein Leser und kein Blätterer bin, weder häufig im Wartezimmer eines Gynäkologen (wozu auch), noch in sogenannten Intellektuellenkneipen (dafür sind meine Haare zu ordentlich gekämmt) `rumsitze, hatte ich diese Frau bisher nicht wahrgenommen.

Das änderte sich nun schlagartig…………(Jürgen & Dirk, ich danke euch!!!)

Frau Müller schreibt kleine, feine, freche Alltagsgeschichten und schaut dabei ihren Mitmenschen sehr genau auf`s Maul und in`s Herz. Sie macht dies auf einer herrlich schnodderigen Art und schert sich nicht die Bohne darum, ob dies nun „political correct“ ist.

Und somit geht sie uns allen (incl. sich selbst) an den Kragen, ist entwaffnend ehrlich aber nie gemein.

Ihre Geschichten sind dabei kleine Lichtblicke im trüben Einerlei, ein Augenblinzeln und schon ist die Geschichte zu Ende. Aber gerade die alltäglichen Kleinigkeiten beinhalten oft eine besondere Komik. Jeder und jedes bekommt genüsslich von ihr das Fett weg: die Lust, das Laster & die Literatur, Politiker & Punks, Chefs & Handwerker, die liebe Familie & die nervigen Nachbarn, ihre Verflossenen & Männer im Allgemeinen. Absolute Highlights setzt sie mit den Anekdoten ihrer Nachbarin Frau K.: Diese kluge, alte Frau bringt häufig mit einem Satz, manchmal nur mit einem Wort die Absurditäten ihrer Umwelt so treffend auf den Punkt, dass ich beim Lesen in spontanes Gegackere ausgebrochen bin und völlig begeistert war (Frau K., ich will ein Kind von dir!).

Frau M.: „Ich nehme an, Sie haben in Ihrem Leben schon alles gesehen?“ Frau K.: „Zweimal.“

Nach vielen (580) Seiten war der Spaß dann leider vorbei. Einigen Tagen später war ich auf Entzug und brauchte dringend Nachschub,…

…aber niemand wollte mir den Weg zum nächsten Gynäkologen weisen!

erschienen bei Zweitausendeins/ ISBN: 978-3861505358