[Rezension] VIVA LA DIVA. Geschichten von der Oper/ ausgewählt von Silvia Zanovello & Adrian Asllani

🎼 Heute ist der WELTOPERNTAG! 🎼


Vor Jahren bezeichnete ich mich primär als Musical-Fan: Aufführungen von Oper und Operette habe ich „so nebenbei“ besucht. Doch in der Zwischenzeit hat mit der Zahl der besuchten Inszenierungen die Oper gemeinsam mit ihrer kleinen Schwester der Operette das Musical deutlich überholt. Somit würde ich mich nun eher als Fan des Musiktheaters betiteln. Ich liebe das Musiktheater so sehr, da ich hier, wie nirgends sonst, alles um mich herum vergessen kann. Oder wie Elke Heidenreich es in ihrem Beitrag OPER IST AUFRUHR so treffend, so wahr und wahrhaftig beschrieb…

„Ich hatte noch nie eine Koloratur gehört, aber ich habe sofort gefühlt, was das ist: sinnlicher Überfluss, Verschwendung, Tanz mit Tönen. Und ich war schon bei der Ouvertüre wie verwandelt. Ich hörte hier zum ersten Mal Musik im Dunkeln, in diesem Saal, in diesem Augenblick für mich gespielt – was für ein unbeschreiblicher Luxus!“

…und genau diesen Gefühlswirbelsturm empfinde ich ebenso, und es stürmt nie weniger.

Gibt es etwas Aufregenderes als die Oper? Man tritt ein: die goldenen Logen, der rote Plüsch, das Orchester beim Stimmen. Der Vorhang geht auf, und der Alltag verschwindet. Es zählen nur noch die Musik und das Geschehen auf der Bühne. Große Gefühle in Liebesduetten, bei Gefangenenchören und in Sterbearien. Zuletzt der Schlussapplaus, überbrüllt mit Bravo- und Buhrufen.

 (Inhaltsangabe der Homepage des Verlages entnommen!)

Neben Elke Heidenreich meldet sich eine äußerst illustre Schar an Literat*innen aus Gegenwart und Vergangenheit zu diesem Thema zu Wort: Gleich zu Beginn dieser Text-Sammlung gibt uns Donna Leon DREI OPERNTIPPS FÜR EINSTEIGER. Doris Dörrie schildert nachdrücklich wie DER BLAUE MÜLLSACK die Karriere einer Requisite dramatisch beendete. Meister Mozart persönlich lässt uns mit MEINE OPERA GEHT IN SCENA einen Blick in seine Korrespondenz werfen und so erahnen, dass das Leben eines musikalischen Genies nicht immer ein Zuckerschlecken war. Bei Ewald Arenz bricht ein verheerendes FEUER in einem Theater aus und verändert damit das Leben des Protagonisten.

Petra Mosbach erzählt in DER KORREPETITOR von den Höhen und Tiefen dieses Berufes an einem eher kleineren Stadttheater. An die große Pariser Oper mit ihren legendären Geschichten entführt uns Gaston Leroux mit DIE DIVA UND DAS PHANTOM DER OPER. Shelly Kupferberg berichtet in ihrer hinreißenden Geschichte DISSONANZEN über einen öffentlichen Vortrag zum Thema „Kultur und Kritik des Kunstgesangs“, der eine Ehekrise wie auch eine Gerichtsverhandlung nach sich zog. Loriot lässt mit einer gar köstlichen Szene AN DER OPERNKASSE – wie schon so oft – mein Zwerchfell vor Lachen erzittern. Mit dem SCHWANENGESANG beendet Agatha Christie nicht nur diese Anthologie sondern auch eine besondere Aufführung von „Tosca“, bei der auf offener Bühne eine späte aber effektvolle Rache geübt wird.

Auf dem Umschlag des Buches wird mit „einer exklusiven Erzählung von Vea Kaiser“ geworben: Leider konnte gerade diese Erzählung mich nicht gänzlich überzeugen. Wobei ich eh der Meinung bin, dass das Schreiben einer Kurzgeschichte eine Kunst für sich und somit eine besondere Herausforderung darstellt. Vea Kaiser schätze ich dafür umso mehr für ihre wunderbar epischen und warmherzigen Familiengeschichten.

Neben den bereits Genannten gibt es zudem Textbeiträge von E.T.A. Hoffmann, Wolfgang Schlüter, Barbara Villiger Heilig, Irene Diwiak, Mark Twain, Ethel Smyth, Charles Lewinsky, Franz Werfel, Lukas Hartmann und Giulio Zanni zu entdecken.

Die thematischen Anthologien aus dem Diogenes-Verlag sind immer ein Garant für gute und abwechslungsreiche Unterhaltung. Dieses Konglomerat an Geschichten in VIVA LA DIVA spiegelt die Vielfalt der Oper so treffend wieder, mit all ihren Höhen und Tiefen, mit fulminanten Triumpfen und erschreckenden Dramen, mit launigen Anekdötchen und handfesten Skandalen, mit einem verklärten Blick in die Vergangenheit und einem ernüchternden Blick in die Gegenwart (oder auch umgekehrt).

Doch genau dies alles – und noch viel mehr – ist es, was ich an der Oper so sehr liebe!


erschienen bei Diogenes / ISBN: 978-3257248210
Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

[Rezension] Vea Kaiser – RÜCKWÄRTSWALZER. oder Die Manen der Familie Prischinger

Lorenz Prischinger ist am Ende: seine Schauspiel-Karriere stagniert, seine Freundin verlässt ihn für irgendeinen Deppen, die Schulden stehen ihm bis zum Hals, weswegen er seine schicke Wiener Nobel-Wohnung untervermieten muss. Nun nächtigt er im ehemaligen Kinderzimmer seiner Cousine, denn er ist bei seiner Tante Hedi und seinem Onkel Willi untergeschlüpft und muss eine geballte Ladung Tanten-Power über sich ergehen lassen, da Hedis Schwestern Mirl und Wetti auch stets zur Stelle sind. Tiefer kann er nicht sinken, denn schlimmer kann es nicht werden! Doch! Kann er! Sicher! Wird es!

Überraschend stirbt Onkel Willi (ein schwaches Herz, hatte seine Mutter schon): Gemäß seinem letzten Wunsch soll er in seiner Heimat Montenegro beerdigt werden. Eine offizielle Überführung ist zu teuer, also wird zu einer unkonventionellen Lösung gegriffen: Lorenz macht sich im kleinen Fiat Panda mit dem toten, tiefgefrorenen Onkel auf dem Beifahrersitz und seinen drei Tanten auf dem Rücksitz auf den Weg in die 1029 km entfernte Heimat seines Onkels.

Vea Kaiser lässt – eingerahmt von diesem ausgefallenen „Road Trip“, der im hier und jetzt spielt – die Vergangenheit der Prischinger-Familie wiederaufleben. Dabei erscheint es, als würde sie einen Film zurückspulen, anhalten und ein Stück wieder laufen zu lassen, um dem Publikum (=Leser) eine weitere Szene als Rückblende vorzuführen. In Etappen verrät sie dem Leser die Lebensgeschichten der 5 Prischinger-Kinder: neben Mirl, Hedi und Wetti gibt es noch Sepp, den Vater von Lorenz, und Nenerl, den verstorbenen Zwillingsbruder von Mirl. In dieser schon äußerst abwechslungsreichen Familiengeschichte verwebt Vea Kaiser zusätzlich den Lebensweg von Onkel Willi. Mit all diesen parallel verlaufenden Handlungsstränge und Rückblenden hätte es für den Leser sehr schnell unübersichtlich und unverständlich werden können! Das wird es nicht, da Vea Kaiser immer die Zügel in der Hand behält, den Weg im Blick und somit das Ziel vor Augen hat.

Vea Kaiser liebt ihre Protagonisten mit all ihren Fehlern, Marotten und (Fehl-)Entscheidungen. Sie portraitiert die einzelnen Personen sehr detailliert und ironisch aber nie entlarvend. Ihr Humor ist manches Mal lakonisch, mit viel Mutterwitz (…oder sollte ich lieber „Tantenwitz“ sagen?) aber stets respektvoll.

Dabei scheinen auch immer die Verstorbenen der Familie aus dem Jenseits, Einfluss auf die Protagonisten zu nehmen und somit deren Handeln zu prägen: „Die Manen der Familie Prischinger“ lautet nicht ohne Grund der Untertitel dieses Romans. Der Begriff „Manen“ kommt aus dem lateinischen und meint die Geister der Toten der römischen Mythologie. Ist unser aller Handeln nicht ebenso geprägt durch Begegnungen und Erfahrungen aus der Vergangenheit? Erschrecken wir nicht über uns selbst, wenn wir Eigenarten eines Elternteils an uns entdecken, die wir „nie und nimmer“ annehmen wollten? Erkennen wir es nicht auch selbst, dass die Taten unserer Ahnen, Einfluss auf unser Werden hatten?

Dieser Roman öffnet sich dem Leser nur Seite für Seite, Szene für Szene, Stück für Stück…!

Ich habe über dieses komplexe Handlungsgerüst, die vielschichtigen Charaktere und intelligenten Dialoge gestaunt: Nie gab es für mich einen Moment der Langeweile. Im Gegenteil: Stets wollte ich mehr über diese Familie erfahren, amüsierte mich über die humorvollen Situationen, die durchaus in Richtung Slapstick hätten abgleiten können aber immer rechtzeitig ausgebremst wurden, oder war gerührt von der Wärme, mit der die allzu menschlichen und somit verständlichen Schwächen der Familienmitglieder beschrieben wurden.

Vea Kaiser liebt ihre Protagonisten, und darum lieben wir sie ebenso!


erschienen bei Kiepenheuer & Witsch/ ISBN: 978-3462051421

Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

Wer noch eine 2. oder gar 3. Meinung benötigt, der wird bei Lesen… in vollen Zügen und bei Leseschatz fündig!

Welche Freude: Am 22. Mai wird Vea Kaiser mit einer Lesung aus diesem Roman bei uns zu Gast sein!