[Rezension] Alex Lépic – Lacroix und die stille Nacht von Montmartre

Schnee fällt auf Paris und verwandelt die Seine-Metropole in eine weiße Winter-Weihnachts-Landschaft. Lichter erleuchten stimmungsvoll den beliebten Place du Tertre. Doch Moment: Wo am Tag zuvor noch die üppigen Lichterketten für weihnachtliches Ambiente sorgten, fehlt nun von ihnen jegliche Spur. Als Commissaire Lacroix vom Kommissariat des fünften Arrondissements von diesem Vorfall aus der Zeitung erfährt, vermutet er dahinter nur einen Dumme-Jungen-Streich. Als tags darauf die riesige Tanne bei Sacré-Cœur gefällt am Boden liegt, ist sein Interesse geweckt, und er bietet seiner dortigen Kollegin Rose Violet seine Unterstützung an. Zeit könnte er genügend erübrigen, da sein eigenes Revier gerade von einer vor-weihnachtliche Trägheit beherrscht wird. Beide Ermittler tippen zuerst auf einen Weihnachtsgegner als Täter. Doch als am darauf folgenden Tag ein Anschlag auf einen Kutscher erfolgt und dessen Pferd abgestochen wird, bekommt dieser Fall eine gänzlich andere Dimension…!

Seit seinem ersten Fall „Lacroix und die Toten vom Pont Neuf“ entwickelt sich der Commissaire aus Paris langsam zu einer modernen Variante von Kommissar Maigret. Parallelen sind schnell gefunden: So zitiert Autor Alex Lépic respektvoll doch offensichtlich die berühmte Vorlage, staffiert seinen Commissaire Lacroix mit Hut und Pfeife aus, charakterisiert ihn als besonnenen, vorausschauenden Mann, der dem Genuss nicht abgeneigt ist, und lässt ihn in den Straßen und Gassen von Paris agieren. Dabei liefert der Autor seinen Leser*innen vieles von dem, was sie auch an den Simenon-Romanen lieben und schätzen, vermeidet aber tunlichst, dass seine Romane als bloßes Plagiat eines großen Vorbildes erscheinen.

Locker, leicht und unangestrengt fließt die Handlung über die Seiten und bietet immer wieder abwechslungseiche Entwicklungen ohne in Hektik zu verfallen. Auch die Personenzeichnung gefällt mit ihren kauzigen Typen, die eine enorme Bandbreite an Charakteren abdeckt. Zudem verströmt der vorliegende Roman viel Atmosphäre durch die Beschreibung vom winterlichen Paris mit seinen typischen Bistros und Cafés, den verschneiten Parks und der Bohème des Künstlerviertels  – wie wir es auch aus den Maigret-Romanen kennen.

Doch so wie die dort handelnden Personen Kinder ihrer Zeit sind, so ist auch das Handlungspersonal der Lacroix-Romane der heutigen Zeit verbunden. Während Frauen im Polizeidienst bei Simenon eher Randerscheinungen sind, treten sie hier gleichberechtigt auf. Während Madam Maigret vornehmlich Hausfrau war, ist Madam Lacroix beruflich als Bürgermeisterin des siebten Arrondissements tätig. Während die weitere familiäre Bande bei Maigret im Dunkeln schlummert, kann Lacroix einen Zwillingsbruder vorweisen, der Geistlicher in der Kirche Sainte-Clotilde ist. Diese Konstellation an Personen ermöglicht eigenständige Verwicklungen unabhängig vom literarischen Vorbild.

Trotz aller Modernität hat sich Lacroix einen Hauch traditioneller Schrulligkeit bewahrt und weigert sich z. Bsp. ein Handy zu nutzen – eine Eigenart, die ihn mir sehr sympathisch macht, da auch ich kein Handy besitze. Lacroix und ich, wir sind die besten Beweise dafür, dass ein Leben ohne Handy möglich ist!

All diejenigen, die nun versuchen sollten, mehr über den Autor in Erfahrung zu bringen, seien gesagt „Spart Euch die Mühe!“. Alex Lépic ist ein geschlossenes Pseudonym. Um die Person, die sich dahinter verbirgt, ranken sich beinah schon Mythen, und die Namen einiger namhafter Autoren sind in diesem Zusammenhang schon genannt worden. Da nützten auch nicht die „investigativen“ Frage, die BuchMarkt dem Verleger Daniel Kampa stellte: Er blieb und bleibt standhaft!

Doch wer sich auch immer hinter diesem Pseudonym verbirgt: Ihm ist ein für sich einnehmender Roman gelungen, der über eine gehörige Portion Pariser Charme verfügt und so beim Lesen viel Freude bereitet.

P.S.: Manchmal überschlagen sich die Ereignisse, und eben noch Aktuelles ist im nächsten Augenblick nur noch eine „olle Kamelle“. Hinter dem Pseudonym „Alex Lépic“ versteckte sich Journalist und Autor Alexander Oetker.


erschienen bei Kampa/ ISBN: 978-3311125174

Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

MONTAGSFRAGE #95: Welche kleinen Verlage kennt ihr eigentlich und mögt ihr gern?

Natürlich hat jeder von uns die Publikationen der großen Verlage im Regal stehen: Diogenes, Rowohlt, Hanser und die vielen, vielen Verlage, die sich unter dem Dach von Random House befinden, kennt wohl beinah jedes Kind, und daran ist absolut nichts Verwerfliches…! Aber es gibt auch sie, die kleinen und kleinsten Indie-Verlage, die Klassisches pflegen, Kantigem ein Forum bieten und Unbekanntem Raum geben.

Seit Herbst 2018 gibt es erst den Schweizer Kampa Verlag mit dem namensgebenden Daniel Kampa an der Spitze, der sich als Heimstätte von Georges Simenons Werke etabliert hat. Doch auch die Literaturnobelpreis-geadelte Olga Tokarczuk fand hier ihre deutschsprachige Heimat. Zudem überrascht der Verlag mich immer wieder mit ausgewählten Anthologien, schön illustrierten (Kinder-)Büchern und sowohl neu- als auch wiederentdeckten Krimis.

Antje Kunstmann und ihr Team scheinen ein feines Gespür zu besitzen, bei welchen in Vergessenheit geratenen Werken es sich lohnt, sie vom Staub der Vergangenheit zu befreien. Ihre Wiederveröffentlichungen (u.U. in neuer Übersetzung) sorgen für reichlich Gesprächsstoff. Aber auch moderne Gegenwartsliteratur ist hier zu finden, wie beispielsweise Kristof Magnusson mit seinem Roman „Ein Mann der Kunst“. Doch ich habe auch immer mit größtem Vergnügen den einen oder anderen Blick in einen der Lyrik-Bände geworfen.

„Schöne Bücher für kluge Frauen“ lautet das Motto vom Elisabeth Sandmann Verlag. Doch auch kluge Männer schätzen diesen Verlag für seine außerordentlich schönen Bildbände und die Sachbücher zu inspirierenden Themen und erfreuen sich an deren hochwertigen Aufmachung. Kluge Männer haben nämlich erkannt, dass Literatur mit feministischer Thematik eine Bereicherung darstellt.

Der kleine Bremer Donat Verlag bietet eine überraschende Bandbreite. Seit Gründung in Familienbesitz findet die/der interessierte Leser*in in diesem Verlag Werke zu Themen, die eher abseits des Mainstreams anzusiedeln sind. Autor*innen aus Bremen und „umzu“ fanden hier ihr verlegerisches Zuhause. Auch die Erzählbände der mir bekannten Autorin Ria Neumann sind hier erschienen.

Auch der Schünemann Verlag hat in Bremen seine Heimat. Neben s.g. „Bremensien“ und div. (Fach-)Zeitschriften gibt es einiges „op Platt“ zu entdecken. Aber auch die Koch- bzw. Kinderbücher mit regionalem Bezug schätze ich sehr. So habe ich mich in das Buch „Norddeutsche Sagen und Märchen“ mit Illustrationen von Julia Beutling verliebt.

Die Publikationen der Indie-Verlage bereichern die Literatur-Landschaft wie bunte Farbkleckse und sorgen so für eine enorme Themen-Vielfalt. Ich finde es absolut großartig…!

…und welche kleinen Verlage mögt Ihr???


Antonia Leise von „Lauter & Leise“ hat dankenswerterweise DIE MONTAGSFRAGE: Buch-Blogger Vorstellungsrunde wiederbelebt und stellt an jedem Montag eine Frage, die Interessierte beantworten können und zum Vernetzen, Austauschen und Herumstöbern anregen soll! Ich bin gerne dabei!!!

In meinem MONTAGSFRAGE-Archiv findet Ihr Fragen & Antworten der vergangenen Wochen.

[Rezension] Elementar, mein lieber Watson: Neue Fälle für Sherlock Holmes/ zusammengestellt von Daniel Kampa

Seit über 130 Jahren ist dieser Detektiv eine feste Größe innerhalb der Kriminalliteratur und hat nach all den Jahrzehnten nichts von seinem Reiz eingebüßt. Sein Schöpfer Sir Arthur Conan Doyle wäre vielleicht überrascht gewesen, hätte er gewusst, welchen Ausmaß die Verehrung der Holmes-Anhänger annimmt: So gibt es div. Bühnen- und Film-Adaptionen sowie Fernseh-Serien, die sich auf die Original-Geschichten beziehen oder Anleihen nehmen, und manches ist schlicht und ergreifend frei erfunden und der Phantasie div. Schreiberlinge entsprungen. Sherlock Holmes Faszination ist ungebrochen…!

Die vorliegende Anthologie versammelt sechs neue Geschichten um den Meisterdetektiv: Verleger Daniel Kampa hat aus dem scheinbar unerschöpflichen Fundus der Kriminalautor*innen, die sich schon an einer Holmes-Geschichte versucht haben, die Werke von vier namhaften Autor*innen ausgewählt, und mit zwei Geschichten lässt er sogar Holmes-Fans/-Experten zu Wort kommen.

Wie so oft bei solchen „Compilations“ gibt es Erzählungen unterschiedlicher Qualität zu bewundern. Ohne Licht gibt es eben keinen Schatten! In diesem Fall haben wir 2x „Sonnenschein“, 2x „leicht bewölkt“ und 2x „Halbschatten“. Ein „Zappenduster“ bleibt uns dank der versierten Zusammenstellung von Daniel Kampa zum Glück erspart.

Die zwei „halbschattigen“ Geschichten stammten von den beiden Holmes-Fans/-Experten Peter Jackob und Klaus-Peter Walter. In „Das Geheimnis von Compton Lodge“ wirft Peter Jackob einen Blick auf die Familienhistorie von Dr. Watson. Leider wirkt die Geschichte aufgrund der häufig wechselnden (und für mich nicht nachvollziehbaren) Handlungsorte etwas „zerfranst“. Bei „Sherlock Holmes und der Arpaganthropos“ lässt Klaus-Peter Walter die griechische Mythologie aufleben, Holmes auf einem Teppich à la Aladdin fliegen und Watson von Delphinen aus Seenot retten. Dagegen wirkt „Der Hund der Baskervilles“ harmlos…! 🙂

Die „leicht bewölkten“ Geschichten verdanken wir Anne Perry („Die Mitternachtsglocke“) und Anthony Horowitz („Die drei Königinnen“). Beide halten sich eng am Holmes-Korsett und liefern klassisch anmutende Geschichten, wie sie Conan Doyle für das „The Strand Magazine“ verfasst haben könnte. Leider hat dies zur Folge, dass die Stories mir wenig Unerwartetes offenbarten und somit leicht vorhersehbar erschienen.

Für den „Sonnenschein“ sind Stephen King und Alan Bradley verantwortlich. „Der Fall des Doktors“ von Stephen King wirkt wie eine klassische Holmes-Geschichte – allerdings mit vertauschten Rollen: Bei der Lösung dieses Falls steht Holmes „auf dem Schlauch“, und Watson liefert (auch für ihn) überraschend die nötigen Fakten und Indizien. Alan Bradley lässt mich als Leser bei „Verkleidung schadet nicht“ erstmal im Dunkeln tappen bzgl. der Identitäten der handelnden Personen und überrascht mit einer ungewöhnlichen Auflösung. In beiden Geschichten „verstecken“ die Autoren jeweils eine Huldigung an die „Queen of Crime“: Während King weniger offensichtlich aber durchaus erkennbar die Täter*innen wie bei „Mord im Orientexpress: Ein Fall für Poirot“ ihrer Strafe entgehen lässt, legt Bradley umso offensichtlicher in seinem Schlusssatz Holmes einen Hinweis auf Miss Marple in den Mund. Beides hat mich als Christie-Fan natürlich immens amüsiert und gefreut.

Allen Autor*innen ist gemein, dass sie äußerst respektvoll mit der literarischen Vorlage umgehen. Als Leser spürte ich ihre Verehrung gegenüber Sir Arthur Conan Doyle und seinen Schöpfungen.


erschienen bei Kampa/ ISBN: 978-3311125082

Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!