[Rezension] Josephine Tey – Alibi für einen König

Inspector Alan Grant vom Scotland Yard liegt nach einem berufsbedingten Unfall mit einem gebrochenen Bein im Krankenhaus, starrt zur Decke und langweilt sich. „Von Hundert auf Null“ wurde er aus seinem aktiven Berufsleben in die stupide Monotonie eines Krankenhausalltags katapultiert. So fühlt er sich äußerst nutzlos, was sich deutlich auf seine Laune auswirkt. Diese wird zunehmend schlechter – sehr zum Leidwesen des Pflegepersonals und seines Besuchs. Dabei versucht besonders die reizende Marta Hallard ihn mit dem neusten Klatsch und Tratsch aus der Welt des Theaters (Schließlich ist sie eine gefragte Schauspielerin.) zu unterhalten. Aber selbst die Histörchen über ihre junge Kollegin, die sich auf der letzten Amerika-Tournee den Erben eines Haushaltswaren-Imperiums geangelt hat, und der ihr über den großen Teich bis nach London gefolgt ist, können ihn nicht zerstreuen. Und so appelliert Marta an den kriminalistischen Instinkt von Grant, der sich in der Vergangenheit besonders durch das Studieren von Gesichtern hervorgetan hat, und liefert ihm eine Sammlung von Porträts zeitgenössischer wie historischer Persönlichkeiten. Eher Lustlos blättert Grant durch die Porträts, bis das Bild von Richard III ihn in seinen Bann zieht. König Richard III regierte das Land von 1483 bis zu seinem Tod im Jahre 1485, und „Dank“ der Tragödie aus der Feder von William Shakespeare wird er als skrupelloser Machtmensch gesehen, der angeblich rücksichtslos seine beiden minderjährigen Neffen tötete, nur um sich weiterhin den Thron zu sichern. Grants Interesse ist geweckt. Doch die Ausbeute an Geschichtsbüchern, die ihm das Pflegepersonal zur Verfügung stellen kann, deckt nur notdürftig seinen Wissensdurst – im Gegenteil: Vielmehr keimt in Grant der Verdacht, dass der König zu Unrecht verschmäht wurde. Da kommt Marta auf die glorreiche Idee, ihm Brent Carradine, eben jenen Erben eines Haushaltswaren-Imperiums, an die Seite zu stellen. Carradine ist momentan chronisch unterbeschäftigt und gerne bereit unter der Führung von Grant im British Museum zu recherchieren. Beide Männer stürzen sich mit Elan in die Aufgabe und graben Erstaunliches zu Tage…!

Hinter dem Pseudonym Josephine Tey versteckt sich die schottische Autorin Elizabeth MacKintosh, die sehr zurückgezogen lebte und öffentliche Auftritte scheute. Vielmehr ließ sie ihre Kriminalromane für sich sprechen. „Alibi für einen König“ belegt Platz 1 auf der Liste der 100 besten Kriminalromane der Autorenvereinigung „Crime Writers’ Association“ und wurde im Jahre 1969 mit dem „Grand prix de littérature policière“ geehrt. Dabei ist auch dieser Roman – wie auch schon Nur der Mond war Zeuge – wahrlich kein typischer Kriminalroman.

Tey verzichtet gänzlich auf die bekannten Zutaten eines klassischen Krimis. Vielmehr spielt der gesamte Roman ausschließlich im Krankenzimmer von Alan Grant und zieht seine Spannung aus den Dialogen der handelnden Personen. Humorvoll stellt Tey hier die unterschiedlichen Charaktere unserer beiden Helden gegenüber: Während Grant diesen „Fall“ eher analytisch aus der Sicht des erfahrenen Kriminologen betrachtet, lässt Carradine sich gerne von seinem jugendlichen Elan leiten.

So lässt Tey ihren Hauptprotagonisten bzw. seinen Kompagnon sich durch die Standardwerke der britischen Geschichte ackern und scheut – ganz im Sinne der Wahrheitsfindung – nicht davor zurück, Widersprüchliches aufzudecken und Ungereimtheiten offenzulegen.

Da ich kein Fachmann in Bezug auf die britische Geschichte bin, nehme ich die genannten Fakten, historischen Tatsachen und literarischen Verweise als authentisch hin. So kann ich über die Fülle der Zitate, die von der Autorin scheinbar akribisch recherchiert wurden, nur staunen und ihr dafür meine Hochachtung aussprechen.

Damit dieser Krimi nicht zu einer langweiligen wie auch langatmigen Unterrichtsstunde zur britischen Geschichte verkommt, erfreut die Autorin uns mit markanten Protagonist*innen, die durchaus den gängigen Klischees der Entstehungszeit des Romans entsprechen. Doch dies betrachte ich weniger als Nachteil. Vielmehr trägt dieser Umstand zum liebenswerten Flair dieses Krimis bei, zumal Tey ihre Held*innen charmant porträtiert und in sowohl amüsanten wie auch geschliffenen Dialogen miteinander agieren lässt.

Ich bin so froh, dass, neben all den Ostfriesenmördern und skandinavischen Psycho-Killern, die klassische Kriminalliteratur seit einiger Zeit eine Renaissance erfährt und (hoffentlich) weiterhin einen sicheren Platz bei rührigen Verlagen, im Buchhandel und somit auch im heimischen Bücherregal findet.


erschienen bei Oktopus / ISBN: 978-3311300359 / in der Übersetzung von Maria Wolff

Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

[Rezension] Josephine Tey – Nur der Mond war Zeuge

Ein überraschender Anruf rüttelt Rechtsanwalt Robert Blair aus seiner gewohnten Routine: Marion Sharpe bittet ihn um Unterstützung. Ihr und ihrer Mutter wird vorgeworfen die 15-jährige Betty Kane entführt, sie beinah 4 Wochen auf dem Dachboden festgehalten und sogar geschlagen zu haben, bis diese sich durch Zufall befreien konnte. Die Indizien sind erdrückend. Das Mädchen kann sehr genaue Angaben über das Innere des Sharpe-Hauses machen – ein Umstand, der die beiden Frauen schwer belastet. Die Sharpes weisen alle Vorwürfe von sich, und so steht Aussage gegen Aussage. Doch die Boulevard-Presse bekommt Wind von der Geschichte, ergreift Partei für das augenscheinlich unschuldige Opfer und heizt so die öffentliche Meinung an. Die Sharpes müssen einen Spießrutenlaufen über sich ergehen lassen und so manche üblen Repressalien erdulden. Robert Blair setzt alles und jeden in Bewegung, um die Anschuldigungen von Betty Kane zu widerlegen. Wo hielt sich das Mädchen zum besagten Zeitraum wirklich auf…?

Unter dem Pseudonym Josephine Tey schrieb die schottische Autorin Elizabeth MacKintosh in der „goldenen Ära“ höchst erfolgreich Kriminalromane und galt bzw. gilt als eine der Besten ihrer Zunft. So wurde ihr Roman „Alibi für einen König“ aus dem Jahre 1951 von der englischen Autorenvereinigung Crime Writers’ Association zum besten Kriminalroman aller Zeiten gewählt und 1969 mit dem Grand prix de littérature policière geehrt. Der vorliegende Roman erschien erstmals im Jahre 1948 und zeugt schon vom großen Talent seiner Autorin. Ihr ist ein rundum unterhaltsamer, sehr eleganter Roman gelungen, der einen Vergleich mit den Werken ihrer bekannteren Kolleg*innen nicht zu scheuen braucht.

Formal bietet dieses Werk all die Ingredienzen, die ich mir für einen süffigen Krimi wünsche – allerdings ohne Tote: ein intelligenter aber etwas weltfremder Held, seinen gewitzten jugendlichen Neffen, die liebenswert-schrullige Tante, ein brillanter Strafverteidiger, patente und hilfreiche Handlanger, die kurios-kauzigen „Täterinnen“ und als „Opfer“ die naive Unschuld vom Lande. Zusätzlich fügte die Autorin ihren Zeilen in den Dialogen Witz, in die Handlung rätselhafte Verwicklungen und in die Personenzeichnung spürbare Sympathie für ihre erdachten Kreaturen hinzu. Zudem versteht sie es ganz ausgezeichnet, ihre Leserschaft über lange Zeit nicht nur im Unklaren zu lassen, wer in dieser Geschichte wirklich das Opfer und wer der wahre Täter ist – vielmehr zweifelte ich mal an der Glaubwürdigkeit der einen, mal an der anderen Partei. Selbst als mir dies klar war, fieberte ich weiter der endgültigen Auflösung entgegen.

Für mich wird hier erstmals in einem klassischen Krimi die Macht der Presse thematisiert und ist damit von einer erschreckenden Aktualität. Waren es damals die Boulevard-Zeitungen und Klatsch-Blätter, so sind es heutzutage insbesondere die sogenannten Sozialen Medien, die einen Einfluss auf die öffentliche Meinung nahmen bzw. nehmen und so die Stimmung bei ihren Fans anheizen, die alles unreflektiert für bare Münze nehmen, was schwarz auf weiß geschrieben steht.

Neben den schon bekannten Verdächtigen im Verlagswesen hat es sich nun also auch der Kampa-Verlag auf die Fahnen geschrieben, die Freunde der klassischen Krimi-Literatur mit unterhaltsamen Ausgraben zu erfreuen. Wie ich „aus gut unterrichteter Quelle“ erfahren habe, ist dort die Wiederveröffentlichung von „Alibi für einen König“ schon in Vorbereitung. Ich bin gespannt…!!!

Lust auf eine weitere Meinung? Dann empfehle ich Euch die Rezension meiner Blogger-Kollegin JAN ERICHSON von „Meineliteraurwelt“.


erschienen bei Oktopus (bei Kampa)/ ISBN: 978-3311300021

Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

MONTAGSFRAGE #124: Suchst Du entsprechend Deiner aktuellen Stimmungssituation gezielt nach Büchern bestimmter Genres oder Autoren?

Nein, mein MONTAGSFRAGE-Schrei ertönte diesmal nicht! Obwohl es durchaus eine Frage ist, die einen Schrei verdient hätte – oder vielmehr: Der Tag hätte einen Schrei verdient. Auch auf die Gefahr hin, frisch verheilte Wunden wieder aufzureißen oder eine alte Diskussion neu zu entfachen, doch heute ist so ein Tag, da wäre ich nicht böse gewesen, wenn die MONTAGSFRAGE ausgefallen wäre. Warum? Ich bin müde! Ich bin erschöpft! Ich bin mit der Gesamtsituation unzufrieden! Und meine Stimmung ist zudem entsprechend…!

Alles in allem also die perfekten Grundvoraussetzungen, um aus meiner aktuellen Stimmungssituation heraus diese Frage zu beantworten (…dass ich diesen inhaltlichen Haken so elegant geschlagen habe: Ich bin ein Genie! 😄). Vorab: Kann ich es mir als ambitionierter Buch-Blogger, der etliche Rezensionsexemplare auf Halde liegen hat, überhaupt erlauben, mein Leseverhalten meiner momentanen Stimmungssituation anzupassen?

Ja!

Da ich selbst bei der Wahl der Rezensionsexemplare auf eine ausgewogene Zusammenstellung achte, kann ich auch hier auf aktuelle Stimmungsschwankungen reagieren. Ein Beispiel gefällig…? Aber gerne! Aktuell liegen folgende Bücher/Hörspiele auf meinem engeren SuB:

Fabian Neidhardts „Immer noch wach“ ist meine aktuelle Lektüre, während sich „Im Wasser sind wir schwerelos“ von Tomasz Jedrowski gerade im Schlummer-Modus befindet (Die Gründe für diesen Umstand hatte ich Euch ja schon in MONTAGSRAGE #121 verraten.).

Alles andere „dazwischen“ erlaubt mir, auf meine aktuelle Stimmung Rücksicht zu nehmen: Da finde ich den klassischen Whodunit-Krimi ebenso vor wie die kurzweiligen Krimi-Erzählungen. Der eher anspruchsvolle Literatur-Klassiker ist genauso vertreten wie ein epischer Roman oder Werke, die sich mit sensiblen Themen beschäftigen.

Und sollte ich mal absolut keine Lust auf Lesen verspüren, dann werfe ich eine CD in den Player und erfreue mich an einen Hörspiel-Straßenfeger aus den guten, alten Zeiten des Radios. Ich werde mich zurücklehnen, die Augen schließen und einfach nur lauschen…!

…und sollten wirklich alle Stricke reißen, jegliche Dämme brechen, und ich drohen, in einem Gefühlsstrudel fortgerissen zu werden, dann greife ich zu meinem rettenden „Comfort“-Buch und alles wird wieder gut!

…und verratet mir doch bitte Eure Lese-Tipps passend zu den „Stimmungsschwankungen“???


Antonia Leise von „Lauter & Leise“ hat dankenswerterweise DIE MONTAGSFRAGE: Buch-Blogger Vorstellungsrunde wiederbelebt und stellt an jedem Montag eine Frage, die Interessierte beantworten können und zum Vernetzen, Austauschen und Herumstöbern anregen soll! Ich bin gerne dabei!!!

In meinem MONTAGSFRAGE-Archiv findet Ihr Fragen & Antworten der vergangenen Wochen.