[Rezension] Tage des Lesens. Lektüre zwischen den Jahren/ herausgegeben von Gesine Dammel

„Lektüre zwischen den Jahren“: Damit könnte durchaus die Zeit des Jahreswechsels gemeint sein. Es sind nur vier Tage zwischen Weihnachten und Silvester, an denen die Welt sich langsamer zu drehen scheint, an denen die Hektik des Alltags plötzlich ausgebremst wird und Zeit bleibt, um Inne zu halten und zur Besinnung zu kommt. Und so könnten es wahrlich gar wunderbare „Tage des Lesens“ werden…!

Aber auch eine andere Interpretation wäre denkbar: Die Zeit zwischen den Lese-Lebens-Jahren! Und diese Zeit birgt Veränderung in sich: Wir machen Erfahrungen und reifen an ihnen, Sichtweisen wandeln sich, neue Perspektiven werden eingenommen, ein individueller Stil entsteht. Diese Veränderung hat zwangsläufig ihren Einfluss auf die Wahl unserer Lektüre. Eine solche Veränderung habe auch ich durchlebt: Vor 30 Jahren wären ein Dürrenmatt oder ein Kästner nicht unbedingt meine erste Wahl gewesen. Stattdessen habe ich mir mit dem Lesen gar drolliger Katzenkrimis die Zeit vertrieben.

Herausgeberin Gesine Dammel hat in diesem kleinen Büchlein eine abwechslungsreiche, kurzweilige und anspruchsvolle Sammlung mit Geschichten zusammen getragen, die sich um das Lesen, das Leben und die Liebe zum Buch drehen…!

Cornelia Funke lädt uns ein, gemeinsam mit Meggie und Mo einen Blick in Elinors Bibliothek zu werfen. Eugen Roth zeigt auf, wie prägend ein spezielles Exemplar eines Buches für ein Kind sein kann. Elke Heidenreich wundert sich über einen lesenden Taxifahrer. Claire Beyer schenkt uns eine entzückende Geschichte über eine pensionierte Lehrerin, die die Liebe zum Lesen bei den Kindern in ihrer Nachbarschaft weckt. Hanns-Josef Ortheil lässt uns an einer Reise nach Paris teilhaben, bei der er sich auf den Spuren von Ernest Hemingway begab. Amir Hassan Cheheltan entdeckt mit der Bibliothek seiner Eltern die Freude an der Literatur und träumt sich dank unzähliger Geschichten aus seiner staubigen Realität fort. Marco Lodoli vergleicht die Gänge einer Bibliothek mit einem Labyrinth: Schon bei der nächste Ecke lernt man eine andere Welt und neue Menschen kennen. Ildikó von Kürthy schwärmt von ihren alten, geliebten Büchern, deren Eselsohren vom Lesen und vom Leben zeugen. Von Petra Hartlieb erfahren wir, wie ermüdend es sein kann, wenn das Lesen sowohl dem Vergnügen dient und gleichzeitig als Brotberuf fungiert. Marcel Proust sinniert über die Tage der Kindheit, wo Zeit im Überfluss vorhanden schien, und die so zu herrlichen Tagen des Lesens wurden. Thomas Bernhard macht sich Gedanken über die Effizienz beim Lesen: Müssen wir immer das ganze Werk lesen, oder reichen nicht auch nur die prägnanten Passagen, um die Intension der/des Autorin/Autors zu erfassen.

Dabei stellte sich mir zwangsläufig folgende Frage: Woher weiß ich, welche für mich persönlich die prägnanten Passagen sind, wenn ich vorher nicht das ganze Werk gelesen habe? Gesine Dammel schaffte es mit ihrer gelungenen Auswahl an Geschichten und Anekdoten, dass ich nicht „nur“ las sondern auch (nach-)dachte.

Häufig gibt es bei einer Anthologie, Erzählungen unterschiedlicher Qualität zu bewundern: Ohne Licht gibt es eben auch keinen Schatten! Selbstverständlich sprachen mich nicht alle Beiträge gleichermaßen an. Doch dies sagt nichts über deren literarische Qualität aus, sondern vielmehr über meinen persönlichen Geschmack. So kann ich gutem Gewissens der Auswahl von Gesine Dammel attestieren, dass ich höchstens einen leichten Halb-Schatten wahrnehmen konnte.

…ein kleines feines Büchlein!!!


erschienen bei Insel/ ISBN: 978-3458681632

[Rezension] Petra Hartlieb – Ein Winter in Wien

„Das ist das Geheimnis des alten Wiener Cafés: Der Kellner ist vergesslich, die Kassiererin ist hässlich, die Wände sind grau, die Beleuchtung ist schlecht – lauter Dinge, die ich schön finde.“ Arthur Schnitzler

Wir befinden uns im Wien der Jahrhundertwende: Marie Haidinger beginnt ihre neue Stelle als  Kindermädchen im Hause des berühmten Arthur Schnitzler und tritt ein in die mondäne Welt des Theaters und der Literatur.

Die Autorin Petra Hartlieb hat mit diesem Roman ihrer Urgroßmutter ein literarisches Denkmal gesetzt. Niemand anderes ist diese junge, unbedarfte Marie Haidinger, die vom entbehrungsreichen und lieblosen Leben auf dem Land in die Stadt flüchtet. Dort scheint das Glück ihr hold zu sein und läuft ihr in der Gestalt eines jungen Buchhändlers über den Weg, der ihr ihr erstes eigenes Buch schenkt – ein Geschenk, dass ihr eine gänzlich neue Welt eröffnet.

So steht auch nicht Schnitzler selbst im Mittelpunkt – er spielt eher eine Nebenrolle – sondern die Handlung kreist allein um Marie. Dabei entwirft Petra Hartlieb ein authentisches Frauenbild der damaligen Zeit: die alten Zöpfe des Biedermeiers sind noch nicht abgeschnitten, aber das Leben der Belle Époque lockt mit seiner Modernität.

Sie bleibt in ihrer Erzählweise dem Duktus ihrer Heroin treu: eine poetische Sprache, die in ihrer Einfachheit häufig schlicht wirkt. Wobei ich „schlicht“ nicht gleichsetzen möchte mit „dumm“.

Dumm ist Marie Haidinger in keinster Weise – im Gegenteil: Wir lernen hier eine wiss- und lernbegierige junge Frau kennen – mit der Hoffnung, ihr Glück zu machen und zu finden.

erschienen bei Kindler/ ISBN: 978-3463400860

[Rezension] Petra Hartlieb – Meine wundervolle Buchhandlung

Was treibt einen halbwegs intelligenten, sogar studierten Menschen dazu, seine gesicherte Existenz aufzugeben, um ohne jegliches Vorwissen – und in Zeiten von Amazon, Thalia & Co. – eine eigene Buchhandlung zu eröffnen? Wahnsinn? Abenteuerlust? Lebensmüdigkeit? Nein, Leidenschaft!

„Die Bücher entzünden uns, wenn das Glück uns lacht, sie trösten uns, wenn das Ungemach uns zu quälen beginnt.“ Arthur Schnitzler

Petra Hartlieb hat genau aus diesem Grund das oben Beschriebene gemacht: Im Jahr 2004 eröffnet sie gemeinsam mit ihrem Mann eine kleine Buchhandlung in einem ebenso kleinen Wiener Bezirk und bricht dafür ihre Zelte in Hamburg ab. Allein aus den Unterschieden im Nord-Süd-Gefälle ließen sich – auch ohne Buchhandlung – wunderbare Geschichten kreieren: Frau Hartlieb schildert völlig unsentimental aber mit viel Humor die Tücken der Anfänge (von 0 auf 100), berichtet von Mitarbeitersuche, Autorenlesungen und Weihnachtsgeschäft und verschweigt nicht die vielen kleinen und weniger kleinen alltäglichen Katastrophen im Buchhandel – dies alles tut sie aber mit einem schelmischen Zwinkern im Auge!

Petra Hartlieb ist ein charmantes Statement mit Herz für alle kleinen Buchhandlungen gelungen: Eine inhabergeführte Buchhandlung ist so viel mehr als ein Ort, wo ich eine Ware kaufe. Sie ist Anlaufhafen, Kontaktbörse, Ruhepol, die pure Verlockung,… (Aufzählung darf gerne ergänzt werden.)

Ich spürte bei der Lektüre auf jeder Seite dieses wunderbaren Buches, warum Frau Hartlieb dieses Abenteuer gewagt hat: Die Liebe zum Buch! Die Liebe zum Handel vor Ort! BUY LOCAL!

erschienen bei DuMont/ ISBN: 978-3832164553