[Rezension] Agatha Christie – ACHT HERCULE POIROT KRIMIS (Hörspiel)

Kennt ihr das auch? Ihr habt gerade mehrere Bücher beendet und natürlich in salbungsvollen Worten eine Rezension verfasst, da lacht euch auch schon das nächste vom Verlag spendierte Leseexemplar an. Da brauche ich hin und wieder eine Auszeit! Nein, ich greife dann nicht nach einer Haselnuss- oder Milch-Schnitte (Obwohl die Versuchung gegeben wäre!). Vielmehr gelüstet es mich nach einer appetitlichen Krimi-Schnitte.

Wie gut, dass da die Sendeanstalten vom Südwestrundfunk und vom Mitteldeutschen Rundfunk mit ihrem Krimisommer in den Jahren 2002 bis 2006 für eine wunderbare Auswahl an klassischen Krimi-Leckerlis vorgesorgt haben. So gab sich nur die Elite dieses verbrecherischen Genres die Ehre: Dorothy L. Sayers (Lord Peter/ 2002), Georges Simenon (Kommissar Maigret/ 2003), Arthur Conan Doyle (Sherlock Holmes und Dr. Watson/ 2004) und Gilbert Keith Chesterton (Pater Brown/ 2005).

Im Jahre 2006 durfte dann Agatha Christie mit Hercule Poirot den letzten Krimisommer bestreiten.


4 CDs/ Acht Hercule Poirot Krimis von Agatha Christie (2006)/ Hörspielbearbeitung: Alexander Schnitzler/ Regie: Stefan Hilsbecher/ Musik: Henrik Albrecht/ mit Felix von Manteufel, Friedhelm Ptok, Stephanie Kämmer, Peter Fricke, Susanne Heydenreich, Abak Safaei-Rad, Leslie Malton, Udo Schenk, Hedi Kriegeskotte u.a.

  • CD 1: Eine Tür fällt ins Schloss / Tot im dritten Stock
  • CD 2: Vierundzwanzig Schwarzdrosseln / Der verräterische Garten
  • CD 3: Der Traum / Poirot und der Kidnapper
  • CD 4: Urlaub auf Rhodos / Lasst Blumen sprechen

Aus der Vielzahl an spannenden Fällen, die der kauzige kleine Belgier im Laufe seiner literarischen Karriere lösen durfte, griff man auf die oben genannten acht Kurzgeschichten zurück. Kenner der Materie werden beim Hören rasch bemerken, dass Alexander Schnitzler sich bei seiner Bearbeitung nah am Original gehalten und gesamte Textpassagen eins zu eins übernommen hat. Diese Vorgehensweise kann ich nur befürworten: Warum sollte er eine gute Vorlage verschlimmbessern? Umrahmt werden die Geschichten durch die Musik von Henrik Albrecht, die wiederholt zum Einsatz kommt und somit – wie ein roter Faden – die einzelnen Erzählungen miteinander verknüpft. Dabei ist die Musik atmosphärisch stimmig, drängt sich aber niemals in den Vordergrund. Gleiches gilt für die Regie von Henrik Albrecht, der klug auf das Können seiner Sprecher*innen setzt, und vielleicht nur hier und da ein wenig das Tempo im Sinne der Spannung anzieht.

Das Ensemble setzt sich aus versierten Schauspieler*innen aus Theater, Film und Fernsehen zusammen: Da tauchen bekannte Namen wie Stephanie Kämmer, Peter Fricke, Susanne Heydenreich, Abak Safaei-Rad, Leslie Malton, Udo Schenk und Hedi Kriegeskotte auf, die teilweise in mehreren Geschichten unterschiedliche Charaktere verkörpern. Dies meistern sie so gekonnt individuell und abwechslungsreich, dass ich manchmal nur anhand der Besetzungsliste erkannte, dass es sich um ein und dieselbe Person handelte.

Dreh- und Angelpunkt dieser acht Hercule Poirot Krimis – und somit prägend für diese Hörspiel-Produktion – sind allerdings Friedhelm Ptok und Felix von Manteufel. Friedhelm Ptok führte mich als Hörer mit seiner markanten Stimme durch den Plot. Dabei ist er manchmal „nur“ der Erzähler, dann schlüpft er wieder in die Schuhe von Arthur Hastings, Poirots Sidekick, der auch im literarischen Original so manches Mal erzählerisch durch die Geschichte führte. Prägnant in Szene gesetzt werden die Hörspiele durch die Stimme von Felix von Manteufel. Er „französelt“ höchst amüsant und versieht den weltberühmten Detektiv mit einer liebenswerten Schrulligkeit. Dies macht er so ausnehmend überzeugend, dass ich unseren Helden beinah leibhaftig vor mir sah.

Mit einer Länge zwischen 30 und 55 Minuten sind die einzelnen Episoden wunderbare Appetithäppchen, gar köstliche akustische Happenpappen, um den Tag zwar durchaus unterhaltsam spannend aber nicht allzu aufgeregt zu beenden.


erschienen bei der Hörverlag/ ISBN: 978-3867176095

[Rezension] Christopher Isherwood – Leb wohl, Berlin/ illustrierte Ausgabe und Hörspiel

Vor Jahren begegnete mir Christopher Isherwoods Episodenroman „Leb wohl, Berlin“ zum ersten Mal: Damals entflammte meine Liebe zum Musical und ließ mich zu den Klassikern des Genres auch immer einen neugierigen Blick auf die literarischen Vorlagen werfen. Irgendwann spielte mir das Schicksal (oder der Zufall) diesen Roman abermals in die Hände. Mit dem Abstand der Jahre und mit einem gereifteren Blick hatte dieses Werk eine gänzlich andere Wirkung auf mich. Dieser Umstand veranlasste mich, eine Rezension zu verfassen, die am 17. August 2019 hier auf meinem Blog erschien. Schnell kam mir die Idee, diesen interessanten Autor im Rahmen meiner kleinen Reihe LITERATEN IM FOKUS wieder mehr Aufmerksamkeit zu gönnen.

Und so kündigte ich vollmundig im März 2020 die Retrospektive zu Christopher Isherwood für Oktober desselben Jahres an. Doch wie so oft im Leben kommt zuerst etwas dazwischen und danach alles anders als man denkt. So schmachteten seitdem zwei besondere Fassungen von Isherwoods Erfolgsroman „Leb wohl, Berlin“ ein äußerst tristes Dasein auf meinem SuB und waren in ernsthafter Gefahr, in Vergessenheit zu geraten. Dies hätten sie nun wahrlich nicht verdient! So befreite ich sie aus ihrem Dornröschen-Schlaf und puschelte sie ordentlich mit dem Staubwedel ab, um sie von der Patina der vergangenen drei Jahre zu befreien. Und obwohl Christopher Isherwood es wert wäre, eine Retrospektive zu erhalten, verzichte ich momentan auf eben jene, da ich Euch die schon erwähnten Fassungen nicht weiter vorenthalten möchte.



Christopher Isherwood – Leb wohl, Berlin/ mit Illustrationen von Christine Nippoldt

Willkommen! Bienvenue! Welcome!

Berlin, Anfang der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts: Der junge Schriftsteller Christopher Isherwood kommt in diese pulsierende Metropole auf der Suche nach Inspiration für einen Roman. Inspiration findet er nicht – dafür verleiten ihn die vielen Begegnungen mit ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten: Persönlichkeiten, die nur eine Stadt wie Berlin hervorbringen oder anlocken kann. Inspiration! – Inspiration brauchte der reale Isherwood nicht zu suchen! Inspiration hatte Isherwood zuhauf direkt vor seiner Nase! Da ist seine ältliche Zimmerwirtin Fräulein Schroeder, die ihren besseren Zeiten hinterher träumt und trauert, über ihre Mieter stellvertretend am Leben teilnimmt und sich gezwungenermaßen mit jeglicher Regierung akklimatisiert. Was bleibt ihr auch übrig: Wo soll sie sonst hin? Da ist der junge Otto Nowak, der mit seiner Familie in einem Hinterhof des Hinterhofs eines Hinterhofs lebt, und die in ihrer erbärmlichen Trostlosigkeit willig den Nährboden bietet für die Versprechungen der Nazis. Da ist der intellektuelle Bernhard Landauer, Geschäftsmann aus dem noblen Villenviertel, der in seiner passiven Resignation gegenüber der Realität zwangsläufig zum Opfer für die Gräueltaten der Nazis wird. Da ist die kapriziöse Sally Bowles, semi-talentiert aber dafür selbst-überschätzend, mit einem Hauch Verrücktheit, einer sexuellen Freigiebigkeit und einem hohen Maß an Unkompliziertheit, die in der damaligen Zeit sowohl für Faszination wie für Verwirrung bei ihren Mitmenschen sorgt.

 „Ich bin eine Kamera mit offenem Verschluss, ganz passiv, ich nehme auf, ich denke nicht.“

Der Autor wirkt beinah neutral und begegnet seinen Protagonisten wertfrei: Er ist Beobachter, nicht Analytiker. Er beschreibt die Szenerie durchaus detailliert aber unvoreingenommen. Trotzdem schafft er Atmosphäre ohne indifferent zu erscheinen.

Er porträtiert seine Protagonisten mit Witz, vermeidet es indes, sie der Lächerlichkeit preiszugeben – im Gegenteil: Oftmals offenbart sich in den alltäglichen Szenen und den scheinbar belanglosen Begegnungen eine bemitleidenswerte Tragik. Während die ersten Kapitel noch sehr detailliert das Geschehen wiedergeben, wirkt das letzte Kapitel mit seinen kurzen Episoden wie schnelle Schlaglichter, die eine wahrgenommenen Situation fragmentiert wiederspiegeln und trotz ihrer Kürze das Vage einer zunehmend unsicheren Wirklichkeit vermitteln.

Somit ist Christopher Isherwoods Episodenroman aus dem Jahre 1939 ein literarisches Zeugnis seiner Zeit und spiegelt eine Gesellschaft im Umbruch wieder: Das Weltoffene und Tolerante der Weimarer Republik ist noch spürbar, das Kleingeistige und Menschenverachtende des Nationalsozialismus ist schon zu erahnen. Das Berlin einer Sally Bowles wird bald Vergangenheit sein: Eine Epoche neigt sich dem Ende entgegen…!

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Die Büchergilde Gutenberg ist bekannt für ihre außergewöhnliche Buchgestaltung: Mit ihren illustrierten Fassungen von (modernen) Klassikern sorgt sie gerne für Furore bei Buchliebhaber*innen und heimste in der Vergangenheit schon so manchen Preis ein. In diesem Fall hat sich die Künstlerin Christine Nippoldt dem Roman von Christopher Isherwood angenommen. So wie Isherwood sich in seinen Geschichten von realen Personen inspirieren ließ, so lässt auch Nippoldt bei der Schaffung ihrer Bilder sich von realen Personen inspirieren (wie sie in einem Nachwort verrät) und stöberte in historischem Bildmaterial. Optisch erinnern ihre Kunstwerke an Linol- oder Holzdrucke und sind in einer Art Collagentechnik entstanden, indem die Farbschichten nacheinander aufgetragen wurden. Dies verleiht ihnen einen beinah morbiden Charme und sorgt für Akzente. Nippoldts Illustrationen sind sehr atmosphärisch und variieren in ihrer Farbgebung je nachdem, welche Episode des Romans zu erzählen gilt. Dabei werden die Illustrationen nicht „nur“ einfach in die Handlung eingefügt: Das gestalterische Konzept wird konsequent auf das gesamte Buch angewendet. So schmückt die passende Vignette jedes Kapitel, und Initiale stehen am Anfang eines jeden Absatzes.


erschienen bei Büchergilde Gutenberg / ISBN: 978-3763269181 / in der Übersetzung von Kathrin Passing und Gerhard Henschel

ebenfalls erschienen bei Hoffmann & Campe/ ISBN: 978-3455405002 und Atlantik/ ISBN: 978-3455650778 (alle ohne Illustrationen)



Christopher Isherwood – Leb wohl, Berlin (Hörspiel)

4 CDs/ Bearbeitung: Heinz Sommer/ Regie: Leonhard Koppelmann/ Originalkomposition & musikalische Leitung: Jörg Achim Keller/ es spielt die HR-Bigband/ mit Mathieu Carrière, Christopher Nell, Laura Maire, Barbara Philipp u.v.m.

 „Ich bin eine Kamera mit offenem Verschluss, ganz passiv, ich nehme auf, ich denke nicht.“

Mit diesem Satz beginnt auch eines der fulminantesten Hörspiele, das ich mir je anhören durfte. Wie einem Mantra gleich bleibt Mathieu Carrière als Erzähler dieser Aussage treu: Er beobachtet und kommentiert aber urteilt nicht. Er hält Distanz zu seiner Berichterstattung, wirkt dabei aber nie unbeteiligt oder gleichgültig. Dabei verwebt sich seine Stimme immer wieder gekonnt mit der von Christopher Nell. Während Carrière den deutschen Text spricht, können wir auch dem englischen Original durch Nell lauschen, was so für eine beängstigende Nähe zum Autor sorgt. Die Stimme des Erzählers verschmilzt mit der Stimme des jungen Christopher Isherwood. Christopher Nell mimt den aufstrebenden Autor als einen unvoreingenommenen Charakter mit jugendlichem Charme, dem wir den gebildeten Literaten ebenso abnehmen wie den jungen Mann, der nur allzu empfänglich ist für die mannigfaltigen Verführungen im damaligen Berlin.

Laura Maire schafft in ihrem Porträt der Sally Bowles die gekonnte Balance zwischen Pragmatismus, Selbstüberschätzung und Verführung, ohne dass sie ins allzu Ordinäre abrutscht. Ihre Stimme pendelt zwischen unbändiger Lebenslust, verruchter Erotik und kindlicher Naivität. Barbara Philipp verleiht der Zimmerwirtin Fräulein Schroeder mit prägnanter Stimme eine liebenswerte Kauzigkeit und geizt nicht mit bodenständigen Humor. Dabei ist es eine Freude zuzuhören, wie ein tolle Schauspielerin einer literarischen Figur ihre Stimme schenkt: Aufgrund mangelnder Englischkenntnisse spricht Fräulein Schröder Christopher Isherwood immer mit „Herr Issiwu“ an, was von Philipp ganz entzückend moduliert wird.

Diese vier talentierten Schauspieler*innen führen ein hochkarätiges Ensemble an, das in div. Rollen u.a. durch Lucie Heintze, Daniela Kiefer, Ole Lagerpusch, Gisa Flake, Felix von Manteuffel, Wanja Mues, Friedhelm Ptok und Franziska Troegner auf das Vortrefflichste komplementiert wird. Diese renommierten Sprecher*innen sind sich nicht zu schade, um in die div. (Neben-)Rollen zu schlüpfen und so zur hohen Qualität dieses Hörspiels wesentlich beizutragen.

Heinz Sommer bleibt in seiner Bearbeitung der bekannten Übersetzung durch Kathrin Passing und Gerhard Henschel treu und verflechtet die Dialoge gekonnt mit dem Erzähltext. Dabei verzichtet er nur auf die beschreibenden Passagen, die über Musik, historische Original-Einspielungen (z. Bsp. Auszüge aus dem Film „Der blaue Engel“ oder ein Radio-Interview mit Max Schmeling) und den Hintergrundgeräusche dem Hörer vermittelt werden. Den musikalischen Rahmen liefert Jörg Achim Keller mit der HR-Bigband, die mit ihrem authentischen Sound das so genannte Babylon Berlin wiederaufleben lassen. Strippenzieher hinter all dieser einzelnen Komponenten und somit derjenige, der dies alles zu einem Gesamtkunstwerk bündelt, ist der Regisseur Leonhard Koppelmann, der hier eine großartige Arbeit abliefert. Er sorgt für eine enorme „Tiefe“ und verleiht diesem Hörspiel so eine unwiderstehliche Sogkraft, der ich mich nicht entziehen konnte. Ein sensationelles Hör-Erlebnis…!!!

Auf Wiedersehen! A bientôt! Good night!


erschienen bei der Hörverlag/ ISBN: 978-3844536317

Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Hörexemplar!