[Musical] Benny Andersson & Björn Ulvaeus – MAMMA MIA! / Stage Theater Neue Flora in Hamburg

Musik & Liedtexte von Benny Andersson & Björn Ulvaeus / zusätzliche Liedtexte von Stig Anderson / Buch von Catherine Johnson / deutsche Liedtexte von Michael Kunze / deutsche Dialoge von Ruth Deny

Premiere: 3. November 2002 / Stage Operettenhaus in Hamburg / bisher besuchte Vorstellungen: 9. November 2003, 15. Juni 2006 & 13. März 2007 / Premiere der Wiederaufnahme: 11. September 2022 / Stage Thea­ter Neue Flora in Ham­burg / besuchte Vorstellung der Wiederaufnahme: 14. Februar 2023


Musikalische Leitung: Hannes Schauz
Inszenierung: Phyllida Lloyd
Choreographie: Anthony van Laast
Production Design: Mark Thompson
Lighting Design: Howard Harrison

Sound Design: Andrew Bruce & Bobby Aitken


„Zuschauer mit schwachen Nerven oder Herzproblemen möchten wir darauf hinweisen, dass in diesem Stück wiederholt Schlaghosen und Plateauschuhe zum Einsatz kommen.“

Mit diesem Hammer-Gag (!) wird heute wie vor 20 Jahren die Show eröffnet und sorgt immer noch für Lacher im Publikum. MAMMA MIA! ist nun – nach einer üppigen Rundreise durch die Bundesrepublik – endlich wieder an der Stätte der deutschen Uraufführung angekommen: Zwar nicht im selben Theater, doch immerhin in derselben Stadt. Damit ist dies nun die neunte Station des Erfolgsmusicals, von dem Björn Ulvaeus sagte:

„Mamma Mia! ist ein Musical, von dem wir gar nicht wussten, dass wir es geschrieben haben!“

Eine kleine Insel irgendwo an der griechischen Küste: Hier lebt Donna mit ihrer 20jährigen Tochter Sophie und betreibt – mehr schlecht als recht – eine Taverne. Um die Identität von Sophies Vater macht Donna ein großes Geheimnis und meidet dieses Thema wohlwissentlich. Doch nun steht Sophie kurz vor der Hochzeit mit ihrer Jugendliebe Sky, und in ihr reift der Wunsch, von ihrem Vater zum Altar geführt zu werden. Zufällig fällt ihr Donnas Tagebuch aus den vergangenen, wilden Zeiten in die Hände, dem sie entnehmen kann, dass zum Zeitpunkt ihrer Entstehung drei potentielle Kandidaten für die Vaterschaft in Frage kommen: Sam, Harry und Bill. Kurzerhand lädt sie alle drei Männer zu ihrer Hochzeit ein, die auch prompt dieser Einladung nachkommen und auf der Insel erscheinen. Anlässlich der Hochzeit tauchen auch Donnas beste Freundinnen Rosie und Tanja auf. Gemeinsam waren sie in ihrer Jugend als das Gesangstrio „Donna and the Dynamos“ auf Tour. Sophie versucht nun verzweifelt, alle Fäden fest in der Hand zu behalten. Doch zwischen Kennenlernen, Wiedersehensfreude und Junggesellinnenabschied entgleiten ihr so manche Fäden. Das Verwirrspiel beginnt: Missverständnisse sind vorprogrammiert…!


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Ich saß im Theater und freute mich…! Ich freute mich auf diese charmante Boulevard-Komödie, auf einen schönen Abend und auf die Songs von ABBA, die so raffiniert in die Handlung integriert wurden. Zudem stellt dieses Musical im Kosmos von Stage Entertainment eine Ausnahme dar: Häufig findet bei der Besetzung eines Musicals, das in der Originalinszenierung vom Broadway oder Westend übernommen wird, ein sogenanntes Typcasting statt, d.h. die/der Schauspieler*in muss schon allein optisch auf einen gewissen Rollentyp passen. Bei MAMMA MIA! ist es ein wenig anders: Hier werden Typen gecastet. Und so kam ich schon in den Genuss, dass ich sehr unterschiedliche Darsteller*innen auf der Bühne bewundern durfte, die so der jeweiligen Rolle (innerhalb des vorgegebenen Rahmens) ihre persönliche Note verlieh. MAMMA MIA! bewahrt sich so eine gewisse Spontanität und wirkt dadurch weniger „geklont“.

Mit ihrer rot-gelockten Mähne und ihrem rustikalem Charme schlüpfte die Amerikanerin Rachel Bahler in die Rolle der ehemaligen Hippie-Braut Donna: Wirkten anfangs ihre Dialoge und Gesten noch leicht einstudiert, spielte sie sich im Laufe der Vorstellung immer weiter frei und überzeugte im 2. Akt mit Emotionalität. Zudem verfügt sie über eine blendende Stimme und meisterte die vokalen Anforderungen bravourös. Tochter Sophie gab Rose-Anne van Elswijk mit mädchenhafter Grazie und klarer Stimme, lies aber auch den jugendlichen Enthusiasmus nicht vermissen. Donnas Freundinnen wurden von Franziska Lessing (Rosie) und Jennifer van Brenk (Tanja) mit einer spürbaren Freude an Komik, Slapstick und einer Menge Selbstironie verkörpert. Neben diesen vier Damen mit ihrer geballten Ladung Frauen-Power müssen sich die Herren mächtig ins Zeug legen. Naidjim Severina als Sky war mit seiner frech-sympathischen Ausstrahlung nicht nur der Auserwählte bei Sophie, sondern brachte sicherlich das eine oder andere Herz der Zuschauer*innen zum Höherschlagen. Das Männer-Trio aus Sascha Oliver Bauer (Sam), Detlef Leistenschneider (Harry) und Tetje Mierendorf (Bill) war perfekt aufeinander eingespielt und bot schauspielerisch wie auch gesanglich eine runde Performance. Das übrige talentierte Ensemble hielt die Show wie ein präzises Uhrwerk am Laufen: Während einige Darsteller rechts noch von der Bühne tanzten, verschoben andere die variabel einsetzbaren Wand-Elemente und sorgten dafür, dass die für die nächste Szene benötigten Requisiten an ihrem Platz lagen. Dies geschah so bewundernswert geschmeidig-selbstverständlich und sicherte den reibungslosen Ablauf der Show.

Wie wahrscheinlich bei jeder Aufführung dieses Musicals hielt es die Zuschauer bei der Zugabe nicht mehr auf den Sitzen. Wir tanzen in den Stuhlreihen und sangen aus voller Kehle mit. Denn sind wir tief in unserem Herzen nicht alle eine „Dancing Queen“?


Auf dem Weg Richtung Heimat fragte ich mich, warum MAMMA MIA! von der Produktionsfirma Stage Entertainment immer wieder und wieder als hochpreisiges Long Run-Musical aus der Versenkung geholt wird. Naja, so wirklich stellte sich mir diese Frage nicht, da die Gründe auf der Hand lagen: Einerseits besitzen die ABBA-Songs nach wie vor eine immense Sog-Kraft und locken die Fans von nah und fern ins Theater. In Bezug auf Bühne, Technik, Kostüme etc. ist der Aufwand erfreulich überschaubar und so weniger kostenintensiv als bei anderen Long Run-Musicals. Sogar an einem personalintensiven Orchester kann gespart werden, da sich die s.g. Band aus 5 Musiker incl. Dirigent zusammensetzt, was bedeutet, dass der satte Orchestersound vom Band kommt, dem live einzelne Instrumente zugemischt werden. Zugegeben dies alles wird höchst professionell und äußerst unterhaltsam dargeboten. Doch dies könnte ein versiertes Stadt- oder Staatstheater durchaus ebenso professionell auf die Bühne bringen.

Und so fuhr ich nach der Vorstellung bestens gelaunt nach Hause und fühlte mich doch abermals bestätigt: Für einen Musical-Besuch, der mich begeistert, verzaubert und berührt, brauche ich nicht die großen Produktionen. Das funktioniert auch „kleiner“!!!

Übrigens: Nur eine CD-Länge der deutschen Fassung von MAMMA MIA! ist ausreichend für die Bewältigung der Strecke zwischen Hamburg und Osterholz-Scharmbeck. Wir haben es auf dem Heimweg getestet.


Für gute Laune sorgt MAMMA MIA! auch weiterhin: Die Spielzeit im Stage Thea­ter Neue Flora in Ham­burg wurde bis Januar 2024 verlängert!

[Musical] Alan Menken – DER KLEINE HORRORLADEN / Stadttheater Bremerhaven

Musik von Alan Menken / Buch und Gesangstexte von Howard Ashman / nach dem Film von Roger Corman und dem Drehbuch von Charles Griffith / Deutsch von Michael Kunze / in einer Textfassung von Peter Hilton Fliegel und Jörg Steinberg

Premiere: 25. Februar 2022/ besuchte Vorstellung: 22. April 2022

Stadttheater Bremerhaven/ Großes Haus


Musikalische Leitung: Jan-Hendrik Ehlers
Inszenierung: Jörg Steinberg
Bühne: Fred Pommerehn
Kostüme: Susanne Füller
Choreografie: Andrea Danae Kingston

Eine Inszenierung wurde zum Kult: Als sich am 23. Januar 1993 der Vorhang zum ersten Mal für „Der kleine Horrorladen“ im Stadttheater Bremerhaven hob, konnte wohl niemand ahnen, dass dieses Musical ein Publikumsmagnet über zwei Spielzeiten sein und dem Theater ständig ausverkaufte Vorstellungen bescheren würde. In der Regie von Manfred Repp tobten damals Dirk Böhling als Seymour, Harriet Kracht als Audrey sowie die Musical-Ladies Angela Lachnit (auch Choreografie), Bettina Meske und Lynne Williams als Gossen-Supremes über die Bühne. Puppenspieler Friedo Stuck erweckte Audrey II zum Leben, der Jazz-Sänger Emo Phillips seine soulige Stimme lieh. Kay Krause (nach wie vor im Ensemble des Hauses) demonstrierte seine Wandelbarkeit in div. Nebenrollen, und der noch junge und unbekannte Christoph Maria Herbst zeigte als Orin, das schon damals eine Menge Comedy in ihm steckte. Insgesamt 6 Mal pilgerte ich nach Bremerhaven, und es war immer wieder ein Fest…!

Mushniks Blumenladen in der heruntergekommenen Skid-Row läuft schlecht – kaum Kundschaft und dazu noch unfähiges Personal. Handlanger Semour sorgt mit seiner Tapsigkeit für eine Schneise der Verwüstung, und Verkäuferin Audrey versucht erfolglos ihre Blessuren zu verdecken, die ihr ihr sadistischer Zahnarzt-Freund Orin Scivello zufügt. Als dann die drei Straßen-Gören Crystal, Chiffon und Ronette penetrant vor dem Laden herumlungern und auch noch die letzten Kunden verscheuchen, sieht Mr. Mushnik sich gezwungen, den Laden zu schließen. Auf Drängen von Audrey zeigt Seymour ihm eine seltsame Pflanze, die er vor einiger Zeit auf dem Blumengroßmarkt einem alten Chinesen abgekauft hat. Dieses Gewächs wirkt so bizarr abartig, dass Mushnik nicht glaubt, dass sie irgendjemanden in den Laden locken könnte. Doch kaum steht die Pflanze, die Seymor aus Verehrung zu seiner Kollegin „Audrey II“ genannt hat, im Schaufenster, klingelt die Ladenglocke unaufhörlich, und Aufträge über Aufträge trudeln ein. Dummerweise benötigt Audrey II zum Wachsen und Gedeihen einen ganz besonderen Dünger: Blut! Seymour fühlt sich darum nicht nur seit Tagen etwas schwindelig sondern auch reichlich blutleer. Doch je mehr die Pflanze wächst, umso größer wird sein Hunger, bis ihr die paar kläglichen Tropfen aus den Fingern ihres Pflegers nicht mehr genügen. Sie will mehr, viel mehr! Seymour, dem einerseits der Erfolg zu Kopf gestiegen ist und andererseits das Leiden seiner angebeteten Audrey durch den brutalen Orin nicht länger ertragen kann, lässt sich durch die Schmeicheleien der Pflanze zu einer Gräueltat animieren. Nachdem Orin aufgrund eines Defekts seiner Lachgasmaske jämmerlich erstickt ist, zerteilt Seymour ihn in mundgerechte Häppchen für sein unersättliches Gewächs. Doch der Appetit von Audrey II wird dadurch nur kurzfristig gestillt: Sie will nicht nur mehr! Sie will alles…!!!


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„Der kleine Horrorladen“ war diesmal in der Schauspiel-Sparte verortet, und so waren alle Rollen mit Schauspielerinnen und Schauspielern besetzt, die durch 4 Tänzer*innen unterstützt wurden. So gab es rein vom Darstellerischen her auch wenig zu bemängeln: Richard Feist gab einen quirligen Seymour mit enormen Bewegungstalent.  Marsha Zimmermann legte ihre Audrey deutlich weniger als dummes Blondchen an und verzichtete wohltuend auf das Lispeln. Frank Auersbachs Mr. Mushnik strotze vor rustikalem Charme. Marlene Jubelius, Sabine Barthelmeß und Juschka Spitzer boten als die drei Gossen-Gören eine solide Leistung. Abräumer des Abends waren allerdings Dominik Lindhorst-Apfelthaler, der sowohl als Orin als auch in div. Nebenrollen komödiantische Kabinett-Stückchen kredenzte, sowie Henning Bäcker, der als personifizierte „Audrey II“, mit diabolischem Blick und im blutroten Anzug gewandet, die Befriedigung seiner perversen Gelüste genüsslich ausspielte.

Dumm nur, dass in einem Musical zwangsläufig gesungen wird – gesungen werden muss, da es sonst die Bezeichnung „Musical“ nicht verdiente. Und hier liegt eine der großen Schwachstellen dieser Produktion: Schauspieler*innen sind nicht zwangsläufig gute Sänger*innen, und eine Sprechpassage wird anders aufgebaut als ein Song. So klangen die Gesangseinlagen nicht nur disharmonisch, weil sie wenig aufeinander abgestimmt waren bzw. ich den Eindruck hatte, dass wenig aufeinander gehört wurde, sondern taten mir manchmal sogar in den Ohren weh. Einzig Henning Bäcker konnte hier auch gesanglich überzeugen. Erschwerend kam hinzu, dass die Songtexte im englischen Original vorgetragen wurden – für mich unverständlich, da es eine wunderbare Übersetzung von Michael Kunze gibt.

Zudem wirkte die Regie von Jörg Steinberg auf mich merkwürdig hektisch: Die Schauspieler*innen agierten wie aufgezogen, mussten manchmal in einem ordentlichen Tempo die Szenen spielen, dass dabei zwangsläufig die Emotionen auf der Strecke blieben, und es mir als Zuschauer schwer fiel, mich mit den Figuren zu identifizieren und mit ihnen mitzufühlen. Leider erschloss sich mir auch nicht, warum der Regisseur gemeinsam mit Dramaturg Peter Hilton Fliegel die vorhandene Textfassung überarbeitete und dieses kurzweilige Trash-Musical mit Passagen aus Shakespears „Macbeth“ bzw. Goethes „Faust“ „anreicherte“. Steinberg hebt die Figuren so auf eine elitäre Ebene. Beinah wirkt es, als wollte er es vermieden, dass die Rollen sich entwickeln können. Vieles erscheint oberflächlich, plakativ und beinah zu clean für mich: die adretten (optisch durchaus ansprechenden) 60er Jahre-Kostüme incl. Frisuren, der ordentlich verteilte Müll auf der Vorderbühne, die glänzenden Mülltonnen ohne Patina. Einige Szenen wirken verwirrend uninsziniert, so als hätte der Regisseur seinen Darsteller*innen zugerufen „Improvisiert mal…!“, so z.Bsp. beim Song „Mushnik and Son“, bei dem die beiden Darsteller hinter den Tänzern und somit aus dem Fokus des Publikums verschwinden.

Apropos Tanz: Andrea Danae Kingston hat an diesem Hause in der Vergangenheit schon einige exzellente Choreografien erstellt, (u.a. in der letzten Spielzeit für das Musical Chicago). Doch hier wirkten ihre Tanzszenen oft recht uninspiriert (…oder durfte sie nicht mehr zeigen?), die die grandiosen Tänzer eher unterforderten. Auch hier hatte ich häufig den Eindruck von „Improvisiert mal…!“. Dabei gab es durchaus zwei, drei ganz und gar wunderbare Beispiel, wo eine Nummer durchchoreografiert war und Musical-Zauber verbreitete, u.a. bei „Somewhere That’s Green“, wenn Audrey vom kleinen Glück im Grünen träumt und parallel zwei Paare (Alicia Navas Otero, Ting-Yu Tsai, Renan Carvalho und Tanaka Lionel Roki) dies im Tanz umsetzen. Und warum der Regisseur eine Rausschmeißer-Nummer wie „Mean Green Mother From Outer Space“ nicht zum fulminanten Dance-Act kürt, sondern das gesamte Ensemble nur über die Bühne spazieren lässt, um überall kleine Audrey II-Ableger zu verteilen, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Apropos Audrey II: Hm! Ach, ich mag auch nicht mehr meckern! Nur so viel: In der alten Fassung war Audrey II deutlich eindrucksvoller.

Last but not least: Die Band unter der Leitung von Jan-Hendrik Ehlers war der absolute Hammer und spielte ebenso perfekt die rockigen Songs mit entsprechendem Druck wie die zarten Töne der Balladen. Toll!!!

Das Publikum fühlte sich durch die Show hör- und sichtbar gut unterhalten und geizte zum Schluss nicht mit reichlichem Applaus. Auch für mich bot diese Inszenierung durchaus unterhaltsame Momente. Doch Kultstatus, an dem ich mich auch noch in 30 Jahren erinnere, wird sie leider für mich nicht erreichen.


Audrey II wird nun auch in Bremerhaven ihrer Kundschaft das Gruseln lehren:  DER KLEINE HORRORLADEN ist noch bis Mitte Juni 2022 geöffnet!

[Musical] Elton John – DER KÖNIG DER LÖWEN / Stage Thea­ter im Hafen in Hamburg

Musik von Elton John / Liedtexte von Tim Rice / zusätzliche Musik & Liedtexte von Lebo M, Mark Mancina, Jay Rifkin, Julie Taymor und Hans Zimmer / Buch von Roger Allers und Irene Mecchi / Deutsch von Michael Kunze

Premiere: 2. Dezember 2001 / bisher besuchte Vorstellungen: 1. Juli 2003, 14. Juli 2005, 10. Oktober 2007, 14. Februar 2010 / zuletzt besuchte Vorstellung: 9. Februar 2020 / Stage Thea­ter im Hafen in Ham­burg


Musikalische Leitung: Bradley Nyström
Inszenierung: Julie Taymor
Choreographie: Garth Fagan
Bühne: Richard Hudson

Kostüme, Masken & Puppen: Julie Taymor & Michael Curry


Orkantief „Sabine“ fegte über Deutschland, somit auch über das Zelt-Theater im Hamburger Hafen und brachte die Lampenkonstruktion an der Decke des Foyers zum Schwingen. Wir saßen dort voller Vorfreude und erwarteten den Beginn der Vorstellung. 10 Jahre waren seit unserem letzten Besuch vergangen: 10 Jahre, in denen so viel passiert ist…! Das Leben hat sich verändert, vielmehr mein/ unser Leben hat sich verändert. Hier im Hamburger Theater im Hafen war auf einer beruhigenden Art alles beim Alten, und doch wieder aufregend neu…!

Die Schamanin Rafiki lässt ihren Ruf ertönen, die Sonne geht über der Steppe auf und die ersten Tiere erscheinen auf der Weite der Bühne. Mein Mann und ich sitzen gebannt nebeneinander, halten uns an den Händen, und Tränen rinnen über unsere Wangen. Für uns war und ist dies die emotionalste Eröffnungsszene, die wir je live auf einer Bühne erleben durften. Regisseurin Julie Taymor hat mit dieser Bühnenfassung des Disney-Filmklassikers eine Großtat vollbracht. Bei bisher keinem anderen Musical habe ich so deutlich die Handschrift einer einzelnen Künstlerin gespürt. Mutig hat sie den Film aus seinem Korsett befreit und der Geschichte für die Bühne eine neue Identität verpasst. Mit klassischen Bühnentricks und -effekten, mit dem Spiel von Perspektiven, dem Einsatz von Masken und der Kunst des Puppenspiels erschuf sie die Welt der Savanne zu neuem Leben,…

…und das weltweite Publikum staunt und strömt nun schon seit Jahrzehnten in die Vorstellungen: Seit über 18 Jahren begeistert der König der Löwen in Hamburg seine Zuschauer, und so stehen dort seit über 18 Jahren Abend für Abend talentierte Künstler*innen auf der Bühne und buhlen um die Gunst der Menschen im Auditorium.

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Rafiki war bei Thulisile Thusi in besten Händen: Stimmgewaltig eröffnete sie die Show und stattete die Rolle mit Wärme, Weisheit und einem Hauch Verrücktheit aus. Mhlekazi Mosiea war zwar ein eher schmächtiger Mufasa, zeigte im Zusammenspiel mit seinem Bühnensohn aber sehr viel Herzlichkeit und berührte mit einem gefühlvoll gesungenem „Sie leben hier“. Die Puppe des Haushofmeisters Zazu wurde durch Joachim Benoit kunstvoll zu Leben erweckt, der diesen hyperaktiven Vogel geschickt mit sehr viel Situationskomik bedachte. Der Scar von Stefan Voigt war durchaus gemein und böse, wurde von ihm eher beiläufig gespielt. Gemeinsam mit seinen drei dusseligen Untergebenen, den Hyänen Shenzi, Banzai und Ed – dargestellt von Germaine Wilson, Simon Phezani Gwala und Sean Gerard, kam aber auch der Humor nicht zu kurz. Um die Sympathien der Zuschauer mussten sich Tobias Korinth als Timon und S’Thembiso Keith Mashiane als Pumba keine Sorgen machen: Beide Rollen sind per se dankbare Publikumslieblinge, das von den Darstellern auch gekonnt genutzt wurde. Gugu Zulu war eine aparte Nala und interpretierte mit warmer Stimme „Schattenland“. Simba wurde von Hope Main als ein vitaler, kraftstrotzender Jungspund porträtiert, der mit einem rührenden „Endlose Nacht“ auch Tiefe zeigte und gemeinsam mit Gugu Zulu ein entzückendes Leading-Paar bot. Für die meisten Darsteller*innen in diesem internationalen Cast ist Deutsch nicht die Muttersprache, und trotzdem überzeugten sie mit einer sehr deutlichen Aussprache. Viele Künstler der sprechenden Zunft sollten sich daran ein Beispiel nehmen, da vernuschelte Sätze gerade sehr hipp zu sein scheinen. Meinen größten Respekt haben bei solchen Produktionen immer die Kinder-Darsteller: Johnny als junger Simba und Loa als junge Nala waren absolut bezaubernd und meisterten ihre jeweiligen Parts mit einer immensen Spielfreude.

Zusammen mit großartigen Tänzern und Sängern, deren scheinbar unerschöpfliche Dynamik auf uns übersprang, boten die Künstler eine perfekte Show, die trotz aller Perfektion nicht routiniert wirkte sondern eine energetische Frische ausstrahlte – eine Leistung, die nach über 18 Jahren Open End an einem Standort nicht unbedingt selbstverständlich ist und somit meine Hochachtung verdient.

Dank Orkantief „Sabine“ war uns der Rückweg über die Köhlbrandbrücke verwehrt und so durften wir auf unserem Heimweg ganz neue Ecken vom Hamburger Hafen kennenlernen. Auf der Hinfahrt verspürten wir beim Passieren der Brücke einen Hauch von Wehmut: Vielleicht war dies unsere letzte Fahrt über die alte Köhlbrandbrücke. Das Schicksal dieses Wahrzeichens steht in den Sternen…!

Köhlbrandbrücke Hamburg.jpg


DER KÖNIG DER LÖWEN wird auch weiterhin im Stage Thea­ter im Hafen in Ham­burg gespielt!

[Musical] Andrew Lloyd Webber – SUNSET BOULEVARD / Stadttheater Bremerhaven

Musical von Andrew Lloyd Webber / Buch und Liedtexte von Don Black & Christopher Hampton / nach dem gleichnamigen Film von Billy Wilder / Deutsch von Michael Kunze

Premiere: 22. September 2018 / besuchte Vorstellung: 7. Oktober 2018 / Stadttheater Bremerhaven / Großes Haus

Musikalische Leitung: Ektoras Tartanis
Inszenierung: Ansgar Weigner
Choreographie: Lidia Melnikova
Bühne & Kostüme: Barbara Bloch

Choreinstudierung: Mario Orlando El Fakih Hernández


„Ich bin groß! Es sind die Filme, die klein geworden sind!“

Billy Wilders schonungslose Abrechnung mit der Glitzerwelt Hollywoods hat ihm nicht nur Freunde beschert. Ganz im Gegenteil: Nach der Premiere des Films im Jahre 1950 stürzte Louis B. Mayer auf ihn zu: „Sie Bastard, sie haben die Industrie, die sie gemacht und ernährt hat, in den Dreck gezogen. Man sollte sie teeren und federn und aus der Stadt jagen!“ Billy Wilders Antwort fiel sehr kurz aus: „Fuck you!“

Heute gilt der Film, laut dem American Film Institute, zu den zwölf besten amerikanischen Filmen aller Zeiten.

Bei der Umsetzung des Films zum Musical waren die Macher gezwungen, sich eng am Original zu halten. Dies ist im Musical deutlich zu spüren: Ganze Textpassagen wurden 1 zu 1 übernommen oder fanden in den Songtexten ihre Entsprechung. Das Buch ist atmosphärisch dicht und psychologisch klug durchdacht. Lloyd Webber schuf eine symphonische, sehr theatralische Musik mit großen dramatischen Arien, gefühlvollen Songs und lebhaften Chornummern.

Die musikalische Seite war bei dem 1. Kapellmeister und stellvertretende Generalmusikdirektor des Hauses Ektoras Tartanis in den allerbesten Händen. Mit straffen Dirigat führte er das Philharmonische Orchester Bremerhaven durch diese vielseitige Partitur und sorgte für einen äußerst würdigen musikalischen Rahmen dieses anspruchsvollen Musicals.

Ansgar Weigner konnte am Stadttheater auf ein talentiertes Haus-Ensemble zurückgreifen, schuf eine sehr stringente Inszenierung mit flüssigen – beinah filmischen – Übergängen, in der Raum für große Ensembleszenen war, aber auch die intimen Momente sehr detailliert erarbeitet wurden. Weigner hat es sogar geschafft, den von mir so häufig gescholtenen Opern-Chor zu einem homogenen Ensemble zu formen, der auch in solistischen Partien überzeugen konnte.

Die 4 Hauptakteure boten sehr gute bis grandiose Leistungen:

Patrizia Häusermann gelang es der eher blassen Rolle der Betty Schaefer ein deutliches Profil zu verleihen, indem sie sie als selbstbewusste, moderne Frau porträtierte, und überzeugte mit Spiel und Stimme. Bravo!

Vikrant Subramanian war als Joe Gillis eher der Sunny Boy als der Zyniker, sang hervorragend, hatte leider Probleme mit der Textverständlichkeit, konnte sich zum Schluss im Spiel aber deutlich steigern.

Andrea Matthias Pagani überzeugte als stets kontrollierter und rational handelnder Max von Mayerling, gleichzeitig ließ er durch diese Fassade den fürsorglichen Vertrauten von Norma durchschimmern und konnte mit seinem flexiblen Bariton beindrucken und begeistern.

Der Star des Abends war aber Sascha Maria Icks. Sie lebte die Norma Desmond zwischen Größenwahn und Naivität, zwischen Egoismus und Mitleid, zwischen schnoddriger Göre und glamouröser Diva. Jeder ihrer Auftritte war pure „Starquality“ mit großen Gesten „bigger than life“. Schon bei ihrem ersten Song „Nur ein Blick“ bekam ich Gänsehaut. Nach ihrer dramatischen Schluss-Szene, in der sie dem Wahnsinn verfallen die Treppe herunterschreitet und mit brüchiger Stimme nochmals „Nur ein Blick“ anstimmt, hielt es uns zum Schluss-Applaus nicht mehr auf unseren Sitzen.

Diese großartige Leistung für ein kleines Haus musste belohnt werden: Standing Ovation!

„…uns dankt die Welt Träume aus Licht!“


SUNSET BOULEVARD wird am Stadttheater Bremerhaven noch bis zum Ende der Spielzeit 2018/19 gezeigt. Es lohnt sich!