[Oper] Antonín Dvořák – RUSALKA / Stadttheater Bremerhaven

Oper von Antonín Dvořák / Libretto von Jaroslav Kvapil / in tschechischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Premiere: 25. Dezember 2023 / besuchte Vorstellung: 7. Januar 2024

Stadttheater Bremerhaven / Großes Haus


MUSIKALISCHE LEITUNG Marc Niemann
INSZENIERUNG Johannes Pölzgutter
BÜHNE & KOSTÜME Michael Lindner
DRAMATURGIE Markus Tatzig
CHOR Mario El Fakih Hernández
LICHT Katharina Konopka

REGIEASSISTENZ & ABENDSPIELLEITUNG Annika Ellen Flindt
INSPIZIENZ Mahina Gallinger


Wenn das nicht der Trend für den Städte-Tourismus 2024 wird: Nicht nur Kopenhagen hat eine Meerjungfrau, auch andere Hafenstädte können mit einer eigenen Version aufwarten. Nun schickt auch Bremerhaven eine Meerjungfrau ins Rennen um die Gunst des Publikums. Allerdings sitzt diese nicht auf einem Stein im Hafenbecken und schaut verträumt in die Ferne. Vielmehr robbt sie höchst athletisch über die Bühne des Stadttheaters und hört auf den Namen RUSALKA.

An einem nächtlichen Waldsee necken drei Waldelfen den alten Wassermann. Doch der hat ganz andere Sorgen: Seine Tochter Rusalka träumt von einer Seele, die sie fühlen, vor allem aber lieben lässt, und die den Wasserwesen nicht gegeben ist. Rusalka hat sich in einen Prinzen verliebt, den sie bei einer nächtlichen Jagd gesehen hatte. Ihr Vater ist entsetzt und warnt sie vor der Menschenwelt, bevor er wieder zum Grund des Sees abtaucht. Doch Rusalkas Sehnsucht nach Liebe ist so groß, dass sie die heimtückische Hexe Ježibaba um Hilfe bittet. Diese macht aus ihrem Fischschwanz zwei Beine, nimmt ihr aber die Sprache. Auf der Jagd ist der Prinz vom Weg abgekommen und findet sich schließlich am Ufer des Sees wieder. Hier trifft er auf die stumme, hilflose Rusalka. Er nimmt sie, bereits in sie verliebt, mit auf sein Schloss. Dort löst die stumme Unbekannte mit ihrem eigentümlichen Benehmen bei der Schloss-Gesellschaft Befremden aus. Als Wasserwesen ist sie für die Liebe nicht geschaffen und kann den Avancen des Prinzen nicht nachgeben. Dieser tröstet sich mit einer fremden Fürstin, die den Prinzen nur aus Eitelkeit, nicht aus Liebe verführt. Diese Untreue bricht Rusalka das Herz, und sie wünscht sich zurück in die Wasserwelt. Ihr Vater erscheint und erlaubt ihr, ihm in die Wasserwelt zu folgen. Doch aufgrund ihrer Verzauberung kann sie kein Wasserwesen mehr sein, vielmehr ist sie gezwungen, als ein todbringendes Irrlicht umherzuwandern. Dem Prinzen quält die Reue über seinen Verrat, und obwohl er nun weiß, dass Rusalka kein menschliches Wesen ist, liebt er sie weiterhin. Der Jäger und der Küchenjunge wagen sich zur Hexe Ježibaba mit der Bitte, ihren scheinbar von Rusalka verhexten Prinzen von diesem Fluch zu befreien. Die Hexe verspottet sie und jagt sie davon. Dann erscheint der Prinz persönlich am See und bittet Rusalka reumütig um einen Kuss als Vergebung. Rusalka, die ihn immer noch liebt, warnt ihn, dass ihr Kuss ihn töten würde. Doch der Prinz verzehrt sich so sehr nach ihr, dass er sie abermals um diesen Kuss bittet. Rusalka erfüllt die Bitte und küsst den Prinzen, der darauf stirbt. Sie entschwindet daraufhin auf ewig in den dunklen Wald.

Märchenseligkeit á la Disney?! Nein, damit erfreut Regisseur Johannes Pölzgutter das Publikum nicht. Er lässt durchaus das Märchenhafte der Geschichte in seiner Interpretation durchschimmern, kredenzt aber auch sehr vieles, was kantig, sperrig, beinah urwüchsig anmutet. Seine Inszenirung besticht durch eine präzise Personenführung und der Fokussierung auch auf die Nebenrollen, die dadurch deutlich an Profil gewinnen. Klar voneinander abgegrenzt zeigt er die Menschen- gegenüber der Mythenwelt. Rusalka wünscht sich eine Seele: In der Interpretation von Pölzgutter werden die Menschen oberflächlich und gefühlskalt dargestellt, denen Prestige und eine öffentlichkeitswirksame Selbstdarstellung über alles geht. Im Vergleich dazu konzentrieren sich die Wasserwesen auf das Wesentliche, auf die inneren Werte. Da zeigen die angeblich kalten „Fische“ viel mehr Seele als die ach so gefühlvollen Menschen.

Stichwort „Fische“: Ausstatter Michael Lindner schuf ein stimmiges Ambiente, bei dem die Welt der Wasserwesen permanent präsent war, sei es bei den schuppenartigen Kleidern von Rusalka und der Hexe, dem Neoprenanzug des Jägers, der Wandgestaltung im Schloss oder mit einem überdimensionalem Glaskasten, der an ein Aquarium erinnerte.


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In der Titelrolle überzeugte abermals Sopranistin Signe Heiberg auf ganzer Linie. Es gelang ihr mit Haltung, Gestik und Mimik, aber vor allem mit ihrem seelenvollen Blick ihrer Rusalka mit einer Aura der andauernden Melancholie zu umgeben. Mit nuanciert-geführter Stimme brillierte sie beim „Měsíčku na nebi hlubokém / Lied an den Mond“, mit expressiven Sopran gestaltete sie bei „Necitelná vodní moci / Unendlich Herzeleid“ die Empfindungen Rusalkas von Resignation bis Schmerz. Zudem zeigte sie in dieser Partie erneut, welch exzellente Schauspielerin sie ist.

Rein Optisch entsprach Konstantinos Klironomos dem Idealbild eines Prinzen aus dem Märchen. Dabei ist dieser Prinz ein oberflächlicher Fatzke, ein egoistisches und verwöhntes Bürschchen, gewohnt, das Bedienstete hinter ihm herräumen und Bewunderer ihn schmeichelnd umgarnen. Es verwundert kaum, dass die gefühlvolle Rusalka mit diesem „schönen Schein“ wenig anzufangen weiß. Auch hier sorgt Pölzgutter mit einer kleinen Änderung, dass die Figur ein differenzierteres Profil erhält: In dieser Inszenierung lässt sich der Prinz nicht von Rusalka den todesbringenden Kuss geben, vielmehr greift er zum Messer und sticht sich selbst in die Brust. Meine Interpretation: Er möchte Rusalka nicht die Schuld aufbürden, für seinen Tod verantwortlich zu sein, und zeigt hier erstmals ein selbstloses Verhalten. Klironomos sang diese Partie anfangs mit protziger tenoraler Kraft, um im emotionalen Finale dann schöne lyrische Töne anzuschlagen.

Charakterlich würde die fremde Fürstin viel besser zum Prinzen passen, die Julia Mintzer mit üppigen Sopran und reichlich Sex-Appeal ausstattet. Dabei wirkte sie berechnend und emotionslos und war so viel mehr eine Antipathie-Trägerin als die böse Hexe Ježibaba.

Boshana Milkov punktete schon bei ihrer ersten Arie „Čury mury fuk / Abra, cabra, fort“ mit ihrem satten Mezzo-Sopran, zeigte in ihrer Rollengestaltung der Hexe alle Attitüden einer Bösewichtin und spielte diese genüsslich aus. Trotzdem blitzten immer wieder hinter der Fassade der Bosheit auch tragische Züge hervor, die diese Figur so ambivalent machten. Johannes Pölzgutter schuf ein unsichtbares Band zwischen Rusalka und Ježibaba, indem er die beiden Sängerinnen sich teilweise synchron zueinander bewegen ließ. Dann wieder schienen sich die Bewegungen der Beiden zu spiegeln, als würde die Jüngere das Schicksal der Älteren wiederholen.

Der Regisseur arbeitete mit Doppelsymbolik: So reproduzierte sich Rusalkas Verlust ihrer Flosse durch das Messer der Hexe mit der Häutung eines erlegten Tieres durch den Jäger. Charisma und Maskulinität (Attribute, die gemeinhin bei der Rolle eines Prinzen vermutet wird) zeigte Marcin Hutek mit warmen Bariton als Jäger, der zwar unter den Allüren seines Herren litt, trotzdem loyal hinter ihm stand und so seine edle Haltung zeigte. Ansonsten kann ich hier nur nochmals meinen Wunsch anbringen, den ich schon bei TOSCA geäußert hatte: Wann darf ich Marcin Hutek endlich in einer großen Partie erleben? Victoria Kunze sorgte als drolliger Küchenjunge für die wenigen humorigen Momente des Stücks,  amüsierte mit quirligem Spiel und überzeugte mit ihrem blendenden Sopran. Als Waldelfe war sie zudem – gemeinsam mit Minji Kim und Maria Rosenbusch – ganz und gar entzückend.

Ulrich Burdack verbrachte in der Rolle des Wassermanns ca. 90% seiner Spielzeit – körperlich sicherlich sehr herausfordernd – robbend und rollend auf dem Bühnenboden. Mit deformiertem Schädel und einem Körper, der übersäht war mit Warzen und Haaren, glich er eher einer Kröte als einem stattlichen Meermann. Bei dieser anspruchsvollen Bass-Partie gibt es ungewöhnlich hohe Passagen, mit denen sich Burdack außerhalb seiner gesanglichen Komfortzone wagte. „Doch wer nicht wagt, der nicht gewinnt!“ lautet ein Sprichwort. Würden wir alle immer auf Nummer sicher gehen, gäbe es keine Weiterentwicklung. Dies gilt für Sänger*innen ebenso wie für mich als Krankenpfleger. Mit lyrischem Bass beklagte er mitleidsvoll in „Celý svět nedá ti, nedá / Wehe dir, Rusalka, wehe“ das Schicksal seiner Tochter. Durch sein nuancenreiches und sensibles Spiel schaffte es Burdack, dass der noble Charakter des Wassermanns die weniger ansprechende Optik überstrahlte und diese vergessen machte.

Getragen wurden die Stimmen der Sänger*innen durch das bestens disponierte Philharmonische Orchester Bremerhaven unter der musikalischen Leitung von Marc Niemann. Niemann schuf mit den Musiker*innen eine enorme Klangfülle. Er lässt er das Orchester bei den dramatischen Szenen musikalisch auftrumpfen, um wenige Augenblicke später die filigranen Arien sensibel zu untermalen. Dabei besticht das Orchester durch seine instrumentale Feinheit.

Anmerkung: Die Oper wird auf Tschechisch vorgetragen. Als ich dies erfuhr, war auch ich nicht vor Vorurteilen gefeit. Erwartete ich doch ein eher ungewohntes, wenn nicht sogar irritierendes Hör-„Vergnügen“. Umso mehr überraschte mich die Melodik dieser Sprache, die zusammen mit Dvořáks Musik eine wunderbare Einheit bildete.


Leider steht RUSALKA nur noch für einige wenige Vorstellungen auf dem Spielplan des Stadttheaters Bremerhaven.