[Oper] Jacques Offenbach – HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN (Les Contes d’Hoffmann) / Stadttheater Bremerhaven

Fantastische Oper in  fünf Akten von Jacques Offenbach / Libretto von Jules Barbier / nach dem gleichnamigen Drama von Jules Barbier und Michel Carré / in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Premiere: 25. September 2021 / besuchte Vorstellung: 3. Oktober 2021

Stadttheater Bremerhaven / Großes Haus


Musikalische Leitung: Marc Niemann
Inszenierung: Johannes Pölzgutter
Bühne & Kostüme: Julius Semmelmann
Choreinstudierung: Mario Orlando El Fakih Hernández

Zum ersten Mal in dieser Saison sitzen wir im Rahmen unseres Abonnements im Stadttheater Bremerhaven und starten mit der Eröffnungs-Inszenierung: „Big – Bigger – Biggest“ könnte über diesen Abend stehen, den es wird die ganz große Oper zelebriert. Dabei bezieht sich diese Aussage nicht etwa auf eine Gigantomanie in der Ausstattung – hier wird eher auf eine zurückhaltende doch äußerst elegante Optik gesetzt – sondern vielmehr auf die Macht der Gefühle und den Reiz der Musik.

Der Dichter E.T.A. Hoffmann sieht sich am Ende seiner Schaffenskraft: Wo ihn früher die Muse mit Inspiration überschüttete, fühlt er nun nur eine Leere, die er mit Alkohol zu füllen versucht. Doch die Muse hat ihn nie verlassen. Vielmehr ist sie nach wie vor an seiner Seite und bemüht sich, seinen göttlichen Funken nicht verlöschen zu lassen. Ein schweres Unterfangen, da Hoffmann mehr auf seine Saufkumpane hört. Sie stacheln ihn an, von seiner großen Liebe Stella zu erzählen. Nach anfänglichem Zögern ist er dazu bereit und versucht, seine Liebste anhand von drei Frauentypen zu beschreiben, wo jede eine andere Facette von Stella zeigt.

Da wäre als erste seiner Auserwählten Olympia, das mechanische Wunderwerk des genialen Konstrukteurs Spalanzani, die wunderbar singt, wunderbar tanzt und wunderbar aussieht. Leider hat sie einen großen Nachteil: Sie hat kein Herz, und sobald ihr der Strom abgedreht wird, sackt sie in sich zusammen. Doch Hoffmann ist von dieser perfekten Puppe geblendet, zumal ihm der zwielichtige Coppélius eine Brille verkaufte, durch die er die Welt nur in den schönsten Farben wahrnimmt. Da muss die Muse erst den Stecker ziehen, damit er unsanft auf den Boden der Tatsachen fällt.

Seine zweite Auserwählte ist die sterbenskranke Antonia, die von ihrem Vater Crespel behütet wird. Singen bedeutet für die junge Frau alles, doch gerade diese Leidenschaft würde ihr den Tot bringen. Hoffmann hat ihr seine schönsten Verse gewidmet, die nun nie über ihre Lippen kommen werden. Doch die Liebe zu ihr ist größer als sein Ego. Der Quacksalber Miracle hypnotisiert die Menschen in Antonias Nähe und verführt diese, trotz aller Warnungen zu singen. Tot bricht sie zusammen. Hoffmann ist verzweifelt.

Die dritte Auserwählte ist die Kurtisane Giulietta, die bewusst ihre Reize einsetzt, um so rücksichtslos die Männer für ihre Vorteile zu manipulieren. Auch Hoffmann verfällt dieser „Femme fatal“, die ihn zu einem Verbrechen anstachelt. Trotz aller Mühe seiner Muse, ihn aufzuhalten, begeht er einen Mord, indem er seinen Nebenbuhler erwürgt. Doch seine Angebetete ist längst mit dem diabolischen Dapertutto über alle Berge.

Die Saufkumpane bedauern das Leid, das die Liebe verursacht, und gönnen sich einen weiteren Schluck. Doch Hoffmann wurde von seinen eigenen Erzählungen wach gerüttelt und sieht deutlich seine Muse vor sich, die ihm Papier und Stift reicht…!

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Kaum eine andere Oper wurde so häufig umgeschrieben, gekürzt, Akte umgestellt wie bei Les contes d’Hoffmann, zumal Jacques Offenbach noch vor der Uraufführung verstarb und so keine endgültig redigierte Fassung hinterließ. So bietet dieses Werk schon über Jahrhunderte reichlich Interpretationsspielraum für kreative Theatermacher. Für Bremerhaven besah sich Regisseur Johannes Pölzgutter das Werk, das wie ein zerfranster Teppich anmutet, nahm die losen Enden auf, verknotete sie und verwebte sie dann zu einem stringenten Bild. Heraus kam eine Inszenierung ohne Effekthascherei, bei der die Konstellation der Personen zueinander im Mittelpunkt steht. Die Dynamik auf der Bühne entsteht somit nicht aus einer Hyperaktion des Ensembles sondern aus den Emotionen des Handlungspersonals. So wandelt sich im Laufe der Handlung zunehmend „Comique“ zu „Dramatique“.

Unterstützung in seinem Regiekonzept fand Pölzgutter im Bühnen- und Kostümbildner Julius Semmelmann, der Hoffmanns Welt in herrschaftlich-eleganten Räumen spielen lässt, mit dem Öffnen der Wände bzw. der Verschiebung des kompletten Bühnenbilds neue Perspektiven zaubert und zusätzlich mit raffinierten Überraschungen überzeugt. Auch bei seinen Kostümen ist der rote Faden sichtbar: So gewandete er die Damen in einer einheitlichen Farbpalette, erlaubt ihnen durch prägnante Einzelheiten aber auch Individualität. Dafür muten Hoffmanns Saufkumpane wie Klone des Dichters an. Die Muse schwirrt im eleganten Grau und einem Hauch Androgynität mit ihren Engels-Flügelchen durch die Szenerie. Hoffmann bleibt immer Hoffmann. Er ist die Titelfigur: Eine großartige Verkleidung ist hierbei nicht nötig.

Das Philharmonische Orchester unter der Leitung von Generalmusikdirektor Marc Niemann schien Offenbachs Melodien zu zelebrieren. Niemann führte Solisten und den vorzüglichen Chor sicher durch die Partitur und vollbrachte u.a. das Wunder, dass die zum Schlager verkommene Barcarole im 4. Akt dank aller Beteiligten zu einem musikalischen Genuss wurde.

Mirko Roschkowski gab den Hoffmann sowohl mit tenoraler Verve als auch mit nuanciertem Spiel. Seine Nebenbuhler in den einzelnen Akten wurden alle von Marian Pop verkörpert, der es mit seinem vollen Bariton schaffte, nicht „nur“ böse zu sein, sondern auch die Persönlichkeiten der jeweiligen Figur offenzulegen. Tenor Andrew Irwin zeigte in seinen Auftritten eine enorme Wandlungsfähigkeit: sei es als ein verschrobener „Big Bang Theory“-Nerd bei der Erschaffung von Olympia, als voluminös-robuste Haushälterin bei Antonia oder als der exaltierte Assistent von Giulietta. Ulrich Burdack hatte in der kleinen Rolle als Antonias Vater Crespel leider nur sehr wenige Gelegenheiten, seinen warmen, volltönenden Bass zu präsentieren.

Auch wenn wir hier den Erzählungen eines Mannes lauschen, so steht das Weib (die Weiber) im Mittelpunkt dieser Oper: Victoria Kunze brilliert als Olympia, meistert die Koloraturen wieder mit Leichtigkeit und liefert ein komödiantisches Kabinettstückchen ab. Marie-Christine Haase überzeugt als totgeweihte Künstlerin, die an ihrer Kunst zerbricht, und singt mit empfindsamen Sopran. Signe Heiberg gibt das Vollblutweib Giulietta mit üppiger Erotik und triumphierender Stimme. Die Muse von Patrizia Häusermann ist kein zartes Vögelchen, vielmehr greift sie beherzt ins Geschehen ein, um „ihren“ Hoffmann vor Schlimmeren zu bewahren. Dass sie singen kann, muss sie niemanden mehr beweisen, und doch erfreut es mich immer, wenn innerhalb einer überzeugenden Inszenierung ein zusätzliches Highlight aufblitzt: Hier gestaltet sie die schon erwähnte Barcarole gemeinsam mit Signe Heiberg äußerst geschmackvoll und fern jeglicher Schlager-Seligkeit.

Im Stadttheater Bremerhaven wurde (wird) GROSSE Oper präsentiert, das vom Publikum absolut zu Recht mit einem frenetischen Schluss-Applaus gewürdigt wurde.


Wann HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN wieder präsentieren werden, erfahrt Ihr auf der Homepage vom Stadttheater Bremerhaven.