[Konzert] Sergei Prokofjew – PETER UND DER WOLF / Philharmonisches Orchester Bremerhaven

Musik und Erzähltext von Sergei Prokofjew

geplante Premiere: 8. November 2020 um 11:00 Uhr/ geplanter Besuch des Konzerts: 8. November 2020 um 14:00 Uhr (ausgefallen wegen Corona-Lockdown)

Stadttheater Bremerhaven/ Großes Haus


Musikalische Leitung: Davide Perniceni
Moderation: Tom Baert
Sprecher: Richard Lingscheidt

Die Karten waren besorgt und lachten mich von der Pin-Wand jedes Mals an, wenn ich an ihnen vorbeiging, was sehr häufig am Tag geschah. Ein kurzer Blick zur Pin-Wand genügte, und da war sie wieder, die Vorfreude…! Den Start in mein sechstes Lebensjahrzehnt wollte ich mit einem Konzert begehen, dessen Titel Kindheitserinnerungen in mir wachruft. Ich bin nun in einem Alter, in dem ich mir weniger Gedanken um die Zukunft mache (Ich habe erreicht, was ich erreichen konnte und wollte. Die Karriereleiter überlasse ich gerne anderen. Meine Prioritäten im Leben sind seit einiger Zeit „anders“ gesetzt!), sondern ich werfe vielmehr häufiger einen Blick in die Vergangenheit. Ich war in der 2. Klasse der Grundschule, als wir uns eines Morgens auf den Weg zur damaligen Mehrzweckhalle (heute nach Umbau und Modernisierung: Hamme-Forum) machten, um uns dort das Musikmärchen „Peter und der Wolf“ von Sergei Prokofjew als Puppenspiel anzusehen. Zum ersten Mal in meinem Leben erlebte ich, wie einzelne Musikinstrumente die Figuren eines Theaterstückes charakterisierten, die Musik so ein wesentliches Element der Handlung war und so direkt ihren Weg zu den Emotionen der kleinen Zuschauer fand. Im Laufe der Vorstellung war es für uns Kinder nicht mehr notwendig, dass wir den Wolf wirklich vor uns sahen. Schon allein der Klang der Hörner war ausreichend, dass wir vor Schreck laut aufschrien und versuchten, Peter mit lauten Rufen zu warnen. Kindheitserinnerungen…!

Vor zwei Wochen hätte ich nun „eigentlich“ im Stadttheater Bremerhaven beim 1. Familienkonzert des Philharmonischen Orchesters Bremerhaven sitzen sollen, um eben diese Kindheitserinnerungen voller Freude wieder aufleben zu lassen. Doch der Lockdown machte mir einen Strich durch die Rechnung: Corona, Du bist ein echt mieses A……..!

Doch das Stadttheater Bremerhaven schläft auch nicht im Lockdown, sondern tüftelt an Formate, mit denen es weiterhin mit seinem Publikum in Kontakt bleibt – so wie es viele Theater, Museen und Kulturschaffende tun. Und so dürfen wir nun das 1. Familienkonzert online genießen.

Die Kamera schwenkt über den leeren Zuschauersaal: Konzertpädagoge Tom Baert begrüßt sein Publikum und begleitet uns bis auf die Bühne. Mit charmanten Akzent erzählt er uns von der Entstehungsgeschichte des Musikmärchens und stellt uns die Hauptpersonen anhand der jeweiligen Instrumente vor. Nach und nach treten die Musiker*innen auf die Bühne, nehmen ihre Plätze ein und stimmen ihre Instrumente. Der Dirigent Davide Perniceni, 1. Kapellmeister des Hauses, erscheint und hebt den Taktstock. Es wird still. Das Musikmärchen kann beginnen…!

Mit Ensemblemitglied Richard Lingscheidt wurde ein schelmischer Erzähler gewonnen, der mit spür- und sichtbarem Spaß die Handlung kommentiert und mit prägnanter Stimme die Personen humorvoll karikiert. Weder er noch Tom Baert sprechen in die Kamera sondern wenden ihren Blick ins Auditorium zum imaginären Publikum und vermitteln so die Atmosphäre eines Live-Konzertes. Die Kamera schwenkt immer wieder über das Orchester, wirft über die Schulter einzelner Orchestermitglieder einen Blick auf die Partitur und gibt so einen wunderbaren Eindruck über das Zusammenspiel innerhalb eines Orchesters. Davide Perniceni schwelgt mit seinen Musiker*innen in der Romantik von Prokofjews eingängigen Melodien. Ein großes Lob gebührt da auch der Produktionsfirma für die sehr gute Bild- und (vor allem) Tonqualität. Beim großen Finale hatte ich eine Gänsehaut, und war gleichzeitig glücklich und traurig: …glücklich über die digitalen Möglichkeiten, die es uns ermöglichen, in diesen schwierigen Zeiten weiterhin Kunst zu genießen, und traurig, dass ich nicht live dabei sein konnte. Denn „Live!“ ist durch nichts zu ersetzten!

Ich danke dem Stadttheater Bremerhaven und allen Beteiligten für dieses wunderbare Konzert!

Doch nun wünsche ich auch Euch viel Vergnügen mit „Peter und der Wolf“:

Das Video ist bis zum 28. Februar 2021 online verfügbar!


Das Philharmonische Orchester Bremerhaven bietet in jeder Saison ein Vielzahl an abwechslungsreichen Konzerten: Ein Blick in das Programm lohnt sich sehr!

[Komödie] Jacobs & Netenjakob – EXTRAWURST / Stadttheater Bremerhaven

Komödie von Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob

Premiere: 20. Dezember 2019 / besuchte Vorstellung: 28. Dezember 2019

Stadttheater Bremerhaven / Kleines Haus


Inszenierung & Bühne: Andreas Rehschuh

Kostüme: Juliane Götz


Eine Vereinsversammlung in der Provinz. Dr. Heribert Bräsemann (Kay Krause), Präsident des Tennisclubs TC Lengenheide, ist gerade mit 100 Prozent der Stimmen wiedergewählt worden. Als letzter Punkt der Tagesordnung muss noch über den Kauf eines neuen Grills für das alljährliche Sommerfest entschieden werden, und dann geht der gemütliche Teil des Abends mit Bier und kaltem Nudelsalat los. Aber da schlägt Melanie (Julia Lindhorst-Apfelthaler), Doppelpartnerin von Erol, vor, dass man doch einen zweiten Grill anschaffen sollte, weil Erol und seine Frau ihr Grillgut nicht zum Schweinefleisch der anderen Mitglieder auf den Grill legen dürfen. Erol (Henning Bäcker) will diese «Extrawurst» gar nicht, aber Melanie lässt nicht locker, zum Missfallen des stellvertretenden Vorsitzenden Matthias (Max Roenneberg). Und ihr Mann Torsten (Richard Lingscheidt) unterstützt ihr Anliegen zwar prinzipiell, beobachtet Melanies Fürsorge für Erol aber mit wachsender Eifersucht. Und mir nichts dir nichts ist der schönste Streit im Gange, es ist von «Türkenwurst» und «Schweinedampf» die Rede und Heriberts Vorschlag, seinen unbenutzten Elektro-Grill zu benutzen, lehnt Erol mit dem Argument ab, das fühle sich an wie «Türken-Charity».

Im vertrauten Setting einer Jahresversammlung gelingt den beiden Autoren das Kunststück, in einer pointierten Komödie die entscheidende Frage zu stellen: Gibt es auch am Grill eine deutsche Leitkultur? Die Zuschauer sind als Vereinsmitglieder Teil des Geschehens und erleben hautnah mit, wie sich eine Gesellschaft nachhaltig zerlegen kann, wenn Atheisten und Gläubige, Deutsche und Türken, «Gutmenschen» und Hardliner frontal aufeinanderprallen. (Text von Peter Hilton Fliegel für das Programmheft zu „Extrawurst“)

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Der Deutsche und seine Vereinskultur: Das Patriarchat agiert in der Verkleidung der Demokratie. Der Verein als Profilierungsbühne des kleinen Mannes.

Regisseur Andreas Rehschuh lässt im steril-sauberen, tennis-weißen Bühnenbild ein Abbild der Gesellschaft vor den Blicken der Zuschauer entstehen. Überspitzt comic-haft haben die Gegenstände markante schwarze Konturen, ebenso wie die Kostüme von Juliane Götz, die mit wenigen prägnanten Strichen, die Charaktere der Handlungspersonen beschreibt bzw. die Klischees, die sich dahinter verbergen (die strenge Bügelfalte vom spießigen Präsidenten, der betonte Hosenschlitz vom potenten Türken etc.). Geschickt verteilt Rehschuh die Schauspieler im Zuschauerraum: Ihr verbaler Schlagabtausch zwingt die Zuschauer – wie bei einem Tennisturnier der Blick dem Ball folgt – den Kopf nach links und rechts zu wenden, um die Reaktionen der Protagonisten zu beobachten.

„Links“ und „Rechts“: Wo steht wer? Unterdrückte Ressentiments spülen an die Oberfläche einer scheinbaren Toleranz. Gerne wäre jeder von uns ein Gutmensch, doch leider kämpfen wir alle mit unseren persönlichen Vorurteilen. Diese Komödie deckt bloß aber liefert nicht aus. Sie erlaubt ein befreiendes Auflachen aber sorgt auch dafür, dass das Lachen in der Kehle stecken bleibt.

Regisseur Andreas Rehschuh greift am Stadttheater Bremerhaven auf ein talentiertes Ensembles zurück, dass frei von übertriebenen Attitüden die Motivation der jeweiligen Person für das Publikum glaubwürdig sichtbar macht – ohne an Sympathie zu verlieren. Sie sind eben auch nur Menschen…!


Die EXTRAWURST wird noch bis April 2020 im Stadttheater Bremerhaven auf dem Rost liegen und auf komödiantische Abnehmer warten.

[Schauspiel] Günter Grass – DIE BLECHTROMMEL / Stadttheater Bremerhaven

Schauspiel nach Günter Grass / für die Bühne bearbeitet von Peter Schanz

Premiere: 9. November 2019 / besuchte Vorstellung: 17. November 2019

Stadttheater Bremerhaven / Großes Haus


Inszenierung: Mark Zurmühle
Bühne: Eleonore Bircher
Kostüme: Ilka Kobs
Video: Aaron Bircher
Musikalische Einstudierung: Hartmut Brüsch

„Zugegeben: Ich bin Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt, mein Pfleger beobachtet mich, lässt mich kaum aus den Augen.“

…dies ist nicht nur der erste Satz des Romans „Die Blechtrommel“, so beginnt auch das Schauspiel. Oskar Matzerath blickt zurück sowohl auf 50 Jahre Familiengeschichte als auch auf 50 Jahre deutscher Geschichte. Der Junge, der mit drei Jahren beschließt, nicht mehr weiterzuwachsen, ist Unschuld und Verkommenheit zugleich. Scheinbar harmlos wirkend beobachtet er mit einem beinah sezierenden Blick die Entwicklungen in der Familie und der Gesellschaft und zieht an den Schicksalsfäden ganz nach seinem Gusto. Mit dem Klang seiner Trommel und der Fähigkeit, Glas mit seiner Stimme zum Zerspringen zu bringen, manipuliert er erbarmungslos seine Umwelt.

Dem Regisseur Mark Zurmühle ist mit seinem 7-köpfigen Ensemble eine stringente, aufwühlende Inszenierung gelungen, in der – außer Max Roenneberg als Oskar Matzerath – alle übrigen Schauspieler*innen mehrere Rollen verkörpern. Das Schauspiel beginnt in der besagten Heil- und Pflegeanstalt: Beinah steril wirkt das Bühnenbild mit seinem runden Pavillon und den weißen Stühlen. Oskar liegt angeschnallt auf einer Behandlungsliege und wird von Ärzten, Pflegern und Schwestern in weißer, uniformierter Kluft beobachtet. Und während Oskar mit dem Erzählen beginnt, verwandelt sich das Personal der Heil- und Pflegeanstalt mit wenigen Requisiten und Kostümteilen in die Protagonisten seiner Geschichte…!

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Ein aufwendiges Bühnenbild wird nicht benötigt: Das Können der Schauspieler*innen fesselt das Publikum. Die Kraft ihrer Darstellung macht Hilfsmittel wie ein üppiges Bühnenbild überflüssig.

Max Roenneberg gibt einen wendigen Oskar, der jungenhaft naiv und diabolisch abstoßend zugleich ist, und bildet mit seinen Kolleg*innen ein eingespieltes Ensemble, das wie Perlen auf einer Schnur die Geschehnisse vor den Augen des Publikums aufreiht. Sascha Maria Icks, Richard Lingscheidt, Julia Lindhorst-Apfelthaler, Dominik Lindhorst-Apfelthaler, Kay Krause und Henning Bäcker bilden ein so homogenes Ensembles, dass es mir schwerfällt, einzelne Künstler hervorzuheben: Jede*r zeigte eine immense Wandlungsfähigkeit und hatte große, bewegende Momente. Mark Zurmühle verzichtet wohltuend auf plakative Gesten und greller Symbolik: Der Freitod mit dem Strick wird mit Hilfe einer Krawatte und einer Kartoffel dargestellt, und auch das Hakenkreuz wird nicht benötigt, um die Atmosphäre dieser Zeit zu repräsentieren.

Wer ein 60 Jahre altes Werk modern und eindrucksvoll auf der Bühne sehen möchte, sollte den Weg nach Bremerhaven nicht scheuen!


Oskar Matzerath wird DIE BLECHTROMMEL weiterhin für einige Vorstellungen am Stadttheater Bremerhaven schlagen…!