Ein Mord. Fünfzehn Verdächtige. Finden Sie die Wahrheit heraus?
…werde ich durch den Untertitel auf dem Cover dieses Romans herausgefordert. Und eine Herausforderung war es allemal für mich – eine äußerst kurzweilige und fesselnde Herausforderung. Mit ihrem Erstlingswerk schuf Autorin Janice Hallett einen typischen „Whodunit“, der allerdings völlig untypisch erzählt wird…
Die lokale Theatergruppe „The Fairway Players“ steckt mitten in den Proben zu ihrem neuen Stück, als die Familie des Regisseurs Martin Hayward von einer Tragödie heimgesucht wird: Bei seiner kleinen Enkelin wurde eine seltene Krankheit diagnostiziert. Um die notwendigen 250.000 Pfund für die Behandlung aufzutreiben, sammeln die Mitspieler eine Menge Geld. Doch dann wird alles gestohlen, und am Tag nach der Generalprobe wird eine Leiche gefunden. Der Schuldige hält sich im Verborgenen – aber zwischen den Zeilen der innerhalb der Theatergruppe rege ausgetauschten E-Mails hat sich jemand verraten …
(Inhaltsangabe der Homepage des Verlages entnommen!)
Kronanwalt Roderick Tanner stellt seinen beiden Praktikanten Olufemi Hassan und Charlotte Holroyd eine herausfordernde Aufgabe: Er übergibt ihnen einen grob chronologisch geordneten Stapel mit Ausdrucken von E-Mails und Text-Nachrichten, denen er Zeitungsausschnitte und Informationen aus sozialen Medien beigelegt hat. Völlig unvoreingenommen sollen die Beiden mit einem frischen Blick auf die Korrespondenz der beteiligten Personen schauen, in der Hoffnung, dass sie Hinweise „zwischen den Zeilen“ entdecken, die so den Täter, die Täterin oder auch mehrere Täter entlarven.
Und genau diese Korrespondenz (in Form dieses Buches) liegt auch mir nun als Leser vor – zusätzlich mit den schriftlichen Anweisungen von Tanner und den WhatsApp-Nachrichten, die zwischen Hassan und Holroyd ausgetauscht wurden.
Dabei spielt die Autorin raffiniert mit dem Hang zum Voyeurismus der Leserschaft: Es scheint beinah, als werfe ich einen verbotenen Blick hinter die bürgerliche Fassade meiner Nachbarn, der mir höchst intime Details offenbart. So legen die Mails gnadenlos die menschlichen Schwächen der Absender bloß – manches Mal offensichtlicher als es der Verfasser*in lieb wäre. Da wird vorne gelächelt und hinten getreten. Das soziale Gefüge bzw. die Rangordnung (oder sollte ich lieber sagen: die Hackordnung) innerhalb dieser verschworenen Gemeinschaft tritt sehr deutlich zu Tage. Da der direkte Kontakt von Angesicht zu Angesicht fehlt, fallen die Masken der Höflichkeit, und die Hemmschwelle, offen die Meinung zu äußern, ist somit niedriger. So werden Charakterzüge präsentiert, die nicht immer konform sind mit dem Bild, das die besagte Person ihrer Umgebung gerne von sich vermitteln möchte.
Interessanterweise gibt es von zwei wichtigen Personen keine Aufzeichnungen, d.h. sie äußern sich nie selbst sondern werden stets nur aus dem jeweiligen, höchst individuellen Blickwinkel ihrer Mitmenschen beschrieben. Dieser Umstand führte dazu, dass diese Personen beinah eine Aura des Geheimnisvollen umgab, sie für mich deutlich schwerer einzuschätzen waren und somit einen unberechenbaren Faktor darstellten.
Anfangs befürchtete ich auch, dass ich bei dieser Flut an Mails den Faden verlieren und durch die Zuordnung der Personen verwirrt werden würde. Diese Befürchtung war völlig unbegründet, da die Autorin mir durch Hassan und Holroyd Hilfsmittel an die Hand gab. Unsere beiden eifrigen Praktikanten fertigten u.a. eine Liste der beteiligten Personen an, die natürlich auch mir bei der Lektüre zugutekam und mich beim Einordnen der Charaktere in den Ablauf der Geschehnisse unterstützte. Ebenso war die von ihnen erstellte Zusammenfassung der Ereignisse gegen Ende des Buches äußerst hilfreich.
Trotz dieser immensen Menge an Informationen schien auch vieles ungesagt zu bleiben, schimmerte unterschwellig zwischen den Zeilen hervor und irritierte mich. Ich konnte es anfangs nicht konkret benennen: Es war ein Gefühl, eine Ahnung…! Doch ich hegte den Verdacht, dass so die Autorin sehr bewusst – mit einer entsprechenden Formulierung oder einer scheinbar belanglosen Bemerkung – eine angespannte Atmosphäre kreieren wollte. Sollte dies ihre Beweggrund gewesen sein, darf ich ihr attestieren, dass es ihr gelungen ist.
Janice Hallett hat das Kunststück vollbracht, eine Geschichte gänzlich ohne einen klassischen Handlungsaufbau zu erzählen. Trotzdem büßte dieser gelungene Krimi nichts von seiner Spannung ein. Meine bisherige, langjährig angeeignete Lesegewohnheit geriet dabei höchst unterhaltsam durcheinander…!









