[Oper] Jüri Reinvere – PEER GYNT (UA) / Stadttheater Bremerhaven

Oper von Jüri Reinvere / Libretto vom Komponisten nach dem gleichnamigen Schauspiel von Henrik Ibsen // Uraufführung der originalen deutschsprachigen Fassung / in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Premiere: 3. Mai 2025 / besuchte Vorstellung: 25. Mai 2025

Stadttheater Bremerhaven / Großes Haus


MUSIKALISCHE LEITUNG Marc Niemann
INSZENIERUNG & BÜHNE Johannes Pölzgutter
KOSTÜME & VIDEO Tassilo Tesche
DRAMATURGIE Markus Tatzig
CHOR Edward Mauritius Münch
LICHT Katharina Konopka

REGIEASSISTENZ & ABENDSPIELLEITUNG Annika Ellen Flindt
ASSISTENZ BÜHNE & KOSTÜME Mina Purešić
ORGANISATION & STIMMBILDUNG KINDERCHOR Katharina Diegritz
STUDIENLEITUNG Hartmut Brüsch
MUSIKALISCHE EINSTUDIERUNG Jorrit van den Ham & Tonio Shiga
INSPIZIENZ Regina Wittmar
SOUFFLAGE Mahina Gallinger
REGIEHOSPITANZ & FSJ KULTUR Tyler Wefer 


Mit „Es war eine Herausforderung,…“ habe ich hier schon den einen oder anderen Beitrag begonnen, um dann den Satz mit „…der ich mich gerne gestellt habe!“ zu beenden. In diesem Fall stimmte der erste Teil des Satzes vollumfänglich. Doch beim zweiten Teil des Satzes muss ich leider attestieren „Nein, ich habe es nicht gerne getan!“.

Die Oper PEER GYNT von Jüri Reinvere war für mich – Hm! Wie umschreibe ich es am besten? – verwirrend? …verstörend? …belastend?

Noch nie habe ich eine Opernkomposition gehört, bei der die Töne so schräg und (in meiner Wahrnehmung) willkürlich aneinander gereiht wurden, wie es bei diesem Werk der Fall war. Melodik? Fehlanzeige! So manches Mal fragte ich mich, ob es noch Töne seien oder doch eher nur Krach. Zumal diese massive Disharmonie auch physische Reaktionen bei mir auslösten: Da brach unvermittelt der Schweiß bei mir aus, und ich spürte, wie meine Nackenmuskulatur sich zunehmend verspannte. Als ein Mensch, der öfter unter Migräne zu leiden hat, reagiere ich bedauerlicherweise sensibler auf eine laute Geräuschkulisse und vermeide darum nach Möglichkeit, mich allzu viel Lärm auszusetzen. Einige Zuschauer*innen waren nach der Pause nicht mehr zu ihrem Platz zurückgekehrt. Warum ich trotzdem der Oper bis zum Ende beigewohnt habe, lag an dem Respekt, den ich für die Künstler*innen empfand. Zumal mir einige Sängerinnen und Sänger des Ensembles persönlich bekannt sind, und ich sowohl sie wie auch das restliche Ensemble für deren Leistung sehr bewundere.

Die Oper wurde zwar auf Deutsch vorgetragen, doch aufgrund der ungewöhnlichen Formulierungen, der fragwürdigen Betonungen und einem Gesang, der manchmal an der Grenze zum Schreien kratzte, war die Sprache irgendwann nebensächlich. Zudem manche für mich unlogische Antwort/Reaktion bei den Duetten (Ich nenne es mal so, da mir kein besserer Begriff einfällt.) bei mir für zusätzliche Verwirrung sorgte.

Apropos Verwirrung:

Peer Gynt ist ein Aufschneider. Ein Fantast. Ein Träumer. Seine Geschichten sind größer als das Leben im norwegischen Dorf. Auf einer Hochzeit überschreitet er alle Grenzen: Er reißt Ingrid, die Braut eines anderen, mit sich in den Wald. Sie scheint ihm zu verfallen. Doch Peer stößt sie von sich. Er flieht in die Berge. Im Reich der Trolle begegnen ihm groteske Figuren. Peer soll die Grüne heiraten, die triebhafte, animalische Tochter des Trollkönigs. Doch Peer entkommt – vor allem sich selbst. Solveig, ein Mädchen aus dem Dorf, sucht Peer mit dessen Mutter Åse. Geduldig findet sie Verständnis für Peers wankelmütiges Treiben. Sie könnte seine Wahrheit werden. Doch Peer geht wieder. Ein Luftgeist warnt ihn: «Du fliehst nicht.» Doch Peer flieht weiter. Åse stirbt. Peer bleibt allein und verlässt seine Heimat. In Marokko wird Peer Geschäftsmann, Prophet, Betrüger. Man feiert ihn als norwegischen Messias. In Rom sieht er in einem Schlachthaus Menschen, die sich aufgegeben haben. Die Macht der Zerstörung verführt ihn und legt seine brutalen Charakterzüge frei. Solveig erscheint ihm – wie eine Erinnerung an seinen Ursprung. Zerrissen landet Peer in einer Irrenanstalt in Ägypten. Er zweifelt: Wer bin ich? Was ist Wahrheit? Was ist Lüge? Ihm wird vor Augen geführt: Er ist nur ein Denkmal seiner selbst, eine Projektionsfläche für die Möglichkeiten eines gelebten Lebens. Die Grinsekatze erscheint – spöttisch und allwissend. Sie entlarvt Peers Lügen. Er bleibt allein. Zurück in Norwegen gerät Peer auf einen Friedhof. Bei Nacht wird ein junger Mann begraben. Peer ahnt: Dieses Begräbnis gilt auch ihm. Solveig erscheint. Vergangenheit und Gegenwart berühren sich für einen Moment. Die junge Solveig singt ein Schlaflied des Friedens und der Vergebung. In der späten Vereinigung mit seiner Seelenverwandten findet Peer endlich Frieden. Und seine Geschichten Unendlichkeit.

(Inhaltsangabe dem Programmheft zu dieser Produktion entnommen.)


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Ob Regisseur und Ausstatter Johannes Pölzgutter eine stringente Inszenierung gelungen ist, mag ich nicht beurteilen, da sich die Handlung alles andere als schlüssig, geschweige denn stringent aufbaut. Vielmehr sind es aneinandergereihte Tableaus, die Pölzgutter auf der Drehbühne um einen offenen Quader herum schuf. Hier sind ihm einige eindrückliche Szenen gelungen, sei es der Auftritt der Trolle, der Tod von Åse, das Marokko-Bild sowie die Szenen im Schlachthaus, im Irrenhaus und auf dem Friedhof. Auch die Projektionen von Tassilo Tesche, die überlebensgroß das Gesicht des Hauptdarstellers auf die Wand warfen, und so PEER GYNTs innere Zerrissenheit bzw. seine ambivalenten Gefühle widerspiegelten, waren sehr gelungen. Tesche war auch für die kreativen Kostüme zuständig.

GMD Marc Niemann stand am Dirigentenpult und lotste mit sicherer Hand Orchester wie Sänger*innen durch die tobenden Wogen der Partitur. Hier möchte ich die Orchestermusiker*innen loben, die hochkonzentriert der Partitur folgten, mit nur wenigen Tönen ihren Beitrag zu diesem Klang-Konglomerat beitrugen, um danach wieder auf den nächsten Einsatz zu warten. Der Orchestergraben war so überfüllt, dass das Percussion-Instrumentarium auf die Seitenbühne ausweichen musste. Ein großes Lob möchte ich auch dem Opernchor, dem Kinderchor sowie dem Extrachor aussprechen, die unter der Leitung von Edward Mauritius Münch aus ihren Stimmen einen beeindruckenden Klangteppich woben und in jeder Szene mit schauspielerischer Präsenz überzeugten.

Die Solist*innenriege bot Bewundernswertes: Michael Müller-Kasztelan verausgabte sich in der Titelrolle PEER GYNT bis zur Erschöpfung, forderte seinen kräftigen Tenor abseits des Schöngesangs, um dann in den ruhigeren Passagen mit feinem Pianissimo zu überraschen. Alle anderen Solist*innen hatten mehrere Rollen zu bewältigen. Kristín Anna Guðmundsdóttir war als INGRID, GRÜNE oder auch ANITRA mit ihrem durchschlagenden Sopran eine ebenbürtige Partnerin zu Müller-Kasztelans PEER GYNT und scheute sich auch nicht vor Töne an der Grenze des Wohlklangs. Boshana Milkov berührte mit ihrem sensiblen Spiel und hüllte ÅSE und die ALTE SOLVEIG in ihren Rolleninterpretationen in einen Mantel voller Melancholie. Victoria Kunze als SOLVEIG bzw. SOLVEIGS ERSCHEINUNG war mit ihrem zarten Sopran nicht nur ein Lichtblick im Leben des PEER GYNT sondern verkörperte auch einfühlsam die Hoffnung und die Unschuld. Ulrich Burdack überzeugte gleich in vier prägnanten Rollen (DER ALTE VOM BERGE aka Trollkönig, VON EBERKOPF, BEGRIFFELDFELDT und FRIEDHOFSWÄRTER) und führte seinen flexiblen Bass scheinbar mühelos durch die Partitur. Marcin Hutek (PFARRER, MONSIEUR BALLON, SCHLACHTER, HUSSEIN und PROBST) und Andrew Irwin (SCHMIED, HERR TRUMPETERSTRALE, HUHU und GEALTETER SCHMIED) zeigten auch in diesen kleineren Rollen ihre solistischen Qualitäten, indem sie jeweils überzeugend sehr individuelle Rollenporträts kreierten. Countertenor Gerben van der Werf als DER LUFTGEIST und GRINSEKATZE gestaltete seine Auftritte sehr geheimnisvoll und wirkte so beinah auf mich, als wäre er der Teufel, der PEER GYNT im Nacken sitzt.

Am Ende der Vorstellung spendete ich voller Überzeugung reichlich Applaus – nicht für das Werk, dafür umso herzlicher für alle Beteiligten. 💖

P.S.: Liebes Team am Stadttheater Bremerhaven, bitte bietet mir weiterhin Stücke abseits des gängigen Repertoires. Doch beim nächsten Mal hoffe ich, dass ich dann den Satz „Es war eine Herausforderung,…“ voller Überzeugung mit „…der ich mich gerne gestellt habe!“ beenden darf. 🙂


So schnell wie er aufgetaucht ist, so rasch verschwindet PEER GYNT auch wieder vom Spielplan des Stadttheaters Bremerhaven. Was bleibt, ist die Erinnerung an einen außergewöhnlichen Opernabend.

[Oper] Wolfgang Amadeus Mozart – LE NOZZE DI FIGARO / Stadttheater Bremerhaven

Opera buffa von Wolfgang Amadeus Mozart / Libretto von Lorenzo Da Ponte / nach der Komödie La Folle Journée ou le Mariage de Figaro (Der tolle Tag oder Die Hochzeit des Figaro) von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais / in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Premiere: 15. März 2025 / besuchte Vorstellungen: 15. & 29. März 2025

Stadttheater Bremerhaven / Großes Haus


MUSIKALISCHE LEITUNG Davide Perniceni
INSZENIERUNG Achim Lenz
BÜHNE & KOSTÜME Bernhard Bruchhardt
DRAMATURGIE Torben Selk
CHOR Edward Mauritius Münch
LICHT Frauke Richter

REGIEASSISTENZ & ABENDSPIELLEITUNG Annika Ellen Flindt
STUDIENLEITUNG Hartmut Brüsch
MUSIKALISCHE EINSTUDIERUNG Jorrit van den Ham & Tonio Shiga
INSPIZIENZ Mahina Gallinger
REGIEHOSPITANZ & FSJ KULTUR Tyler Wefer


Mozart passt – immer und zu jeder Gelegenheit, ob beim Sport, beim Hausputz oder zur Klausurvorbereitung. Während der Schwangerschaft nimmt Mozart positiven Einfluss auf die Entwicklung des ungeborenen Kindes. Wer mit Mozart ins Bett geht, kann die Einschlafprobleme bald vergessen.

Mozart ist ein Alleskönner, ein Tausendsassa, ein Genie: Er entspannt, hilft und heilt,…

…und er unterhält auf hohem Niveau!

In einem unmöblierten Zimmer nimmt Figaro Maß für sein künftiges Ehebett. Er ist glücklich: Vor wenigen Jahren war er noch ein einfacher Barbier in Sevilla. Nun ist er Kammerdiener des Grafen und wird in wenigen Tagen seine geliebte Susanna heiraten, die Kammerzofe der Gräfin. Die Hochzeitsvorbereitungen laufen, doch was seine Zukünftige noch nicht weiß: Der Graf hat mit Hintergedanken dem Paar dieses Zimmer im Schloss spendiert. Als Figaro seiner Braut stolz ihr künftiges Ehezimmer präsentiert, wird Susanna ärgerlich. Ihr ist bekannt, dass der Graf Almaviva seine Gemahlin fortlaufend betrügt und es nun auch auf sie abgesehen hat. Mit diesem Zimmer will er sie nur in seiner Nähe wissen. Figaro ist schockiert, als er dies hört. Es wird ihm einiges klar: Nun weiß er, warum ausgerechnet er beauftragt wurde, als Kurier nach London zu reisen. Doch diese Schmach wird er nicht einfach hinnehmen. Es wird sich noch herausstellen, wer von den beiden der Raffiniertere ist: der feine Herr Graf oder der listige Figaro? Schon lange hat der Graf ein Auge auf Susanna geworfen. Dumm nur, dass er höchst persönlich das „ius primae noctis“, das Recht der ersten Nacht abgeschafft hat, und er nun andere Mittel anbringen muss, um hoffentlich bei der reizenden Susanna landen zu können. Er versucht sie mit einem kleinen Vermögen zu locken, damit sie sich ihm am Abend im Park hingibt. Dumm nur, dass sein eigener Page Cherubino, im Zimmer versteckt, das schmutzige Angebot angehört hat. Cherubino wiederum ist in die Gräfin verliebt, flirtet aber auch heftig mit Susanna und ist auch einem Tête-à-Tête mit Barbarina, der Tochter des Gärtners Antonio, nicht abgeneigt. Als der Graf dies zufällig erfährt, will er den jungen Burschen zur Strafe zur Armee schicken. Doch auch aus einer anderen Richtung droht Gefahr: Die Haushälterin Marcellina will die Hochzeit platzen lassen, da Figaro ihr einst die Ehe versprochen hatte, sollte er seine Schulden bei ihr nicht bezahlen können. Unterstützung erhält sie von Bartolo, dem Leibarzt des Grafen, mit dem sie früher einmal ein kleines amouröses Techtelmechtel hatte. Später stellt sich überraschenderweise heraus, dass die Frucht ihrer gemeinsamen Leidenschaft eben genau jener Figaro ist, den sie zu heiraten gedachte. Da ist die „frischgebackene“ Mutter überglücklich und zerreißt voller Freude den Schuldschein. Die Begeisterung von Bartolo ist dagegen eher überschaubar, da er Figaro nie verzeihen konnte, dass er damals seine Heiratsabsichten mit der Gräfin torpediert hatte. Susanna wird bewusst, dass sie dringend handeln muss. Gemeinsam mit der Gräfin Almaviva, die zunehmend unter der Untreue ihres Gatten leidet, schmiedet Susanna einen Plan, um den Hochmut der Kerle endgültig empfindlich zu stutzen. Bei der Ausübung ihrer Pläne erhalten sie die Unterstützung von Cherubino, den sie als Frau verkleidet haben, damit er der Strafe des Grafen entgeht. Die Gräfin diktiert Susanna einen Brief, den sie dem Grafen zuspielt und somit dem erhofften Schäferstündchen zustimmt. Die beiden Frauen tauschen ihre Garderoben. Dabei erscheint die Gräfin verkleidet mit Susannas Hut und Kleid zum Treff mit ihrem untreuen Gatten, was Figaro zu ganz falschen Schlussfolgerungen treibt und ihm ein paar Ohrfeigen einbringt. Glücklicherweise erkennt er noch rechtzeitig seine geliebte Susanna in der Robe der Gräfin und weiß sich so ihrer Treue sicher. Doch auch der Graf Almaviva leistet seiner Gattin reumütig Abbitte.

Mozarts Musik zu lauschen, ist für mich ein absoluter Hochgenuss! Mozarts Werk auf der Bühne zu erleben, ist für mich die pure Wonne. Selbst (allzu) kreative Regie-Konzepte können dem Meister nichts anhaben. So sehr diese auch ihre Berechtigung haben, ihren Reiz auf mich ausüben, indem sie meinen Blickwinkel verändern und so meinen Horizont erweitern. Doch bei einer naturalistischen Inszenierung schalte ich unwillkürlich in den Wohlfühl-Modus: Mit einem wohligen Seufzer lehne ich mich in meinem Sitz zurück, und mein Herz springt und hüpft vor Freude!


HINWEIS: DIE OBIGE AUFNAHME STAMMTE NICHT AUS DER BESPROCHENEN INSZENIERUNG SONDERN DIENT NUR DAZU, EINEN EINDRUCK VON DER MUSIK ZU VERMITTELN.

Schon beim Klang der Ouvertüre wurde mir wieder allzu deutlich, dass es in dieser Oper äußerst turbulent zugeht: Es ist nicht zu überhören, dass die handelnden Personen voller Gefühl mit- und umeinander ringen und so reichlich Bewegung in die Geschichte bringen. Trefflich zu einer Opera buffa kitzelte Davide Perniceni genau diese vibrierende Leichtigkeit aus dem Philharmonischen Orchester Bremerhaven heraus. Schwelgerisch, in großen musikalischen Bögen umrahmte er die Sänger*innen bei den Arien. Zudem gab es bei dieser Inszenierung im/am Orchestergraben Ungewohntes zu bestaunen: Der Orchestergraben wurde angehoben, was für einen schlankeren Klang sorgte (mein subjektiver Eindruck). Zudem begleitete Perniceni die Sänger*innen bei den Rezitativen höchstpersönlich am Cembalo.

Einer klassischen Screwball-Komödie nicht unähnlich zieht Regisseur Achim Lenz in der ersten Hälfte das Tempo an. Da werden so manche Türen geöffnet und wieder geschlossen, nur um zu erleben, dass das, was man dahinter wähnte, nicht (mehr) dort zu sein scheint. Bereits während der Ouvertüre tobten die Darsteller*innen vor dem geschlossenen Vorhang über die Vorderbühne und gaben sich so unverwechselbar, dass dies einer nonverbalen Vorstellung der Personen gleichkam. Lenz drehte bei der Charakterisierung der Figuren an der empfindlichen Schraube zur Übertreibung, lotete diese souverän aus und gab die Figuren nie der Lächerlichkeit preis, indem er sie in albernem Klamauk verfallen ließ. Vielmehr wusste er um die Talente seines Ensembles und nutzte diese charmant: So durfte beispielsweise Victoria Kunze (als studierte Harfenistin) in ihrer Rolle als Susanna zu eben jenem Instrument greifen, um die Canzone, die Cherubino für seine angebetete Gräfin gedichtet hatte, musikalisch zu untermalen. Das genannte Tempo ließ sich natürlich nicht dauerhaft durchhalten – nicht, dass der Regisseur dazu nicht befähigt gewesen wäre. Da hatte schon der Meister Mozart selbst den erzählerischen Ton verändert, um zu verhindern, dass die Figuren zu bloßen Abziehbildern verkamen. Vielmehr waren sie nun getriebene Charaktere, denen zunehmend die Masken vom Gesicht gerissen wurden, und die so in tragikomische Situationen tappten. Genau diese Weiterentwicklung arbeitete Lenz mit seinem talentierten Ensemble fein heraus.

Ausstatter Bernhard Bruchhardt stellte auf die Drehbühne ein Bilderbuch-Italien, in dem die Sonne heller strahlte und die Sterne romantischer funkelten: mit hohen Fassaden, ebenso hohen Fenstern mit passenden Fensterläden, mit üppiger Wandmalerei im Boudoir der Gräfin und einem echten Olivenbaum im herrschaftlichen Garten – stimmungsvoll ausgeleuchtet und mit ebenso stimmungsvollen Hintergrundprojektionen komplementiert. Seine Kostüme zitieren den Historismus und beschreiben klar den Stand bzw. die Position der jeweiligen Person im sozialen Gefüge.


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Mozart hat in dieser Oper dem Chor ein eher überschaubares Pensum zugedacht, doch dies nutzte der Opernchor unter der Leitung von Edward Mauritius Münch wieder mit Bravour. Zudem schlüpften aus seinen Reihen einige Sänger*innen voller Spielfreude in die div. Nebenrollen, seien es Masahiro Yamada als wenig verschwiegener ANTONIO, Katharina Diegritz als seine kecke Tochter BARBARINA oder auch Gustavo Oliva als buckelnder BASILIO bzw. „sprunghafter“ DON CURZIO.

Brigitte Rickmann überzeugte als resolute MARCELLINA und gab sehr unterhaltsam die auf den eigenen Vorteil bedachte Intrigantin. Ihr zur Seite stand Bass Ulrich Burdack als BARTOLO, der erfolglos versuchte, seine Rachsucht („Bah, wat hat er für ’ne fiese Charakter!“ 😄) zu unterdrücken: Bei „La vendetta, oh, la vendetta!“ zügelte Burdack noch seine Gefühle, die er dann später völlig unvermittelt aus sich herausbrechen ließ.

Mezzosopranistin Boshana Milkov gefiel abermals in einer Hosenrolle: Als hormonell aufgeladener Jungspund CHERUBINO, der verzweifelt dem Grafen zu entkommen versucht, erntete sie reichlich Lacher aus dem Publikum. Mit der Arie „Non so più cosa son, cosa faccio“ setzte sie einen von vielen gesanglichen Glanzpunkten in dieser Inszenierung.

LA CONTESSA DI ALMAVIVA ist für mich – inmitten all dieser „buffa“-Figuren – die einzig wahre „seria“-Partie. Von Anfang an umweht die Gräfin ein Hauch von Traurigkeit und Wehmut. Kristín Anna Guðmundsdóttir gestaltete dies u.a. bei „Porgi, amor, qualche ristoro“ äußerst feinfühlig mit ihrem jugendlich klingenden Sopran. Ihre CONTESSA schien kaum älter als SUSANNA. So sah ihre Beziehung zueinander auch weniger nach einem Arbeitsverhältnis zwischen Herrin und Dienerin aus, vielmehr spürte ich als Zuschauer stets die Vertrautheit und Loyalität zwischen diesen beiden starken Frauen.

Victoria Kunze als SUSANNA glänzte wieder mit ihrer Natürlichkeit in der Rollengestaltung. Blitze anfangs in ihrem Spiel noch ein wenig ELIZA DOOLITTLE auf, gewann schnell SUSANNA mit eigener Körpersprache die Oberhand: eine selbstbewusste und zupackende junge Frau, die ihr Leben (und die Liebe) selbstbestimmt in die Hand nimmt. Dafür, dass SUSANNA eine solch wichtige Figur in dieser Oper ist, hat Mozart ihr häufig „nur“ die Aufgabe der Duett-Partnerin (abgesehen von der kurzen Arie „Venite… inginocchiatevi“ im 2. Akt) zugeteilt. Erst kurz vor dem Finale ehrte sie der Meister mit Rezitativ und Arie „Giunse alfin il momento“ und „Deh vieni non tardar, o gioia bella“, beides gefühlvoll von Kunze mit kultiviert geführter Stimme und silbrig schimmernden Sopran gestaltet.

SUSANNAS Love Interest FIGARO präsentierte sich in der wohlgeformten Gestalt von Bariton Florian Götz, der schon mit seinem ersten gesungenem „Cinque…“ verdeutlichte, dass hier ein wahrer Charmebolzen auf der Bühne steht, der nicht nur seine SUSANNA bezirzt sondern auch das Publikum problemlos um den Finger wickelt. Mit potenter Stimme gefällt er bei „Non più andrai, farfallone amoroso“, um gegen Ende der Oper bei Rezitative und Arie „Tutto è disposto“ und „Aprite un po’ quegli occhi“ auch Verzweiflung auszudrücken, bevor er seine geliebte SUSANNA zum Happy End endlich in die Arme schließen darf.

Gefühlt seit Jahren fordere ich „Gebt dem Mann endlich eine große Partie!“. Ob ich nun tatsächlich erhört wurde, mag ich nicht zu beurteilen, ist aber schlussendlich auch ohne Belang. Marcin Hutek wurde mit IL CONTE DI ALMAVIVA eine Partie anvertraut, in der er seine Talente endlich zeigen darf. Gesanglich überzeugte er abermals mit seinem schönen Bariton. Doch es steckte auch viel komödiantisches Potential in diesem Kerl, das er in der Rolle des Grafen – sehr zum Vergnügen des Publikums – voll entfalten durfte: Er protzte und schwadronierte, er gockelte und drohte – alles umsonst. Je mehr er diese Allüren an den Tag legte, umso drastischer glitten ihm die Fäden aus den Händen. Da half ihm auch nicht sein angeberisches Auftreten wie bei „Hai già vinta la causa!“ und „Vedrò, mentr’io sospiro“. So schaffte Hutek das Kunststück, dass mir diese Figur trotz (oder wegen) ihrem Scheitern sympathisch blieb.

Kritikpunkte! Gab es Kritikpunkte? Naja, den zweiten Teil der Vorstellung nach der Pause empfand ich als etwas zu hektisch. Doch diesen Umstand schrieb ich dem holprigen Probenprozess aufgrund Krankheit im Ensemble gepaart mit der Aufregung zur Premiere zu. Doch ist dies wirklich ein Kritikpunkt, oder fällt es nicht vielmehr unter die Rubrik „Leiden auf hohem Niveau“?

In 14 Tagen schaue ich nochmals am Hofe Almavivas im Italien an der Weser vorbei. Ich freue mich drauf!!! ❤


Nachtrag zum 29. März 2025 …oder auch DER DOPPELTE FIGARO: Frühling lässt sein blaues Band / Wieder flattern durch die Lüfte / Süße, wohlbekannte Düfte / Streifen ahnungsvoll das Land.“ dichtete einst Eduard Mörike so fein. Doch mit Düfte tummeln sich auch die fiesen Pollen durch die Lüfte, und so trat Dramaturg Torben Selk zu Beginn der Vorstellung vor den Vorhang, um das Publikum zu informieren, dass der Sänger des Figaros Florian Götz leider von einer Pollen-Allergie betroffen sei: Die Partie spielen könne er, nur leider nicht singen. Glücklicher- wie auch dankenswerterweise hatte sich Bariton Carl Rumstadt von der Oper Bonn bereiterklärt, die Partie vom Bühnenrand zu singen und so dem indisponierten Kollegen seine Stimme zu leihen. Florian Götz gab abermals einen agilen und kraftstrotzenden Figaro, sang die Partie im kaum hörbaren „pianissimo“ und suchte den Blickkontakt mit seinem Kollegen, um möglichst synchron seine Lippen zu dessen Gesang zu bewegen. Dies gelang den beiden Künstlern so überzeugend, dass sich meine anfängliche Irritation (Darsteller von vorne, Stimme von links) schnell legte, und ich flott in den Genuss-Modus umschalten konnte. Zumal die warme, volltönende Stimme von Carl Rumstadt ganz wunderbar mit der Charakterisierung des Figaros von Florian Götz harmonierte. Es war grandios!

Kritikpunkte! Kritikpunkte? Welche Kritikpunkte? Ach ja, da war ja noch etwas…! 14 Tage nach der Premiere zur 4. Vorstellung haben sich alle „Kritikpunkte“ in Wohlgefallen aufgelöst. Da stimmten die Zwischentöne ebenso wie das neckende Zusammenspiel der Sänger*innen, die Abläufe waren fließender, und von der Hektik der Premiere fehlte jede Spur. Übrig blieb „nur“ ein rundum gelungener Abend!!!


Mozarts zauberhafte Oper LE NOZZE DIE FIGARO steht leider nur für wenige Vorstellungen auf dem Spielplan des Stadttheaters Bremerhaven. Also: Nix wie hin!