Auch ihre Werke werden zum goldenen Zeitalter der Kriminalliteratur gezählt: Zwar erschien bereits 1914 der erste Roman von Molly Thynne (aka Mary Harriet Thynne, 1881–1950), doch erst Ende der 20er Jahre wandte sie sich gänzlich der Kriminalliteratur zu. Zwischen den Jahren 1928 und 1933 veröffentlichte sie höchst erfolgreich sechs Krimis, in denen sie die Handlung in außergewöhnlichen Settings spielen ließ, die ihre weitaus populärere Kollegin und Zeitgenossin Agatha Christie später ebenfalls verwenden sollte. So kann das Umfeld von EINGESCHNEIT MIT EINEM MÖRDER (1931) durchaus mit dem von Christies DIE MAUSEFALLE (1952) verglichen werden.
Der junge Bestsellerautor Angus Stuart ist auf dem Weg an die südenglische Küste, wo er seinen wohlverdienten Weihnachtsurlaub verbringen möchte. Doch ein Wintereinbruch macht die Straßen unpassierbar, und Angus quartiert sich notgedrungen in einem Dorfgasthaus ein. Bald hat sich ein illustres Grüppchen gestrandeter Reisender dort versammelt – und es schneit immer weiter. Zunächst ist die Bereitschaft groß, das Beste aus der Situation zu machen, die Reisenden freunden sich ungeachtet aller gesellschaftlichen Unterschiede miteinander an. Aber dann werden kostbare Juwelen gestohlen – und der aufdringliche, trinkfreudige Major Carew liegt ermordet in seinem Zimmer. Angesichts dieses Doppelverbrechens ist der einzige Polizist des eingeschneiten Dorfes überfordert, und unter den Gästen wächst die Angst vor dem nächsten Mord. Also nehmen der prominente Schachexperte Dr. Constantine und Angus mit einem weiteren Gast die Ermittlungen selbst in die Hand. Eine ebenso spannende wie aberwitzige Verbrecherjagd beginnt.
(Inhaltsangabe der Homepage des Verlages entnommen!)
„…goldenes Zeitalter der Kriminalliteratur“ und „…die Krimi-Entdeckung des Jahres!“: Um ihre neusten Ausgrabungen aus dem scheinbar unerschöpflichen Archiv der Krimi-Klassiker aus Great Britain an die Leserschaft zu bekommen, geizen die Verlage nicht mit blumigen Ausschmückungen auf Cover und Homepage. Auch Vergleiche mit der „Queen of Crime“ werden gerne bemüht – wie unlängst bei DAS RÄTSEL VON BADGER’S DRIFT. Doch Papier ist bekanntlich äußerst geduldig, und so werden viele Versprechungen gedruckt, die später dem Realitäts-Check nicht immer standhalten. Doch diese oder ähnliche Befürchtungen waren bei EINGESCHNEIT MIT EINEM MÖRDER völlig unbegründet. Vorab: Ich wurde blendend unterhalten!
Molly Thynne lieferte einen flott lesbaren, gut konstruierten Krimi, der selbst bei längeren Dialogen oder ausführlichen Beschreibungen keine Langeweile aufkommen lässt. Gerade die farbige Auswahl an handelnden Personen macht diesen Krimi so abwechslungsreich. Allein die Zusammenstellung unseres heldenhaften Teams mit dem jungen Bestsellerautor Angus Stuart, dem reiferen Schachexperten Dr. Constantine und dem bodenständigen Handelsreisenden Mr. Soames (der „weitere Gast“, der in der Inhaltsangabe des Verlages unberechtigter Weise namenlos bleibt) ist sehr reizvoll. Jedes dieser Teammitglieder wurde mit sehr eigenen Charaktereigenschaften ausgestattet und steuert so seine persönliche Sichtweise sowie individuelle Fähigkeiten zum Gelingen der Mission bei.
Doch auch wenn die Autorin die anderen Figuren nicht immer frei von Klischees porträtierte, so macht es doch Spaß, sie dabei zu „beobachten“, wie sie in dieser Geschichte agieren bzw. aufeinander reagieren. Hier treffen Personen aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten aufeinander, die sich aufgrund der Extremsituation, in der sie sich unfreiwillig befinden, nicht hinter Konventionen und Titeln verstecken können. Da sind Konflikte, Animositäten sowie gegenseitige Vorwürfe und Verdächtigungen unvermeidlich und gleichzeitig das Salz in dieser pikanten (Krimi-)Suppe.
Wie es sich für einen reellen „Whodunit“ gehört, gibt es auch hier eine üppige Anzahl an Verdächtigen und ausreichend Verwechslungen im Ambiente eines Landgasthofes (passenderweise mit dem Namen „Die Arche Noah“), dessen Flure sehr weitläufig sind und vielfältige Möglichkeiten bieten, unerkannt aufzutauchen und ebenso unerkannt wieder zu verschwinden. So gestaltet sich die Jagd nach dem/den Verbrecher*n zu einem turbulenten wie auch langwierigen Katz- und Maus-Spiel, das erfreulich wenig Tempo aus der Handlung nimmt.
So schenkte mir dieser Krimiklassiker aus der Feder einer mir bis dahin unbekannten Autorin mit seinem nostalgischen Charme eine Fülle an vergnüglichen Lese-Stunden.


