[Rezension] Guillaume Picon – Der Orient-Express. König der Züge/ mit Fotografien von Benjamin Chelly

Der Orient-Express: Er wird gerne als „König der Züge“ bezeichnet. Dabei gab es den einen Zug gar nicht, vielmehr bestand der Orient-Express aus einem ganzen System von Luxuszügen, die den Westen mit Mittel- und Südosteuropa verbanden. Am 5. Juni 1883 hatte der Zug, der ursprünglich jeweils nur aus einem Schlaf- und einem Speisewagen der Compagnie Internationale des Wagons-Lits (CIWL) bestand, seine Jungfernfahrt. Gestartet wurde in Paris mit dem Ziel Konstantinopel. Anfangs mussten die Reisenden sogar auf Fähr- und Schiffsverbindungen ausweichen, bis ab dem Jahr 1889 eine durchgehende Verbindung per Schienen über Süddeutschland, Wien, Budapest und Sofia sie ans Ziel führte.

Der Orient-Express: Er wird auch gerne als „Zug der Könige“ bezeichnet und galt zu seiner Zeit als schnellste und luxuriöseste Art zu Reisen. Die Materialien für das Interieur waren erlesen, das Design auf der Höhe der Zeit, die Speisen exzellent und die Weine exquisit. Gekrönte Häupter sowie Staatsmänner und -frauen zählten ebenso zu seinen Fahrgästen wie Künstler, Literaten und natürlich die Haute Volée aus dem Inn- und Ausland.


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Guillaume Picon (Text) und Benjamin Chelly (Fotos) lassen in ihrem Bildband die Pracht dieser legendären Züge wieder aufleben und ermöglichen mir unbedeutendem Pimpf, der wohl nie leibhaftig einen dieser Züge zu Gesicht bekommen wird, so einen detaillierten Eindruck darüber zu erhalten, was den Reiz dieses legendären Verkehrsmittels ausmachte.

Auf 256 Seiten und mit Hilfe von ca. 200 Abbildungen lassen sie die Geschichte dieses Luxus-Zuges vor meinen Augen ablaufen. Dabei geizen sie wahrlich nicht mit interessantem Hintergrundwissen. So berichten sie uns von den Umständen, die zum Bau dieses Gefährts führten und den veränderten Reisegewohnheiten der Menschen geschuldet waren. Wir lernen mit Georges Nagelmackers den genialen Kopf hinter dieser Idee kennen, der vorausschauend den Bedarf an komfortablen Fernreisen erkannte. Beim Studium der informativen Texte wurde mir bewusst, dass erst die bahnbrechenden neuen Technologien der damaligen Zeit, diese Art des Reisens ermöglichen konnte und zur Entwicklung der modernen Schienenfahrzeuge führte. Doch nicht nur schnell sollte eine Strecke zurückgelegt werden sondern auch absolut komfortabel: So wurde viel Wert auf eine ansprechende Ausstattung gelegt, die auch gehobenen Ansprüchen genügen sollte. Edle Materialien und feine Handwerkskunst kamen hierbei zum Einsatz und sorgten für ein nobles Ambiente. Aufgrund der großen Nachfrage musste das Netz ausgeweitet werden, und weitere Züge wurden auf die Schienen gestellt, um andere attraktive Reiseziele anzufahren.

Diese prestigeträchtige Art zu Reisen zog natürlich auch berühmte wie berüchtigte Prominente an, wie Mata Hari, Lawrence von Arabien und natürlich Agatha Christie, die mit ihrem 9. Hercule Poirot-Roman „Mord im Orientexpress“ diesem eh schon legendären Zug ein literarisches Denkmal setzte. Doch ein Zug, der international verkehrt, bleibt leider auch nicht vor Unglücken oder Wetterkatastrophen verschont, und auch so mancher Krieg nahm Einfluss auf die Fahrtroute.

Die historischen Abbildungen und Illustrationen sind ebenso ausgesucht wie die Originalfotos von Benjamin Chelly. Jedes Kapitel wird mit einer Abbildung alter Stoffmuster von Teppichen oder Sitzmöbel eingeleitet, bevor wir einen ausschweifenden Blick in die Luxus-Kabinen, den Speisewagen und den Schlafwagen werfen. Da gibt es kostbaren Intarsien aus edlem Holz zu bewundern. Das mundgeblasene und handgeschliffene Lalique-Glas verströmt ebenso Glamour wie die auf Hochglanz polierten Messing-Armaturen. Etliche Fotos zeigen die Gesamtansicht eines Raumes, andere fokussieren das Auge des Betrachters auf wunderbare Details in der Ausstattung im erlesenen Design des Art déco.

Dank diesem Buch, das mit den informativen Texten, einem bisher unveröffentlichten Archivmaterial und den opulenten Fotografien den Flair dieses legendären Zuges aufleben lässt, wird der Mythos „Orient-Express“ auch in den kommenden Jahren weiterleben.


erschienen bei Frederking & Thaler / ISBN: 978-3954162963 / in der Übersetzung von albrecht schreiber

[Rezension] Chris Campe – Hamburg Alphabet

Hamburg – meine Perle!

Zwar würden die aktuellen Inzidenz-Werte ein Besuch der Hansestadt durchaus in den Rahmen des Möglichen rücken, doch bin ich momentan noch ganz der Euphorie verfallen, die wiedergewonnenen Freiheiten auszukosten und die Möglichkeiten in meinem näheren Umfeld wieder(neu)zuentdecken und zu genießen. Und so reise ich auch weiterhin eher literarisch als real in unsere Lieblingsstadt…!

Das Bild einer Stadt wird durch eine Vielzahl an Faktoren geprägt: Bevölkerung, kulturelle Vielfalt, historischer Kontext…! Doch was fällt jeder/m von uns beinah als erstes auf, würden wir mit dem Zug am Hauptbahnhof eintreffen? Neonreklamen, Fassadenbeschriftungen und Schilder buhlen um unsere Aufmerksamkeit. Sie werben, weisen den Weg und informieren.

Autorin Chris Campe hat sich ihre Kamera geschnappt und sich auf einen Rundgang durch die Stadtteile der Metropole an der Elbe gemacht. Ihre Fotos offenbaren die plakative Fassadenwerbung in einer enormen Bandbreite an Typografien und Stilen. In ihrem Hamburg-Fotoalbum finden sich zwar durchaus auch die Beschriftungen von touristisch bekannten Orten, wie z. Bsp. Café Gnosa in St. Georg, dem großen Volksfest „Hamburger Dom“ oder den St. Pauli Landungsbrücken. Um einiges spannender fand ich die Bilder von Typografien, deren Herkunft weniger bekannt ist, die beim Betrachten meine Fantasie anregten und mir so beinah ganze (Lebens-)Geschichten erzählten.

Da entfaltet sich der morbide Charme vergangener Epochen, der verblasste Glanz lässt mich eine ehemals bessere Zeit erahnen, und das grelle Licht der großstädtischen Sündenmeile versucht, ihre Kundschaft zum ebenso sündigen Vergnügen zu locken. Es blättert die Farbe von den Buchstaben, Risse zieren das Glas der Leuchtreklamen, und an manchen Wänden ist ein nicht mehr vorhandener Schriftzug nur noch an der Verfärbung des darunterliegenden Untergrunds zu erkennen.

Aber nicht nur aufgrund des gewählten Sujets hat dieses kleine Büchlein ein großes ästhetisches Potential: Die Autorin arrangiert die Typografien sowohl alphabetisch als auch farblich und thematisch. So schafft sie einen optisch ansprechenden Rahmen für diesen Stadtführer der besonderen Art. Dank des Anhangs, indem die Adressen und somit die „Fundorte“ des Hamburg Alphabets notiert sind, könnte ich mich auf die Spuren der Autorin begeben. Doch ich fürchte, dass viele der hier gezeigten Schriftzüge nicht mehr zu finden sind. Läden wechseln ihre Besitzer, ganze Häuser werden verkauft, modernisiert oder gar abgerissen, Stadtteile verändern ihr Gesicht im Namen des Fortschritts. Und so verschwinden auch an den Fassaden einer Stadt die Zeichen der Vergangenheit und somit ein Stück Identität – für immer und ewig…!


erschienen bei Junius/ ISBN: 978-3885064664

[Rezension] Tom Krausz – Hamburg Noir. Die verschwundene Frau

Wann waren wir zuletzt in unserer Lieblingsstadt: Hamburg – meine/ unsere Perle!? War es tatsächlich zuletzt am 24. September 2019, als wir an einem lauen Spätsommerabend (oder evtl. war es auch schon ein Frühherbstabend 😉) im Stadtteil St. Georg auf dem Bürgersteig vor den geöffneten Fenstern eines italienischen Restaurants saßen und uns unsere Pizzen munden ließen. Anschließend machten wir uns auf den Weg, um nur ein paar hundert Meter weiter im Ohnsorg-Theater die wunderbare Komödie Een Mann mit Charakter uns anzusehen. Es scheint mir, als wäre dies in einem anderen Leben, in einer anderen Welt passiert: Und stimmt es etwa nicht, dass sich unser Leben und unsere Welt seitdem massiv verändert haben? Meine Sehnsucht nach Hamburg versuche ich mit Filmen, Serien und Büchern (natürlich nur notdürftig) zu stillen!

Es war wieder einer dieser Tage: Privatdetektiv Paul Ness saß untätig in seinem Büro, rauchte eine Lucky Strike nach der anderen und haderte mit seiner chronischen finanziellen Unterversorgung, als plötzlich das Telefon klingelt. Ein Unbekannter bietet ihm einen lukrativen Auftrag an: Er soll seine untreue Ehefrau aufspüren, die zusammen mit einem anderen Kerl und dem stattlichen Sümmchen von 50.000 in bar abgehauen ist. Ness’ Ermittlungen führen ihn einer Schnitzeljagd gleich durch die ganze Stadt. Schnell merkt er, dass auch andere dunkle Gestalten Interesse am Verbleib der verschwundenen Frau haben. Auch die verführerische Ruth Schöller, angebliche Freundin der Verschwundenen, verhält sich verdächtig und weckt – trotz immenser Anziehungskraft – sein Misstrauen. Ein Privat-Schnüffler muss eben immer und überall auf der Hut sein…!

Bisher war mir Fotograf Tom Krausz durch seine künstlerische Kooperation mit Elke Heidenreich bekannt. So haben beide u.a. an dem opulenten Bildband „Schlafes Mörder“ zusammengearbeitet, in dem sie versuchten, dem Mythos um Shakespeare’s Macbeth mit eigen(willig)en Texten und Bildern näher zu kommen. Vor einigen Jahren durften wir die Live-Performance erleben, die durch das Zusammenspiel von Text, Bild und musikalischer Untermalung beeindruckte.

Im vorliegendem Fall ist nun Krausz beides in Personalunion: Autor und Fotograf. Zudem vereint er zwei seiner Herzensangelegenheiten in diesem Buch: seine Liebe zum Krimi Noir und zu seiner Heimatstadt Hamburg.

Der Autor Krausz scheint den Text bewusst im Stil der kriminalistischen Groschenromane gehalten zu haben, wo echte „hardboiled detectives“ als einsame Rächer durch die Straßen der Großstadt ziehen. Die Lektüre bereitete mir als Leser durchaus eine Menge Spaß. Da verzeihe ich ihm auch so manche unglaubwürdige Entwicklung im Plot: Entweder gelangt wie durch Zauberhand eine Nachricht in die Manteltasche unseres Protagonisten und führt ihn so unversehens zur nächsten heißen Spur, oder die verführerisch-verruchte Femme Fatal taucht „zufällig“ immer dann auf, wenn es für ihn brenzlig wird und rettet ihn somit aus dieser verzwickten Situation. Krausz lässt unseren Held in dieser geradezu kruden Story durch die Straßen der Hansestadt hetzen, liefert dadurch reichlich Gelegenheiten, seine Kamera gekonnt einzusetzen und lenkt den Fokus so auf die Stadt mit all ihren unterschiedlichen Facetten.

Hamburg ist – „the one an only“ – der Star und spielt in dieser Kriminalgeschichte die einzige Hauptrolle. So rückt der Fotograf Krausz auch „seine“ Stadt gekonnt in Szene: In atmosphärischen Schwarz-Weiß-Fotos kitzelt er den Reiz der Metropole hervor, entblättert ihren rauen Charme und schafft somit eine Ästhetik, die mich an alte TV-Serien wie „Stahlnetz“ erinnerte, bei der einige Folgen im Hamburg der Nachkriegsjahre gedreht wurden. Dank dieser kriminalistischen Schnitzeljagd tauchen auf den Fotos so viele mir bekannt Orte auf, dass ich ganz verzückt in Erinnerungen schwelge: von St. Pauli bis zum Jungfernstieg, vom alten Elbtunnel bis zum Heidi-Kabel-Platz, von der Außen- über die Binnenalster bis zur Gurlittstrasse im Stadtteil St. Georg, wo sich übrigens unser Stammhotel befindet…!

Dank Krausz’ stimmungsvollen Fotos begebe ich mich vor meinem inneren Auge auf eine lustvolle imaginäre Wanderschaft durch die Straßen seiner/ meiner/ unserer Perle an der Elbe!


erschienen bei Koehler/ ISBN: 978-3782212571

[Rezension] Scott Schuman – The Sartorialist Man. Inspiration für Männer mit Stil

Stil – entweder man(n) hat ihn, oder man(n) hat ihn nicht! Ist es wirklich so einfach zu formulieren? Seien wir realistisch: Oftmals scheitert die Möglichkeit, seinen Stil auszuleben, an Faktoren, auf die wir nur bedingt Einfluss nehmen können. Ein Beispiel gefällig? Bitte gerne! Ich liebe den Stil der 20er und 30er Jahre: Wenn Cary Grant in „Leoparden küsst man nicht“ auf dem Bildschirm erscheint, dann schmelze ich dahin – einerseits natürlich wegen Cary Grant, andererseits wegen der lässigen Eleganz in der Männermode. Gerne würde auch ich im Alltag mit einer beinah arrogant wirkenden Selbstverständlichkeit einen klassischen Anzug incl. Hut tragen oder meine Freizeit in weitgeschnittenen Bundfaltenhosen und edlem Poloshirt verbringen. Doch leider verdiene ich als Krankenpfleger nicht das nötige Kleingeld für diese extravagante Mode, noch besitze ich als übergewichtiger Mann die körperlichen Voraussetzungen, diese Garderobe mit Eleganz auszufüllen. Nun könnte mich ein Blick in dieses Buch durchaus frustrieren bzw. deprimieren, doch das genaue Gegenteil ist der Fall: Auch hier schmelze ich dahin!

Scott Schumann setzt ein Plädoyer für mehr Mut in der Männer-Mode! Dies vollbringt er nicht, indem er auf Hochglanzseiten glatte Models präsentiert. Vielmehr wirft er einen Blick in die Straßen der Städte dieser Welt und zeigt uns in einer üppigen Fotoauswahl echte Typen – Typen von jung bis alt, von lässig bis elegant, von groß bis klein, von schlank bis gedrungen, von klassisch bis extravagant undsoweiterundsofort…! Dabei kommt es ihm nicht auf den perfekten Look an (Nobody is perfect!). Es sind oft die Kleinigkeiten (Brille, Tuch oder Socken), die ein Outfit zu etwas besonderen, etwas individuellen machen.

Äußerst informativ fand ich seine Tipps zur typgerechten Kleidung: Dort ordnet er das körperliche Erscheinungsbild eines Mannes in eine kleine, muskulöse, stämmige oder große Statur (Mischformen nicht ausgeschlossen) ein, und gibt hilfreiche Hinweise, worauf man(n) beim Kauf eines Kleidungsstücks achten sollte. Denn selbst wenn ein Kleidungsstück in der passenden Größe vorhanden ist, entscheidet oft der Schnitt oder die Stoffqualität, ob es auch wirklich „passt“.

Die nachfolgenden Seiten sind gespickt mit Informationen zu den unterschiedlichsten Bekleidungsstücken (Jackett, Hemd, Hose, Strickwaren und Überbekleidung). Besonders den Accessoires räumt der Autor einem üppigen Platz in diesem Buch ein. Setzten sie doch häufig bei einem eher simplen Outfit ein besonderes Highlight. Doch auch ganz pragmatische Themen werden von ihm angesprochen: Wie wird ein Hemd korrekt gebügelt? Was muss beim Schuhe putzen beachtet werden? In welcher Reihenfolge wird ein Koffer gepackt?

Im letzten Teil des Buches setzt Schumann ein Statement, lieber weniger, dafür qualitativ gute Kleidung zu kaufen, die dank richtiger Pflege und Instandhaltung uns viele Jahre begleitet, als auf billige Ware zu setzten, die oftmals nach kürzester Zeit verschlissen ist und dann als Müll entsorgt wird.

Ich liebe dieses Buch, da es mir nicht vorschreibt, wie ich zu sein habe, sondern mir vielmehr Mut zuspricht, meine Individualität zu feiern. Denn: Alles kann, nichts muss!


erschienen bei Prestel/ ISBN: 978-3791387598

Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

[Rezension] Hugh Nini & Neal Treadwell – LOVING: Männer, die sich lieben. Fotografien von 1850-1950

Am Blick zweier Menschen erkennt der aufmerksame Beobachter, ob diese Beiden sich lieben. Da können die Gesten noch so zurückhaltend und die Körperhaltung eher defensiv sein, der Blick verrät sie…! Wenden sich die Liebenden einander zu, vollführen ihre Körper eine Wandlung. Sie nehmen eine Position ein, die sich über Jahrzehnte (wenn nicht sogar Jahrhunderte) hinweg nicht verändert hat und unabhängig ist von Herkunft, sozialer Stellung, Ethnie, Alter, Geschlecht und sexueller Orientierung. Die Liebenden neigen vertraut die Köpfe zueinander: Es scheint beinah so, als wäre diese Position der gegenseitigen Zuneigung in der Genetik des Menschen verankert.

Hugh Nini und Neal Treadwell entdeckten vor über 20 Jahren ein altes Original-Foto, auf dem zwei junge Männer sich umarmen und verliebt in die Augen schauen. Anfangs dachte das Paar noch, das es sich hierbei eher um einen einmaligen Fund handelte. Bewusst machten sich die beiden auf die Suche nach weiteren Fotos einer Liebe zu einer Zeit, als diese Liebe „nicht sein durfte“, gesellschaftlich nicht anerkannt war und bei Entdeckung oftmals auch bedrohliche Konsequenzen nach sich ziehen konnte. Trotzdem wagten diese Männer es, ihre Liebe füreinander auf einem Foto zu konservieren.

Über die Jahre hinweg trugen Hugh Nini und Neal Treadwell über 2800 Fotografien aus aller Welt (USA, Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Russland u.a.) zusammen und schufen so eine einzigartige Sammlung, die gleichzeitig eine Reise durch Länder und Epochen darstellte. Änderten sich auch Mode, Frisuren oder Bild-Hintergründe, die Haltung der porträtierten Männer zueinander zeigt eine erstaunliche Ähnlichkeit – unabhängig vom Entstehungsjahr oder dem Herkunftsland. Wir erfahren nur wenig von den Porträtierten. Oftmals sind es nur die wenigen Informationen, die das Foto selbst bzw. eine Notiz auf der Fotorückseite preisgeben. Und gerade diese raren handschriftlichen Notizen sind es, die das Verlangen dieser Männer nach Anerkennung und Normalität widerspiegeln: Die Zeile „Ich schicke dir ein Foto, das wohl den Vorhang von einem kleinen Teil meines Lebens lüftet.“ steht auf der Rückseite eines Fotos aus Bulgarien und offenbart mehr als sie verschweigt.

Alle diese Männer hätten sich sicherlich ein offenes Miteinander gewünscht. Doch sie waren gezwungen, sich und ihre Liebe zu verstecken, dem Wohlwollen des jeweiligen Fotografen ausgesetzt und mussten auf dessen Verschwiegenheit hoffen. Selbst die etwas kitschig anmutenden Selbstinszenierungen, sei es in einem Fotostudie auf einem „Honeymoon“ oder als nachgestelltes Hochzeitsfoto mit Brautstrauß und/oder Sonnenschirm, sollen schlicht und ergreifend nur das ausdrücken, was auf einem selbst gemalten Papp-Schild steht („not married but willing to be“), das zwei junge Herren in die Kamera halten, und signalisiert, dass sie zusammen gehören. Andere Paare bleiben lieber für sich und halten ihre Liebe via Foto-Automat fest und sichern so, dass weder Fotograf noch die Angestellten eines Entwicklungslabors sie denunzieren könnten. Auf wenigen Fotos sind neben den Paaren auch weitere Frauen, Männer bzw. (Kriegs-)Kameraden abgelichtet: Zu diesen Menschen muss ein enormes Vertrauen bestanden haben, ansonsten hätten die Liebenden es nicht gewagt, ihre Liebe so eindeutig vor ihnen zu zeigen.

Ich fühle mich diesen unbekannten Männern auf eine verwirrende Weise verbunden. Verwirrend vielleicht aufgrund der Erkenntnis, dass sich zwischen den 1950er und 80er Jahren wenig gesellschaftlich getan hatte: Selbst in den 80ern aufgewachsen war „schwul“ damals ein gängiges Schimpfwort, und AIDS galt als „Schwulenseuche“. Nie hätte ich es in dieser Zeit gewagt, mich zu outen. Zu groß war meine Angst vor Repressalien. Da versteckte ich mich doch lieber weiter hinter einer Fassade aus Konventionen. Erst als ich den Mut fand, dieses Bollwerk niederzureißen, begann mein wahres Leben. Ich konnte atmen und war frei für eine Partnerschaft.

Rund 350 Fotografien haben Hugh Nini und Neal Treadwell aus ihrer umfangreichen Sammlung für diesen opulenten Bildband ausgewählt. Sie erzählen Geschichten voller Melancholie und Sehnsucht, von Zuneigung und Verbundenheit aber auch von Enttäuschungen, Kränkungen, Verleugnungen und nicht gelebte Leben.

Aber vor allem anderen sind diese Fotografien eins: Ein Ausdruck von Liebe!


erschienen bei Elisabeth Sandmann/ ISBN: 978-3945543825

Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

[Rezension] Nina Freudenberger (mit Sadie Stein) – BiblioStil. Vom Leben mit Büchern/ mit Fotografien von Shade Degges

„Ein Raum ohne Bücher ist ein Körper ohne Seele.“ Cicero

Der große Philosoph der römischen Antike hat mit diesem einen Satz so vieles ausgesagt, und so erscheint mir diese Rezension ein wenig wie die Fortsetzung meines Beitrags Die Präsenz der Bücher, den ich vor beinah zwei Jahren zu diesem Thema veröffentlicht hatte. „Verrate mir, was du liest, und ich sage dir, wer du bist!“ Doch nicht nur was wir lesen spiegelt unseren Charakter wieder, auch wie wir den Aufbewahrungsorte unserer Lektüren gestalten, offenbart vieles von unserer Persönlichkeit.

Nina Freudenberger blickt weltweit in die Bibliotheken von bibliophilen Menschen: Dabei handelt es sich durchweg um Menschen, die über das nötige Know-how verfügen: So tummeln sich in diesem Buch u.a. Autor*innen, Buchhändler*innen, Künstler*innen, Architekt*innen, Geschäftsführer*innen und Regisseur*innen. Wohltuend unprätentiös berichten sie von ihrer Leidenschaft und gewähren uns private Einblicke in ihre Bibliotheken. Allen ist gemein, dass sie eine innige Beziehung zum gedruckten Wort hegen. Die Beweggründe zur Entstehung ihrer Bibliothek können durchaus unterschiedlich sein. Da gibt es „Die Sentimentalen“, die mit jedem Buch in ihrer Sammlung eine Geschichte, eine Erinnerung verbinden. „Die Intuitiven“ lassen sich von ihrem Gefühl bei der Gestaltung bzw. Zusammenstellung ihrer Bibliothek leiten. Während „Die Arrangeure“ ihre Bücher bewusst gruppieren, um einen bestimmten Effekt zu erzielen, richten „Die Professionellen“ ihre Lektüre nach Fachrichtungen aus. „Die Sammler“ sind auf der Jagd nach besonderen Exemplaren, um diese der Nachwelt zu erhalten.

Einige Bibliotheken machen staunend aufgrund ihrer Atmosphäre oder ihrer Größe. Andere wirken erfrischend unsortiert/ unaufgeräumt, scheinen wie organisch gewachsen und sind somit nicht nur Aufbewahrungs- sondern vor allem Wohnort. Es wird mit/ neben/ inmitten Büchern gelebt, und die Präsenz der Bücher nimmt Einfluss auf die Persönlichkeit der Besitzer*in! Nina Freudenberger porträtiert somit in ihren Texten (gemeinsam mit Sadie Stein) nicht nur die Räume sondern charakterisiert ebenso charmant die in diesen Räumen lebenden bzw. arbeitenden Menschen.

Locker verteilt Freudenberger zwischen den Porträts kleine Exkurse rund ums Buch: Wir lernen außergewöhnliche Buchläden und Antiquariate kennen, wo sich Bücher fein säuberlich sortiert in Regalen oder ohne System vom Boden bis zur Decke stapeln. Dann entdecken wir kostbare Raritäten des Buchdrucks oder werfen einen interessierten Blick in öffentliche Bibliotheken unterschiedlicher Ausrichtung.

So wunderbar die Texte auch sind, doch ein solches Buch „lebt“ von den Fotos: Shade Degges besitzt ein feines Auge, um die Quintessenz eines Raumes im Bild einzufangen. Sie verzichtet wohltuend auf plakative Hochglanzfotos: Durch ihre elegante Mattigkeit gewinnen ihre Fotos deutlich an Tiefe. Geschickt wechselt Degges zwischen Totale und Detail, um die Stimmung der jeweiligen Bibliothek und das Wesen deren Besitzer zu erfassen. So erlaubte sie mir einen durchaus schwelgerischen aber nie voyeuristischen Blick in die Bücherschränke Gleichgesinnter.

Egal ob kleines Bücherregal oder opulente Bibliothek, egal ob in New York oder Osterholz-Scharmbeck, egal ob Künstlerin oder Krankenpfleger:  Wir alle sind Gleichgesinnte, denn uns eint die Liebe zum Buch!


erschienen bei Prestel/ ISBN: 978-3791386522

Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

[Rezension] Horst A. Friedrichs – Buchhandlungen. Eine Liebeserklärung/ mit Texten von Stuart Husband und Nora Krug

Buchhandlungen: Ich liebe sie! Im besonderen Maße liebe ich natürlich die innerhabergeführten Läden, die so viel von „ihren“ Menschen preisgeben und im besten Fall Charakter besitzen und Persönlichkeit ausstrahlen. Hier finde ich in beinah versteckten Nischen und Regalen so einige kleine Schätze abseits des Mainstreams. Natürlich ist oftmals das Angebot der großen Buchhandelsketten deutlich umfangreicher, aber ist es auch vielschichtiger? Zudem verströmen diese Läden mit ihrem genormten Ladenkonzept eher Sterilität und lassen nicht erkennen, in welcher Stadt ich mich gerade befinde.

Fotograf Horst A. Friedrichs hat sich seine Kamera geschnappt und sich auf eine Reise durch die Buchhandlungen der westlichen Hemisphäre gemacht. Mit seinen Fotos schafft er es, dem besonderen Flair dieser Orte, den sie für Buch-Enthusiasten verströmen, dem Betrachter sichtbar zu machen – sowohl als „Panorama“-Ansicht als auch „en détail“. Sie offenbaren eine immense Bandbreite, wie und wo Menschen Bücher verkaufen. Da versprüht „Spoonbill & Sugartown“ (Brooklyn, New York) mit seiner Styropor verkleideten Ladendecke in Kombination mit einem Lüster einen beinah morbiden Charme, während „Rizzoli“ (Manhatten/ New York) mit seinen dunklen Säulen und den muschelförmigen Regalaufsätzen ein gediegenes Upperclass-Flair versprüht. Bei „Dog Eared Books“ (San Fransisco) fühlte ich mich in die alternative Buch-Szene der 70er Jahre zurück versetzt. „Maggs Bros.“ (London) ist von außen kaum als Buchhandlung zu erkennen, blickt auf eine jahrhundertlange Tradition zurück und präsentiert in seinem Inneren eine wahre Schatzkammer an Buchantiquitäten. Der Buchladen „Gay’s The Word“ (London) macht Andersartigkeit sichtbar und etabliert sie als selbstverständlichen Teil einer bunten und vielfältigen Gesellschaft.

Bei „Word On The Water“ (London) muss die Kundschaft erst über einen kleinen Steg auf ein Boot, dass fest am Ufer des Regent’s Kanal liegt. Wir bleiben an einem Fluss: Natürlich dürfen in einer solchen Sammlung die „Bouquinisten“ am Ufer der Seine in Paris nicht fehlen. Eine alte gotische Kirche dient „Boekhandel Dominicanen“ (Maastrich) als Heimat, in der eine raffinierte Stahlkonstruktion dafür sorgt, dass das ehrwürdige Gotteshaus keinen Schaden nimmt. Beim Anblick der Fotos zu „Liveraria Lello“ (Porto) mit seinen geschwungenen Treppen und den Bleiglasfenstern stockte mir der Atem: So schön! Mit Schande muss ich gestehen, dass ich der renommierten Buchhandlung „Felix Jud“ in meiner Lieblingsstadt Hamburg bisher noch keinen Besuch abgestattet habe: Das soll/muss sich ändern! Und wenn ich schon in Hamburg bin, dann könnte ich auch bei „stories!“ vorbeischauen, die ihre Bücher eher wie Kunstwerke einer Galerie gleich zur Schau stellen. Insgesamt gibt es 47 Porträts zu bewundern…!

So unterschiedlich die Läden und ihre Besitzer*innen sind, so unterschiedlich ist auch die jeweilige Entstehungsgeschichte: Da protzen einige Läden als wahre Literaturtempel während andere eher dezent ihr Understatement kultivieren. Einige Läden blicken auf eine sehr lange Tradition zurück, andere Läden sind beinah „spontan“ in jüngerer Vergangenheit entstanden.

Auch wenn dieser Pracht-Bild-Band natürlich unter der Kategorie „Das geschriebene Wort…“ auftaucht, so spielen Texte eine eher untergeordnete Rolle. Und so erscheint in diesem Fall auch als erstes der Name des Fotografens in der obigen Überschrift. Während Nora Krug in ihrem Vorwort die Notwendigkeit von freien Buchhandlungen und ihren Einfluss auf die Gesellschaft deutlich macht, sorgt Stuart Husband in seinem Beitrag zu jeder Buchhandlung, dass die Inhaber*innen eine Stimme erhalten.

Das Gesicht zur Stimme zeigt Friedrichs in seinen wundervollen Fotos: Kluge Menschen blicken in die Kamera und zeugen von Individualität, Enthusiasmus und ihrer Liebe zum Buch. Horst A. Friedrichs ist wahrlich eine Liebeserklärung gelungen!

Lust auf eine weitere Meinung? Dann empfehle ich Euch die Rezension meiner Blogger-Kollegin LESEMADEMOISELLE.


erschienen bei Prestel/ ISBN: 978-3791385808

Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

[Rezension] Michael Bienert – Kästners Berlin: Literarische Schauplätze

Michael Bienert ist der absolute Kenner für das literarische Berlin: Neben seiner Tätigkeit als Kulturjournalist fungiert er im realen Leben ebenso wie zwischen zwei Buchdeckeln als versierter literarischer Stadtführer (www.text-der-stadt.de). Der interessierte Leser kann sich gemeinsam mit ihm auf Spurensuche begeben und je nach persönlichem Gusto einen Blick auf die literarischen Schauplätze von Bertolt Brecht, Alfred Döblin, E.T.A. Hoffmann oder Erich Kästner werfen.

Bienert folgt sehr akribisch aber nicht detailversessen dem großen Literaten auf seinen Wegen durch das Berlin zwischen den Jahren 1927 und dessen Tod. Dabei unterteilt er die Kapitel klug in Lebensphasen und Schaffensperioden ein. In den Lebensphasen Kästners begleiten wir ihn durch das pulsierende kulturelle Berlin der Vorkriegsjahre, besuchen mit ihm Kabaretts, Cafés und Theater und machen einen Abstecher ins Zeitungsviertel. Die Kriegsjahre engen den Freigeist nicht nur in seiner Kreativität ein. Auch geografisch wird Kästners Radius enger. Sowohl die Bücherverbrennung als auch die Reichspogromnacht erlebte er hautnah mit. Persönliche Repressalien durch die Gestapo veranlassten ihn, sich zunehmend zwischen den schützenden Wänden seiner Wohnung zurückzuziehen, da er sich nur hier wirklich sicher fühlte. Nach dem Krieg zog Kästner nach München, fühlte sich Berlin dank Familie und Freunden weiterhin verbunden.

Auch Kästners Figuren flanieren durch die Straßen der Weltmetropole: Emil und die Detektive scheuchen uns quer durch Berlin auf der Suche nach einem üblen Dieb. Pünktchen und Anton geben uns einen Einblick sowohl ins noble Villenviertel als auch in die zwielichtige Gegend rund um die Weidendammer Brücke. Seine Romanfigur Jakob Fabian lässt er plan- und ziellos durch das dekadente und verruchte Wedding treiben.

 

Anhand von historischen Straßenkarten mit detaillierten Ortsangaben kann ich als Leser den jeweiligen „Spaziergängen“ folgen und gemeinsam mit dem Autor und seinen Geschöpfen durch das frühere Berlin schlendern. Die Atmosphäre der damaligen Stadt wird durch zeitgenössische Dokumente, Fotografien und Postkarten heraufbeschworen. Demgegenüber vermitteln die aktuellen Fotos der Straßen und Orte einen guten Eindruck über die Veränderungen, die eine Stadt zwangsläufig über die Jahre bzw. Jahrzehnte durchlebt.

Michael Bienert überzeugt in jedem Kapitel mit fundierten Kenntnissen über das Leben und Wirken Erich Kästners. Doch auch der große Literat kommt hier selbst zu Wort und liefert uns in Anekdoten, Zitaten, Tagebucheintragungen und Artikeln seine persönliche Sicht auf „sein“ Berlin.

Die Fülle an Informationen wird komplementiert sowohl durch Anmerkungen von Bienert zu den jeweiligen Kapiteln als auch um ein Adressbuch „Kästners Berlin von A bis Z“, das trotz seines Umfangs keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt: Kästner war ein sehr umtriebiger Mensch, der Kontakte quer durch die Stadt pflegte. Wer kann da schon genau sagen, wo er sich überall „rumgetrieben“ hatte.

Michael Bienerts vorliegendes Werk über Erich Kästner nötigt mir Respekt ab. So schafft der Autor den schwierigen Spagat zwischen Sachbuch, Bildband und Zitaten-Sammlung äußerst informativ und unterhaltsam.


erschienen bei Verlag für Berlin-Brandenburg/ ISBN: 978-3945256008

[Rezension] Rainer Metzger – 1920s Berlin

Berlin – du warst immer eine pulsierende Metropole und zelebrierst immer wieder von Neuen gekonnt den Tanz auf dem Vulkan. Schon die unvergleichliche Claire Waldoff schwadronierte über dich „Mein Berlin, du bist einzig in deiner erregenden Atmosphäre, in deiner unerhörten Arbeitskraft, in deiner großartigen Geistigkeit.“ Und sie musste es wissen, war sie doch selbst einer der schimmernsten Sterne am Berliner Firmament.

Rainer Metzger wirft einen sowohl abwechslungsreichen als auch unterhaltsamen Blick auf das Berlin der 20er Jahre und lässt nach der informativen Einleitung „Wir werden Weltstadt!“ die Künstler*innen dieser sagenumwobenen Zeit in kurzen Essays wiederauferstehen.

„Berlin war so herrlich lebendig, so geladen mit einer seltsamen Elektrizität.“ Vicki Baum

Dabei möchte ich die Bezeichnung „Künstler*in“ gerne universell einsetzen: In 31 Essays entdeckt der Leser nicht nur Maler*innen und Illustrator*innen wie Max Pechtstein, Jeanne Mammen und Otto Dix, die Fotografin Renée Sintenis, die Verleger El Lissitzky und Hans Arp und Filmschaffende wie Fritz Lang und Josef von Sternberg. Auch Architekten wie Bruno Taut und Peter Behrens, die mit ihren Bauten das Bild Berlins prägten, werden gewürdigt. Das jeweilige Essay erstreckt sich über zwei Seiten und unterteilt sich jeweils in eine Seite mit Text, während auf der anderen Seite ein prägnantes Beispiel der jeweiligen Kunst geboten wird.

„Wir in Berlin sind überall dabei, aber wir kommen zu nichts. Wir haben französischen Schick, englischen Sport, amerikanisches Tempo und heimische Hast – nur uns selbst haben wir nie gekannt.“ Kurt Tucholsky

Der Taschen-Verlag bietet in Kleine Reihe viel Infos für wenig Geld und liefert Einblicke über Künstler, Kunststile und Epochen. Abgerundet wird diese kleine Reise in die Vergangenheit durch stimmige Fotografien, Illustrationen, Malerei und Grafiken.


erschienen bei Taschen/ ISBN: 978-3836550529

[Rezension] Thomas Bleitner – Frauen der 1920er Jahre: Glamour, Stil und Avantgarde

Sie waren frech, mutig und glamourös! Sie waren talentiert, risikofreudig und emanzipiert!

Die Schrecken des ersten Weltkrieges rückten langsam in den Hintergrund. Der Muff und die Engstirnigkeit des Biedermeiers waren abgeschüttelt, und wagemutige Frauen machten sich auf den Weg, zuerst die Gesellschaft und dann die ganze Welt für sich zu erkunden. Grenzen schienen für sie nicht existent…!

Thomas Bleitner versammelt in seinem opulenten Bildband unterhaltsame Kurz-Porträts einiger der wegbereitenden Frauen aus Literatur und Kunst, Society und Mode, Fotografie und Film, Cabaret und Tanz sowie Abenteuer und Sport. So geben sich hier so bekannte Persönlichkeiten wie Zelda Fitzgerald, Dorothy Parker, Coco Chanel und Josephine Baker (um nur einige wenige der insgesamt 18 Porträtierten zu erwähnen) ein Stell-Dich-Ein. Die Essays über das Leben der Damen sind allesamt eine äußerst vergnügliche wie informative Lektüre. Dabei kann in der Kürze natürlich weniger ein vollständiger Lebenslauf erwartet werden, als vielmehr, einen Einblick in die jeweilige Persönlichkeit zu erhaschen. Bleitner geht es vielmehr darum, den Zauber der Zeit dem Leser spürbar zu machen, den Charakter der Porträtierten zu vermitteln, um darüber vielleicht dem Phänomen dieser Frauen näher zu kommen. Schließlich war es ihnen in einer von Männern dominierten Gesellschaft gelungen, emanzipiert ihren Platz einzufordern. Somit fungierten sie für viele ihrer Geschlechtsgenossinnen als Vorbild zu ihrer Zeit – und darüber hinaus!

Besonders die historischen Fotografien und Zeichnungen übten einen besonderen Reiz auf mich aus und verströmen eine Menge Flair der Epoche. Wirken sie einerseits künstlich und inszeniert, spiegeln sie gleichzeitig das neugewonnene Selbstbewusstsein der Frauen wieder. „Frau“ will auffallen. „Frau“ will provozieren. Dazu verführte auch die neue Freiheit in der Mode: Die Röcke wurden kurzer, die Hüte kecker und die Linien strenger aber edel.

Komplementiert wird dieser wunderbare Bildband durch die Einleitung Glamour, Stil und Avantgarde. Jede/r, die/der mehr über diese Ikonen erfahren möchte, erhält im Anhang eine üppige Liste mit verwendeter und weiterführender Literatur,…

…und wieder einmal halte ich ein prachtvolles „Coffee Table Book“, das für die dezente Aufbewahrung in einem schnöden Bücherregal viel zu schade ist, in den Händen.

Ich habe definitiv zu wenige Tische im Haus! 😉


erschienen bei Elisabeth Sandmann/ ISBN: 978-3945543719

Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!