[Krimi] Agatha Christie – MORD IM ORIENTEXPRESS / Stadttheater Bremerhaven

Kriminalstück von Agatha Christie / für die Bühne bearbeitet von Ken Ludwig / deutsch von Michael Raab

Premiere: 25. Februar 2023 / besuchte Vorstellung: 19. März 2023

Stadttheater Bremerhaven / Großes Haus


INSZENIERUNG Andreas Kloos
BÜHNE Sven Hansen
KOSTÜME Viola Schütze
MUSIKALISCHE LEITUNG Jan-Hendrik Ehlers
CHOREOGRAFIE Lidia Melnikova


Der Vorhang hebt sich ca. 80 cm über den Boden und gibt den Blick auf verschiedene Beinpaare frei. Wie Stimmen aus der Vergangenheit hören wir über den Lautsprecher, wie die kleine Daisy Armstrong ihren Eltern gute Nacht sagt, von ihrem Kindermädchen ins Bett gebracht wird, mitten in der Nacht erwacht, da ein Fremder vor ihrem Bett steht und sie entführt. Und mit dem letzten verzweifelten Schrei eines Kindes verstummen die Stimmen aus der Vergangenheit, der Vorhang öffnet sich zur Gänze und enthüllt die Gegenwart des Jahres 1934. Das Spiel um Mord, Rache und Selbstjustiz beginnt…!

„Wenn ich nachts allein im Dunkeln liege, frage ich mich wieder und wieder:
Habe ich richtig gehandelt? War das wirklich Gerechtigkeit?“
Hercule Poirot

Auf den Beginn der Vorstellung wartend, saß ich im Zuschauersaal und war sowohl äußerst gespannt als auch ein wenig ängstlich. Ich war gespannt auf diese Bühnen-Adaption des wohl bekanntesten Romans von Agatha Christie durch den amerikanischen Dramatiker Ken Ludwig, gespannt, wie „mein“ Stadttheater diese Adaption auf der Bühne umsetzten würde und ängstlich, ob ich mich mit der Interpretation der von mir so geliebten Figuren – allen voran Hercule Poirot – anfreunden könnte. Doch glücklicherweise überwog die Spannung vor meiner Ängstlichkeit!

Ken Ludwig hat die Anzahl der Charaktere des Romans geschickt für die Bühne auf 10 Personen reduziert und ihnen dabei teilweise neue Aufgaben zugewiesen, ohne die Grundgeschichte zu verfälschen. Auch bei den Dialogen orientierte er sich an dem literarischen Original und bereicherte sie durch launige Bonmots.


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Regisseur Andreas Kloos hätte aus diesem Stück eine wahre Klamauk-Klamotte zimmern können: Die Rollen bieten in ihrer Gestaltung durchaus das Potential dazu. Doch er verzichtet glücklicherweise auf dieses „Zuviel“ und überrascht mit witzigen Regie-Ideen. Gemeinsam mit dem Ensemble lotet er äußerst geschickt die Grenzen des Humors aus, ohne ins übertrieben Alberne abzudriften. Die Personen werden leicht „over-the-top“ als scheinbar unantastbare Upper-Class porträtiert. Doch als ihre fein konstruierte Fassade aus Lügen von Poirot eingerissen wird, stehen plötzlich verletzliche und verletzte Wesen auf der Bühne, die weit weniger unantastbar sind.

Schauspieler Frank Auerbach schlüpft in die Rolle des Meisterdetektivs und stellt sich somit der herausfordernden Aufgabe, den Erwartungen des Publikums an dieser Figur gerecht zu werden. Denn schließlich hatten schon einige renommierte Mimen (Finney, Ustinov, Suchet) diese Rolle in der Vergangenheit höchst überzeugend verkörpert und jeweils ihren ureigenen Stempel aufgedrückt. Doch auch Auerbach überzeugt mit seiner Darstellung auf ganzer Linie: Sein Poirot ist durchaus eine Spur rustikaler, wenn nicht sogar bodenständiger als in der Rollengestaltung seiner namhaften Vorgänger. Er bleibt im bekannten Rahmen der literarischen Vorgaben, zeigt Poirots Marotten aber sehr dezent, bemüht den Akzent nur wohldosiert und findet so zu einer eigenständigen und überzeugenden Interpretation.

Eingerahmt wird Auerbach durch seine talentierten Schauspiel-Kolleg*innen, die jede*r für sich in der jeweiligen Rolle eine fulminante Performance bieten. Kay Krause (Monsieur Bouc), Julia Lindhorst-Apfelthaler (Mary Debenham), Marc Vinzing (Hector MacQueen), Leon Häder (Michel), Isabel Zeumer (Prinzessin Dragomiroff), Nikola Frehsee (Greta Ohlson), Marsha Zimmermann (Gräfin Andrenyi), Sibylla Rasmussen (Helen Hubbard) und Richard Feist (Oberst Arbuthnot/ Samuel Ratchett) agieren gemeinsam auf Augenhöhe und liefern sich geschickt einen gekonnten Wechsel zwischen Slapstick und Dramatik.

Die Drei-Mann Band, bestehend aus Jan-Hendrik Ehlers, Marco Priedöhl und Olaf Satzer, sorgt für die passende musikalische Untermalung, unterstütz das Ensemble bei swingenden Show-Einlagen (Choreografie: Lidia Melnikova) und amüsiert auch solistisch u.a. am Akkordeon als verkapptes Funkgerät oder beim gefühlvollen Schlagen der Triangel.

Bühnenbildner Sven Hansen bemüht die Technik, ohne dass er diese in den Mittelpunkt stellt. Er zaubert sowohl die Außenansicht einen Wagon wie auch das Innenleben des Speisewagens auf die Bühne. Der Schlafwagen wird von ihm über zwei Ebene präsentiert, bei denen das Publikum gleichzeitig Einblicke erhält, was im Inneren der Kabinen sowie auf dem Gang davor passiert. Dabei wirkt die Ausstattung des titelgebenden Fortbewegungsmittels eher dezent. Es scheint, als sollte die Aufmerksamkeit des Publikums auf die handelnden Personen fokussiert und nicht von einem luxuriösen Ambiente des Orientexpress abgelenkt werden. Die Kostüme von Viola Schütze unterstreichen das „over-the-top“ der Personen und überzeugen durch Raffinesse und witzige Details.

Auf dem Heimweg machte ich mir so meine Gedanken. Es ist ganz und gar erstaunlich: Unabhängig davon, wie häufig ich diese Bühne besuche und egal, was ich mir dort anschaue, es gefällt mir. Das kann doch nicht sein? Selbst an der Bühnen-Adaption eines meiner Lieblingsromane von Agatha Christie mit dem von mir heißgeliebten und hochverehrten Hercule Poirot fand ich keinen Makel. Es muss doch irgendwann eine Inszenierung geben, die mir nicht oder zumindest weniger zusagt, oder?

Doch glücklicherweise neige ich nicht dazu, das vielbemühte Haar in der Suppe zu suchen. Vielmehr genieße ich mit wachen Sinnen und aus vollem Herzen, dass diese Bühne eben verdammt gutes Theater macht!


Alle, die beim MORD IM ORIENTEXPRESS miträtseln möchten, haben dazu noch bis Mitte Mai 2023 am Stadttheater Bremerhaven die Möglichkeit.

[Rezension] Agatha Christie – Mord im Orientexpress. Ein Fall für Poirot

Es war kurz vor Weihnachten des Jahres 1931: Agatha Christie hatte archäologische Ausgrabungsarbeiten ihres Mannes Max Mallowan im Irak besucht und befand sich nun mit dem Orientexpress auf dem Rückweg nach England, als der Zug aufgrund eines heftigen Unwetters zwei Tage auf offener Strecke stehen blieb. Agatha Christie nutze diese Zeit, um sich Gedanken zu einer neuen Kriminalgeschichte zu machen und schuf so die Grundlage zu einem ihrer bekanntesten Romane. Dabei nahm nicht nur den bekannten Zug als luxuriöse Kulisse zum Vorbild sondern ließ sich auch von den dramatischen Ereignissen um die Entführung des Lindbergh-Babys inspirieren. So verwob sie wieder geschickt Realität mit Fiktion…!

Hercule Poirot kann nur nach einigen Mühen und dank der Hilfe des mitreisenden Direktors der Eisenbahngesellschaft Monsieur Bouc ein Abteil im Kurswagen Istanbul – Calais des Orientexpress ergattern. Mitten im der Nacht versperrt eine Schneeverwehung die Strecke und zwingt den Zug zum Anhalten. Genau zu diesem Zeitpunkt wird der amerikanische Reisende Mr. Ratchett durch zwölf Messerstiche in seinem verschlossenen Abteil ermordet. Monsieur Bouc bittet Poirot, sich dem Fall anzunehmen. Da im Schnee keinerlei Spuren zu entdecken sind, muss sich der Mörder noch im Zug befinden. Im Abteil des Ermordeten findet Poirot einen nicht vollständig verbrannten Brief, aus dessen Rest er auf die Identität des Toten schließen kann: Bei Mr. Ratchett handelt es sich um den Verbrecher Cassetti, der durch Korruption und Bestechung seiner gerechten Strafe entkommen konnte. Cassetti hatte vor einigen Jahren die kleine Daisy Armstrong entführt, Lösegeld für sie erpresst und sie nach Erhalt der Summe erbarmungslos ermordet. Ihre Mutter erlitt daraufhin eine Fehlgeburt und starb an den Folgen. Ihr Vater wurde so von der Trauer übermannt, dass er Selbstmord beging. Eine Zofe von Mrs. Armstrong wurde fälschlicherweise der Mittäterschaft bezichtigt und stürzte sich aus einem Fenster in den Tod. So gehen fünf Leben auf das Konto von Cassetti, dem niemand eine Träne nachweinen würde. Poirot nimmt die Ermittlungen auf, doch weder die gefundenen Indizien noch die Zeugenaussagen der Mitreisenden ergeben ein klares Bild: Erscheint einer der Passagiere verdächtig, taucht unvermittelt ein Zeuge auf, der ein wasserdichtes Alibi liefern kann. Die Situation ist verzwickt: Hercule Poirots berühmten grauen Zellen arbeiten auf Hochtouren…!

„Mord im Orientexpress“ ist eines jener Werke, die den Weltruhm von Agatha Christie begründet haben und deren Existenz über so manches weniger gelungene Werk der Autorin hinwegtröstet. Denn eine so fleißige Autorin wie Christie, die über Jahrzehnte produktiv war, hat (zwangsläufig) nicht nur herausragende Werke hervorgebracht: In ihrem Oeuvre finden sich auch weniger geglückte Romane, die ich wohlwollend als solide bezeichnen möchte. Doch mit einem Krimi wie „Mord im Orientexpress“ zeigt sie ihr ganzes Können und beweist, dass sie zu Recht den Titel „Queen of Crime“ verdient.

Dabei nimmt sie die bekannten Ingredienzien, wie einen mysteriösen Mord in einem geschlossenen Raum, eine üppige Anzahl an Verdächtige sowie verwirrende Indizien, und fordert die Intelligenz ihre Leserschaft mit der Frage „Who done it?“ heraus. Zudem geizt sie nicht mit prallen Rollenprofilen, indem sie ein sehr illustres wie internationales Handlungspersonal auf der Bildfläche erscheinen lässt. Einen gemeinsamen Nenner zwischen diesen Personen scheint nicht existent, oder wie sie es Monsieur Bouc so treffend ausdrücken ließ:

„Um uns herum sitzen Menschen aller Schichten, aller Nationalitäten, jeden Alters. Für drei Tage bilden diese Menschen, lauter Fremde füreinander, eine Gemeinschaft. Sie schlafen und essen unter einem Dach, sie können sich nicht aus dem Weg gehen. Und nach den drei Tagen trennen sie sich wieder, jeder geht seiner eigenen Wege, und sie werden sich vielleicht nie wieder sehen.“

Dabei konstruiert sie wieder einen äußerst interessanten Handlungsaufbau: Wir verfolgen das Geschehen zwar einerseits chronologisch doch parallel auch in Rückblenden. Der Leser begleitet Hercule Poirot durch die einzelnen Verhöre und kann die Aussagen, wer sich wann an welchem Ort befunden hat, anhand der vorhandenen Skizze der Zugabteile nachvollziehen. Brillant verflicht Christie die einzelnen Zeugenaussagen zu einem feinen Netz aus Details. Sie überzeugt auch in den glaubhaften Dialogen, die sie ihren Figuren in den Mund legt und die diese treffend skizzieren. Dabei erlaubt sie den Personen eine Emotionalität, die für einen Christie-Roman eher ungewöhnlich ist.

Auch wer die Auflösung schon kennt, wird am geschickten Aufbau der Geschichte seine wahre Freude haben. Für mich zählt „Mord im Orientexpress“ nicht nur zu einem der besten Poirot-Romane, sondern zu einem der besten Romane, die Agatha Christie je geschrieben hat.


3x Poirot / 3x Mord im Orientexpress

3x Poirot - 3x Mord im Orientexpress

Ein Roman wie „Mord im Orientexpress“ mit seiner Ansammlung prägnanter Charaktere innerhalb eines luxuriösen Ambientes „schreit“ geradezu nach einer visuellen Umsetzung und wurde entsprechend häufig adaptiert. Der Roman wurde zweimal für das Kino und dreimal für das Fernsehen verfilmt.

Für die Bühne wurde der Stoff vom Dramatiker Ken Ludwig bearbeitet und feierte im Jahr 2017 seine Uraufführung. Übrigens: Diese Fassung steht mit einer eigenständigen Inszenierung auch auf dem Spielplan des Stadttheaters Bremerhaven (Beitrag folgt!).

Ich habe mich bei meiner Auswahl auf die drei bekanntesten Verfilmungen beschränkt.

  • (1974/ Film)/ Regisseur Sidney Lumet versammelte ein All-Star-Cast mit Albert Finney als Hercule Poirot sowie Lauren Bacall, Martin Balsam, Ingrid Bergman, Michael York, Jacqueline Bisset, Richard Widmark, Sean Connery, John Gielgud und Anthony Perkins. Dabei blieb Lumet in seiner Umsetzung nah am literarischen Original, gab jedem seiner Stars genügend Möglichkeiten zur Entfaltung, ohne dass jemand hervorgehoben wurde bzw. sich in den Mittelpunkt spielte, und schaffte so eine fulminante Ensembleleistung voller Klasse und Flair.
  • (2010/ TV)/ Regisseur Philip Martin brauchte sich mit der für die britische Krimi-Serie „Agatha Christie’s Poirot“ entstandene Adaption wahrlich nicht zu verstecken. Neben dem großartigen David Suchet als Hercule Poirot, der diese Figur bis zur Perfektion studierte, konnte er mit Jessica Chastain, Hugh Bonneville, Toby Jones, Susanne Lothar, David Morrissey, Barbara Hershey, Denis Ménochet, Serge Hazanavicius und Samuel West ein ebenso exzellentes Ensemble vereinen. Diese Fassung ist deutlich dunkler und melancholischer als die Film-Fassung von 1974 und beleuchtet beinah kammerspielartig die Beweggründe der Protagonisten ohne an Dramatik einzubüßen.
  • (2017/ Film)/ Regisseur Kenneth Branagh schlüpfte selbst in der Hauptrolle des Meisterdetektivs, legte diesen allerdings eher als draufgängerischen Abenteurer an. Ähnlich wie sein Kollege Sidney Lumet versammelte er mit Penélope Cruz, Willem Dafoe, Judi Dench, Johnny Depp, Derek Jacobi, Michelle Pfeiffer, Daisy Ridley, Lucy Boynton und Olivia Colman ebenfalls ein Star-Ensemble, das an die klangvollen Namen der Rollenvorgänger allerdings nicht heranreichte. Pathos ersetzt nicht Emotionen. Zudem wirkte der Film auf mich mit seinen digitalen Effekten seltsam aufgebläht.

Welche Verfilmung man nun präferiert, welcher Rollengestaltung man nun den Vorrang gibt, bleibt natürlich dem persönlichen Geschmack überlassen.


erschienen bei Atlantik / ISBN: 978-3455650013 / in der Übersetzung von Otto Bayer

ebenfalls erschienen als Hörbuch bei der Hörverlag / ISBN: 978-3899407907 / Sprecher: Stefan Wilkening

[Rezension] Guillaume Picon – Der Orient-Express. König der Züge/ mit Fotografien von Benjamin Chelly

Der Orient-Express: Er wird gerne als „König der Züge“ bezeichnet. Dabei gab es den einen Zug gar nicht, vielmehr bestand der Orient-Express aus einem ganzen System von Luxuszügen, die den Westen mit Mittel- und Südosteuropa verbanden. Am 5. Juni 1883 hatte der Zug, der ursprünglich jeweils nur aus einem Schlaf- und einem Speisewagen der Compagnie Internationale des Wagons-Lits (CIWL) bestand, seine Jungfernfahrt. Gestartet wurde in Paris mit dem Ziel Konstantinopel. Anfangs mussten die Reisenden sogar auf Fähr- und Schiffsverbindungen ausweichen, bis ab dem Jahr 1889 eine durchgehende Verbindung per Schienen über Süddeutschland, Wien, Budapest und Sofia sie ans Ziel führte.

Der Orient-Express: Er wird auch gerne als „Zug der Könige“ bezeichnet und galt zu seiner Zeit als schnellste und luxuriöseste Art zu Reisen. Die Materialien für das Interieur waren erlesen, das Design auf der Höhe der Zeit, die Speisen exzellent und die Weine exquisit. Gekrönte Häupter sowie Staatsmänner und -frauen zählten ebenso zu seinen Fahrgästen wie Künstler, Literaten und natürlich die Haute Volée aus dem Inn- und Ausland.


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Guillaume Picon (Text) und Benjamin Chelly (Fotos) lassen in ihrem Bildband die Pracht dieser legendären Züge wieder aufleben und ermöglichen mir unbedeutendem Pimpf, der wohl nie leibhaftig einen dieser Züge zu Gesicht bekommen wird, so einen detaillierten Eindruck darüber zu erhalten, was den Reiz dieses legendären Verkehrsmittels ausmachte.

Auf 256 Seiten und mit Hilfe von ca. 200 Abbildungen lassen sie die Geschichte dieses Luxus-Zuges vor meinen Augen ablaufen. Dabei geizen sie wahrlich nicht mit interessantem Hintergrundwissen. So berichten sie uns von den Umständen, die zum Bau dieses Gefährts führten und den veränderten Reisegewohnheiten der Menschen geschuldet waren. Wir lernen mit Georges Nagelmackers den genialen Kopf hinter dieser Idee kennen, der vorausschauend den Bedarf an komfortablen Fernreisen erkannte. Beim Studium der informativen Texte wurde mir bewusst, dass erst die bahnbrechenden neuen Technologien der damaligen Zeit, diese Art des Reisens ermöglichen konnte und zur Entwicklung der modernen Schienenfahrzeuge führte. Doch nicht nur schnell sollte eine Strecke zurückgelegt werden sondern auch absolut komfortabel: So wurde viel Wert auf eine ansprechende Ausstattung gelegt, die auch gehobenen Ansprüchen genügen sollte. Edle Materialien und feine Handwerkskunst kamen hierbei zum Einsatz und sorgten für ein nobles Ambiente. Aufgrund der großen Nachfrage musste das Netz ausgeweitet werden, und weitere Züge wurden auf die Schienen gestellt, um andere attraktive Reiseziele anzufahren.

Diese prestigeträchtige Art zu Reisen zog natürlich auch berühmte wie berüchtigte Prominente an, wie Mata Hari, Lawrence von Arabien und natürlich Agatha Christie, die mit ihrem 9. Hercule Poirot-Roman „Mord im Orientexpress“ diesem eh schon legendären Zug ein literarisches Denkmal setzte. Doch ein Zug, der international verkehrt, bleibt leider auch nicht vor Unglücken oder Wetterkatastrophen verschont, und auch so mancher Krieg nahm Einfluss auf die Fahrtroute.

Die historischen Abbildungen und Illustrationen sind ebenso ausgesucht wie die Originalfotos von Benjamin Chelly. Jedes Kapitel wird mit einer Abbildung alter Stoffmuster von Teppichen oder Sitzmöbel eingeleitet, bevor wir einen ausschweifenden Blick in die Luxus-Kabinen, den Speisewagen und den Schlafwagen werfen. Da gibt es kostbaren Intarsien aus edlem Holz zu bewundern. Das mundgeblasene und handgeschliffene Lalique-Glas verströmt ebenso Glamour wie die auf Hochglanz polierten Messing-Armaturen. Etliche Fotos zeigen die Gesamtansicht eines Raumes, andere fokussieren das Auge des Betrachters auf wunderbare Details in der Ausstattung im erlesenen Design des Art déco.

Dank diesem Buch, das mit den informativen Texten, einem bisher unveröffentlichten Archivmaterial und den opulenten Fotografien den Flair dieses legendären Zuges aufleben lässt, wird der Mythos „Orient-Express“ auch in den kommenden Jahren weiterleben.


erschienen bei Frederking & Thaler / ISBN: 978-3954162963 / in der Übersetzung von albrecht schreiber