[Rezension] Rodolphe (nach Charles Dickens) – SCROOGE. Eine Weihnachtsgeschichte/ mit Illustrationen von Estelle Meyrand

Es gibt Geschichten, die tauchen zu gewissen Zeiten immer wieder und wieder auf. Beinah scheinen sie mich zu verfolgen, wobei ich dies in diesem besonderen Fall nicht als unangenehm empfinde. Insbesondere gerade zu dieser Jahreszeit lasse ich mich nur zu gerne von diesem Klassiker der Weihnachtsliteratur in Stimmung bringen. Charles Dickens Märchen über den alten Geizkragen, der durch die nächtlichen Begegnungen mit den Geistern der Weihnacht geläutert am Weihnachtsmorgen erwacht und sein Leben völlig umkrempelt, begeistert mich – egal in welcher Erscheinungsform – immer wieder erneut.

Nachdem bereits drei illustrierte Fassungen dieser wunderbaren Geschichte Einlass in die Rubrik LEKTÜRE ZUM FEST gefunden haben, fiel in diesem Jahr meine Wahl auf eine Graphic Novel.

Schon beim ersten Durchblättern konnten mich die Illustrationen von Estelle Meyrand für sich einnehmen. Einerseits betonte sie mit ihren gelungenen Figurinen und dem dazugehörigen Setting den märchenhaften Charakter der Geschichte, andererseits vermied sie wohltuend das allzu Niedliche, sondern streute immer wieder dunklere Momente in die Handlung ein. Während Scrooge in seiner deprimierenden Welt aus dumpfen Farben beinah zu versinken droht, leuchten die Farben bei seinen Mitmenschen umso wärmer und fröhlicher.


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Genrebedingt rechnete ich natürlich mit Kürzungen bei der Handlung. Allerdings bedauerte ich es sehr, dass in der Konzeption des Szenarios durch Rodolphe die drei Geister der Weihnacht dem Rotstift zum Opfer fielen, und er Scrooge auf seiner Reise durch die Nacht ausschließlich Marleys Geist zur Seite stellte. Gerade Scrooges banges Warten auf die drei Geister, wo jeder von ihnen ein sehr individuelles Erscheinungsbild hat und so jeweils ein anderes Weihnachten repräsentiert, sorgte in der Originalgeschichte für sehr viel Atmosphäre und Dynamik. Die Dialoge erscheinen mir (in der Übersetzung von Tanja Krämling) sehr gelungen und wirken für die jeweilige Person sehr passend und natürlich.

Doch zwangsläufig fehlte der Graphic Novel die emotionale Tiefe, der ich mich beim Original so gerne hingebe: Da überrollen mich meine Gefühle und es kullert dann das eine oder andere Tränchen, was bei der Lektüre der Graphic Novel ausblieb. Ich bin überzeugt, dass gerade für ein jüngeres Publikum SCROOGE die wunderbare Möglichkeit bietet, sich dem Werk eines des bedeutenden britischen Literaten anzunähern.

Auch ich habe mich durchaus gut unterhalten gefühlt, würde allerdings der wunderschönen Novelle von Charles Dickens immer den Vorzug geben. Zumal mit einer der äußerst gelungenen illustrierten Fassungen mir diese Graphic Novel nicht fehlen würde.


erschienen bei toonfish (Splitter) / ISBN: 978-3967927313 / in der Übersetzung von Tanja Krämling

[Rezension] Kirsten Boie – DER WEIHNACHTSFRIEDEN/ mit Illustrationen von Claire Harrup

Es hat ihn wirklich gegeben, den Weihnachtsfrieden im Jahre 1914 an der Front in Flandern zwischen Deutschen und Briten, und er dauerte einige Tage, vereinzelnd sogar bis ins Neue Jahr. Die damalige Obrigkeit hat diese friedliche Kontaktaufnahme scheinbar verfeindeter Parteien nicht gerne gesehen und versuchte, sie zu verhindern: Ohne Erfolg! Die Menschlichkeit siegte!

Ist doch ganz still drüben, horcht mal! Für die ist auch Weihnachten heute! Was, wenn man sich am gnadenlosesten Ort der Welt befindet und es trotzdem Weihnachten wird? Friedrich und seine Kameraden sind noch Schüler, als sie eingezogen werden, um im Großen Krieg gegen die Engländer zu kämpfen. Jetzt sitzen sie in den verschlammten Schützengräben und denken wehmütig an die hellen Lichter zu Hause. Doch dann werden Weihnachtsbäume herbeigetragen, ein Geschenk des Kaisers an seine Soldaten, und obwohl sie leise sein sollen, singen sie gemeinsam ein Weihnachtslied. Ob die Engländer gleich das Feuer eröffnen werden? Nein, sie tun etwas ganz anderes. Auf bewegende Weise erzählt die große Kirsten Boie in diesem wunderschön illustrierten Buch von der verbindenden Kraft des Weihnachtsfests und von einer Sternstunde der Menschlichkeit mitten im Ersten Weltkrieg.

 (Inhaltsangabe der Homepage des Verlages entnommen!)

Ich las und schluckte schwer, ich las weiter und die erste Träne ran langsam meine Wange hinab und verfing sich in meinem Bart. Ich las und las, und Träne um Träne suchte sich ihren Weg. Nach nur (!) 44 Seiten hatte ich die Lektüre beendet und schnaufte befreiend nach Luft. Still saß ich in meinem Sessel, über das Gelesene sinnierend, das kleine, schmale Büchlein weiterhin in der Hand haltend, um dann diese berührende Geschichte nochmals zu lesen. Es war eine Lektüre, die mich stark bewegte.

In leisen Tönen erzählt Kirsten Boie (die Deutsche) eine Geschichte voller emotionaler Tiefe. Dabei findet sie klare Worte, die nichts beschönigen aber auch nichts übertreiben, doch umso mehr verdeutlichen, wie sinnlos es ist, Kriege zu führen. Claire Harrup (die Britin) schuf ebenso atmosphärische Illustrationen mit einer schlichten Symbolik, die im trüben Szenario eines Kriegsschauplatzes einen Sonnenstrahl am Horizont erahnen lassen.

Momentan gibt es auf der Welt so viele Kriege, die unschuldige Opfer fordern. Wollten sie einen Krieg? Oh, nein! Denn:

Diejenigen, die einen Krieg wollen, sind nie diejenigen,
die in ihn ziehen und ihn erdulden müssen!

Aber jede*r von uns hat im eigenen überschaubaren Umfeld die Möglichkeit, diese Welt ein klein wenig friedvoller zu gestalten. Wir haben es in der Hand!


erschienen bei Arche / ISBN: 978-3716000205
Ich danke der Presseagentur Politycki & Partner herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

[Rezension] Richard Johnson – ES WAR EINMAL EIN SCHNEESTURM

„Ohne Worte,…“

…gänzlich ohne Worte kommt diese reizende Geschichte aus. Kein Text lenkt von den Illustrationen ab, die dafür so viel mehr erzählen, als es ein Text vielleicht könnte. Dies ist wahrlich im besten Sinne des Wortes ein BILDERbuch. Richard Johnson kleidet seine Geschichte über Verlust und Zusammenhalt in märchenhaft anmutenden Illustrationen…

Bei einem Ausflug geraten Vater und Sohn in einen Schneesturm und verlieren sich aus den Augen. Der kleine Junge kann den Weg nach Hause nicht finden, doch die Tiere des Waldes nehmen ihn auf. Bär, Fuchs und alle anderen kümmern sich um ihn, und sie schließen Freundschaft. Nach einiger Zeit aber beginnt der Junge sein altes Zuhause zu vermissen. Gemeinsam mit dem Bären macht er sich auf die Suche nach dem Heimweg, und tatsächlich sind sie erfolgreich – Vater und Sohn können sich wieder in die Arme schließen.

 (Inhaltsangabe der Homepage des Verlages entnommen!)


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Richard Johnsons traumhaften Illustrationen sind atemberaubend schön und zogen mich augenblicklich in ihren Bann. Nur allzu gerne ließ ich mich zu dieser visuellen Reise verführen und mir eine Geschichte „erzählen“, die alle Sprachbarrieren überwindet und dafür reichlich Raum für die eigene Phantasie bietet.

Johnson wählte die Farbnuancen mit bedacht, ließ sie sanft ineinander verschmelzen und schuf so Bilder voller Zartheit, die gleichzeitig mit vielen Details überraschen: Ein Familienbild an der Wand in der Hütte verlockt zu weiteren Interpretationen, die Schneeflocken zeigen die Silhouetten der Waldtiere, und im Fell des Bären gibt es kleine Untermieter. Er porträtiert die handelnden Figuren – Menschen wie Tiere – sehr liebevoll und mit drolligem Charme.

Die traumhaften Wald- und Winterlandschaften beschwören die epische Weite der Welt herauf, wirken dabei aber nie bedrohlich, sondern bilden vielmehr den gelungenen Rahmen für diese reizende Geschichte.

Es ist eine Geschichte voller Atmosphäre, die mich sehr berührte und meine Sehnsucht nach einer besseren Welt (vielleicht sogar nach einer „heilen“ Welt) befeuerte. Es wäre so schön!


erschienen bei Annette Betz / ISBN: 978-3219119794
Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

LEKTÜRE zum FEST 2025…

Da ist sie wieder: meine liebste Zeit im Jahr! Auch nach all den Jahren, die ich nun schon auf dem Buckel habe, ist meine Freude an der Advents- und Weihnachtszeit nicht geschwunden, und ich habe mir immer noch ein kindliches Staunen bewahrt. Auch wenn ich Ende August aufstöhne, wenn ich mit T-Shirt und Shorts bekleidet vor den ersten Lebkuchen und Spekulatius im Supermarkt stehe, halblaut vor mir her schimpfe und Sätze wie „Das wird auch von Jahr zu Jahr früher!“ verlauten lasse. So verspüre ich doch innerlich ein verführerisches Kribbeln, das andeutet „Bald ist es soweit!“

Bald ist es soweit, und dann werde ich eine Vielzahl an Kartons aus dem Abstellraum kramen, sie öffnen, ihren Inhalt befreien, um ihn mit einer unbändigen Freude über die Zimmer unseres Heimes zu verteilen. Auch sind die Termine zu den vielfältigen und stimmungsvollen Weihnachtsmärkten der Region bereits in meinem Kalender notiert.

Doch meine Beschäftigung mit dieser besonderen Zeit begann schon viel früher: Bereits im Sommer habe ich in all den wundervollen Verlags-Vorschauen geblättert, um rechtzeitig meine Anfragen zweck Rezensionsexemplare für meine Lieblingsrubrik LEKTÜRE ZUM FEST starten zu können. Gleichzeitig warf ich aber wiederum einen Blick auf die Back-List der Verlage und bediente mich auch bei ihr.

Eine gute Geschichte wird nicht schlechter, nur weil ihre Veröffentlichung schon einige Zeit zurück liegt. Da wäre es doch sehr bedauerlich, wenn diese Bücher in Vergessenheit geraten würde, nur weil sie nicht mehr an vorderster Front in den Regalen der Buchhandlungen zu finden sind.



Auch in diesem Jahr habe ich mich bemüht, eine vielfältige Auswahl an Lektüre zusammenzustellen: So wird es poetisch, kriminalistisch, bildgewaltig, märchenhaft, klassisch,…!

Wir lassen uns durch die Saison geleiten mit einem literarischen Adventskalender und schmökern in Weihnachtsgeschichten von „schön bis schaurig“. So manches Verbrechen gilt es aufzuklären, bei dem zur Spannung auch das Lachen nicht zu kurz kommt. Wie bereits in den vergangenen Jahren schauen wir auch diesmal bei Ebenezer Scrooge vorbei. Nur anhand der Kraft der Illustrationen lassen wir uns eine entzückende Geschichte erzählen, bevor wir einem charmanten Telefonat zwischen Vater und Tochter lauschen. Dann amüsieren wir uns an einem perfekt unperfekten Weihnachtsfest, und müssen leider feststellen, dass der Wunsch nach Friede nie aus der Mode kommen wird.

Dies alles gibt es zu entdecken,…

  • NOCH 24 MAL SCHLAFEN. Ein literarischer Adventskalender/ ausgewählt von Ron Mieczkowski
  • Molly Thynne – EINGESCHNEIT MIT EINEM MÖRDER
  • Richard Johnson – ES WAR EINMAL EIN SCHNEESTURM
  • Kai Magnus Sting – TOD UNTER LAMETTA. Teil 1+2 (Hörspiel)
  • Kirsten Boie – DER WEIHNACHTSFRIEDEN/ mit Illustrationen von Claire Harrup
  • Beate Maly – ADVENT IM GRANDHOTEL. Eine Weihnachtsgeschichte
  • MEINE LIEBSTEN WEIHNACHTSGESCHICHTEN/ herausgegeben von Dirk Böhling
  • Rodolphe (nach Charles Dickens) – SCROOGE. Eine Weihnachtsgeschichte/ mit Illustrationen von Estelle Meyrand
  • SCHAURIGE WEIHNACHTEN. Klassische Horror- und Geistergeschichten/ ausgewählt von Jochen Veit
  • David Wagner – ALLE JAHRE WIEDER
  • Johanna Lindemann – DIE GESTOHLENE WEIHNACHTSGANS/ mit Illustrationen von Andrea Stegmaier

..und ich hoffe sehr, dass ihr beim Anblick meiner kleinen Auswahl eine unbändige Lust verspürt, selbst in die wunderbare Welt der Weihnachtslektüre einzutauchen. Es würde mich sehr freuen!

Ich wünsche Euch von Herzen eine wundervolle Adventszeit mit vielen inspirierenden Lese-Stunden!

Liebe Grüße
Andreas


P.S.: Wenn Planung und Wirklichkeit aufeinandertreffen, da kann so einiges passieren. Darum: Alle Angaben ohne Gewähr! 😉

[Rezension] Lisa Aisato – ALLE FARBEN DES LEBENS

Stimmen die Farben des Lebens bei allen Menschen überein? Oder gibt es signifikante Unterschiede? Verbinden alle Menschen immer dasselbe mit einer Farbe? Bringen wir alle mit ROT immer die Liebe in Verbindung? Ist GRAU für jede*n gleichbedeutend mit trüb und trist? Ist es nicht vielmehr so, dass wir Farben mit Situationen, Emotionen aber auch Düften in Verbindung bringen? Was sind somit die Farben des Lebens? Oder vielmehr: Welches sind die Farben meines Lebens?

Lisa Aisato, die mich mit ihren Illustrationen zu EINE WEIHNACHTSGESCHICHTE von Charles Dickens bereits so sehr begeistern konnte, hat mit ALLE FARBEN DES LEBENS ein Portfolio ihren Arbeiten zusammengestellt – sowohl Klassiker als auch bisher unveröffentlichte Werke.

Dabei stellte sie das Menschenleben in den Mittelpunkt. Wie ein roter Faden durchlaufen wir anhand ihrer Kunstwerke die verschiedenen Entwicklungsstufen aber auch die unterschiedlichen Empfindungen, die bei uns Menschen im jeweiligen Stadium präsent scheinen, wie z.Bsp. Liebe, Lust, Hoffnung, Ängste, Wut und Verzweiflung. Als roten Faden würde ich auch ihren begleitenden Text bezeichnen, der sich nie in den Vordergrund drängt, sondern der vielmehr „underscoring“ flankiert, um die Wirkung des Bildes nochmals zu verstärken.


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Wer beim Stil der Bilder Ausschau nach einem roten Faden hält, sucht vergebens, da die Werke zu unterschiedlichen Zeiten entstanden sind. Ich persönlich habe besagten roten Faden in keiner Weise vermisst, vielmehr habe ich die Abwechslung in den Stilen sehr genossen und als Bereicherung empfunden. Da haben einige Bilder eine berührende Realität und zeigen Gesichter voller Emotionen, aus denen Augen leuchten, die zu mir zu sprechen schienen. Andere wirken wie Aquarelle, auf denen Wassertropfen gelandet sind, die die Ränder sanft zum Verschwimmen brachten. Dann gibt es Illustrationen bei denen die Figuren wie Karikaturen wirken oder aus einem Comic entsprungen zu sein scheinen. Weitere Illustrationen haben mit ihren verschobenen Proportionen schon beinah einen surrealen Charakter.

Allen Kunstwerken ist gemein, dass sie – auch durch die jeweilige Farbgebung – eine sehr eigene Vitalität ausstrahlen und mich als Betrachter nie kalt ließen. Natürlich gab es da Abstufungen: Es gab Illustrationen, die mich mal mehr, mal weniger intensiv berührten. Doch alle lösten beim Betrachten etwas bei mir aus: Da spielte ein Lächeln um meine Lippen, ein nachdenkliches Runzeln kräuselte meine Stirn, mit einem tiefen Atemzug löste ich meine Spannung, oder tief bewegt suchte eine Träne ihren Weg über meine Wange.

Lisa Aisato gilt völlig zu Recht als Norwegens beliebteste und bekannteste Illustratorin: Hat sie doch ein untrügliches Gespür, in ihren Bildern die Empfindungen sichtbar zu machen. Mit ALLE FARBEN DES LEBENS ist ihr ein so zauberhaftes, lebensbejahendes, buntes, ergreifendes und mystisches Buch gelungen, das absolut vielfältig ist. Sie hat uns ein Kunstbuch und ein Bilderbuch aber auch ein Lebensbuch geschenkt, das mich nun sehr, sehr lange begleiten wird.

Apropos: Ich verbinde mit GRAU den Morgennebel im Frühjahr, der sich luftig auf die Niederungen am nahen Fluss legt und die Moorlandschaft wie verzaubert erscheinen lässt. Dieser Anblick entzückt mich immer wieder sehr!


erschienen bei Woow Books / ISBN: 978-3961770717 / in der Übersetzung von Neele Bösche

[Rezension] Marko Simsa – MEIN ERSTES BUCH VOM ORCHESTER. Willkommen in der Welt der Musikinstrumente/ mit Illustrationen von Christine Faust

Die Sommerpause neigt sich langsam dem Ende entgegen. Es dauert nicht mehr lange, und die Theater- und Konzerthäuser öffnen wieder ihre Türen für die Spielzeit 2025/2026. Auch mein Stammtheater, das Stadttheater Bremerhaven wird in wenigen Tagen in die neue Saison mit einem fulminanten Eröffnungs-Wochenende starten. Ich freue mich schon sehr…!

Und so endet mit MEIN ERSTES BUCH VOM ORCHESTER auch meine kleine Vorstellung von Literatur, die mir helfen sollte, die theaterlose Zeit zu überbrücken. Hierbei handelt es sich um einen erfolgreichen Klassiker aus dem Annette Betz-Verlag, der nach über 25 Jahren in einer überarbeiteten und neu illustrierten Fassung nun abermals veröffentlicht wurde, um weiteren Generationen an Kids die Welt der Musik näher zu bringen. Und dies gelingt Autor Marko Simsa mit Illustratorin Christine Faust und dem Orchester Camerata Wien unter der musikalischen Leitung von Erke Duit auch recht gut.

Lina ist aufgeregt: Sie darf Onkel Theo, der Dirigent ist, bei einer Orchesterprobe begleiten! Alle Musikerinnen und Musiker zeigen Lina ihre Instrumente. Dass die Geige sogar miauen kann und die Querflöte wie ein Vogel trillert, beeindruckt auch Kater Silvester: Lina durfte ihn ausnahmsweise mitnehmen! Mit Lina und ihrem Kater lernen Kinder spielerisch das Orchester kennen. Im Begleit-Hörbuch wird jedes Instrument in Tonbeispielen und Text vorgestellt. Zum Abschluss spielt das ganze Orchester zusammen beim großen Konzert!

 (Inhaltsangabe der Homepage des Verlages entnommen!)

Man merkt Marko Simsas Text deutlich an, dass er reichlich Erfahrung mit einem jungen Publikum hat: Charmant doch unaufgeregt erzählt er die Geschichte von Linas Begegnung mit den Musiker*innen und ihren Instrumenten. Dabei streute er immer wieder humorvolle Dialoge in die Handlung, blieb dicht an der kindlichen Erlebniswelt und ließ potentielle Fragen der kleinen Leser*innen in Vertretung durch Lina stellen. Sehr genau, doch nicht ermüdend detailliert erklärte er die einzelnen Instrumente – sowohl die Einzigartigkeit als auch die Gemeinsamkeiten – und ihre Spielweise und wies auf Besonderheiten hin, die die zukünftigen Orchesterfans bei ihrem nächsten Konzertbesuch selbst bei den jeweiligen Instrumenten im Orchestergraben entdecken könnten. Auch eine Erklärung zu den jeweiligen Instrumentengruppen, die sich in einer besonderen Aufstellung schlussendlich zu einem Orchester formieren, fehlte selbstverständlich ebenso wenig.

Christine Faust blieb mit ihren Illustrationen ebenso nah an der kindlichen Erlebniswelt wie Simsa mit seinem Text. Mit klaren Formen und Farben kreierte sie sympathische Figuren mit einer sehr individuellen Optik, die ein Wiedererkennen der Musiker*in auf den Folgebildern erleichterten, Details hervorhoben und so eine deutliche Unterscheidung der Instrumente möglich machten.

Die beigefügte CD kann beinah als eigenständiges Medium gesehen werden: Zwar nimmt Sprecher Marko Simsa durchaus Bezug auf das Bilderbuch, doch gestaltete den Text nicht als bloße Nacherzählung der Bilderbuchhandlung, sondern er hob diesen auf eine zusätzliche Erzählebene.

Vielmehr legte er den Schwerpunkt deutlich mehr auf die einzelnen Instrumente, erläuterte anhand vieler Musikbeispiele, wie unterschiedlich die Instrumente bei ein und derselben Melodie klingen und schloss die Vorstellung der einzelnen Instrumente mit einer Passage aus dem klassischen Repertoire, bei dem das jeweilige Instrument besonders prägnant hervortritt. Bei der Musikauswahl wählte er beliebte Kinderlieder und bekannte klassische Stücke, die sicherlich einen hohen Wiedererkennungswert beim jungen Publikum haben.

Beste musikalische Unterstützung erhielt er durch Dirigent Erke Duit und den Musiker*innen des Orchesters Camerata Wien, die die CD mit einem gelungenen „Mini-Konzert“ beschlossen und so verdeutlichten, wie wunderschön es klingt, wenn die Instrumente der einzelnen Gruppen sich zu einem harmonischen Klangkörper vereinen.

Die Geschichte von Ninas Besuch bei einem Orchester mag für viele wie ein Märchen klingen, doch vielen Orchestern liegt die Musikvermittlung an Kinder und Jugendliche sehr am Herzen, wie auch dem Philharmonischen Orchester Bremerhaven. Da gibt es beim FAMILIENKONZERT immer ein musikalisches Vorprogramm im oberen Foyer des Stadttheaters Bremerhaven, bei dem die Kids unter Anleitung der Orchester-Profis Instrumente kennenlernen und ausprobieren können. Zudem gibt es unter dem Motto MUSIK FÜR ALLE vielfältige Kooperationen mit Kitas und Schulen.


erschienen bei Annette Betz / ISBN: 978-3219120615
Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

[Rezension] Susa Hämmerle – DORNRÖSCHEN. Das Ballett nach Peter Iljitsch Tschaikowsky/ mit Illustrationen von Anette Bley

Krachend fallen nach und nach die Eingangstüren der Theater unserer Republik in die Schlösser. Unzählige Schlüssel drehen sich in eben diesen, um sie zu verschließen. Frühestens in 8 Wochen drehen besagte Schlüssel sich wieder in die andere Richtung, um dem Publikum zur Spielzeit 2025/2026 wieder Einlass in die heiligen Hallen der Musentempel zu gewähren. Auch mein Stamm-Theater hat sich in die Sommerpause verabschiedet, und so versuche ich mich – wie in jedem Jahr – mit Lektüre rund um das Thema Theater abzulenken, um die theaterlose Zeit möglichst kurzweilig zu überstehen.

Mit DORNRÖSCHEN, dem zauberhaften Märchenballett von Peter Iljitsch Tschaikowsky habe ich mir ein Werk ausgesucht, das in der nächsten Saison auch an meinem Stamm-Theater zur Aufführung kommen wird. Beim 3. Familienkonzert wird das Philharmonische Orchesters Bremerhaven unter der musikalischen Leitung von Hartmut Brüsch die gelungene Kooperation mit der Ballettschule Dance Art fortführen. Irina und Marius Manole werden mit den Schüler*innen ihrer Ballettschule sicherlich wieder eine wunderbar kindgerechte wie phantasievolle Choreografie für das junge Publikum erstellen. Bis es soweit ist, muss ich mich leider beinah ein Jahr gedulden.

Wie schön, dass ich mich mit diesem Buch ein wenig trösten konnte: Und so warf ich die beigefügte CD in den Player, setzte mich mit dem Buch bewaffnet gemütlich in meinen Lesesessel, schlug die erste Seite auf und drückte bei der Fernbedienung auf „Play“…


HINWEIS: Bei der obigen Aufnahme handelt es sich nicht um die, die dem Buch beigefügt ist. Es ist eine ältere Aufnahme, und sie dient nur dazu, einen Eindruck von der Musik zu vermitteln.

Susa Hämmerle lieferte wieder eine wunderbare Nacherzählung der Handlung und würzte diese mit witzigen Dialogen, die den Personen mehr Profil verliehen. Sie schuf so eine gelungene Textfassung, die zum Vorlesen prädestiniert ist und genügend Anknüpfungspunkte für die Musik bietet.

Doch so wohlgeraten der Text auch ist, die Schwerpunkte und somit das Hauptaugenmerk liegen bei einem MUSIKalischen BILDerbuch aus dem Annette Betz-Verlag nun einmal auf MUSIK und BILD.

Bei der beigefügten Aufnahme griff man abermals auf das Archiv des renommierten NAXOS-Labels zurück, deren Einspielungen von einer hohen Qualität sind und somit oftmals eine gute Wahl darstellen. Diesmal entschied man sich für eine Einspielung aus dem Jahre 1988 mit dem Tschechisch-Slowakischem Staatsorchester unter der Leitung von Andrew Mogrelia, die Tschaikowskys Kompositionen mit der richtigen Mischung aus theatralem Druck und träumerischen Schmalz „über die Rampe“ brachten. Dabei wurde die beinah 3-stündige Original-Aufnahme auf kindgerechte 62 Minuten eingekürzt, wobei die bekannten Melodien erhalten blieben, allerdings einige Passagen etwas abrupt endeten – ein Umstand, der für die Kids sicherlich eher von geringem Belang ist.


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Schon mit dem ersten Bild verdeutlicht die Künstlerin Anette Bley nicht nur die enge Bindung des Werkes zur Bühne, sondern sie schuf auch einen gelungenen Einstieg in die Geschichte. Als Betrachtender dieses Bilderbuches versetzt sie mich in die Rolle des Zuschauers. Ich sitze im Saal eines Theaters und werfe einen Blick über den Orchestergraben zur Bühne. Während die Musiker noch ihre Instrumente stimmen, sitzt der Komponist höchstpersönlich am linken Bühnenrand und notiert in aller Eile noch einige Änderungen in seiner Partitur. Von der Seitenbühne schlendern die Protagonist*innen auf die Bühne, huschen durch den leicht geöffneten Vorhang und begeben sich im dahinter befindlichen Bühnenbild in Position. Es bleiben nur noch wenige Augenblicke bis zum Beginn der Vorstellung, der Dirigent hebt seinen Taktstock, und dann kann das Spiel beginnen.

Weich und fließend fügen sich die Figuren in ein detailreiches und zauberhaftes Setting. Jede Figur überzeugt durch eine prägnante Physiognomie und einem individuellen Kostümdesign, die es den Kids leichter macht, die Figuren auch auf den nachfolgenden Illustrationen wiederzuerkennen. Doch unbedingt sollten nicht nur die Hauptpersonen beachtet werden. Vielmehr bin ich mit meinem Blick auch an den Rand des Geschehens gewandert und habe dort etliches entdeckt, das mich sehr amüsiert hat. Da lohnt es sich, den Fokus auch auf die Nebenrollen zu lenken und darauf zu achten, wo sie im Laufe der Geschichte immer mal wieder auftauchen. Da lugt mal hier eine markante Nase um die Ecke, da schauen mal dort Füße hinter dem Sessel hervor, und auch das, was ich durch eine geöffnete Tür im Hintergrund erspähte, erheiterte mich sehr.

Anette Bley hat wahrlich märchenhafte Bilder kreiert, bei denen ich besonders die wundervolle Harmonie der Farben hervorheben möchte, die dafür sorgt, dass die Illustrationen beinah sphärisch wirken.

Schier endlos lange elf Monate dauert es noch, bis die entzückenden Figuren dieses Märchenballetts auf der Bühne meines Stamm-Theaters ihre Gestalt annehmen und endlich zu tanzen beginnen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich bis dahin wirklich so viel Geduld aufbringen kann! 🤩


erschienen bei Annette Betz / ISBN: 978-3219112122

[Rezension] Alison Green – WILLKOMMEN. Ein Buch über Freundschaft/ mit Illustrationen von Axel Scheffler

„Willkommenskultur“ – dieses Wort war im Zuge der (s.g.) Flüchtlingskrise in aller Munde. Doch was versteckt sich hinter diesem Wort? „Willkommenskultur“ beschreibt eine positive Einstellung und ein wertschätzendes Verhalten gegenüber Menschen, die in einem Land willkommen geheißen werden. Grundvoraussetzung für diese positive Einstellung sind Offenheit und Akzeptanz bei allen Beteiligten. Aber eine „Willkommenskultur“ spielt sich nicht nur auf der großen Weltbühne sondern auch im Kleinen, in meiner Gemeinde, in meiner Nachbarschaft, bei mir zuhause ab. Auch dort ist es wichtig, dass ich Menschen, die vielleicht nicht aus dem mir bekannten Erfahrungsraum stammen, mit Offenheit und Akzeptanz begegne, mit dem Wunsch, dass wir eine gute Zeit miteinander verbringen.

Wenn mich Fremdartiges ängstigt, dann hilft es, es besser kennenzulernen. Wir machen uns einander bekannt in der Hoffnung, dass aus Fremden Freunde werden. Dieses Verhalten kann nicht früh genug gefördert werden. Besonders Kinder sind da mit einer wunderbaren Neugier und einer bewundernswerten Unbefangenheit ausgestattet. Beides wird erst durch den Einfluss Erwachsener begrenzt. Dieses reizende Bilderbuch setzt dem ein Statement entgegen und feiert die große bunte Vielfalt.

Hier ist jeder herzlich willkommen – ob er klein ist oder groß, ob er flattert oder springt. Viele nette Tiere zeigen dir, was Freundschaft bedeutet und wie man andere willkommen heißt: zusammen spielen und lachen, genauso wie etwas miteinander zu teilen und sich nach einem Streit wieder vertragen. Manchmal reichen schon kleine Gesten, wie jemanden an die Pfote zu nehmen, damit sich jeder angenommen fühlt. Stell dir mal vor, alle in dieser Welt wären Freunde und jeder würde sich willkommen fühlen. Lasst uns alle mithelfen, damit das gelingt.

(Inhaltsangabe der Homepage des Verlages bzw.
dem Klappentext des Buches entnommen!)


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Axel Scheffler – Illustrator vom allseits bekannten „Grüffelo“ – hat wieder zugeschlagen. Nun sind mir persönlich die Abenteuer des Grüffelos nicht bekannt. Vielmehr habe ich die Bekanntschaft mit Schefflers Bildern bei TAGEBUCH EINER KILLERKATZE und DIE FLÖHE IN DER OPER gemacht und empfand sie immer sehr stimmig zur Handlung.

Hier schuf er zum einfachen aber klaren und einfühlsamen Text von Alison Green eine drollige, farbenfrohe und abwechslungsreiche Tierschar, die einerseits die Besonderheiten der jeweiligen Art erkennen lässt, doch vielmehr die Gemeinsamkeiten hervorhebt. Diversität wird hier gefeiert und somit auch ein mit- und voneinander lernen. Der Fokus liegt deutlich darauf, was die Tiere vereint bzw. vereinen könnte, nicht auf das, was sie trennen würde.

So schuf Scheffler ein wunderbares Anschauungsmaterial für Kids, die vielleicht ähnliche Situationen wie die Tiere erleben, und dank dieses Buches spielerisch Möglichkeiten zum Handeln vermittelt bekommen.

Dieses Buch ist ein entzückendes Plädoyer für Toleranz und Respekt, die für mich die Grundlage für ein friedliches Miteinander sind. „Stell dir mal vor, die ganze Welt wäre wie dieses Buch – alle wären nett…“ steht im Buch geschrieben. Ja, das wäre schön, und die Kids hätten eine solche Welt so sehr verdient.

❤️🧡💛💚💙
Sorgen wir dafür, dass unsere Kinder
in einer regenbogenbunten Welt leben dürfen!
💙💚💛🧡❤️


erschienen bei Beltz & Gelberg / ISBN: 978-340775990 / in der Übersetzung von Adélie Scheffler und Axel Scheffler
Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

[Rezension] Štěpán Zavřel – TRAUM VON VENEDIG

Venedig: bunt und lebhaft, melancholisch und morbide, weltoffen und voller Geheimnisse, zwischen Tradition und Moderne, Sehnsuchtsort vieler Hochzeitsreisender – dies alles (und noch so viel mehr) steht für die mythenumrankte Lagunenstadt an der Adria. Auch viele Literaten konnten sich ihrem Zauber nicht entziehen, schöpften aus ihr die Inspiration und wählten sie als Handlungsort für ihre Werke: Thomas Manns „Tragödie einer Entwürdigung“ gipfelte in TOD IN VENEDIG, Donna Leon schickt Commissario Brunetti seit VENEZIANISCHES FINALE stetig durch die Gassen dieser Stadt, und auch der berüchtigte Giacomo Casanova erlebte amouröse ABENTEUER IN VENEDIG.

Was hier so romantisch-harmlos klingt, birgt auch große Gefahren für die Stadt. Die Menschenmassen, die sich täglich touristisch über die Stadt ergießen, die großen Kreuzfahrtschiffe, die in einen Hafen einlaufen, der nicht für sie geschaffen ist, und zudem die zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels: Sie verändern das Leben in Venedig. Dies erkannte schon in den 70er Jahren der Künstler Štěpán Zavřel und schuf mit TRAUM VON VENEDIG ein phantasievolles Bilderbuch, das zum Träumen verführt aber auch einen ernsten Unterton besitzt.

Inspiriert von einem Bild, das Marco in der Schule gemalt hat, träumt er sich des Nachts in eine zauberhafte Welt: Seine Heimatstadt Venedig ist plötzlich gänzlich unter dem Meeresspiegel. Eine kleine Meerjungfrau lädt ihn ein, mit ihr gemeinsam durch die versunkene Stadt zu tauchen. Sie schwimmen vorbei an all den bekannten Gebäuden und Sehenswürdigkeiten, die nun im schemenhaften Licht, das sich durch das Wasser bricht, noch viel geheimnisvoller erscheinen. Doch das viele Wasser schadet zunehmend der Stadt, und es ist fraglich, wie lange diese Schönheit noch erhalten bleibt…!


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Bereits Ende der 60er Jahre hatte Štěpán Zavřel die Idee, mit dem Bohem-Verlag eine Institution zu gründen, die den Kindern durch Bilderbücher die Kunst näher bringen sollte. So ist dieses Buch sein kunstvolles Vermächtnis, die Kinder für die Schönheit Venedigs zu sensibilisieren, und gleichzeitig sein Appell, die Stadt zu schützen.

Seine Bilder sind alles andere als naturalistisch, vielmehr verstärken sie mit ihrem Stil die märchenhafte Komponente der Geschichte. Zwar ist Venedig mit den markanten Bauwerken klar wiederzuerkennen, doch sind die Formen schmeichelnd rundlich. In den Bildern fächert sich das Panorama der Stadt harmonisch vor den Augen der Betrachtenden auf. Ebenso harmonisch wählte Zavřel auch seine Farben: Sie wechseln nuancenreich von Blau zu Grün, von Gelb über Orange zu Rot. Mit helleren Farben setzte er gekonnt Akzente und deutete Lichtreflexe an. Wasserpflanzen umspielen wunderbar schwebend und fließend die Architektur der Stadt und lassen diese geheimnisvoll erscheinen. Die Gebäude wirken, als würden sie sich gemeinsam mit der Vegetation im Wasser sanft hin und her wiegen. Seine Kunstwerke sind (passend zum Titel des Buches) traumhaft schön.

Anlässlich des 20. Todestages von Štěpán Zavřel erschien im Jahre 2019 seine Hommage an diese außergewöhnliche Stadt in einer limitierten Sonderedition, die mich sowohl absolut beeindruckt wie auch ganz und gar begeistert hat.


erschienen bei Bohem / ISBN: 978-3855815753

[Rezension] José-Louis Bocquet (nach Georges Simenon) – DER PASSAGIER DER POLARLYS/ mit Illustrationen von Christian Cailleaux

Nachdem der Carlsen-Verlag schon einige Werke von Dame Agatha Mary Clarissa Christie, Lady Mallowan, DBE (kurz: Agatha Christie 😉) in Form der Graphic Novel ins Rennen um die Gunst der Krimi-Fans geschickt hatte, hielt mit Georges Simenon nun ein weiteres Schwergewicht der Kriminalliteratur Einzug ins Portfolio des Verlages. Nun sind Simenons Romane nicht so gefällig wie die seiner britischen Kollegin, nehmen aber völlig berechtigt einen wichtigen Platz auf dem Krimi-Olymp ein. Zudem wählte der Verlag für Simenons Einstand nicht etwa eine Geschichte mit dem weltberühmten Kommissar Maigret, vielmehr fiel die mutige Wahl mit DER PASSAGIER DER POLARLYS auf einen der weniger bekannten Romane.

Schon bevor die Polarlys den in frostigen Nebel getauchten Hamburger Hafen Richtung Norwegen verlässt, beschleicht Kapitän Petersen ein ungutes Gefühl. Er spürt etwas, was die Seemänner den »bösen Blick« nennen, und ahnt, dass diese Fahrt keine gewöhnliche wird. Auch der inkompetente, ihm von seinem Arbeitgeber als Dritter Offizier zugeteilte junge Niederländer gefällt ihm nicht. Noch weniger der gerade aus dem Gefängnis entlassene Rumtreiber, den der Maschinist als Ersatz für den erkrankten Heizer an Bord genommen hat. Tatsächlich lässt das Unheil nicht lange auf sich warten, denn schon einen Tag nach Lichten des Ankers wird an Bord einer der fünf Passagiere, der Polizeirat Sternberg, ermordet aufgefunden – und an Verdächtigen mangelt es nicht…

(Inhaltsangabe der Verlagsseite des Romans entnommen!)

Sowohl Agatha Christie wie auch viele ihrer Kolleg*innen, die das goldene Zeitalter der britischen Krimis prägten, siedelten die Handlungen ihrer Werke gerne in der gehobenen Mittelschicht bis hinauf zum Adel an und präsentierten so kauzige Typen in einem gediegenen Ambiente voller Luxus aber auch mit mehr Schein als Sein.

Simenon hingegen porträtierte Typen der Unterschicht: Hier ging es immer etwas direkter, schnörkelloser und handfester zu. Auch Sex und Erotik wurden da nicht nur schamhaft angedeutet. Zudem wurde nicht auf edlen Landsitzen sondern in räudigen Hinterhöfen gemordet. Der Umgangston der Straße war deftig und manches Mal deutlich ordinärer als vergleichsweise in einem malerischen englischen Cottage. 


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Die literarische Vorlage zur Graphic Novel DER PASSAGIER DER POLARLYS ist mir leider nicht bekannt. Doch mit dem Wissen um die Attribute Simenons Werke, gestatte ich mir die Einschätzung, dass es José-Louis Bocquet gelungen ist, ein stimmiges Szenario zu kreieren, in dem der raue, wortkarge Umgangston, der an Bord eines Passagier- und Frachtschiffes vorherrscht, gut getroffen wurde.

Georges Simenon ist für mich ein Meister im Erschaffen von Atmosphäre. Er beherrschte die seltene Kunst, mit nur wenigen Sätzen punktgenau ein Milieu zu schildern. Wenige Sätze, manchmal nur Wörter genügen mir, und vor meinem inneren Auge entsteht das entsprechende Setting der Geschichte. Die Umsetzung besagter Atmosphäre in Bilder ist Christian Cailleaux mit seinen Illustrationen ganz und gar wunderbar gelungen. Mit der Wahl der jeweiligen Physiognomien zum Handlungspersonal skizziert er gestrauchelte und somit vom Leben gezeichnete Charaktere. Er verweigert uns „Schönmalerei“ und entwirft ambivalente Figuren mit Ecken und Kanten. Auch sein Setting, sozusagen das Bühnenbild entspricht diesem Konzept: Er verwehrt Simenons Welt eine allzu lebensbejahende Farbigkeit. Alles wirkt gedämpft, dumpf, trostlos – und gleichzeitig beängstigend, so als würde hinter jeder Kabinentür eine Gefahr lauern. 

„Ist es so, dass das Genre der Graphic Novel mir nicht zu liegen scheint?“ zweifelte ich vor einiger Zeit selbst an mir. Dank der Lektüre von DER PASSAGIER DER POLARLYS zweifle ich nun sehr viel weniger. Was hier geschaffen wurde, ist nicht nur ein schnöder Unterhaltungs-Comic, vielmehr wurde ein Klassiker der Kriminalliteratur als eine äußerst gelungene Graphic Novel wiedergeboren.


erschienen bei Carlsen / ISBN: 978-3551804204 / in der Übersetzung von Christoph Haas
ebenfalls erschienen als Roman bei Hoffmann und Campe / ISBN: 978-3455006315 und als Taschenbuch bei Atlantik / ISBN: 978-3455008050 
Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!