[Rezension] Janosch – Morgen kommt der Weihnachtsbär

Bisher hatte ich mit Janosch kaum Berührungspunkte: Während meiner eigenen Kindheit war er mir nicht präsent, als Heranwachsender hätte ich seine Bücher als „uncool“ abgestempelt, und im frühen Erwachsenenalter mangelte es in meinem Umfeld an Kindern im entsprechenden Alter, die für eine Anknüpfung hätten sorgen können. Und so ist dieses kleine Büchlein aus dem Reclam-Verlag mein erster intensiverer Kontakt mit diesem modernen Märchenerzähler.

Apropos Reclam-Verlag: Ich bin immer wieder erstaunt, welche Bandbreite an Autor*innen und Themen es zwischen dem gelben Einband der nur 10 x 14,5 cm großen Heftchen zu entdecken gilt. Lange Zeit haftete dem Verlag – völlig zu Unrecht – das Image der schnöden Schüler-Lektüre an. Doch mir dienten die Publikationen in der bekannten Optik so manches Mal als hilfreiche Vorbereitung auf einen Opern- oder Schauspiel-Abend. In der Zwischenzeit hat Reclam sich auch im Hardcover-Bereich etabliert und begeistert mit Büchern in besonderer Ausstattung. Doch nach wie vor verfolgt dieser Verlag sein vor Hunderten von Jahren festgelegtes Ziel, Weltliteratur für kleines Geld zu publizieren, um diese jedem und jeder zugänglich zu machen. Und so verwundert es kaum, dass der Verlag auch einige Werke eines Allrounders wie Janosch in die Galerie ihrer (modernen) Klassiker einreiht.

Der Weihnachtsbär macht seinen alljährlichen Rundgang, um die Wunschzettel einzusammeln. Manche Wünsche sind schon recht ungewöhnlich, andere dagegen wenig überraschend: Da wünscht sich das kleine Roselchen einen Tiger, kann aber vom Weihnachtsbär auf eine Katze runtergehandelt werden, und die Mäusemutter Anneliese hätte gerne wie in jedem Jahr die aktuelle Ausgabe der Gelben Seiten, da die so lecker nach Zitrone schmecken. In der Zwischenzeit ist der Quasselkasper auf der Suche nach einer Wurstelbude, landet aber in der Hütte des Oberförsters und wird dort von dessen Frau als Krippenpersonal rekrutiert. Dabei hat der Oberförster ganz andere Sorgen: Er müsste die gemopsten Tannenbäume aus dem Wald der oberforstamtlichen Behörde melden, findet aber allzu menschliche Gründe, warum er es unterlässt. Währenddessen ist der charmante Hallodri Kater Mikesch auf der Suche nach einem behaglichen Unterschlupf über die Feiertage. Doch die Damen, die er mit seiner Anwesenheit „beehrt“, werden ihm alle allzu anspruchsvoll. Der Weihnachtsbär sammelt weiterhin die Wunschzettel ein: Der blinde Maulwurf würde sich über eine Illustrierte mit Bildern freuen. Der kleine Bär hätte gerne eine fetzige Krawatte, und der kleine Tiger wünscht sich an Weihnachten Schnee. Diesen Wunsch kann der Weihnachtsbär auf jeden Fall erfüllen, denn schließlich ist er gut befreundet mit Frau Holle…!

Janosch erzählt liebevoll seine Geschichten über kleine und große Wünsche, von tierischen Gesellen und allzu menschlichem. Und wie jeder gute Geschichtenerzähler versteckt er seine Botschaften dezent und leise und lässt sie sanft in die Handlung einfließen. Er verpackt sie in einer humorvollen, mal flapsigen, mal skurrilen Sprache, die amüsiert und aufhorchen lässt. Seine phantasievolle und warmherzige Art, Geschichten zu erzählen, findet sich auch in seinen Illustrationen wieder. Dabei überzeugt er mit einem ganz eigenen Stil, der Figuren wie der kleiner Bär, der kleiner Tiger und die Tigerente als seine Schöpfungen unverkennbar machen und so einen hohen Wiedererkennungswert haben.

Dieses kleine charmante Büchlein erfreute mich als Erwachsener ebenso, wie es sicherlich auch schon so manches Kind erfreut hat bzw. erfreuen wird. Zudem eignet es sich mit seinen 24 Kapiteln hervorragend als literarischer Adventskalender, der zum Vorlesen verführt. Eine ganz und gar bezaubernde Lektüre…!


erschienen bei Reclam / ISBN: 978-3150143124

ebenfalls erschienen bei Little Tiger/ ISBN: 978-3931081423

LEKTÜRE zum FEST…

TATA! Ich bitte um einen Tusch! Kaum haben wir uns von T-Shirts und Shorts getrennt und sie zur Winterruhe gebettet, da steht WAS vor der Tür? Nein, nicht das Christkind und auch nicht der Weihnachtsmann – aber es wird Zeit für meine von mir so heißgeliebte Rubrik LEKTÜRE ZUM FEST.

Und wieder habe ich eine Auswahl sowohl aus den Neu-Erscheinungen wie auch der Back-List getroffen. Dabei bin ich (natürlich) mehr als nur geringfügig fündig geworden. Wenn dies Jahr für Jahr so weitergeht, dann benötige ich für meine LEKTÜRE ZUM FEST bald einen eigenen Raum, ein eigenes Regal hat sie schon…!

Selbstverständlich darf beim Fest der Liebe auch ein zünftiger Weihnachts-Krimi nicht fehlen,…

  • Gladys Mitchell – Geheimnis am Weihnachtsabend
  • Eine Leiche zum Advent. Das große Buch der Weihnachtskrimis/ herausgegeben von Otto Penzler/ mit Illustrationen von Melanie Korte
  • Oliver Schlick – Rory Shy, der schüchterne Detektiv

Übersicht LEKTÜRE ZUM FEST 2022

...aber ich hoffe natürlich sehr, dass ich Euer Interesse ebenso für meine Auswahl an Klassikern, Erzählungen und Bilder-Büchern wecken kann, und – Wer weiß? – vielleicht verlockt Euch die eine oder andere Geschichte, sie in gemütlicher Zweisamkeit oder im Kreise Eurer Lieben vorzulesen. Es würde mich freuen!

  • Dawn Casey – Wir warten auf Weihnachten. mit den schönsten Wintergeschichten aus aller Welt/ mit Illustrationen von Zanna Goldhawk
  • Janosch – Morgen kommt der Weihnachtsbär
  • L. Frank Baum – Die abenteuerliche Geschichte des Weihnachtsmannes
  • Die Wunder zu Weihnachten. Geschichten, die glücklich machen/ herausgegeben von Clara Paul
  • Rainer Moritz – Fräulein Schneider und das Weihnachtsturnier
  • Froh und munter. Mit Weihnachtsgeschichten von F. Scott Fitzgerald, Sue Hubbell, Joan Aiken u.v.a./ herausgegeben von Shelagh Armit und Marie Hesse
  • O. Henry – Das Geschenk der Weisen. Und andere Weihnachtsgeschichten
  • Monika Utnik-Strugata – Die schönste Zeit. Weihnachten in aller Welt/ mit Illustrationen von Ewa Poklewska-Kozietto
  • Nikolai Gogol – Die Nacht vor Weihnachten/ mit Illustrationen von Mehrdad Zaeri

Ich wünsche Euch von Herzen sowohl kriminalistische wie auch besinnliche Lese-Stunden!

Liebe Grüße
Andreas


P.S.: Wenn Planung und Wirklichkeit aufeinandertreffen, da kann so einiges passieren. Darum: Alle Angaben ohne Gewähr! 😉


[Rezension] Emily Joe – Katzen können Geister sehen

Alle menschlichen Dosenöffner, Milchtrittmatratzen und Kraulexperten kennen sie – diese Allüren, die jede Katze hin und wieder befallen: Eben liegt der weltbeste Stubentiger noch still und entspannt auf dem Sofa, im nächsten Moment gebärdet er sich wie ein Derwisch und rast mit aufgeplusterten Schwanz durch die Wohnung. Als nur unzureichend mit Sinnen ausgestattetes Wesen reagieren wir Menschen häufig mit einem überraschten Unverständnis.

Emily Joe liefert mit ihrem entzückenden Bilderbuch endlich eine plausible Erklärung: Katzen können Geister sehen. Na logisch, das erklärt alles! Die Sinne der Katzen sind um ein Vielfaches feiner als die von uns Menschen. Sie können nicht nur die Mäuse unter der Erde spüren, das Gras wachsen hören sondern (selbstverständlich!) auch Phänomene sehen, die uns Menschen verborgen bleiben.


Emily Joe. KATZEN KÖNNEN GEISTER SEHEN


Ihre Illustrationen sind witzig, markant und dynamisch und spiegeln die Persönlichkeit der Katzen auf charmante Weise wieder. Gleichzeitig vernachlässigt sie nicht das Schaurige in dieser „Gruselgeschichte“ und lässt uns die Geister in ihren Illustrationen erahnen: Da taucht mal hier, mal dort ein dubioser Schatten auf dem Papier auf. Dabei wirken ihre Bilder nie allzu bedrohlich und eignen sich so hervorragend zum gemeinsamen Betrachten mit den Kleinsten. Zudem bietet sie mit dieser niedlichen Reimgeschichte die Möglichkeit, schon junge Zuhörer*innen spielerisch an die Lyrik heranzuführen.

Da ich das englische Original nicht kenne, kann ich leider nicht beurteilen, ob das manchmal etwas holperige Versmaß, das ein flüssiges Vorlesen etwas hemmt, so schon im Ausgangstext zu finden ist oder in der Übersetzung begründet liegt. Dies schmälert jedoch nicht die Freude beim Betrachten dieses Bilderbuchs.

Ich habe übrigens aufgegeben, mich über die besagten Allüren bei meinem Kater zu wundern. Aus seiner Sicht macht alles Sinn, und wer bin ich, um sein Verhalten zu hinterfragen. Schließlich sind die Aufgaben klar definiert: Er ist dazu da, um die Geister zu verscheuchen, und ich bin dazu da, um ihn liebzuhaben. 🐱


erschienen bei aracari / ISBN: 978-3907114254 / in der Übersetzung von Jana Grohnert

Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

[Rezension] Oscar Wilde – Das Gespenst von Canterville/ mit Illustrationen von Aljoscha Blau

Oscar Wilde hätte es sich sicherlich sehr gewünscht aber damals – unter realistischen Gesichtspunkten – nie zu träumen gewagt, dass seine erste veröffentlichte Geschichte ein weltweiter Erfolg werden würde. Seit ihrer Erstveröffentlichung im Jahre 1887 in der Londoner Zeitschrift The Court and Society Review erfreut diese Grusel-Mär in unzähligen Auflagen und vielfältigen Erscheinungsformen die Leserschaft. Und dank seiner originären Handlung hat die Geschichte den Sprung auf die Leinwand und ins Fernsehen geschafft und begeistert ebenso als Schauspiel, Musical oder Oper das Theaterpublikum.

Der amerikanische Gesandte Hiram B. Otis reibt sich begeistert die Hände: Er hat soeben vom amtierenden Lord Canterville das Familienanwesen nebst Hausgeist käuflich erworben. Doch die Warnung des Lords vor eben diesem Gespenst, das seit Hunderten von Jahren im Schloss sein Unwesen treibt und schon so manchen Bewohner in den Wahnsinn getrieben hat, schlägt er leichtfertig in den Wind. Schließlich kommt er aus der neuen Welt und ist sowohl ein modern denkender Mensch als auch waschechter Republikaner. Für übernatürliche Phänomene fehlt ihm schlicht das Verständnis. So zieht Mr. Otis zusammen mit seiner Gattin Lucretia, dem ältesten Sohn Washington, seiner Tochter Virginia und den Zwillingen „The Star and Stripes“ in ihr neues Heim. Der Geist gibt sein Bestes, die neuen Hausbesitzer gebührend zu empfangen, und lässt seine Ketten gar schauerlich nächtens rasseln. Ein Umstand der Mr. Otis veranlasst, ihm eine Flasche Schmieröl auszuhändigen mit der freundlichen aber bestimmten Aufforderung, er möge seine Ketten ölen. Das Gespenst von Canterville ist erschüttert über diese bodenlose Respektlosigkeit und droht mit drastischeren Maßnahmen. Dummerweise hat er nicht mit dem vehementen Widerstand der Familie gerechnet. Nur Virginia hält sich diskret aus dem sich immer weiter zuspitzenden Scharmützel heraus…!

Mit schallendem Gelächter quittierte ich so manche gelesene Passage, schmunzelte über gelungene Wortspielereien und erfreute mich an ironischen Seithiebe. Schon in seiner ersten Geschichte zeigt sich Oscar Wildes meisterhaftes Erzähltalent. Mit scheinbar spitzbübischer Freude platziert er seine Kritik an der damaligen Gesellschaft, indem er zwei völlig konträre Lebensentwürfe gegenüberstellt. Bei ihm trifft die neue Welt auf die alte Welt, Rationalität auf Romantik, Fortschritt auf Konventionen. Diese beiden Extreme können doch nicht zusammen passen (oder?) – noch nicht einmal in Bezug auf die Sprache, wie Wilde süffisant in einem Nebensatz verlauten lässt. Dabei streut er humoristische Anspielungen über die Geschichte und spielt genüsslich mit Klischees.


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Allein die Wahl der Namen des Handlungspersonals entlockte mir ein Schmunzeln: Schon der Familienname der Amerikaner lässt aufhorchen. Schließlich ist die Firma „Otis“ in den USA seit ihrer Gründung im Jahre 1853 führend in der Erstellung von Aufzugsanlagen und steht für Fortschritt und Innovation. Sollte dies dem Autor etwa als Metapher dienen? Etwa im Sinne von: So wie man mit dem Lift auf höheren Ebenen gleitet, so steigt auch unsere amerikanische Familie innerhalb der europäischen High Society auf. Auch lässt es sich unser Familienoberhaupt – ganz Patriot – nicht nehmen, seine Kinder mit passenden Namen zu bedenken. Und auch der Vorname seiner Gattin erlaubt Assoziationen mit der historischen Persönlichkeit der Lucrezia Borgia, die machthungrig gerne an den politischen Strippen zog und nach Höherem strebte.

Der Gegenpart ist geprägt durch eine über die Jahrhunderte gepflegte Familiengeschichte, die durch pikante Anekdoten und halb-wahren Histörchen gewürzt wurde: Oscar Wilde lässt sein Gespenst besonders viel Wert auf Respekt und Etikette legen. Dieser (von Wilde häufig kritisierter) Konformismus sorgt für Stabilität im gesellschaftlichen Gefüge, in dem jeder weiß, wo sein Platz ist, und welche Rolle er zu spielen hat. Apropos: Das Gespenst schlüpft voller Enthusiasmus in immer neue gruselige Rollen (ein Hinweis auf Englands alte Theatertradition) in der Hoffnung, die Familie damit endlich erfolgreich vertreiben zu können. Diese wiederum kontert mit dem Einsatz moderner Hilfsmitteln, denen das Gespenst nichts entgegenzusetzen weiß.

Der Künstler Aljoscha Blau schuf für dieses feine Büchlein aus der Insel-Bücherei neun ganzseitige Illustrationen, die die Geschichte unterstützend begleiten, und wählte hierzu eher gedeckte Töne und Schattierungen. Bei der Physiognomie der Figuren lässt der Künstler dem Betrachter eine Familienähnlichkeit erkennen, sei es beim Geist zu seinem noch lebenden Nachkommen wie auch innerhalb der Familie Otis. Nur Virginias Erscheinungsbild passt irgendwie zu keiner Seite: Vielmehr spiegelt sie optisch eine noble Zurückhaltung wieder und schlägt so eine verbindende Brücke zwischen den Extremen.

Oscar Wilde besticht schon in dieser seiner ersten Geschichte als brillanter Erzähler. Mit einem scharfen Geist ausgestattet fabuliert er einerseits völlig respektlos und voller Ironie, doch bleibt dabei stets humorvoll und ohne biestig-bissigen Unterton. So erscheint es mir mehr als verständlich, dass er für seinen praktizierten Ästhetizismus zugleich bewundert wie auch kritisiert wurde. Doch für mich steht er völlig zu Recht an der Spitze der britischen Literaten.


erschienen bei Insel-Bücherei / ISBN: 978-3458193814 / in der Übersetzung von Franz Blei

ebenfalls erschienen bei Anaconda/ ISBN: 978-3866472440 und Kampa/ ISBN: 978-3311270034 (alle ohne Illustrationen)

sowie bei NordSüd/ ISBN: 978-3314102264 im Sammelband Wunderdinge. Weltliteratur für Kinder mit Illustrationen von Lisbeth Zwerger

[Rezension] Heinrich Mann – Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen/ mit Illustrationen von Martin Stark

Da er Raat hieß, nannte die ganze Schule ihn Unrat. Nichts konnte einfacher und natürlicher sein. Der oder jener Professor wechselten zuweilen ihr Pseudonym. […] Unrat aber trug den seinigen seit vielen Generationen, der ganzen Stadt war er geläufig, seine Kollegen benutzen ihn außerhalb des Gymnasiums und auch drinnen, sobald er den Rücken drehte. […] Man brauchte nur auf dem Schulhof, sobald er vorbeikam, einander zuzuschreien: „Riecht es hier nicht nach Unrat?“ Oder: „Oho! Ich wittere Unrat!“ Und sofort zuckte der Alte heftig mit der Schulter […] und sandte schief aus seinen Brillengläsern einen grünen Blick, den die Schüler falsch nannten und der scheu und rachsüchtig war: der Blick eines Tyrannen mit schlechtem Gewissen, der in den Falten der Mäntel nach Dolchen späht. (Original-Zitat aus dem Roman)

…doch besagter Professor Unrat kann seinen Verleumdern „nichts beweisen“. Diese Schmach nagt an ihm und lässt ihn umso tyrannischer mit seinen Mitmenschen umgehen. Zumal in seinem Weltbild sie alle unwert erscheinen, um von seinem „Spiritus Rector“ zu profitieren. Besonders hat er die Schüler Lohmann, von Ertzum und Kieselack auf den Kieker, deren provokant selbstbewusste Art ihn anwidert und seinen Hass schürt. Zudem hegt er den Verdacht, dass sie die unflätige Verballhornung seines Namens weiter provozieren und sich zudem in zwielichtigen Etablissements aufhalten, um dort die Gesellschaft von unmoralischen Weibsbildern zu suchen. Dies gilt es, erbarmungslos aufzudecken, um die schändlichen Übeltäter von der Schule zu verbannen. So heftet sich der Professor an die Fersen seiner Schüler und landet in der Vergnügungskneipe „Der blaue Engel“, in der die Künstlerin Fröhlich Nacht für Nacht das Publikum in ihren Bann zieht. Unversehens verfällt auch der so tugendhaft erscheinende Professor dem herben Charme der jungen Schönen. Beide gehen eine toxische Verbindung ein: Mit der Liaison mit der Künstlerin Fröhlich verbannte er das von ihm so verhasste Schüler-Trio in seine Schranken. Gleichzeitig nutzt er ihre reizvolle Attraktivität, indem sie ihm Sirenen-gleich seine ehemaligen wie aktuellen Peiniger anlockt, die er dann genüsslich in den finanziellen wie auch gesellschaftlichen Ruin zieht. Die Künstlerin Fröhlich sieht ihre Verbindung deutlich pragmatischer: Für sie bedeutet die Ehe mit dem Professor in erster Linie einen gesellschaftlichen Aufstieg, wirtschaftliche Absicherung und einen Hauch von Ehrbarkeit. Dabei versucht sie verzweifelt die manischen Wutausbrüche ihres Gatten zu zügeln. Doch dessen unberechenbares Temperament machen sie zum Gespött in der ganzen Stadt und reißt schlussendlich beide hinab in den Abgrund…!


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In nur wenigen Monaten schrieb Heinrich Mann seinen (späteren) Erfolgsroman, der 1905 veröffentlicht werden sollte. Seine Kritik an der damaligen Gesellschaft, die ein scheinheilig-biederes Bürgertum propagierte aber dieses gleichzeitig nicht glaubwürdig zelebrierte, fand nicht die ungeteilte Begeisterung der Leserschaft. Vielmehr hielt der Autor den Leser*innen einen Spiegel vor, der höchst unvorteilhaft das eigene Denken und Handeln offenbarte. Fleiß, Zucht und Ordnung galten als erstrebenswerte Tugenden, die nur von den wenigsten Bürgerinnen und Bürgern erreicht werden konnten. Mehrheitlich wurde verlogen versucht, den Schein zu wahren, und mit Erleichterung auf potenzielle Übeltäter*innen mit dem Finger gezeigt, um von der eigenen Unzulänglichkeit abzulenken.

Mann beschreibt sehr eindringlich den Untergang eines von seinen Mitmenschen verspotteten Spießbürgers, der sich moralisch über alle/s stellt, dennoch leidenschaftlich den Reizen eines leichten Frauenzimmers verfällt und somit seine gesellschaftliche Stellung verspielt. Während er seine Protagonist*innen in den Dialogen an den Konventionen des Bürgertums festhalten lässt, offenbart er in den inneren Monologen die wirkliche Meinung der Figuren. Und gerade diese inneren Monologe erzeugen eine vibrierende Dynamik in der Geschichte: Als Leser fühlte ich mich wie durch einen Sog in die Geschichte hineingezogen. Seite für Seite bäumt sich die Handlung immer weiter hinauf in die Höhe, um dann am Ende – beinah unspektakulär – in sich zusammenzufallen.

Manns Sprache mutet charmant altmodisch an und spiegelt deutlich den Duktus des wilhelminischen Kaiserreichs wider. Er verwendet Satzkonstellationen, die beim Lesen aufmerken lassen, und verwendet Worte an Stellen, die für unser heutiges Empfinden ungewohnt erscheinen.

Die Büchergilde Gutenberg hat ein untrügliches Händchen, um für ihre illustrierten Bücher die passenden Künstler*innen zu finden. In diesem Fall nahm sich Martin Stark der Geschichte an – anfangs eher widerwillig, wie er in einem Nachwort verrät. Bei der Darstellung der Figuren nimmt er die Beschreibungen Manns ernst und schafft so eine satirische Überhöhung. Wie vom Künstler gewollt, fühlte ich mich beim Anblick der Bilder an die Ästhetik alter Stummfilmklassiker des deutschen Filmexpressionismus erinnert. Martin Stark kreierte so Illustrationen, die, trotz ihrer Gradlinigkeit, sehr lebendig, beinah pulsierend wirken.

Mit der Figur des Professor Unrats schuf Heinrich Mann einen Prototyp des Tyrannen, der unbarmherzig, menschenverachtend und ohne Mitgefühl agiert, dessen Untergang allerdings vorbestimmt scheint. Sein Roman ist für mich ein Paradebeispiel für Gesellschaftskritik in der Literatur, die so versuchte, Einfluss auf politische Situationen zu nehmen.


erschienen bei Büchergilde Gutenberg/ ISBN: 978-3763272594

ebenfalls erschienen bei Rowohlt/ ISBN: 978-3499100352, Anaconda/ ISBN: 978-3730609859 und Reclam/ ISBN: 978-3150206645 (alle ohne Illustrationen)

[Rezension] Anatevka. Weltmusicals für Kinder/ nach Joseph Stein/ neu erzählt von Barbara Kindermann/ mit Illustrationen von Jenny Brosinski

Es war schon erstaunlich, dass nach dem fulminanten Erfolg von MY FAIR LADY im Oktober 1961 erst etliche Jahre ins Land ziehen mussten, bis endlich wieder ein Broadway-Musical das Publikum in Deutschland wie im Sturm eroberte. 19 Jahre nach Ende des dritten Reiches hielt 1968 ausgerechnet mit ANATEVKA (im engl. Original: Fiddler On The Roof) ein Musical, dass das Leben der Juden in einem Schtetl in der Ukraine thematisiert, Einzug in die deutsche Populärkultur. Nach Beendigung der erfolgreichen Uraufführungs-Serie incl. Tournee wurde das Stück von anderen Theatern übernommen und ist bis heute ein gern gesehener Gast auf den Spielplänen.

Ich selbst durfte dieses berührende Musical gleich 2 Mal (25.06.1995 & 29.04.1996) in der Inszenierung von Ulrich Engelmann und unter der musikalischen Leitung von Ira Levin am Theater am Goetheplatz in Bremen erleben: Ks. Karsten Küsters gab einen wunderbaren Tewje, und der junge Max Hopp spielte den Studenten Pertschik. Über 20 Jahre später hatten beide „Masel tov“ und trafen sich zur Premiere von ANATEVKA in der Inszenierung von Barrie Kosky an der Komischen Oper Berlin wieder: Hopp diesmal als Tewje und Küsters in der kleinen aber prägnanten Rolle des Wachtmeisters. Kreise schließen sich…!

Nach einer langen Zeit der Distanzierung bot dieses Musical einen Zugang zur jüdischen Kultur, der sich nicht auf die Gräueltaten des Nazi-Regimes reduzieren ließ. Es durfte wieder gelacht, geweint und geklatscht werden. Der lange Weg der „Normalisierung“ zwischen Juden und Deutschen hat im ukrainischen Dorf ANATEVKA angefangen. Wir werden sehen, wo und wann er endet. Der „Fiedler auf dem Dach“ – inspiriert durch Bilder Marc Chagalls – wurde so zum Symbol für Überlebenswillen und Lebensmut und wird hoffentlich weiterhin seiner Geige sehnsuchtsvolle Klänge entlocken.


Was läge da näher, als dass sich der Kindermann-Verlag nach MY FAIR LADY nun diesem Werk annimmt. Auch diesmal kam die gelungene Nacherzählung aus der Feder der Verlagsgründerin Barbara Kindermann. Und auch diesmal blieb sie dem schon bei MY FAIR LADY eingeschlagenen Weg treu und präsentiert uns die wichtigsten Handlungsstränge mit gelungenen Porträts der Charaktere. Ebenso lässt sie in die Dialoge immer wieder die Lyrik der Songs einfließen und bietet uns so die Möglichkeit, parallel zum Lesen die Songs anzuhören. Dabei gelingt es ihr ganz hervorragend, sowohl den melancholisch-traurigen als auch den humorvoll-unbeschwerten Ton des Original-Buches zu treffen.


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Jenny Brosinski scheint von den Kunstwerken Marc Chagalls inspiriert worden zu sein, ohne dass sie diese kopiert. Sie findet ihren ganz eigenen Stil, spielt in ihren Illustrationen mit Proportionen und Perspektiven und lässt ihre Figuren mal bunt, mal sphärisch-durchsichtig erscheinen. Für jede dieser Figuren schuf sie ein individuelles Erscheinungsbild, das den Charakter treffend widerspiegelt. Dadurch wirken ihre Zeichnungen sowohl liebenswert als auch skurril und fordern so die Aufmerksam des Betrachtenden ein.

Leider sind bisher keine weiteren illustrierten Nacherzählungen unter der Rubrik „Weltmusicals für Kinder“ im Kindermann-Verlag erschienen. Schade, denn das bisherige Duo hätte es verdient, – gemeinsam mit anderen Werken – zu einer Reihe bzw. Serie heranzuwachsen.


erschienen bei Kindermann/ ISBN: 978-3934029408

[Rezension] Kurt Tucholsky – Schloß Gripsholm. Eine Sommergeschichte/ mit Illustrationen von Hans Traxler

Nachdem ich nun schon seit über einem halben Jahr Mitglied bei der Büchergilde Gutenberg bin, einige Bücher aus ihrem Sortiment meinen Sub nun schon bereichern, aber ich bisher noch keines von ihnen gelesen habe, stellte sich mir folgende Frage…! Nein, es stellte sich mir nicht die Frage „Warum bin ich überhaupt Mitglied geworden?“. Wer die wunderschönen illustrierten Bücher der Büchergilde Gutenberg kennt, weiß, dass da kein bibliophiles Herz jemals widerstehen könnte. Vielmehr stellte sich mir die Frage „Welches dieser Schätzchen werde ich als erstes lesen und (natürlich) über ihn auf meinem Blog berichten?“. Da wanderte mal das eine, dann das andere Exemplar durch meine Hände. Doch ausschlaggebend war dann schlicht und ergreifend der spontane Impuls, was zu meiner momentanen Stimmung am besten passen würde. Und „et voilà“ – hier ist es…!

„Nun möchte ich doch aber wieder einmal die schöne Literatur pflegen. Haben Sie gar nichts? Wie wäre es denn mit einer kleinen Liebesgeschichte?“ lässt Kurt Tucholsky in einem fiktiven Briefwechsel seinen Verleger Ernst Rowohlt ihn bitten. Doch eine schnöde Liebesgeschichte wäre dem Satiriker und Gesellschaftskritiker Tucholsky zu simpel: „Dann doch lieber eine kleine Sommergeschichte.“ gibt er als Zugeständnis. Und so lässt er aus seiner Feder diese biografisch anmutende aber nie bewiesene Geschichte fließen. Es ist Sommer, und der Urlaub steht vor der Tür, den unser Ich-Erzähler Kurt mit seiner momentanen Flamme Lydia in Schweden verbringen möchte. Dort angekommen beziehen sie ihr Feriendomizil im altehrwürdigen Schloss Gripsholm, genießen die Landschaft, die Ruhe und ganz besonders einander. Ihre Sommerfrische wird aufs Angenehmste gestört als sie nacheinander Besuch erhalten. Als erstes taucht Kurts alter Kamerad und Freund Karlchen auf, nach dessen Abreise nistet sich Lydias Freundin Billie bei ihnen ein. Die malerische Umgebung und die wärmende Sonne in Kombination mit dieser Leichtigkeit des Augenblicks bleiben nicht ohne Wirkung: Während es bei Karlchens Besuch nur sehr sachte zwischen den Anwesenden knistert, entfaltet sich der erotische Zauber dieser Sommernächte bei Billies Besuch in seiner Vollendung. Dieses „Savoir-vivre“ erhält allerdings einen kleinen Dämpfer durch das Schicksal eines kleinen Mädchens, das im nahen Kinderheim lebt und unter dem Terror der sadistischen Heimleitung Frau Adriani leidet. Unvermutet träufelt nun die Realität in die Postkarten-Idylle der jungen Leute. Sie handeln: Nach Rücksprache mit der in der Schweiz lebenden Mutter des Kindes, befreien sie dieses aus der quälenden Tyrannei und begleiten es wieder nach Hause…!

Es scheint ja recht wenig zu passieren, und doch kitzelt Kurt Tucholsky aus diesem Wenigen ein Höchstmaß an Unterhaltung heraus. Seine Dialoge sind von einer intelligenten Leichtigkeit, voller Amüsement und doch mit ernsten Untertönen. Das Schloss Gripsholm in Schweden bildet für diese Erzählung die perfekte Kulisse – fremdländisch aber nicht zu exotisch, europäisch und trotzdem urwüchsig. Das alte Gemäuer hat im Laufe der Jahrhunderte sicher schon viel gesehen, viel erlebt, und somit ist ihm nichts Menschliches fremd. Was kümmern ihm da die erotischen Eskapaden einiger junger Menschen bzw. deren Shakespeare-haften Verwirrungen a là „Ein Sommernachtstraum“? Übrigens: Ich war sehr überrascht über die geschmackvolle Offenherzigkeit und darüber, wie der Autor diese Episode elegant in die Handlung einfließen lässt. Schließlich stammte die Geschichte aus dem Jahre 1931, der Spätzeit der Weimarer Republik, und die s.g. sexuelle Revolution war noch in weiter Ferne.

Mit ironischem Witz, einem kleinen Augenzwinkern und einer gehörigen Portion Sympathie porträtiert Tucholsky seine Figuren aufs Vortrefflichste. So bedenkt er „Kurt“ liebevoll mit einem drögen Literaten-Charme, während er „Lydia“ – als Offenbarung des ewig Weiblichen – patent, wortgewannt, entscheidungsfreudig aber auch ein Stück weit pragmatisch erscheinen lässt. Die jeweiligen Freunde „Karlchen“ und „Billie“ bilden dabei den gegensätzlichen und gleichzeitig ergänzenden Gegenpart. Sie übernehmen die wichtige Funktion, im Zusammenspiel mit unserem Helden/ unserer Heldin, noch unbekannte Charakterzüge zu offenbaren, um so mehr von ihren Persönlichkeiten zu zeigen. Allen ist gemein, dass sie sehr großherzig einander zugewandt sind bzw. miteinander umgehen. Und diese Großherzigkeit spiegelt sich ebenso in ihrem offenen Geist wieder.

Es wirkt beinah so, als hätte es Tucholsky eine große Freude bereitet, die Figur der „Frau Adriani“ zu entwickeln und in ihr all die negativen Attribute zu vereinen, die man gemeinhin mit einem Machtmenschen verbindet. Die „Macht“ ist ihnen Lebenssinn und –zweck. Durch die „Macht“ werden sie definiert. Nehme ihnen die „Macht“, und es wird nichts übrig bleiben, da ihnen andere (menschliche) Tugenden fremd sind. Tucholsky vermeidet wohltuend, das allzu Bedrohliche dieser Figur in den Vordergrund zu stellen. Vielmehr wirkt „Frau Adriani“ wie eine Karikatur, auf der man erschaudernd einen Blick wirft und sich gleichzeitig ein Lachen nicht verkneifen kann.

Wirkt die Geschichte oberflächlich eher leicht, so verbirgt sie unter dieser Leichtigkeit durchaus auch eine Ernsthaftigkeit. Sprachlich schenkt der Autor uns literarische Kabinettstückchen: So lässt er uns an fein beobachteten Erlebnissen teilhaben und frönt gekonnt-fröhlich der Formulierkunst, indem er den Berliner Dialekt mit Plattdeutsch mischt oder Begriffe eine andere Deutung gibt.

Illustrator Hans Traxler findet für seine Bilder genau den richtigen „Ton“ – vielmehr Farbton. Mit klarem Strich und schwungvollen Rundungen gelingt ihm für jede Figur eine eigene, unverwechselbare Physiognomie, die viel von deren Charakter preisgibt. Auch die erotische Komponente der Geschichte versteht er bestens mit pikanter Sinnlichkeit darzustellen.

Dieses kleine bibliophile Schätzchen wurde von der Büchergilde Gutenberg zum 90. Geburtstag von Jens Traxler wiederaufgelegt und begeistert mich nicht nur durch seinen Inhalt sondern auch mit der geschmackvollen Ausstattung aus Leinen-Einband, Fadenheftung, Lesebändchen und dem wunderschönen Vorsatzpapier, das uns Skizzen der handelnden Personen zeigt.


erschienen bei Büchergilde Gutenberg/ ISBN: 978-3763264407

ebenfalls erschienen bei Fischer/ ISBN: 978-3596900695, Anaconda/ ISBN: 978-3938484715 und Nikol/ ISBN: 978-3868204117 (alle ohne Illustrationen)

[Rezension] Marie Dorléans – Das grosse Pferderennen

Zeitgleich mit My Fair Lady. Weltmusicals für Kinder wurde ich auch diesem entzückenden Bilderbuch habhaft. Als ich es durchblätterte, fühlte ich mich zwangsläufig an die Ascot-Szene in MY FAIR LADY erinnert, wo die High Society mit einer stoischen Ruhe behauptet, dass sie beim Pferderennen endlich wieder einen Hauch von Nervenkitzel verspürt. Dabei steht die Reaktion der handelnden  Personen kontra-karikierend zum Songtext und sorgt so aufgrund dieser Diskrepanz für Erheiterung beim Publikum.

Auch in Marie Dorléans Bilderbuch warten die Zuschauer gespannt auf den Beginn des grossen Pferderennens und haben sich – ähnlich wie die Damen und Herren in Ascot – chic in Schale geworfen. Die Jockeys stehen mit ihren Pferden schon am Start und warten aufgeregt auf den Startschuss. Als der Schuss ertönt, gibt es kein Halten mehr. Die Pferde preschen los. Doch halt: Nicht alle Jockeys haben mit ihren Pferden rechtzeitig die Startlinie verlassen können. Auch ereignet sich während des Rennens so manche kuriose Situation, und selbst die abschließende Siegerehrung gestaltet sich anders als gewohnt…!


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Was kann bei einem Pferderennen nicht alles passieren: Von scheuenden Pferden, Stürzen und Disqualifizierungen habe selbst ich in diesem Zusammenhang schon gehört. Doch das, was Marie Dorléans bei ihrem Pferderennen passieren lässt, setzt allem die (humoristische) Krone auf. Ihre Texte sind auf das Wesentliche beschränkt. Vielmehr lässt sie ihre Illustrationen sprechen, die vor witzigen Ideen nur so strotzen.

Ähnlich wie in der eingangs erwähnten Ascot-Szene in MY FAIR LADY sorgt auch sie dafür, dass dieser elitär anmutende Sport durch die Brille des Humors betrachtet wird. Wobei sie ihr Augenmerk weniger auf die Zuschauer und dafür mehr auf das Geschehen auf der Rennbahn lenkt. Und hier ereignen sich wahrlich so einige höchst absonderliche Situationen, bei deren Betrachtung ich immer wieder amüsiert auflachen musste.

Dieses entzückende Buch ließ mich für einen Moment den Alltag vergessen und schenkte mir für einen Augenblick ein wenig Spaß und Freude…!


erschienen bei Gerstenberg/ ISBN: 978-3836959711

[Rezension] My Fair Lady. Weltmusicals für Kinder/ nach Alan Jay Lerner/ neu erzählt von Barbara Kindermann/ mit Illustrationen von Silke Leffler

Vor einiger Zeit trällerte ein Kollege die Melodie zu „Bringt mich pünktlich zum Altar“ während des Dienstes. Ich war sehr überrascht, da ich bisher annahm, dass Musical nicht zu seiner präferierten Musikrichtung gehörte. Und zugegeben, mein Kollege kannte diese Melodie nur in Zusammenhang mit einem Blödel-Text und hatte nicht den blassesten Schimmer, dass es sich hierbei um einen Song aus einem weltberühmten Musical handelt. Zum Glück konnte ich diesen Kulturbanausen aufklären!

Dabei fiel mir allerdings auch wieder etwas ein, das mich veranlasste, in alten Programm-Heften zu stöbern: Heute vor genau 34 Jahren sah ich mein erstes Musical auf einer Bühne: MY FAIR LADY.

Ich saß mit einer vergünstigten Schülerkarte im zweiten Rang des Theaters am Goetheplatz in Bremen (Bei meinem damaligen Budget, das ich mir durch Zeitungsaustragen verdingte, war Besseres nicht drin.), blickte aus der Vogelperspektive von oben herab über den ersten Rang und das Parkett zur Bühne und wartete gespannt auf das, was mich erwartete. Schließlich war ich als Theaterbesucher noch völlig unbeleckt und konnte diesbezüglich auf keine Erfahrungen zurückgreifen. Alles war für mich neu und aufregend: Die Musiker*innen des Orchesters stimmten ihre Instrumente, während ein Gong den Beginn der Vorstellung ankündigte. Langsam wurde das Licht gedimmt, und eine vibrierende Spannung bemächtigte sich meiner. Der Dirigent erschien, und das Publikum applaudierte, also applaudierte auch ich. Zu den ersten Takten der Ouvertüre hob sich der Vorhang und gab den Blick frei auf das Bühnenbild, das Covent Garden in London darstellen sollte. Das Spiel begann. Niemals zuvor hatte ich eine verführerische Symbiose, wie diese aus Musik, Text, Gesang, Schauspiel und Tanz, erleben dürfen,…

…und es war um mich geschehen. Seitdem hat mich das Musicalfieber nicht mehr losgelassen, und gerade MY FAIR LADY nimmt hier eine Sonderstellung ein. So saß ich im Laufe der Jahre in 6 Vorstellungen bei 4 verschiedenen Inszenierungen…

  • Bremer Theater am Goetheplatz: 06.06.1988 und 09.11.1990
  • Stadttheater Bremerhaven: 12.12.1997
  • Oldenburgisches Staatstheater: 10.12.1999
  • Bremer Theater am Goetheplatz: 21.12.2002 und 08.06.2003

… und nenne 14 verschiedene Cast-Aufnahmen mein Eigen – neben diversen Aufnahmen auf Englisch und Deutsch, auch auf Holländisch, Dänisch und Hebräisch,…

…und ich würde jederzeit mir auch die 5., 6. und 7. Inszenierung ansehen!

Jeder Mensch hat seinen besonderen Vogel.
Mein Vogel kann wahrhaftig „wundascheen“ singen!!!
🐦


Die Philosophie des Kindermann-Verlages ist so einfach wie genial:

„Kinder sollen sich Literaturklassikern spielerisch und unvoreingenommen nähern können.“

Damit dies gelingt, sorgt Verlegerin Anna Kindermann mit ihrem Team für wunderbar illustrierte Neuerzählungen. Denn die Klassiker haben es genau deshalb zu Weltruhm geschafft, da sie außergewöhnliche Geschichten von tollen Held*innen erzählen. Und so bietet in der Zwischenzeit das Verlagsportfolio nicht nur Weltliteratur, Poesie, berühmte Leute und Kunst für Kinder, sondern sogar auch die Nacherzählung zweier Musicals, für die Verlagsgründerin und Mutter der jetzigen Verlegerin verantwortlich war.

Und genau diese Nacherzählung gelingt ihr sehr charmant. Barbara Kindermann versteht es, die Kernhandlung prägnant zu präsentieren ohne dabei die Charaktere der Hauptpersonen zu vernachlässigen bzw. zu verwässern. Dabei flicht sie in die Dialoge immer wieder die Lyrik der Songs mit ein. Ein raffinierter Kniff: So erhält der Vorlesende die Möglichkeit an der entsprechenden Stelle seinen jungen Zuhörern den passenden Song vorzuspielen. Natürlich vorausgesetzt, man ist im Besitz einer Cast-Aufnahme. 😉


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Silke Leffler war mir bisher vornehmlich als Illustratorin für Papeterie ein Begriff und hat hierfür einen sehr eigenen Stil kultiviert. Ihre Werke fielen gerne durch die unverwechselbare Silhouette ihrer Figurinen im Zusammenspiel mit überdimensionale Blüten auf. Passend zum vorgegebenen Sujet fallen auch hier ihre Illustrationen sehr blumig und farbenfroh aus. Dabei bemüht sie sich, für die einzelnen Personen eine charakteristische Physiognomie zu finden, bleibt dabei aber leider innerhalb ihres gewohnten Korsetts und zeigt so – für meinen Geschmack – wenig Prägnanz und Individualität. Warum sie in ihren Illustrationen als gestalterisches Element Seiten aus dem Textbuch von Friedrich Schillers „Wilhelm Tell“ verwendete, blieb mir unverständlich. Vielleicht wollte Leffler mit diesem grafischen Kniff die Nähe dieser Geschichte zum Theater symbolisieren, wobei hier „Pygmalion“ von George Bernhard Shaw durchaus passender gewesen wäre.

Alles in allem sind diese Kritikpunkte doch nur meinem persönlichen Geschmack geschuldet und werden die Freude der Kids an diesem Buch nicht mindern. Im Gegenteil: Der Kindermann Verlag schafft auf wunderbare Weise, die Hemmschwelle der Kinder zur „hehren“ Kunst zu minimieren.


erschienen bei Kindermann/ ISBN: 978-3934029439

[Rezension] Caspar Salmon – Wie man bis eins zählt (Und fang erst gar nicht mit größeren Zahlen an!)/ mit Illustrationen von Matt Hunt

Kicher! Kicher! – Hihi! – Gnigger! Gnigger!

Da sitze ich also in meinem Ohrensessel über ein Bilderbuch gebeugt, lese den Text, betrachte die bunten Bilder dazu und gackere vor Vergnügen vor mich hin. Ganz unversehens bin ich zu diesem humorvollen Bilderbuch gekommen: Zum Welttag des Buches veranstaltete der Kunstmann-Verlag auf Instagram ein Gewinnspiel, und – Tata! – ich habe gewonnen!

Nochmals: Meinen herzlichsten Dank!

Darum sitze ich also in meinem Ohrensessel über dieses Bilderbuch gebeugt, das mich zunehmend begeistert, da es Kinder ganz raffiniert zum Zählen animiert, auch wenn der Titel etwas anderes suggeriert. Auch wenn z. Bsp. sich 5 Enten über die Seiten tummeln, so betont Autor Caspar Salmon in seinen Texten immer wieder vehement, dass nur bis EINS! gezählt werden darf. Es geht immer nur um die EINS! Wir dürfen immer nur bis EINS! zählen.

Caspar Salmon. WIE MAN BIS EINS ZÄHLT – Illustration Matt Hunt

Beinah scheint es, als wolle Salmon uns das Weiterzählen verbieten, wohlwissend, dass das, was verboten, umso reizvoller ist. Es erinnerte mich an meine eigene Kindheit: Die Eltern hatten etwas verboten, und ab diesem Zeitpunkt war das Verbotene äußerst verführerisch (Vorher war es mir pups-egal!). Und obwohl etwas verboten war, tastete ich mich langsam vor, lotete die Grenzen des Tolerablen aus und genoss das kribbelige Gefühl, etwas „Verbotenes“ getan zu haben. In diesem Buch versucht es der Autor sogar immer wieder selbst, uns zum Weiterzählen zu verführen. Ganz und gar hinterhältig nutzt er dazu die gelungenen Illustrationen von Matt Hunt.

Hunt schuf für dieses Buch witzige Bilder, die mich immer wieder durch skurrile Details amüsierten und so auch zum bloßen Betrachten (ohne Zählen) einluden. Dabei staunte ich über die scheinbare Schlichtheit, die meine Phantasie doch so sehr anregte, dass ich eigene Ideen entwickelte: Die Bilder animieren nicht nur zum Weiterzählen – Nein! – auch zum Weitererzählen, indem zu diesen Bildern Geschichten selbst erdacht werden könnten. So käme dieses Buch immer wieder und wieder zum Einsatz und könnte sich einen dauerhaften Platz in den Kinderzimmern sichern. Das Potential, ein Klassiker zu werden, hätte es allemal!

Am Schluss durfte ich dann endlich weiter als bis EINS! zählen: Puh, länger hätte ich es auch nicht mehr ausgehalten!


erschienen bei Kunstmann/ ISBN: 978-3956144912

Ich danke dem Verlag herzlich für diesen wunderbaren Gewinn!