URLAUBSLEKTÜRE 2025

🌞

Sommerzeit ist Urlaubszeit,…

…und das bedeutet, es kann wieder unbeschwert in den Tag hineingelebt werden. Da stört uns kein penetranter Blick auf die Uhr, da wir zum Glück keine dringenden Termine wahrnehmen müssen, die unseren Tag in kleine Häppchen zerteilen. Die Tage stehen uns zur freien Verfügung, und dies können/dürfen/sollten wir nutzen, um unbeschwert in eine Geschichte einzutauchen – gänzlich ohne Angst, irgendetwas „Wichtigeres“ zu verpassen.

Die Auswahl der Urlaubslektüre darf da gerne vielfältig sein: Die einen lieben einen zünftigen Krimi, die anderen greifen zu einem Klassiker, wieder andere schmökern in einem fesselnden Roman.

Auch in diesem Jahr habe ich mich bemüht, aus den von mir gelesenen Büchern der vergangenen 12 Monate eine kleine, urlaubstaugliche Auswahl zu treffen.


Beginnen möchte ich den Reigen mit einer äußerst populären Spürnase: Zu Miss Marple gibt es zwölf neue Geschichten, die nicht aus der Feder von Agatha Christie stammen. Vielmehr haben sich namhafte Autorinnen der Figur angenommen und mit Talent und Respekt weitere tolle Kriminalfälle kreiert. Alan Bradley ließ seine Fans ganze 5 Jahre zappeln, bis endlich Flavia de Luce wieder die literarische Bühne betrat, und somit ihre spannende Geschichte weitererzählt wurde. Kate Atkinson legte einen aufregenden Roman zwischen Gesellschaftsstudie, Sittengemälde und Kriminalroman vor, der zudem in den „Roaring Twenties“ spielt.


Dieser Autor war für mich eine wahre Entdeckung: Sasha Filipenko gelingt das Kunststück, die Melancholie und Tristesse in seinem Roman durch ein feines Netz aus Humor aufzuhellen. Kathrin Aehnlich warf wieder einen liebevollen Blick auf die Menschen in den so genannten neuen Bundesländern und beschreibt die Charaktere in ihrer Geschichte voller Wärme. Saša Stanišić war Entdeckung wie Offenbarung für mich: Seine Erzählungen sind warmherzig, humorvoll und melancholisch – einfach wundervoll.


Sind wir alle nicht hin und wieder ein wenig neugierig und möchten erfahren, wie es hinter den Kulissen so zugeht? Mit spitzbübischer Freude schenkt uns Rainer Moritz einen humorvollen Blick in die (Un-)Tiefen der Buchbranche. Heinrich Spoerls Klassiker um den scheinbaren Pennäler „Pfeiffer mit drei Eff“ hat in all den Jahrzehnten nichts von seinem Charme verloren und amüsiert auf ganzer Linie. Von Winifred Watsons federleichtem Unterhaltungsroman gibt es hier noch keine Rezension, da ich ihn erst vor kurzem ausgelesen habe. Doch ich wollte euch diese wunderbar beschwingte Geschichte nicht vorenthalten.


Allen Büchern ist gemein, dass sie mich ausnehmend gut unterhalten haben, und so hoffe ich sehr, dass sie auch euren Geschmack treffen und euch wohlige Lese-Stunden schenken.

Die Fachleute in der Buchhandlung eures Vertrauens stehen euch gerne mit Rat und Tat zur Seite und sind sowohl bei der Suche als auch bei der Beschaffung dieser oder einer anderen Urlaubslektüre mit Freude behilflich! 💖

Ich wünsche euch einen wunderbaren Urlaub
mit viel Spaß beim entspannten Schmökern!!!

🌞

[Rezension] Agatha Christie – EIN GEFÄHRLICHER GEGNER

Es war im Jahre 1922 – Hercule Poirot hatte wenige Jahre zuvor seine kleinen grauen Zellen erstmals angestrengt, und Miss Marples Stern am Krimihimmel sollte erst einige Jahre später erstrahlen – da schickte Agatha Christie zwei junge Menschen in die Welt, die die Kriminalliteratur zwar nicht revolutionieren sollten, dafür aber ein Kuriosum darstellten. Mit ihrem jugendlichen Elan und unkonventionellen Auftreten bildeten sie zudem einen attraktiven Gegenpart zum brillanten und pedantischen Hercule Poirot.

Unser Protagonisten-Paar Tommy und Tuppence kamen in nur vier Romanen und einer Anthologie zum Einsatz, die in dem Zeitraum eines halben Jahrhunderts erschienen. Dieser Umstand erscheint zunächst wenig spektakulär, doch jedes Mal waren sie um genau die Jahre gealtert, die seit ihrem letzten Erscheinen vergangen waren. Waren unsere Heldin und unser Held zu Beginn in ihren Zwanzigern und ihre Autorin somit Anfang 30, so alterten sie im Laufe der folgenden Romane höchst würdevoll gemeinsam. Auch ließ Christie die beiden genau in dem Jahr agieren, in dem der jeweilige Roman erschienen war. Somit durchlebte ich als Leser mit ihnen den gesellschaftlichen Wandel, der über diesen Zeitraum stattfand, ebenso, wie die physischen und psychischen Veränderungen, die das Älterwerden so mit sich bringt.

„Zwei junge Abenteurer zu mieten. Zu allem und überall einsatzbereit. Honorar muss stimmen. Kein vernünftiges Angebote wird abgelehnt.“ Mit dieser Anzeige suchen der vorsichtige Tommy und die unerschrockene Tuppence Arbeit. Sie müssen nicht lange auf ihren ersten Fall warten: Beim Untergang des Luxusschiffes RMS Lusitania sind hochsensible Regierungspapiere verloren gegangen. Parallel müssen die beiden auch die mysteriöse Jane Finn suchen. Mehrmals gerät das ungleiche Paar in Gefahr und stößt auf eine abgründige Verschwörung…

 (Inhaltsangabe dem Umschlag des Romans entnommen!)

Agatha Christie gelang es bereits mit ihrem zweiten Roman, einen Frauentypus zu etablieren, der damals weit entfernt vom gesellschaftlich erwarteten Bild einer Frau war und somit ein Novum darstellte. Mit Tuppence Cowley (spätere Beresford) tauchte eine sehr resolute, selbstbewusste junge Dame auf der Bildfläche auf, die – im besten Sinne der Worte – die Ärmel hochkrempelt und pragmatisch die Dinge selbst in die Hand nimmt, auch wenn sie dabei hin und wieder über das Ziel hinausschießt. Einen Mann akzeptiert sie an ihrer Seite höchstens dann, wenn dieser ihr auf Augenhöhe begegnet und sie als ebenbürtige Partnerin ansieht. Selbstgefällige Aufschneider, eitle Fatzken und sich selbst überschätzende Gockel können sie nicht beeindrucken – vielmehr lässt sie solche Typen des männlichen Geschlechts charmant abblitzen. Was sie braucht ist ein netter Kerl mit Substanz. Darum setzte Christie ihr mit Tommy Beresford einen jungen Mann vor ihr keckes Näschen, der das genaue Gegenteil von den bereits beschriebenen Typen war. Tommy ist zwar kein Beau aber absolut sympathisch. Dank seiner zurückhaltenden Art, wägt er erst ab, bevor er sich ins Getümmel stürzt. Trotzdem ist er kein Feigling: Wenn es benötigt wird, zeigt er Rückgrat und Courage und ist ein äußerst verlässlicher Partner.

Glaubhaft und detailliert fängt die Autorin das Zeitgeschehen nach dem ersten Weltkrieg ein und lässt auch die damaligen Nöte der (jungen) Menschen nicht unerwähnt. Dies gelingt ihr, ohne dass sie ins allzu dramatische abgleitet. Sie siedelte die Handlung zwischen Kriminalroman und Spionage-Thriller an, die sie mit einigen, in die Irre führenden Wendungen spickte und so eine spannende Unterhaltung garantierte – zumal sie es grandios verstand, die Leserschaft im Dunkeln tappen zu lassen, da sie die Identitäten der Täter gekonnt verschleierte. Die kessen Dialoge zwischen Tommy und Tuppence erinnerten mich an den verbalen Schlagabtausch zwischen Nick und Nora in den „Der dünne Mann“-Verfilmungen, haben nach all den Jahren nichts von ihrer Frische eingebüßt und amüsierten mich famos.

Agatha Christie zeigte in EIN GEFÄHRLICHER GEGNER Tommy und Tuppence in der Blüte ihrer Jahre und legte so den literarischen Grundstein für zwei liebenswerte Figuren, die als PARTNERS IN CRIME nicht nur eine außergewöhnliche Partnerschaft sondern auch eine lebenslange Liebe miteinander verbinden sollten.


erschienen bei Atlantik / ISBN: 978-3455651355 / in der Übersetzung von Giovanni und Ditte Bandini
ebenfalls erschienen als Hörbuch bei Der Hörverlag / ISBN: 978-3867178457

[Rezension] Kate Atkinson – NACHT ÜBER SOHO

Die 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts üben überall und allerorten bei vielen von uns eine magnetisierende Faszination aus. Woran mag es liegen? Die Gründe sind vielfältig. Vielleicht liegt es daran, dass auch wir uns in den 20ern unseres Jahrhunderts befinden, uns etlichen Problemen stellen müssen und darum einen vergleichenden Blick auf das letzte Jahrhundert werfen. Wie haben die Menschen der Vergangenheit Herausforderungen gemeistert?! Auch damals war es eine unsichere Zeit: Der erste Weltkrieg war lange noch nicht vergessen und sorgte dafür, dass die Menschen ihren Lebensrhythmus neu finden mussten. Eine unbändige Lust am Leben war spürbar, die auch mit einer lockeren Moralvorstellung einherkam. Das Bild der Frauen veränderte sich, da sie in den Kriegsjahren gezeigt hatten, dass sie nicht nur zu „Kinder, Küche, Kirche“ befähigt sind. Über all dem lag der Glanz von Luxus, Reichtum, Glamour und dem Versprechen, dass alles möglich wäre – doch es war ein trügerischer Glanz…

England 1926: In einem Land, das sich noch immer vom Ersten Weltkrieg erholt, ist London zum Mittelpunkt eines neuen, ausgelassenen Nachtlebens geworden. In den Clubs von Soho tummeln sich Adelige neben Starlets, Prinzen neben Gangstern, und Mädchen verkaufen Tänze für einen Schilling. Im Zentrum dieser glitzernden Welt steht die berüchtigte Nellie Coker. Rücksichtslos und ehrgeizig kontrolliert sie die wichtigsten Clubs der Stadt. Doch der Erfolg schafft Feinde: Nellies Imperium wird von außen und von innen bedroht. Da sind ihre sechs Kinder, die alle eigene Ziele verfolgen, rivalisierende Straßengangs, ein Mafioso mit guten Manieren und schlechten Absichten Und da ist Inspektor John Frobisher. Seine Mission: herauszufinden, was mit den vielen Mädchen geschieht, die im Sohoer Nachtleben spurlos verschwinden. Mithilfe der jungen Bibliothekarin Gwendolen Kelling, die er in Nellies Clubs einschleust, beginnt er, der Königin von Soho das Leben schwer zu machen.

(Inhaltsangabe der Homepage des Verlages entnommen!)

Kate Atkinson überzeugt in diesem Roman mit einer feinen Charakterisierung der Akteure, die niemals in ein plakatives Schwarz-Weiß-Zeichnen abdriftet, sondern die Personen sehr vielschichtig porträtiert. Selbst die unredlichsten Figuren versprühen so eine Menge Charisma, das dafür sorgte, dass ihnen meine Aufmerksamkeit stets sicher war. Aber auch die Held*innen wirken mit ihren ambivalenten Gefühlen und Gedanken nie eindimensional. Kate Atkinson gelang es, ihnen allen eine individuelle Biografie zu schenken, die durchaus als Begründung für ihr Handeln dienen konnte.

Auch die Dialoge sind bei der Autorin wohlüberlegt und genau gesetzt. Sie definieren die handelnden Personen sehr genau, offenbaren Schwächen und boten so manche Überraschung, da die Figuren Äußerungen tätigten, mit denen ich nicht gerechnet bzw. ihnen nicht zugetraut hätte. Ebenso genau fallen die Beschreibungen der Settings aus und zeugen von einer guten Beobachtungsgabe der Autorin.

Doch was nützen raffinierte Charaktere, wenn sie sich in einem luftleeren Raum aka einer spannungsarmen Handlung nicht entfalten dürfen. Dies ist bei Atkinson nicht zu befürchten: Hier ist nicht nur ein einziger großer Spannungsbogen für die Haupthandlung vorhanden. Vielmehr schuf die Autorin viele kleine Nebenhandlungen incl. eigner Spannungsbögen, die sich mal früher, mal später mit der Haupthandlung vereinen. Beinah wirkte es auf mich, als würden sich Stricke, die aus vielen unterschiedlichen Richtungen kommen, zu einem dicken Tau verweben, um dann – nach einiger Zeit – wieder in unterschiedlichen Richtungen auszufransen. Doch die einzelnen Stricke haben sich bei diesem Vorgang verändert: Manche haben sich aufgerieben, andere sind kompakter geworden. Im Falle unserer Protagonist*innen haben die Ereignisse sichtbare Spuren hinterlassen, die Einfluss auf ihre weitere Entwicklung nehmen werden.

Doch was ist dieser Roman nun schlussendlich? Gesellschaftsstudie, Sittengemälde oder Kriminalroman? Kate Atkinson schaffte es bravourös, alles miteinander zu verbinden. Genrezuweisung? Wer braucht schon eine Genrezuweise! Was ich lesen durfte, war ein ganz und gar fesselnder Roman, der mich in seiner Vielschichtigkeit vollumfänglich begeisterte.


erschienen bei Dumont / ISBN: 978-3755800156 / in der Übersetzung von Anette Grube
Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

[Rezension] Janice Hallett – DIE ENGEL VON ALPERTON. Der Teufel steckt im Detail

Autorin Janice Hallett kultivierte bei diesem Roman weiterhin ihren besonderen Stil beim Aufbau einer Geschichten, indem sie uns abermals – nach DIE AUFFÜHRUNG – aus der Fülle an modernen Kommunikationsmöglichkeiten eine bunten Strauß an Informationen band und uns diesen zur Begutachtung vorlegte. Da gab es viel zu entdecken und noch mehr zu beachten: Ausdrucke von E-Mails und Text-Nachrichten, Zeitungsausschnitte, Auszüge aus unveröffentlichten Romanen und Drehbüchern sowie Gesprächsprotokolle. Wie schnell könnte da ein wichtiges Detail überlesen werden? Denn – so sagte es schon der Untertitel – der Teufel steckte wahrlich im Detail, und gerade diese immense Menge an Details sorgte dafür, dass diese Geschichte so undurchschaubar erschien…

Die TrueCrimeAutorin Amanda Bailey weiß alles über den berüchtigten Fall der Engel von Alperton. Zahlreiche Bücher und Verfilmungen berichteten von der fanatischen Sekte, seit ihre Mitglieder vor achtzehn Jahren versuchten, ein Baby zu opfern, das sie für den Antichrist hielten. Mittlerweile scheint daher alles erzählt zu sein doch nun ist das „AlpertonBaby“ volljährig und könnte endlich interviewt werden. Amanda wittert ihre Chance auf einen echten Coup. Doch während sie immer tiefer in die Recherchen eintaucht, wird klar, dass in diesem Fall nichts ist, wie es scheint. Und dass die Geschichte der Engel von Alperton noch lange nicht vorbei ist.

(Inhaltsangabe der Homepage des Verlages entnommen!)

Auch diesmal kann ich der Autorin nicht vorwerfen, dass sie mir mit dieser Lektüre keine spannenden Lese-Stunden geschenkt hätte. Es ist wahrlich erstaunlich, mit welcher Raffinesse sie mich mit jeder weiteren Mail, mit jedem weiteren Interview, mit jedem weiteren Protokoll in Richtung Wahrheit (Was ist schon Wahrheit?) lotste. Da las ich einen Auszug, der scheinbar aus einem Drehbuch stammte, fragte mich währen der Lektüre „Was soll das?“, bis dann langsam die Erkenntnis tröpfchenweise in mein Gehirn einsickerte und mich mit einem Aha-Effekt überrumpelte.

Ebenso erstaunlich war es für mich, dass sie es innerhalb des starren Korsetts der modernen Kommunikationsmöglichkeiten trotzdem schaffte, eine geheimnisvolle, beinah schon beängstigende Atmosphäre zu kreieren. Dabei traten die signifikanten Charaktereigenschaften der handelnden Personen deutlich hervor und ermöglichten es mir so, eine genaue Vorstellung der Figuren zu erhalten.

Das Ende der Geschichte überraschte durchaus, ließ mich allerdings auch sehr zwiespältig zurück. Da gab es zu viele dubiose Zufälle, zu viele nicht nachvollziehbare Wendungen. Beinah schien es mir, als müssten nun zwangsläufig für alle offenen Fragen die passenden Antworten gefunden werden – auch wenn dabei knapp an der Logik vorbeigeschrammt wurde.

Janice Hallett ist eine äußerst talentierte Autorin – das steht außer Frage. Doch leider verspüre ich nun, nachdem ich ihren dritten Roman gelesen habe, eine gewisse Sättigung in Bezug ihres Stils. Da würde ich mir wünschen, von ihr auch einmal einen Roman „im klassisch literarischen Sinne“ lesen zu dürfen. Wer weiß, vielleicht würde sie mich damit aufs Neue in Erstaunen versetzen.


erschienen bei Atrium / ISBN: 978-3855351978 / in der Übersetzung von Stefanie Kremer

ICH DANKE DER PRESSEAGENTUR POLITYCKI & PARTNER HERZLICH FÜR DAS ZUR VERFÜGUNG GESTELLTE LESEEXEMPLAR!

[Rezension] Georges Simenon – DER MÖRDER (Hörspiel)

Normalerweise bespreche ich eine Box mit Kriminalhörspiele komplett, nachdem ich mir CD für CD, Hörspiel für Hörspiel angehört habe. Da picke ich mir nicht nur ein einzelnes Hörspiel heraus und lasse die anderen Hörspiele ungehört links liegen. Normalerweise…! In diesem Fall bin ich ganz bewusst von dieser hehren Absicht abgewichen. Ich war auf der Suche nach Non-Maigret-Hörspiele und stolperte irgendwann über diese WDR PRIME CRIME-Hörspielbox mit 6 CDs – längst vergriffen und nur noch antiquarisch auf den bekannten Portalen äußerst günstig käuflich zu erwerben. Da griff ich zu.

Die Zusammenstellung der Box wirkte etwas kurios auf mich: Inmitten der anderen Autoren, die alle aus Deutschland stammten, nimmt hier Georges Simenon eine Sonderstellung ein. Er ist der Paradiesvogel, der mit der Bekanntheit seines Namens internationales Flair versprüht und somit vielleicht auch einen Kaufanreiz bei der potenziellen Kundschaft setzen sollte. Bei mir hatte diese Taktik bestens funktioniert.

Der Roman DER MÖRDER, das literarische Original zu diesem Hörspiel, hatte mir sehr gefallen. Insbesondere die Veränderungen, die der Täter wie auch sein soziales Umfeld durchlaufen, wurden von Georges Simenon anschaulich beschrieben. Der Autor erschuf eine bedrückende Atmosphäre und sorgte so für eine fesselnde Lektüre. Würde die Hörspiel-Adaption eben jene Atmosphäre ebenso wiedergeben können?

Hans Kuperus ist ein angesehener Arzt in einem niederländischen Städtchen. Was er nicht weiß, ist, dass seine Ehefrau Alice ihn betrügt, wenn er einmal wöchentlich nach Amsterdam fährt oder nachts wegen medizinischer Notfälle das gemeinsame Bett verlässt. Eines Tages erhält Kuperus einen anonymen Brief, in dem ihm davon berichtet wird. Er beschließt Alice und ihren Liebhaber, den stadtbekannten Schürzenjäger Graf de Schutter, zu ermorden. An einem Dienstag, wenn Kuperus sich normalerweise mit seinen Medizinkollegen trifft, lauert er den beiden auf, erschießt sie und versenkt die Leichen im Kanal, der anschließend zufriert. Um keinen Verdacht aufkommen zu lassen, meldet Kuperus seine Frau als vermisst, während er gleichzeitig, in sehr reueloser Manier, versucht die Position der getöteten Ehefrau Alice durch das Dienstmädchen Neel zu ersetzen. Als das Eis zu tauen beginnt, kann Kuperus sich eines Verdachts nicht mehr erwehren.

(Inhaltsangabe der Homepage des Verlages entnommen!)


1 CD/ DER MÖRDER von Georges Simenon (1999)/ Hörspielbearbeitung & Regie: Walter Adler/ Übersetzung: Lothar Baier/ technische Realisierung: Thomas P. Sehringer & Matthias Fischenich/ mit Gerhard Garbers, Martin Reinke, Christiane von Poelnitz, Jele Brückner, Matthias Fuchs, Ernst August Schepmann, Susanne Barth, Hermann Lause, Herbert Schäfer, Pierre Siegenthaler u.a.


Nach ca. 50 Minuten war der „Spaß“ dann auch schon wieder vorbei. Der CD-Player war verstummt. Ich saß vor mich hin sinnierend in meinem Sessel und war mit dem, was ich gerade gehört hatte, irgendwie unzufrieden. Alle wohlwollenden Gründe zugunsten der Adaption hatte ich bereits in die Waagschale geworfen, und doch senkte sich die Negativ-Schale nur allzu deutlich. Doch was war es, das mich so unzufrieden sein ließ? Antwort: Die atmosphärische Dichte des Originals ging beim Hörspiel ebenso verloren, wie auch die psychologische Komponente außer Acht gelassen wurde.

Vielmehr erschien es mir wie ein „aufgehübschtes“ Hörbuch: Gerhard Garbers fiel als Erzähler der Hauptpart zu. Die restlichen Sprecher*innen sowie Musik und Geräusche wirkten eher wie Gimmicks, die eingefügt wurden, um die Aufnahme etwas aufzulockern. Somit hatten die Sprecher*innen auch kaum Möglichkeiten, um ein interessantes Rollenprofil zu erschaffen und so nachdrücklich auf sich aufmerksam zu machen.

Walter Adler bemühte sich in seiner Bearbeitung um einen ruhigen Erzählton, konnte aber die ambivalenten Gefühle, die sich bei den Protagonist*innen hinter der biederen Fassade der Gutbürgerlichkeit versteckten, nicht glaubhaft vermitteln. Auch ließ er oftmals eine Szene nahtlos an die vorherige Szene anknüpfen und sorgte bei mir für Verwirrung beim Zuhören, da ich (scheinbar) unwillkürlich auftauchende Stimmen nicht sofort zuordnen konnte. Erst nach einige Sekunden war ich wieder soweit orientiert, um mich dann in die Handlung wieder einzufinden. Hätte ich den Roman vorher nicht bereits gelesen, wäre mir dies deutlich schwerer gefallen.

So wirkte diese Hörspiel-Adaption eines Georges Simenon-Klassiker bedauerlicherweise sehr blutarm auf mich.


erschienen bei Random House Audio / ISBN: 978-3898302838
ebenfalls erschienen als Download bei DAV / ISBN: 978-3862316649 / als Teil der Hörspielbox Maigret & Co. Meisterhafte Fälle

[Rezension] Josephine Tey – WARTEN AUF DEN TOD

Angelehnt am Stil des klassischen „Whodunit“ gestaltete Josephine Tey dieses erste Auftreten ihres Ermittlers Inspector Alan Grant auf der literarischen Bühne. Dieser Kriminalroman, der im Jahre 1929 erschien, stand noch ganz unter dem Einfluss der rigiden Regeln des Detection Clubs. Im besagten Jahr versuchten Mitglieder des Detection Clubs mit ihren „Zehn Regeln für einen fairen Kriminalroman“, Richtlinien für den Kriminalroman aufzustellen. Diese Regeln wurden allerdings nicht von allen Mitgliedern des Clubs als seriös empfunden, teilweise wurden sie auch belächelt und für einen Scherz gehalten, und auch Tey selbst empfand sie als zu starr, zu einengend. Ihre Kriminalromane fallen dadurch auf, dass sie besagte Genreregeln bewusst brechen oder zumindest deren Grenzen ausreizen.

Ganz London, scheint es, steht vor dem Woffington-Theater Schlange. Nach zwei Jahren Spielzeit ist dies die letzte Woche von „Wussten Sie es nicht?“. Wer das legendäre Musical noch einmal sehen will, muss stundenlang vor der Theaterkasse ausharren. Als inmitten des Gedränges ein Mann ohnmächtig zusammensackt, weichen die Umstehenden erschrocken zurück: Aus seinem Rücken des Mannes ragt der Griff eines Dolchs. Der Unbekannte ist tot, heimtückisch erstochen in der Menschenmenge. Inspector Alan Grant von Scotland Yard, der mit den Ermittlungen beauftragt wird, sieht sich einer schier unlösbaren Aufgabe gegenüber: Nicht nur hat niemand der Anwesenden irgendetwas beobachtet, auch die Identität des Toten ist vollkommen unbekannt. Grant hält sich an die wenigen Indizien, die er hat – den altmodischen Typ des Dolchs, die Kleidungsstücke des Toten und die merkwürdige Mordmethode. Und er tut, was er am besten kann: Er nutzt die Kraft seiner Gedanken.

(Inhaltsangabe der Homepage des Verlages entnommen!)

Schon in ihrem ersten Alan Grant-Roman zeigte sie alle Ingredienzien, die ich an ihrem Schreibstil so sehr schätze und lieben gelernt habe. Wieder staunte ich über den stringenten Aufbau der Geschichte, die intelligenten Dialogen und die schlüssigen Entwicklungen. Sehr detailreich lässt sie uns am inneren Monolog unseres Helden teilnehmen. Dabei schlägt sie bereits mit diesem Roman den „Zehn Regeln für einen fairen Kriminalroman“ ein Schnippchen: Der Verdächtige ist gefasst, und die Beweise sprechen deutlich dafür, dass nur er der Schuldige sein kann. Nun dürfte der Roman doch zufriedenstellend enden, oder?

Doch nein, denn da warteten locker noch weitere 70 Seiten auf mich als Leser. Verwundert blickte ich auf diese Menge an Papier, und mir schwante, dass das Ende nicht wie erhofft vorhersehbar sein würde. Da hatte ich durchaus so eine Ahnung, wer der wahre Täter (oder vielleicht auch: die wahre Täterin) sein könnte, und dann schlägt Tey auch mir ein Schnippchen, indem sie ein überraschendes aber alle Ungereimtheiten aufschlüsselndes Ende präsentiert. Grandios!

Val McDermid bezeichnete die Kriminalromane von Josephine Tey als das „Bindeglied zwischen den klassischen Detektivgeschichten des Golden Age und der Kriminalliteratur von heute.“. Indem sie immer wieder unkonventionelle Themen ansprach und mit festgefahrenen Lesegewohnheiten brach, hat sie ihren Kolleginnen wie z. Bsp. P.D. James und Patricia Highsmith den Teppich für deren kreative Schaffenskraft ausgerollt und den Weg geebnet, auch ungewöhnliche wie unbequeme Plots zu wagen.


erschienen bei OKTOPUS by Kampa / ISBN: 978-3311300557 / in der Übersetzung von Jochen Schimmang

[Rezension] Isabelle Bottier (nach Agatha Christie) – TOD AUF DEM NIL/ mit Illustrationen von Callixte

Voller Ungeduld hatte ich schon auf das Erscheinen dieser Graphic Novel gewartet: Nachdem mich das Team „Bottier & Callixte“ mit HERCULE POIROTS WEIHNACHTEN bereits restlos überzeugen konnte, hatte ich meine Erwartungen entsprechend hoch angesetzt und wurde nicht enttäuscht.

Abermals war Isabelle Bottier so klug und orientierte sich bei ihrer Konzeption der Handlung nah am Original – so nah, dass mir die Kürzungen zwar auffielen, diese allerdings den Fluss der Geschichte nie behinderten bzw. aufgrund Unklarheiten bei mir Fragen aufwarfen. So blieben zwar die Beweggründe einiger Charaktere etwas nebulös im Verborgenen, doch diese Reduzierungen mit dem Fokus auf die Hauptcharaktere ist dem Umfang einer Graphic Novel geschuldet. Auch die Übersetzung durch Thomas Schöner möchte ich als gelungen bezeichnen. Die Dialoge, die er den Protagonist*innen in die Sprechblasen zauberte, wirkten auf mich nie sperrig oder unnatürlich. Und doch sind mir da ein paar kleine Fehler aufgefallen (siehe: „Backbord“ bzw. „Steuerbord“), die mich anfangs ein wenig irritierten. Ob die besagten Fehler nun bei der Übertragung ins Deutsche entstanden oder bereits im Original zu finden waren und unbedacht übernommen wurden, kann ich natürlich nicht beurteilen. Ihr Vorhandensein schmälerte nicht meine Freude an dieser spannenden Story.

Die schöne Millionenerbin Linnet Ridgeway heiratet den ehemaligen Verlobten ihrer Freundin Jacqueline de Bellefort, Simon Doyle. Während ihrer Hochzeitsreise in Ägypten werden sie beständig von Jacqueline verfolgt, die sich so an dem Paar rächen will. Linnet Doyle bittet Hercule Poirot um Hilfe, doch dieser fühlt sich außerstande die Situation zu entspannen. Selbst als das junge Ehepaar sich heimlich auf den Nildampfer Karnak begibt, ist Jacqueline de Bellefort bereits an Bord. Eines späten Abends – Linnet ist bereits zu Bett gegangen – zückt Jacqueline im betrunkenen Zustand und voller Eifersucht ihre Waffe und schießt Simon eine Kugel ins Bein, der bewegungsunfähig zusammenbricht. Er bittet die beiden Augenzeugen Mr. Fanthorp und Miss Robson darum, Jacqueline in ihrem hysterischen Zustand nicht allein zu lassen, da er befürchtet, sie könne sich etwas antun. Er selbst wird wenige Minuten später von dem mitreisenden Arzt Dr. Bessner in dessen Kabine versorgt. Am Morgen darauf wird Linnet Doyle erschossen in ihrer Kabine aufgefunden. Doch Jacqueline ist während der möglichen Tatzeit von einer Krankenschwester bewacht worden und kann den Mord somit nicht begangen haben. Und es soll nicht bei diesem einen Mord bleiben: Poirots Ermittlungskünste sind mehr denn je gefragt…!


Diese Diashow benötigt JavaScript.


Auch Illustrator Callixte (alias Damien Schmitz) überzeugte mich mit seiner Kunst: Abermals schuf er für das Ensemble in dieser Geschichte höchst individuelle wie detailreiche Physiognomien, die es gar vortrefflich charakterisierten. Bei den älteren Damen ist er mir allerdings etwas über das Ziel hinausgeschossen und lässt sie beinah wie Karikaturen erscheinen. Voller prägnanter Details sind ebenso seine Settings: Er taucht diese gerne in die orange-rot-braune Farbpalette, die gelungen das Erdig-urwüchsige der ägyptischen Wüste wiederspiegelte.

Wann der Carlsen-Verlag weitere Christie-Klassiker im Gewand einer Graphic Novel veröffentlicht, das steht noch in den berühmt-berüchtigten Sternen. Doch eins ist sicher: Es bleibt spannend!


erschienen bei Carlsen / ISBN: 978-3551805829 / in der Übersetzung von Thomas Schöner
ebenfalls erschienen als Roman bei Atlantik / ISBN: 978-3455650020 und als Hörbuch bei DER HÖRVERLAG / ISBN: 978-3899407969 

[Rezension] Alan Bradley – FLAVIA DE LUCE. DES HENKERS LETZTE MAHLZEIT

Es war für mich wie ein Nachhausekommen: Nach längerer (in diesem Fall: unfreiwilliger) Abwesenheit öffnete ich die Tür, und eine Woge der Behaglichkeit stürzte über mich herein. Das Licht, die Gerüche, der Ton – alles war mir so vertraut, dass ich mich bedingungslos und ohne Angst fallen lassen konnte. Sanft gleitete ich in ein für mich bereitetes Bett, und luftige Kissen und Decken fingen mich weich auf.

Genauso fühlte ich mich, als ich dieses Buch aufschlug und endlich wieder in Flavias Welt eintauchen durfte. Fünf lange Jahre hatte sich Alan Bradley Zeit genommen, um Flavias Geschichte weiterzuspinnen. Fünf lange Jahre musste ich (und mit mir natürlich auch alle anderen Flavia-Groupies weltweit) ohne ein Lebenszeichen von ihr ausharren, und in mir keimte schon die Angst, dass es evtl. keine weitere Geschichte geben würde. Doch nun ist sie wieder da und hat für uns allerlei Überraschungen im Gepäck…

Major Greyleigh, ein ehemaliger Henker, wird tot aufgefunden. Todesursache: der Verzehr giftiger Pilze. Schnell gerät die Köchin Mrs Mullet ins Visier der Polizei. Doch ganz so einfach ist die Lösung nicht – Flavia ermittelt auf eigene Faust. Auf der Suche nach dem Mörder wird sie auf einige Familien aufmerksam, die durch den Henker Angehörige verloren und damit alle ein Motiv haben. Oder hat etwa ihre unerträgliche Cousine Undine etwas mit dem Tod des Henkers zu tun? Am Ende ihrer Nachforschungen kommt Unvorstellbares ans Licht: Flavia erfährt, was wirklich mit ihrem toten Vater geschah – das wohl größte Rätsel ihres Lebens.

 (Inhaltsangabe der Homepage des Verlages entnommen!)

„Wenn irgendwo Pilze schmoren,
wird der Kriminalist unwillkürlich hellhörig.“

…äußerte sich schon Agatha Christie über diese äußerst beliebte Mordmethode in Kriminalromanen. Und hier werde auch ich als geneigter Leser natürlich sofort hellhörig. Wobei: Die herzensgute Mrs Mullet und ein heimtückischer Mord sind für mich nur schwerlich in Einklang zu bringen. Aber gerade meine durch die Lektüre der zehn Vorgänger-Bände gefestigte Vorstellung der handelnden Personen nutzt der Autor schändlich aus, um mich auf das sprichwörtliche Glatteis zu führen. Sind die Personen wirklich so, wie ich bisher meinte, dass sie es sind? In diesem Roman wird so vieles in Frage gestellt, dass ich ein wenig Zeit benötigte, um meinen kleinen Flavia-Kosmos neu aus- bzw. einzurichten.

Wie eingangs schon erwähnt, schenkt uns der Autor eine wohlige Sicherheit, indem er die bekannten Rahmenbedingungen nur wenig verändert. Und doch setzt Alan Bradley raffiniert neue Akzente, da er einige Personen in den Mittelpunkt schiebt, während andere Personen eher in den Hintergrund rücken. Dabei verändert sich zwangsläufig der Fokus: Bisher unerwähnte und darum umso überraschendere Eigenarten treten zutage und lassen die Figuren in einem neuen Licht erstrahlen. Der Autor gönnt seinen Figuren eine Weiterentwicklung, eine Wandlung, die sie wohltuend aus ihrer bisherigen Schablone (er)lösen.

Dies trifft auch auf unsere geliebte Heroin zu: Sie wird nun zu einer jungen Frau. Eine Wandlung, die auch sie selbst verwirrt, die sie aber umso menschlicher erscheinen lässt. Ähnlich wie der Titelheld der Harry Potter-Serie darf auch hier unsere Heldin einen Reifungsprozess durchleben, der ihr äußerst gut bekommt und aus der anfangs neumalklugen und nervigen Göre eine interessante und gereifte Persönlichkeit macht.

Die abermals abwechslungsreiche und packende Story würzt Bradley zusätzlich mit einem gerissenen Twist, der die Handlung urplötzlich in eine andere Richtung lenkt und so das Interesse der Leserschaft auf kommende Romane weckt. Und weitere Romane sind wahrlich vonnöten: Da sind noch so viele Fragen unbeantwortet geblieben, so viele lose Enden müssen noch miteinander verknüpft werden.

Zudem würde ich es mir so sehr wünschen, dass Alan Bradley angesichts seines reiferen Alters die Möglichkeit hätte, diese äußerst unterhaltsame Krimi-Reihe zu einem runden und somit gelungenen Abschluss zu führen. Flavia, Dogger, Mrs Mullet, Inspektor Hewitt, Undine und all die anderen wunderbaren Figuren hätten es wahrlich mehr als verdient.


erschienen bei Penhaligon / ISBN: 978-3764533168 / in der Übersetzung von Gerald Jung und Katharina Orgaß
Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

[Rezension] José-Louis Bocquet (nach Georges Simenon) – DER PASSAGIER DER POLARLYS/ mit Illustrationen von Christian Cailleaux

Nachdem der Carlsen-Verlag schon einige Werke von Dame Agatha Mary Clarissa Christie, Lady Mallowan, DBE (kurz: Agatha Christie 😉) in Form der Graphic Novel ins Rennen um die Gunst der Krimi-Fans geschickt hatte, hielt mit Georges Simenon nun ein weiteres Schwergewicht der Kriminalliteratur Einzug ins Portfolio des Verlages. Nun sind Simenons Romane nicht so gefällig wie die seiner britischen Kollegin, nehmen aber völlig berechtigt einen wichtigen Platz auf dem Krimi-Olymp ein. Zudem wählte der Verlag für Simenons Einstand nicht etwa eine Geschichte mit dem weltberühmten Kommissar Maigret, vielmehr fiel die mutige Wahl mit DER PASSAGIER DER POLARLYS auf einen der weniger bekannten Romane.

Schon bevor die Polarlys den in frostigen Nebel getauchten Hamburger Hafen Richtung Norwegen verlässt, beschleicht Kapitän Petersen ein ungutes Gefühl. Er spürt etwas, was die Seemänner den »bösen Blick« nennen, und ahnt, dass diese Fahrt keine gewöhnliche wird. Auch der inkompetente, ihm von seinem Arbeitgeber als Dritter Offizier zugeteilte junge Niederländer gefällt ihm nicht. Noch weniger der gerade aus dem Gefängnis entlassene Rumtreiber, den der Maschinist als Ersatz für den erkrankten Heizer an Bord genommen hat. Tatsächlich lässt das Unheil nicht lange auf sich warten, denn schon einen Tag nach Lichten des Ankers wird an Bord einer der fünf Passagiere, der Polizeirat Sternberg, ermordet aufgefunden – und an Verdächtigen mangelt es nicht…

(Inhaltsangabe der Verlagsseite des Romans entnommen!)

Sowohl Agatha Christie wie auch viele ihrer Kolleg*innen, die das goldene Zeitalter der britischen Krimis prägten, siedelten die Handlungen ihrer Werke gerne in der gehobenen Mittelschicht bis hinauf zum Adel an und präsentierten so kauzige Typen in einem gediegenen Ambiente voller Luxus aber auch mit mehr Schein als Sein.

Simenon hingegen porträtierte Typen der Unterschicht: Hier ging es immer etwas direkter, schnörkelloser und handfester zu. Auch Sex und Erotik wurden da nicht nur schamhaft angedeutet. Zudem wurde nicht auf edlen Landsitzen sondern in räudigen Hinterhöfen gemordet. Der Umgangston der Straße war deftig und manches Mal deutlich ordinärer als vergleichsweise in einem malerischen englischen Cottage. 


Diese Diashow benötigt JavaScript.


Die literarische Vorlage zur Graphic Novel DER PASSAGIER DER POLARLYS ist mir leider nicht bekannt. Doch mit dem Wissen um die Attribute Simenons Werke, gestatte ich mir die Einschätzung, dass es José-Louis Bocquet gelungen ist, ein stimmiges Szenario zu kreieren, in dem der raue, wortkarge Umgangston, der an Bord eines Passagier- und Frachtschiffes vorherrscht, gut getroffen wurde.

Georges Simenon ist für mich ein Meister im Erschaffen von Atmosphäre. Er beherrschte die seltene Kunst, mit nur wenigen Sätzen punktgenau ein Milieu zu schildern. Wenige Sätze, manchmal nur Wörter genügen mir, und vor meinem inneren Auge entsteht das entsprechende Setting der Geschichte. Die Umsetzung besagter Atmosphäre in Bilder ist Christian Cailleaux mit seinen Illustrationen ganz und gar wunderbar gelungen. Mit der Wahl der jeweiligen Physiognomien zum Handlungspersonal skizziert er gestrauchelte und somit vom Leben gezeichnete Charaktere. Er verweigert uns „Schönmalerei“ und entwirft ambivalente Figuren mit Ecken und Kanten. Auch sein Setting, sozusagen das Bühnenbild entspricht diesem Konzept: Er verwehrt Simenons Welt eine allzu lebensbejahende Farbigkeit. Alles wirkt gedämpft, dumpf, trostlos – und gleichzeitig beängstigend, so als würde hinter jeder Kabinentür eine Gefahr lauern. 

„Ist es so, dass das Genre der Graphic Novel mir nicht zu liegen scheint?“ zweifelte ich vor einiger Zeit selbst an mir. Dank der Lektüre von DER PASSAGIER DER POLARLYS zweifle ich nun sehr viel weniger. Was hier geschaffen wurde, ist nicht nur ein schnöder Unterhaltungs-Comic, vielmehr wurde ein Klassiker der Kriminalliteratur als eine äußerst gelungene Graphic Novel wiedergeboren.


erschienen bei Carlsen / ISBN: 978-3551804204 / in der Übersetzung von Christoph Haas
ebenfalls erschienen als Roman bei Hoffmann und Campe / ISBN: 978-3455006315 und als Taschenbuch bei Atlantik / ISBN: 978-3455008050 
Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

[Rezension] Margery Allingham – CAMPION. TÖDLICHES ERBE

Das goldene Zeitalter der Kriminalroman scheint sehr fruchtbar gewesen zu sein. Wie sonst ließe es sich erklären, dass die Verlage immer wieder in den Archiven fündig werden, so manche Wiederentdeckungen entstauben und deren Schöpfer*innen gerne vollmundig auf eine Stufe mit der „Queen of Crime“ stellen. In diesem Falle wird sogar werbewirksam auf dem Einband ein Zitat von Agatha Christie „herself“ bemüht:

„Margery Allingham sticht aus der Masse heraus
wie ein helles Licht in der Dunkelheit.“

Nach so viel Lobhudelei war meine Erwartungshaltung natürlich hoch, und mit der entsprechenden Vorfreude ausgestattet begann ich mit der Lektüre…

Die Familie Gyrth ist im Besitz eines legendären Kelches. Seine Schönheit und die Legenden, die sich um ihn ranken, machen ihn unersetzlich. In einer fensterlosen Kapelle aufbewahrt, sollte er vor Diebstahl sicher sein. Aber als Percival, der derzeitige Erbe der Familie, Opfer eines verpfuschten Entführungsversuchs wird, ahnt er, dass der Schatz in Gefahr ist. Kurzentschlossen wendet er sich an Albert Campion, einen der besten Detektiv, die England je kannte. Und so beginnt Campion zu ermitteln…

(Inhaltsangabe der Homepage des Verlages entnommen!)

„Margery Allingham? Margery Allingham? Woher kenne ich diesen Namen?“ grübelte ich vor mich hin, doch der erhoffte zündende Einfall entpuppte sich als Rohrkrepierer. Erst als ich mich (dank Suchmaschine) mit der Vita der Autorin beschäftigte und mein Blick auf eine Liste vorhandener Verfilmungen haften blieb, schimmerte endlich ein Hauch von Erkenntnis durch den trüben Nebel der Unwissenheit. Ende der 80er Jahre wurden von der BBC acht Romane für das englische Fernsehen verfilmt. In den Hauptrollen standen Peter Davison in der Titelrolle und Brian Glover als Magersfontein Lugg vor der Kamera. Und eben genau diese Serie befindet sich schon seit geraumer Zeit im Bestand meiner umfangreichen DVD-Sammlung. Da ich mich nicht mehr ausreichend an sie erinnern konnte, schob ich flugs die erste DVD in den Player. Etliche Minuten später wusste ich, warum mir so wenig im Gedächtnis haften geblieben war: Die Verfilmung dieses Romans wirkte auf mich ermüdend langatmig und spannungsarm.

Dabei hält sich zumindest diese Folge nah am literarischen Original: Doch im Vergleich zur visuellen Umsetzung schaffte es die Autorin in ihrer Vorlage wenigstens eine gewisse Spannung aufzubauen und die Szenen flott abzuspulen. Ich könnte nicht behaupten, dass ich mich bei der Lektüre dieses Krimis gelangweilt hätte. Doch leider ist unser Held von einer enttäuschenden Farblosigkeit. Da werten ihn auch seine klugen Gedanken und raffinierten Schachzüge nicht auf. Sein hünenhafter Assistent Magersfontein Lugg zeigt da deutlich mehr Profil mit seiner kriminellen Vergangenheit, dem flotten Mundwerk und einer ordentlichen Portion gesundem Menschenverstand. Selbst viele der Nebenrollen haben deutlich mehr Ecken und Kanten als unser kriminalistischer Hero.

Auch wirkte die Handlung auf mich wie ein Mosaik aus nur allzu bekannten Einzelteilen und ließ mich an Werke von Edgar Allen Poe (geheimnisvolle verschlossene Räume) und Arthur Conan Doyle (geisterhafte Untier) denken. So war es dem Roman bedauerlicherweise nicht vergönnt, in Würde altern zu können, da ihm sowohl die Originalität der schon eingangs erwähnten Agatha Christie wie auch die Intelligenz einer Josephine Tey fehlen.

Fazit: Es ist durchaus ein netter, flott zu lesender Krimi. Doch leider ist die Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass er ebenso kurz in meiner Erinnerung haften bleiben wird, wie schon zuvor die TV-Serie von der BBC.


erschienen bei Klett-Cotta / ISBN: 978-3608966756 / in der Übersetzung von Edith Walter
Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!