[Komödie] Karl Bunje – UP DÜVELS SCHUVKAR / Niederdeutsche Bühne Waterkant

Komödie von Karl Bunje

Premiere: 28. Januar 2023 / besuchte Vorstellung: 1. Februar 2023

Niederdeutsche Bühne Waterkant / Kleines Haus am Stadttheater Bremerhaven


Inszenierung: Martin Kemner
Bühne: Mathias Betyna
Kostüme: Viola Schütze

Bei der Niederdeutschen Bühne Waterkant stehen – wie übrigens auch bei meiner Heimatbühne Scharmbecker Speeldeel oder (wie sie seit einigen Jahren heißt) TiO – Theater in OHZ – ambitionierte Amateure auf der Bühne, die mit viel Enthusiasmus in ihrer Freizeit dafür sorgen, dass die niederdeutsche Sprache gepflegt wird. Dabei können sie in vielfacher Form die Hilfe von Profis in Anspruch nehmen: So bietet der gemeinsame Dachverband, der Niederdeutsche Bühnenbund, etliche Fortbildungen zu unterschiedlichen Schwerpunkten wie Bühnenbau, Beleuchtung oder Schauspielerei an, an denen die Mitglieder der angeschlossenen Bühnen teilnehmen können. Viele Bühnen engagieren zur Realisation eines Stückes durchaus auch professionelle Regisseur*innen und profitieren von deren Expertise. Trotzdem stehen hier immer noch Abend für Abend, Vorstellung für Vorstellung Amateure auf der Bühne, die neben Familie, Arbeit und/oder Studium sich diesem Hobby mit Elan widmen. All dies habe ich selbstverständlich in meiner Beurteilung einfließen lassen.

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Profi-Regisseur Martin Kemner bringt eine solide, doch wenig inspirierende Inszenierung auf die Bretter. Leider versäumte er es, einige typische Fehler, die bei Laienspielern gerne mal auftauchen, auszumerzen: Da steht jemand in der Mitte der Bühne und ruft nach einer Person, die sich hinter der Bühne befindet, die nicht nur sofort auf diesen Ruf antwortet sondern sogar binnen Sekunden hinter einer der Bühnentüren erscheint. Sehr unglaubwürdig! Oder es wird auf die Reaktion eines Mitspielers reagiert, obwohl dieser nicht angesehen wurde. Sehr unglaubwürdig! Mir wurde damals eingebläut, dass eine Reaktion immer begründet sein muss. Der Leitspruch lautete „sehen, analysieren, reagieren“. Hier wäre der helfend-unterstützende Einfluss des Profis vonnöten gewesen.

Das Bühnenbild von Profi Mathias Betyna ist in seiner Kargheit rein zweckmäßig: Nur das Nötigste steht auf der Bühne. Dekorierenden Firlefanz, der für eine zeittypische Atmosphäre sorgen könnte, sucht der Zuschauer vergebens. Ein Lichtblick sind die ansprechenden Kostüme von Viola Schütze, die genau auf jeden Charakter abgestimmt wurden.

Das Ensemble setzt sich aus erfahrenen Platt-Snackern und jungen Frischlingen, denen das Platt weniger geschmeidig über die Zunge kommt, zusammen. Aber nur so kann es funktionieren, dass die plattdeutsche Sprache weiterlebt: Die Jungen lernen von den Alten. Carsten Lappöhn gibt einen plietschen Jan Spin, der es faustdick hinter den Ohren hat. Ein ebenbürtiges Gegenüber findet Lappöhn in Brigitte Grahn, die Taline handfest und herzensgut Leben einhaucht. Heiko Herkens ist bei Sebastian Frese eher der pragmatische Kerl, der ganz auf seine Stellung als Jungbauer setzt und beinah erstaunt feststellt, dass weniger sein Imponiergehabe als vielmehr ein respektvoller Umgang miteinander die gewünschte Wirkung zeigt. Respekt ist genau das, was Marie stets den Menschen in ihrer Umgebung entgegenbringt: Sophia Oetjen porträtiert das Flüchtlingsmädchen als charakterfeste junge Frau mit klaren Prinzipien. Verena Hoechst schafft in ihrer gelungenen Darstellung der Helga das Kunststück, dass das Publikum diesem Flittchen alles Schlechte wünscht. Das Gegenteil wünscht man ihrem Bühnenpapa Fied, dem Wolfgang Wellbrock seine stattliche Figur leiht und mit komödiantischen Attitüden ausstattet.

Alles in allem ist dies – trotz des einen oder anderen Wermuttropfens – eine unterhaltsame und kurzweilige Inszenierung dieses Komödien-Klassikers!


Als ich im Jahr 1991 mit jugendlichen 21 Jahren zum ersten Mal in einem plattdeutschen Schwank mitspielte, gab mir der damalige Bühnenleiter Klaus Fürst, ein erfahrener Theater-Mann, einen guten Rat bzgl. der Rollengestaltung in plattdeutschen Komödien. Er sagte zu mir Weißt Du, Andreas, in den plattdeutschen Schwänken dürfen die Alten alle einen Vogel haben. Doch das junge Paar darf keinen haben. Das junge Paar muss frisch, natürlich und adrett sein – selbstverständlich mit der obligatorischen Kuss-Szene, damit sich die älteren Herrschaften im Publikum an die eigene Jugend erinnern und denken „Hach, wie war das schön!“. Und an dieser Devise habe ich mich gehalten,…

…dann hob sich heute vor genau 27 Jahren der Vorhang in der großen Scheune auf Gut Sandbeck in Osterholz-Scharmbeck zur Premiere von Karl Bunjes Komödien-Klassiker UP DÜVELS SCHUVKAR mit mir in der Rolle des Jungbauern Heiko Herkens. Ich denke sehr gerne an diese Rolle zurück, die gleichzeitig wunderschön aber auch durchaus herausfordernd war. Denn hier konnte ich mich nur bedingt an den Rat von Klaus Fürst halten. Die Hintergründe: Das Stück spielt im Jahre 1946. Der zweite Weltkrieg war gerade vorbei. Die Bevölkerung ist vom Krieg gezeichnet und leidet unter den Entbehrungen der Nachkriegszeit. Jede*r hatte Dinge erlebt oder gesehen, die prägend waren.

In einer Komödie, die zu einer solchen Zeit spielt, konnte auch ein junges Paar nicht „nur“ frisch, natürlich und adrett sein. Wie alle im Stück auftretenden Charaktere ist auch Heiko Herkens von seinen Erlebnissen im Krieg beeinflusst, und trotz aller Dramatik und aller Schwere handelt es sich bei diesem Stück immer noch um eine Komödie. Und so bemühte ich mich in meiner Rollengestaltung um den Spagat zwischen ekeligen Kotzbrocken und liebenswerten Kerl, denn hinter der aufbrausenden Fassade wollte ich immer noch den sympathischen jungen Mann durchschimmern lassen. Schließlich sollte es ja glaubhaft über die Rampe kommen, warum Taline und Jan ihm zur Seite stehen, Helga sich in ihn verguckt und Marie sich sogar in ihn verliebt. Ein durchaus ambivalenter Charakter, dessen Verkörperung gerade darum wunderschön und herausfordernd war. Ich habe diese Rolle geliebt!

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Es gibt für Euch noch bis Anfang April etliche Gelegenheiten, um bei der Niederdeutschen Bühne Waterkant UP DÜVELS SCHUVKAR aufzuspringen.

Neues Jahr, neues Glück, neue Ideen…

…ganz bestimmt nicht: Haha, nochmals falle ich nicht darauf rein und verspreche Anfang des Jahres vollmundig und selbstüberschätzend, wie viele tolle Ideen ich habe, und welche bahnbrechenden Veränderungen hier auf meinem Blog stattfinden werden. Und am Ende des Jahres habe ich von all den großkotzig angekündigten Versprechungen gerade einen kaum erwähnenswerten Prozentsatz umgesetzt. Diesen eklatanten Fehler werde ich nicht noch einmal begehen. Diesmal halte ich mich vornehmend bedeckt und übe mich in nonchalanter Zurückhaltung. Lasst Euch einfach überraschen…!

Was ich Euch allerdings getrost und somit sehr gerne verraten kann, sind die Bücher, die teilweise schon auf dem Tischchen neben meinem gemütlichen Lesesessel liegen und auf mich warten…



Wie könnte es bei mir auch anders sein, werden die Kriminalromane selbstverständlich weiterhin einen großen Platz auf meinem Blog einnehmen. Und so beginne ich das Jahr mit einem Klassiker des Genres, mit den kurzweiligen Geschichten um Pater Brown. Tod und Amen von G. K. Chesterton, die schon im Herbst als üppiger Sammelband im Kampa Verlag erschienen sind.

Um einen üppigen Wälzer handelt es sich auch bei Prosaische Passionen. Die weibliche Moderne in 101 Short Stories aus dem Manesse Verlag. Herausgeberin Sandra Kegel hat eine Mamutaufgabe gemeistert und hier Erzählungen und Prosastücke aus über 25 Sprachen zusammengetragen. Dies ist eines der Werke, das mich sicherlich über einen sehr langen Zeitraum begleiten und begeistern wird.

Im Februar erscheint nun endlich mit Blautöne der neuste Roman von Anne Cathrine Bomann bei Hanser blau. Ihr Erstlingswerk „Agathe“ konnte mich schon so sehr begeistern, da bin ich nun auf ihren neusten Streich sehr gespannt.

Wie bei meinem „Lese-Highlights 2022“ schon angekündigt, werden die Klassiker mich auch in diesem Jahr weiter beschäftigen: So warten Der alte Mann und das Meer von Ernest Hemingway (Rowohlt Verlag) und Rebecca von Daphne du Maurier (Insel Verlag) schon auf mich.

Der Reclam Verlag kann nicht nur „klein und gelb“ sondern auch „groß und illustriert“: Da juckt es mir schon sehr in den Fingern, und ich muss mich zurückhalten, um nicht gleich zu einer dieser tollen Prachtexemplare zu greifen: Heinrich Manns Der Untertan (illustriert von Arne Jysch) und Der große Gatsby von F. Scott Fitzgerald (illustriert von Adam Simpson).

Apropos „illustrierte Fassung“: Dank der Büchergilde Gutenberg bin ich da immer gut aufgestellt und freue mich schon sehr sowohl auf Der dritte Mann von Graham Greene als auch auf Arsène Lupin. Der Gentleman-Gauner von Maurice Leblanc. Beiden Romanen schenkte Annika Siems ihre ausdrucksstarken Illustrationen.

Kindheitserinnerungen werden bei mir wach, wenn ich an die Abenteuer-Reihe von Enid Blyton denke. Im Bocola Verlag erscheinen nun alle Bände in einer exklusiven Edition nach den englischen Originalausgaben. Die ersten beiden Bände habe ich mir von einem lieben Menschen schon schenken lassen. 😍

Der Klett-Cotta Verlag bleibt seinem eingeschlagenen Weg treu und schenkt uns Anhängern der klassischen Kriminalliteratur mit Tod im Wunderland von Nicholas Blake wieder ein kleines Schmankerl.

Selbstverständlich darf SIE nicht fehlen: Agatha Christie ist gleich mit zwei Werken aus dem Atlantik Verlag in der ersten Jahreshälfte bei mir vertreten. Weder bei Etwas ist faul noch bei Der Hund des Todes kommt Miss Marple oder Hercule Poirot zum Einsatz. Doch mein Lese-Vergnügen wird diese Tatsache sicherlich in keiner Weise schmälern.

Dieser Prachtband ist so üppig, dass ich ihn nur ohne Gefahr, eine Sehnenscheidenentzündung im Arm zu erhalten,  betrachten und lesen kann, wenn ich ihn auf den großen Esstisch platziere: Der Orient-Express. König der Züge von Guillaume Picon und Benjamin Chelly aus dem Frederking & Thaler Verlag. Natürlich dachte ich bei dieser Thematik sofort an Agatha Christie und freue mich schon sehr, beim Betrachten dieses Bildbandes in Gedanken gemeinsam mit Hercule Poirot durch die Abteile dieses legendären Zuges zu wandern. Dieses traumhafte Buch wurde mir ebenfalls von einem lieben Menschen geschenkt. 😍


Auch im Jahr 2023 werde ich weiterhin voller Freude die Rubrik „Kulturelles Kunterbunt“ mit Inhalten füttern: Die eine oder andere Eintrittskarte hängt schon an meiner Pinnwand und wartet geduldig auf ihren Einsatz und ist dabei deutlich geduldiger als ich es je sein könnte. So warte ich voller Ungeduld aber auch mit einer Menge Vorfreude auf…

…zudem möchten ich endlich gerne eines der KAMMERKONZERTE des Philharmonischen Orchesters Bremerhaven besuchen. Die Konzerte finden immer im HISTORISCHEN MUSEUM BREMERHAVEN statt, dessen Ausstellung mich auch unabhängig vom Besuch eines Konzertes interessieren würde. Außerdem war ich schon gefühlt seit einer Ewigkeit nicht mehr Gast bei einer Lesung: Die Buchhandlung meines Vertrauens DIE SCHATULLE hat da ein ganz wunderbares Potpourri an Lesungen zusammengestellt. Da werde ich sicher fündig…!


Bücher & Kultur: Beides ist mir immens wichtig und bereichert mich und mein Leben über alle Maßen. Doch was wäre ich ohne die Menschen in meinem nahen und näheren Umfeld? Mein Leben wäre ärmer ohne die vielfältigen Begegnungen, ohne den Austausch, ohne Zuneigung und Bestätigung. Die Welt ist so verrückt geworden: Was vor einigen Jahren unvorstellbar schien, ist heute beinah Normalität. Die Grenzen, was tolerabel und was inakzeptabel ist, haben sich verändert, und – wie ich finde – leider nicht zum Besseren. Darum: Bitte lasst uns aufeinander Acht geben und dafür Sorge tragen, dass unsere Welt ein lebens- und liebenswerter Ort bleibt.

Und: Bitte bleibt ALLE gesund!

F R O H E S   N E U E S   J A H R

Liebe Grüße
Andreas

[Komödie] Eberhard Streul & Otto Schenk – DIE STERNSTUNDE DES JOSEF BIEDER / TiO Osterholz-Scharmbeck

Komödie von Eberhard Streul und Otto Schenk

Premiere: 16. Oktober 2021 / besuchte Vorstellungen: 17. und 31. Oktober 2021

TiO – Theater in OHZ, Osterholz-Scharmbeck


Inszenierung: Marne Ahrens
Bühne: Beate Schöne


Theater in Zeiten von Corona: Es war und ist für jede Bühne eine Herausforderung. Doch besonders kleine und allerkleinste Theater trifft es besonders hart. Nicht nur, dass die Hygienevorschriften vor, auf und hinter der Bühne umgesetzt werden müssen, auch die Abstandsregelung zwingt viele Theater, die per sé schon überschaubaren Plätze im schnuckeligen, engen und gemütlichen Theaterraum weiter zu reduzieren. Die Folgen: weniger Zuschauerzahlen = weniger Einnahmen = Existenzängste! Selbst eine Amateur-Bühne wie das TiO – Theater in OHZ, wo alle Bühnenschaffenden dies als ihr Hobby ansehen und somit sich ehrenamtlich für das Theater engagieren, spürte diese Folgen. Laufende Kosten scheren sich nun mal nicht um eine Pandemie. Doch das TiO – Theater in OHZ suchte neue Wege und fand diese: ein Darsteller auf der Bühne, ein Regisseur vor der Bühne, eine Requisiteurin hinter der Bühne und ein Techniker am Licht- und Ton-Pult – alle mit dem geforderten Abstand zueinander. Zudem wurde ein passendes Stück mit einer überschaubaren Länge gefunden. So startete im Dezember 2020 die Crew mit den Proben ins Ungewisse, doch mit dem festen Willen, sobald sich eine Möglichkeit bietet, wieder Theater für ihr Publikum anbieten zu können. Und das Konzept ging auf…!

Josef Bieder ist Chefrequisiteur am örtlichen Theater und schon seit Jahrzehnten in diesem Beruf tätig. Er kennt sich aus, und nichts und niemand könnte ihn aus der Ruhe bringen. Das dachte er zumindest, bis er an einem vorstellungsfreien Tag unversehens auf der Bühne steht, um diese für die Aufführung am nächsten Tag vorzubereiten, und im halbdunklen Zuschauerraum Publikum wahrnimmt. Wie konnte dieses Malheur nur passieren? Das kann doch nur ein peinlicher organisatorischer Fehler „von Denen da oben“ sein. Während er versucht, die Verantwortlichen an die Strippe zu bekommen, sucht er den Kontakt mit dem Publikum, denn schließlich „Sie können ja nichts dafür…!“. Dabei entwickelt sich zunehmend ein Monolog, in dem Bieder mehr und mehr ins Plaudern gerät und seine harmlose Schwärmerei für seine junge Assistentin Leni offenbart. Er gewährt „seinem“ Publikum Einblick in seinen Tätigkeitsbereich, gibt Anekdoten über Sänger und Dirigenten zum Besten, zelebriert die verschiedenen Arten der Verbeugung ebenso überzeugend wie das Todeszucken des sterbenden Schwans, und so ganz nebenbei verrät er charmant seine persönlichen Leidenschaften. Nach einer Stunde – seiner Sternstunde – ist seine Arbeit getan, und er verabschiedet sich (und uns) in den wohlverdienten Feierabend.

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Manchmal ist weniger mehr: einige wenige Bühnenteile, eine Handvoll Requisiten, dazu ein talentierter Schauspieler unter der Führung eines fähigen Regisseurs, und fertig ist die humorvolle Unterhaltung mit Niveau. Dabei mutete anfangs alles eher etwas nüchtern an: Das Publikum tritt in den Saal und schaut auf die offene Bühne, die Bühnenbildnerin Beate Schöne im Arbeitslicht wenig ansprechend wirken lässt. Ebenso erlaubt Carsten Mehrtens seinen Josef Bieder nicht von vornerein allzu sympathisch über die Rampe zu kommen. Vielmehr wirkt er eher spröde und scheint verunsichert ob der Situation, die er gerne schnellstmöglichst geklärt wissen will. Doch da er „von Denen da oben“ keine schnelle Rückmeldung erhält, ist Bieder gezwungen zu improvisieren. Und so wie die Kulisse plötzlich im Bühnenlicht Atmosphäre ausstrahlt, so blüht unser ältlicher Requisiteur mit jedem weiteren Satz, mit jeder weiteren Anekdote mehr und mehr auf.

Carsten Mehrtens gelingt bravourös der Spagat zwischen Melancholie, Humor und Slapstick. Grandios wie er mit differenzierter Mimik und Gestik die unterschiedlichen Formen der Verbeugung darstellt, voller Zartheit in seiner Schwärmerei von Leni erzählt und über das Altern philosophiert, um dann mit Cadenza den Fächertanz im Tütü darzubieten. Regisseur Marne Ahrens wird einen nicht unwesentlichen Anteil am Gelingen dieses Abends haben. So führt er seinen Schauspieler klug durch diesen Monolog, erlaubt ihm Pausen des Nachdenkens und Resümierens, nutzt geschickt Requisiten und würzt den Text mit lokalen Anspielungen.

Nach einer guten Stunde war das Vergnügen leider schon zu Ende. Doch diese Stunde war nicht nur die Sternstunde des Josef Bieder, sondern ebenso eine Sternstunde für alle Mitwirkende und eine Freude für jede*n, die/der intelligente Unterhaltung zu schätzen weiß.


Hingehen, anschauen und einen tollen Abend verleben: DIE STERNSTUNDE DES JOSEF BIEDER werden noch bis November im TiO – Theater in OHZ zu sehen sein.

[Komödie] Samuel Benchetrit – NACH PARIS! / TiO Osterholz-Scharmbeck

Komödie von Samuel Benchetrit / Deutsch von Annette und Paul Bäcker

Premiere: 11. Januar 2020 / besuchte Vorstellung: 18. Januar 2020

TiO – Theater in OHZ, Osterholz-Scharmbeck


Inszenierung: Bernd Schröter
Bühne: Beate Schöne
Kostüme: Ute Schmonsees


Ein einsamer Bahnhof in der Provinz: Eine junge Frau (Michelle), ein junger Mann (Vincent) und ein älterer Mann (Charles) warten auf den Zug nach Paris. Doch dieser Zug verspätet sich immer wieder und immer wieder. Drei auf den ersten Eindruck scheinbar fremde Menschen sind auf diesen heruntergekommenen Bahnhof gestrandet. Gestrandet sind sie nicht nur hier: Jede*r von ihnen ist im Leben an einem Punkt angekommen, an dem sie schon gestrandet sind, bzw. es vorbestimmt scheint, dass sie stranden werden. Nur langsam entwickelt sich ein Gespräch zwischen den Wartenden. Beinah zögerlich werden die Gründe der jeweiligen Reise, familiäre Verbindungen und Lebensentwürfe und -wünsche verraten. Gegenseitige Sympathien keimen auf und werden wenig später auch wieder im Keim erstickt. Jede*r der Reisenden hält Zwiesprache mit sich und mit der Stimme der Bahnansage, die ein überraschendes wie beängstigendes Eigenleben führt! Als endlich der Zug nach Paris im Bahnhof eintrifft, ist alles anders: Die Karten des Lebens wurden neu gemischt…!


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Regisseur Bernd Schröter gelingt es mit leichter Hand, Humor mit Melancholie zu paaren: Es darf durchaus gelacht werden, doch im nächsten Moment kann schon eine Träne rinnen. Französisches Flair weht durch die Szenerie und siedelt die Handlung zwischen Realität und Märchen an.

Eine Überraschung erlebt der Zuschauer beim Bühnenbild: Die gesamte Bestuhlung des Saals hat sich um 90° nach rechts gedreht. Das Geschehen spielt sich nicht mehr auf der Bühne ab. Die gesamte Länge des Saals mutiert nun zum Bahnhof. Der Zuschauer sitzt somit „auf den Gleisen“, blickt frontal auf den Bahnhof und somit direkt hinein in die Handlung. Bühnenbildnerin Beate Schöne hat einen äußerst ansprechenden wie stimmungsvollen Rahmen für diese zarte Komödie geschaffen und begeistert mit entzückenden Details.

Drei starke Darsteller*innen stehen auf der Bühne: Francine Fromme gibt eine zarte Michelle zwischen Naivität und Koketterie, zwischen Freiheitsdrang und sich geborgen fühlen (wollen). Jan Makow stattet den Vincent als bedachten jungen Mann mit Träumen, Idealen aber auch klaren Grundsätzen aus und lässt ihn – trotz aller Zurückhaltung – nicht farblos erscheinen. Carsten Mehrtens vollzieht mit dieser Komödie ein Wechsel im Rollenfach und wandelt sich vom Womanizer/Bad Boy zum reifen Charakterdarsteller. Dies steht ihm ausgesprochen gut zu Gesicht: Sein Charles ist liebenswert kauzig und fordernd, dann wieder rührend und behütend. Last but not least: Als „Sidekick“ leiht Miriam Pukies der Bahnansage ihre prägnante Stimme.

Mit einer Träne im Augenwinkel und einem wohligen Gefühl im Herzen durfte ich das Theater verlassen. Das TiO: Theater in OHZ – Scharmbecker Speeldeel ist seinem Ruf als ambitionierte Amateur-Bühne wieder einmal mehr als gerecht geworden.


Bis Anfang Februar 2020 steht diese feine Komödie noch auf dem Spielplan des TiO – Theater in OHZ. Weitere Infos findet Ihr hier.

[Komödie] Michael McKeefer – CHARLIES WEG / TiO Osterholz-Scharmbeck

Tragikkomödie von Michael McKeefer / Deutsch von Frank-Thomas Mende / Niederdeutsch von Werner Mahlendorf

Premiere: 2. März 2019 / besuchte Vorstellung: 24. März 2019

TiO – Theater in OHZ, Osterholz-Scharmbeck


Inszenierung: Bernd Schröter
Bühne: Heinz Windhorst
Kostüme: Ute Schmonsees


Da erhält Charlie Bock die Diagnose einer lebenslimitierenden Krankheit, und sein Leben steht Kopf: Nur noch wenige Monate bleiben ihm, um zu leben – um endlich richtig (!) zu leben. Wie war sein Leben bisher? Statt selbst ein Schriftsteller zu werden, wurde er ein mittelmäßiger Lektor in einem mittelmäßigen Verlag mit einem mittelmäßigen Gehalt in einer mittelmäßigen Stadt…! Nun fährt er ziellos in seinem mittelmäßigen Auto umher und nimmt scheinbar zufällig einen Anhalter mit: Doch bei Willy ist nichts zufällig. Schon seit Charlies Geburt war er unsichtbar an seiner Seite und hat auf seinen Einsatz gewartet. Nun ist er gekommen: Willy ist Charlies persönlicher Tod und bereit, ihn auf ebendiesen vorzubereiten. Dummerweise stranden die beiden aufgrund einer Panne in einem trostlosen Hotel, das von Nelly nach dem tragischen Unfalltod ihres Mannes allein bewirtschaftet wird. Unterstützung erhält sie vom ansässigen Autoschlosser Theo, der ein ganz persönliches Interesse hat, dass Charlie so schnell wie möglich wieder verschwindet. Zwischen Todes-Sehnsucht und Hoffnung spürt Charlie nun ein für ihn gänzlich neues Gefühl: Er ist verliebt! Und so springt Irmi, seine persönliche Liebe aus den Tiefen seiner Gefühlskommode ans Licht und streut – blind wie ein Maulwurf, im quietsch-pinken Outfit und mit permanenter guter Laune gesegnet – wieder Hoffnung in Charlies trostloses (Rest-)Leben. Tod Willy ist der Verzweiflung nah…!

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Hochachtung für das TiO – Theater in OHZ, das sich als reine Amateur-Bühne immer wieder an neue Herausforderungen wagt. Hochachtung für das Ensemble, das diese Herausforderung annahm und souverän umsetzte. Hochachtung für den Regisseur, der dafür sorgte, dass dieses doch sehr dialoglastige Stück kurzweilig und berührend aber nie sentimental über die Rampe kam.

Wie bei jeder Amateur-Bühne ist es nicht immer selbstverständlich, dass ein Stück in allen Rollen adäquat besetzt werden kann. In diesem Fall ist es gelungen: Karl-Heinz Fürst gibt den eher schlichten Theo mit sehr viel Sympathie, dessen Handeln nur auf der Sorge um und seine Zuneigung für Nelly beruht. Die Nelly von Tina Stelljes ist zwar mehr die handfeste Macherin (die aber auch aufgrund der Umstände machen musste), lässt aber auch leise, verletzliche Töne erkennen. Petra Frerichs scheint als die persönliche Liebe von Charlie ständig unter Strom zu stehen und versprüht eine beinah schon ekelerregende gute Laune, hat zum Glück auch ihre zarten, ruhigen Momente.

Jens Wendelken schafft scheinbar mühelos den (nicht einfachen) Spagat, dass der Zuschauer mit seinem Charlie zwar sehr mitfühlt aber nie Mitleid empfindet. Überzeugend gelingt ihm auch die Darstellung der ersten Krankheitssymptome. Sein verbaler Schlagabtausch mit dem Tod birgt neben der Tragik auch sehr viel Komik – aber wie bei jeder guten Komödie bedingt beides einander!

Carsten Mehrtens glänzt als Willy mit gekonnten Spiel: Sein Tod ist Verführer und Pragmatiker, schonungslos ehrlich und zärtlich umfangend, unterstützend und niederschmetternd, dabei sehr komisch aber nie furchteinflößend! Mehrtens und Wendelken sind perfekt aufeinander eingespielt und liefern eine Darstellung, die sich deutlich über dem Niveau einer Amateur-Bühne befindet!

Etliche Plätze blieben bei den Vorstellungen leer, da einige Besucher aufgrund der „Schwere“ des Stücks den Weg ins TiO scheuten: Ich kann sie nur bedauern, denn ihnen ist das beste Stück der dortigen Saison entgangen. Das TiO hat eindrucksvoll bewiesen, dass die plattdeutsche Sprache alles andere als „platt“ ist.


Am 24. März 2019 war die letzte Vorstellung von CHARLIES WEG und gleichzeitig auch Saison-Ende im TiO – Theater in OHZ. Weitere Infos findet Ihr hier.