[Rezension] David Wagner – ALLE JAHRE WIEDER

ALLE JAHRE WIEDER ist nicht nur der Titel eines beliebten Weihnachtsliedes. Es könnte auch so treffend als Überschrift für lang gepflegte Weihnachtstraditionen, die wir wie selbstverständlich und ohne zu hinterfragen Jahr für Jahr zelebrieren, gelten. Eine (vielleicht sogar nur minimale) Änderung im gewohnten Ablauf wird da schon als drastische Störung empfunden und hätte das Potential, massive Familiendramen auszulösen…

Kommst du Weihnachten nach Hause? Und was wünschst du dir? Mit diesen Fragen beginnt ein Telefongespräch zwischen einem Vater und seiner erwachsenen Tochter. Humorvoll und leichtfüßig diskutieren die beiden, wer wo mit welchem Elternteil das Fest verbringt und wie Weihnachten heute überhaupt gefeiert werden soll: mit geschmückten Baum oder ohne? Vegetarisch oder doch mit Braten? Mit Jingle Bells oder Stille Nacht, Christkind oder Weihnachtsmann? So wie früher oder ganz anders? In berührendes Nachdenken darüber, was Weihnachten ausmacht und immer wieder besprochen werden muss.

 (Inhaltsangabe dem Klappentext des Buches entnommen!)

„Kommst du Weihnachten nach Hause?“

So startet dieser charmante Dialog. Welches erwachsene Kind hat diese Frage von einem Elternteil nicht schon gestellt bekommen? Manchmal habe ich diese Frage regelrecht gefürchtet. Da war ich selbst bereits in einem Alter, indem ich eine Familie hätte gegründet haben können und wo ein enger Freundeskreis sich etabliert hatte. Da würde manche*r von uns gerne die Chance erhalten, eigene Weihnachtstraditionen zu kreieren und zu festigen. Und gleichzeitig gibt es da dieses Dürsten nach der Vergangenheit, wo man mit glänzenden Kinderaugen zuerst den Christbaum und dann die Geschenke bestaunt hat, und von dem bis heute das Gefühl, dass früher alles besser war, zurückgeblieben ist. Ich weiß sehr wohl, dass früher nicht alles besser war, aber die Empfindung fühlt sich gut an.

David Wagner lässt Vater und Tochter miteinander all diese Fragen diskutieren. Obwohl: Sie diskutieren nicht, vielmehr entspinnt sich ein unaufgeregtes Gespräch über „heute“ und „damals“. Da werden Erinnerungen über vergangene Weihnachtsfeste ausgetauscht, die beide teilweise recht unterschiedlich wahrgenommen haben. Da geht es durchaus sehr viel um Traditionen aber auch um die Erforschung der eigenen Wurzeln. Es gab viele, viele schöne weihnachtliche Momente. Doch sie können nicht über die Krisen und Fehlentscheidungen im Leben hinwegtäuschen und lassen – manchmal nur in einer kleinen Bemerkung – Melancholie in diesem Dialog zweier Generationen anklingen.

„Wie passend!“ dachte ich, als ich dies zwischen den Zeilen erspürte. Melancholie und Weihnachten gehören für mich zusammen. Dabei ist es für mich durchaus eine sehnende aber keine erdrückende Melancholie und sorgt dafür, dass mein Weihnachten nie grell und bunt wird, vielmehr zart und still und darum so schön.

Ebenso still gestaltet sich dieses Telefonat: In der Vergangenheit lief nicht immer alles glatt zwischen Vater und Tochter, aber beide haben dies scheinbar bewältigt und einen wunderbaren Weg gefunden, miteinander umzugehen. Aus ihrem Dialog ist eine Menge Respekt, reichlich Toleranz und ganz viel Liebe herauslesbar. Das vorwurfsvolle Begleichen alter Rechnungen ist nicht nötig, da sie mit sich und miteinander im Reinen sind.

So endet dieses Telefonat auch mit der (von mir erwarteten) Antwort auf die Eingangsfrage:

„Klar komme ich. Ist doch Weihnachten.“


erschienen bei edition chrismon / ISBN: 978-3960383215

[Rezension] SCHAURIGE WEIHNACHTEN. Klassische Horror- und Geistergeschichten/ ausgewählt von Jochen Veit

Wenn die Dunkelheit früh hereinbrach, der Wind unheimlich um das Haus heulte und die Schneeflocken wilde Tänze vollführten, dann saßen im England der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dem so genannten viktorianischen Zeitalter, die Menschen am Weihnachtsabend gerne am prasselnden Kaminfeuer beisammen und erzählten sich Schauergeschichten. Wurden die Geschichten anfangs nur mündlich weitergetragen, fanden mit der steigenden Popularität gedruckter Zeitungen und Zeitschriften die Gothic Novels eine weitverbreitete Anhängerschaft.

Sieben dieser klassischen Horror- und Geistergeschichten hat Herausgeber Jochen Veit in SCHAURIGE WEIHNACHTEN vereint: Amelia B. Edwards lässt in DIE GEISTERKUTSCHE einen im Schneesturm verirrten jungen Mann in eine unheimliche Mitfahrgelegenheit steigen. Bei Arthur Conan Doyle treibt DER CAPTAIN DER POLE STAR mit seinem unberechenbaren Verhalten seine Besatzung beinah zur Meuterei. In DAS ALTE PORTRÄT von Hume Nisbet verbirgt sich hinter den vielen Farbschichten eines alten Bildes das Porträt einer nach Blut dürstenden jungen Dame. Bei Lettice Galbraith verbirgt DAS BLAUE ZIMMER ein tödliches Geheimnis, dem nur Frauen zum Opfer fallen, die es wagen, dort eine Nacht zu verbringen. DAS OMEN DES SCHATTENS beschwört Edith Nesbit herauf, indem bei ihr das Böse fließend von Schatten zu Schatten husch, um dort ihrem Opfer aufzulauern. DER SEESACK eines Mörders beginnt in der Geschichte von Algernon Blackwood ein höchst gruseliges Eigenleben zu führen. In D.H. Lawrences WER ZULETZT LACHT, lacht niemand am besten. Vielmehr wirkt hier das Lachen äußerst bedrohlich.

Jochen Veit hat hier eine feine Auswahl an Erzählungen getroffen, wo jede ihren Grusel aus einer anderen Quelle bezieht. Dies macht einerseits diese Anthologie so abwechslungsreich, andererseits wird auch gekonnt mit den Ängsten der Leser*innen gespielt, da suggeriert wird, dass das Grauen überall auf der Lauer liegen könnte. Dabei dienen das Weihnachtsfest und der Winter als Jahreszeit eher nur als atmosphärische Kulissen und nehmen weniger einen entscheidenden Einfluss auf den Ablauf der Geschichten.

Ich mag sehr gerne den Erzählstil der damaligen Zeit, der einen sehr eigenen Sprachduktus aufweist: Da wird mit Andeutungen gearbeitet, Nebensächlichkeiten erregen Aufmerksamkeit, hinter Alltäglichem wird der Horror vermutet. Zudem waren die Autor*innen von Damals durch das Schreiben der Fortsetzungsgeschichten für die bereits erwähnten Zeitungen und Zeitschriften so gut geschult, dass sie ganz genau wussten, was zu tun ist, um sich Folge für Folge die Aufmerksamkeit der Leserschaft zu sichern.

Dabei spielte es für mich keine Rolle, ob ich alles in den Geschichten nachvollziehbar fand: Gerade das Unvorhersehbare, das Unerklärliche, das Irrationale lösten bei mir den größten Schauer aus.


erschienen bei Anaconda / ISBN: 978-3730614044 / in der Übersetzung von Marion Herbert, Heike Holtsch und Jochen Veit

[Rezension] Rodolphe (nach Charles Dickens) – SCROOGE. Eine Weihnachtsgeschichte/ mit Illustrationen von Estelle Meyrand

Es gibt Geschichten, die tauchen zu gewissen Zeiten immer wieder und wieder auf. Beinah scheinen sie mich zu verfolgen, wobei ich dies in diesem besonderen Fall nicht als unangenehm empfinde. Insbesondere gerade zu dieser Jahreszeit lasse ich mich nur zu gerne von diesem Klassiker der Weihnachtsliteratur in Stimmung bringen. Charles Dickens Märchen über den alten Geizkragen, der durch die nächtlichen Begegnungen mit den Geistern der Weihnacht geläutert am Weihnachtsmorgen erwacht und sein Leben völlig umkrempelt, begeistert mich – egal in welcher Erscheinungsform – immer wieder erneut.

Nachdem bereits drei illustrierte Fassungen dieser wunderbaren Geschichte Einlass in die Rubrik LEKTÜRE ZUM FEST gefunden haben, fiel in diesem Jahr meine Wahl auf eine Graphic Novel.

Schon beim ersten Durchblättern konnten mich die Illustrationen von Estelle Meyrand für sich einnehmen. Einerseits betonte sie mit ihren gelungenen Figurinen und dem dazugehörigen Setting den märchenhaften Charakter der Geschichte, andererseits vermied sie wohltuend das allzu Niedliche, sondern streute immer wieder dunklere Momente in die Handlung ein. Während Scrooge in seiner deprimierenden Welt aus dumpfen Farben beinah zu versinken droht, leuchten die Farben bei seinen Mitmenschen umso wärmer und fröhlicher.


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Genrebedingt rechnete ich natürlich mit Kürzungen bei der Handlung. Allerdings bedauerte ich es sehr, dass in der Konzeption des Szenarios durch Rodolphe die drei Geister der Weihnacht dem Rotstift zum Opfer fielen, und er Scrooge auf seiner Reise durch die Nacht ausschließlich Marleys Geist zur Seite stellte. Gerade Scrooges banges Warten auf die drei Geister, wo jeder von ihnen ein sehr individuelles Erscheinungsbild hat und so jeweils ein anderes Weihnachten repräsentiert, sorgte in der Originalgeschichte für sehr viel Atmosphäre und Dynamik. Die Dialoge erscheinen mir (in der Übersetzung von Tanja Krämling) sehr gelungen und wirken für die jeweilige Person sehr passend und natürlich.

Doch zwangsläufig fehlte der Graphic Novel die emotionale Tiefe, der ich mich beim Original so gerne hingebe: Da überrollen mich meine Gefühle und es kullert dann das eine oder andere Tränchen, was bei der Lektüre der Graphic Novel ausblieb. Ich bin überzeugt, dass gerade für ein jüngeres Publikum SCROOGE die wunderbare Möglichkeit bietet, sich dem Werk eines des bedeutenden britischen Literaten anzunähern.

Auch ich habe mich durchaus gut unterhalten gefühlt, würde allerdings der wunderschönen Novelle von Charles Dickens immer den Vorzug geben. Zumal mit einer der äußerst gelungenen illustrierten Fassungen mir diese Graphic Novel nicht fehlen würde.


erschienen bei toonfish (Splitter) / ISBN: 978-3967927313 / in der Übersetzung von Tanja Krämling

[Rezension] MEINE LIEBSTEN WEIHNACHTSGESCHICHTEN/ herausgegeben von Dirk Böhling

Im Mai dieses Jahres stand Dirk Böhling noch als Prof. Henry Higgins im Musical MY FAIR LADY auf der großen Bühne des Stadttheaters Bremerhaven, nun macht er sich auf den Weg, um die kleineren Bühnen zwischen Bremen und Bremerhaven (und alles, was drumherum liegt) zu erklimmen und das Publikum mit seiner musikalischen Weihnachtslesung zu erfreuen.

Passend zu dieser Tournee erschien mit MEINE LIEBSTEN WEIHNACHTSGESCHICHTEN ein Buch mit 40 Geschichten und Gedichten. 40 Beiträge auf (netto) 100 Seiten verteilt: Das nenne ich mal ein sportliches Unterfangen. Zwangsläufig zogen in dieser Anthologie die knappen, kurzen und prägnanten Werke ein: Geschichten, die manches Mal eher wie Anekdoten wirken, sowie launige Gedichte.

Neben vier Geschichten aus seiner eigenen Feder hat Böhling eine namhafte Schar an Literaten in diesem Büchlein versammelt, u.a. Joachim Ringelnatz, Wilhelm Busch, Erich Kästner, Guy de Maupassant, Hans Dieter Hüsch und Charles Dickens. Der Herausgeber ging bei seiner Auswahl auf Nummer sicher, indem er auf weithin bekannte wie beliebte Werke zurückgriff und so auf den Wiedererkennungswert bei der Kundschaft im Buchhandel wie auch bei den Besuchern seiner Weihnachtslesung setzte. Wobei aus diesem Reigen eher heiterer Beiträge die Geschichte DAS GESCHENK DER WEISEN von O. Henry sowohl von der Stimmung wie auch von der Länge hervorsticht und so beinah wie ein Kontrapunkt wirkt.

Leider muss ich dem Verlag attestieren, dass beim Korrekturlesen nicht aufmerksam genug gearbeitet wurde: So schlichen sich einige kleine Fehler ins Buch, wie beim Einsatz von kursiver Schrift oder beim Versmaß bei einem Gedicht. Doch wahrscheinlich fällt dies nur mir als Vor-Leser und pingeliger Bücher-Nerd auf.

Als Vor-Leser und pingeliger Bücher-Nerd hätte ich mir allerdings sehr gewünscht, dass Dirk Böhling als Herausgeber das Wagnis eingegangen wäre und mich mit dem einen oder anderen weniger bekannten Beitrag überrascht hätte, z.Bsp. mit Werken von Literatinnen, die in dieser Anthologie leider gänzlich fehlen.

So ist dies durchaus ein nettes Büchlein für alle, die ein heiteres Gedicht oder eine kurze Geschichte für die Weihnachtsfeier im Kollegenkreis oder im Sportverein suchen.


erschienen bei Kellner / ISBN: 978-3956514616

[Rezension] Beate Maly – ADVENT IM GRANDHOTEL. Eine Weihnachtsgeschichte

Bereits zum 10. Mal lässt Autorin Beate Maly ihre Spürnasen wider Willen Ernestine Kirsch und Anton Böck im Wien (und Umgebung) der 20er Jahre ermitteln. Dabei schuf sie ein sympathisches Protagonisten-Paar, das in ihrem reifen Alter lieber gemeinsam in einer „wilden Ehe“ zusammenlebt, als alleine einsam zu sein.

So stoßen zwei sehr unterschiedliche Temperamente aufeinander, die sich bestens ergänzen: Anton ist eher der bedächtige, gemütliche, abwägende Charakter, während Ernestine voller Neugier ihren Mitmenschen gegenübertritt und eher die vorantreibende Kraft in dieser Beziehung darstellt. Für mich war es das erste Zusammentreffen mit diesen liebenswerten Best-Agern…

Advent 1926: Eigentlich wollten Ernestine und Anton nur eine Kunstauktion am winterlichen Semmering besuchen. Doch als das wertvollste Gemälde plötzlich verschwindet und das Südbahnhotel abgeriegelt wird, ist klar: Ein neuer Fall wartet auf die beiden. Während draußen der Schnee fällt, ist die Stimmung im Inneren des Hotels aufgeheizt – und jeder scheint ein Motiv für den Diebstahl zu haben.

 (Inhaltsangabe der Homepage des Verlages entnommen!)

Beate Maly kredenzt uns eine leichte Krimi-Kost voller Irrungen und Wirrungen, die flott zu lesen ist und mit dem Flair der 20er Jahre punktet. Die Autorin treibt die Handlung recht fix voran, als müsste sie innerhalb einer vorgegebenen Seitenzahl rasch zum Ende kommen, wobei einige „Zufälle“ leider etwas konstruiert auf mich wirkten. Bei allem Amüsement lässt sie gesellschaftsrelevante Themen der damaligen Zeit, wie der aufkeimende Antisemitismus oder auch Gewalt gegenüber Frauen, nicht unerwähnt.

Da hätte ich mir manchmal etwas mehr Tiefe gewünscht, die Möglichkeit, dass die Figuren „atmen“ dürfen und so aus dem Schablonenhaften heraustreten. An zwei Stellen im Roman hat die Autorin dies ermöglicht, beide Stellen haben mich sehr berührt, sie wirkten allerdings innerhalb des Gesamtkonzepts beinah wie Fremdkörper.

Die Autorin schreibt im Nachwort:

„Als Autorin finde ich die Kombination aus Vorweihnachtszeit und Krimi ein bisserl problematisch, denn es ist eine große Herausforderung, die Balance zwischen Spannung und Wohlfühlgeschichte zu halten. Ich hoffe, dass das gelungen ist.“

Ich hatte den Eindruck, dass sich die Waage eher Richtung Wohlfühlgeschichte neigt, und darum würde ich „Spannung“ auch gegen „Unterhaltung“ austauschen wollen. Denn unterhaltsam war dieser nette und gänzlich unblutige Krimi allemal, dessen Cover zudem so wundervoll stimmig im Jugendstil gestaltet wurde.


erschienen bei Emons / ISBN: 978-3740826017
Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

[Rezension] Kirsten Boie – DER WEIHNACHTSFRIEDEN/ mit Illustrationen von Claire Harrup

Es hat ihn wirklich gegeben, den Weihnachtsfrieden im Jahre 1914 an der Front in Flandern zwischen Deutschen und Briten, und er dauerte einige Tage, vereinzelnd sogar bis ins Neue Jahr. Die damalige Obrigkeit hat diese friedliche Kontaktaufnahme scheinbar verfeindeter Parteien nicht gerne gesehen und versuchte, sie zu verhindern: Ohne Erfolg! Die Menschlichkeit siegte!

Ist doch ganz still drüben, horcht mal! Für die ist auch Weihnachten heute! Was, wenn man sich am gnadenlosesten Ort der Welt befindet und es trotzdem Weihnachten wird? Friedrich und seine Kameraden sind noch Schüler, als sie eingezogen werden, um im Großen Krieg gegen die Engländer zu kämpfen. Jetzt sitzen sie in den verschlammten Schützengräben und denken wehmütig an die hellen Lichter zu Hause. Doch dann werden Weihnachtsbäume herbeigetragen, ein Geschenk des Kaisers an seine Soldaten, und obwohl sie leise sein sollen, singen sie gemeinsam ein Weihnachtslied. Ob die Engländer gleich das Feuer eröffnen werden? Nein, sie tun etwas ganz anderes. Auf bewegende Weise erzählt die große Kirsten Boie in diesem wunderschön illustrierten Buch von der verbindenden Kraft des Weihnachtsfests und von einer Sternstunde der Menschlichkeit mitten im Ersten Weltkrieg.

 (Inhaltsangabe der Homepage des Verlages entnommen!)

Ich las und schluckte schwer, ich las weiter und die erste Träne ran langsam meine Wange hinab und verfing sich in meinem Bart. Ich las und las, und Träne um Träne suchte sich ihren Weg. Nach nur (!) 44 Seiten hatte ich die Lektüre beendet und schnaufte befreiend nach Luft. Still saß ich in meinem Sessel, über das Gelesene sinnierend, das kleine, schmale Büchlein weiterhin in der Hand haltend, um dann diese berührende Geschichte nochmals zu lesen. Es war eine Lektüre, die mich stark bewegte.

In leisen Tönen erzählt Kirsten Boie (die Deutsche) eine Geschichte voller emotionaler Tiefe. Dabei findet sie klare Worte, die nichts beschönigen aber auch nichts übertreiben, doch umso mehr verdeutlichen, wie sinnlos es ist, Kriege zu führen. Claire Harrup (die Britin) schuf ebenso atmosphärische Illustrationen mit einer schlichten Symbolik, die im trüben Szenario eines Kriegsschauplatzes einen Sonnenstrahl am Horizont erahnen lassen.

Momentan gibt es auf der Welt so viele Kriege, die unschuldige Opfer fordern. Wollten sie einen Krieg? Oh, nein! Denn:

Diejenigen, die einen Krieg wollen, sind nie diejenigen,
die in ihn ziehen und ihn erdulden müssen!

Aber jede*r von uns hat im eigenen überschaubaren Umfeld die Möglichkeit, diese Welt ein klein wenig friedvoller zu gestalten. Wir haben es in der Hand!


erschienen bei Arche / ISBN: 978-3716000205
Ich danke der Presseagentur Politycki & Partner herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

[Rezension] Kai Magnus Sting – TOD UNTER LAMETTA. Teil 1+2 (Hörspiel)

Ich bin ja immer etwas zwiegespalten, wenn ein literarisches Werk – und zu diesen wollen wir ein Hörspiel mal zählen, denn schlussendlich liegt dem Ganzen ein Textbuch zugrunde – mit Preisen zugeschüttet und von der Kritik gelobhudelt wird. Nicht immer trifft das Urteil dieser hochintelligenten wie allwissenden Fachkräfte der Literaturszene meinen Geschmack.

Doch im Falle von TOD UNTER LAMETTA handelte es sich um den Publikumspreis, mit dem dieses Hörspiel im Rahmen der Verleihung des Deutschen Hörbuchpreises 2019 gewürdigt wurde. Naja, und das Publikum, das sind ja schließlich Menschen wie „du“ aber auch wie „ich“. Also schauen wir (ergo „ich“) mal, oder vielmehr hören wir (wieder „ich“) mal, was das Publikum so zu frenetischen Begeisterungsstürme animiert hat.


3 CDs+Bonus-CD/ TOD UNTER LAMETTA. Teil 1+2 (2018-2020) von Kai Magnus Sting/ Buch: Kai Magnus Sting / Regie: Leonhard Koppelmann / Ton und Technik: Peter Harrsch / Dramaturgie und Redaktion: Uta-Maria Heim / mit Annette Frier, Jochen Malmsheimer, Bastian Pastewka und Kai Magnus Sting


TEIL 1 // Killende Weihnachtsmänner bringen in der Adventszeit 24 Leute um die Ecke: Tote werden mit Lichterketten erdrosselt, Leichen in Schneemännern versteckt, Glühwein, Gans und Knödel vergiftet. Und mittendrin Hobbydetektiv Alfons Friedrichsberg – hochintelligent, trinkt gern, isst noch lieber und hat immer das letzte Wort–, der dem mörderischen weihnachtlichen Treiben auf die Spur kommen will. Es hilft alles nichts: Um diesen Fall zu lösen, muss er ins Weihnachtskostüm springen. 

TEIL 2 // Kurz vor Weihnachten in einem verschneiten Luxushotel im Schwarzwald: Leute verschwinden spurlos. Der Yeti geht um. In der Heizung spukt‘s. Der Hoteldirektor weiß von nichts. Und zu guter Letzt gibt‘s statt der Bescherung eine mörderische Schneeballschlacht. Mittendrin Hobbydetektiv Alfons Friedrichsberg, der mit seinen beiden Freunden tief in seine kriminalistische Trickkiste greifen und sogar ins Christkindlkostüm schlüpfen muss, um dieses Abenteuer zu überleben.

 (Inhaltsangaben der Homepage des Verlages entnommen!)

Ich lauschte und lachte. Dann musste ich zurückzappen, da ich vor lauter Lachen das Nachfolgende nicht verstanden hatte, um dann wieder zu lachen, worauf ich wiederum zurückzappen musste, um abermals…! Verdammt, so kann’s doch nicht weitergehen. So dauert’s ja ewig, bis ich zum Ende dieser Geschichte komme und endlich erfahre, wer der/die Mörder war(en). Wer hat denn überhaupt diesen Blödsinn verzapft? Kai Magnus Sting. Aha! Muss ich den kennen?

Kai Magnus Sting ist in der Comedy-Szene kein Unbekannter, nur leider an mir ist er gänzlich vorbeigehuscht. Doch dies hat sich nun mit einem Paukenschlag geändert. TOD UNTER LAMETTA, für dessen Buch sich Sting wohl oder übel verantworten musste, bezeichnete er selbst als Krimigroteske. Krimigroteske: So eine harmlose Bezeichnung für diesen irrwitzigen Spaß.

Vorab: Zur Freude eines jeden Produzenten besteht das Ensemble höchst kostengünstig aus nur vier Personen. Neben dem Autor „himself“ erhoben noch Jochen Malmsheimer, Bastian Pastewka und Annette Frier nicht nur jeweils die eigene Stimme. Will sagen: Sie frönten ihrer Lust an multiplen Persönlichkeiten, indem sie in eine Unzahl an unterschiedlichen Figuren schlüpften.

Regisseur Leonhard Koppelmann tat gut daran, den Spieltrieb dieser Vier nur dezent lenkend Einhalt zu gebieten. Ansonsten setzte er auf ein perfektes Timing, auch dank Peter Harrsch, der am Mischpult wahre Wunder vollbrachte und mit Musik und Geräuschen eine geniale Kulisse kreierte, die mich an die TV-Serien der 60er und 70er Jahre erinnerte.

Zur Erklärung: Jochen Malmsheimer spricht hauptsächlich unseren eher wenig jugendlichen Helden ALFONS FRIEDRICHSBERG. Bastian Pastewka und Kai Magnus Sting geben Friedrichsbergs Freunde JUPP STRAATEN und WILLI DAHL sowie alle weiteren männlichen Figuren, wobei Kai Magnus Sting auch als ERZÄHLER fungiert. Annette Frier leiht jeder der weiblichen Figuren eine ihrer mannigfaltigen Stimmen.

Jochen Malmsheimer mimt ALFONS FRIEDRICHSBERG (hochintelligent, verfressen, versoffen, Privatier und Hobbydetektiv) getreu dem Motto „Was schert es die deutsche Eiche, wenn sich ein Wildschwein an ihr schubbert?“, zumal er mit seiner markanten wie prägnanten Stimme und einer immensen Spielfreude eine deutliche Marke setzt. Wie Holmes seinen Watson hatte, so hat FRIEDRICHSBERG seinen JUPP STRAATEN, den Bastian Pastewka mit lakonischem Witz ausstattet. Als WILLI DAHL wird Kai Magnus Sting eher mitleiderregend von den zwei Freunden untergebuttert. Dafür glänzt er umso mehr als ERZÄHLER: Allein wie und mit welchem Wortwitz er hier intoniert, erinnerte mich stark an den wunderbaren Loriot. Annette Frier ließ mich staunen, da sie anscheinend über einen schier unendlichen Fundus an Stimmen verfügt und alle stimmlichen Facetten vom rustikalen Landei bis zur Femme Fatal beherrscht.

Apropos Loriot: Da kamen einige Passagen zu Gehör, die so grandios waren, dass sie auch direkt vom großen Meister des feinsinnigen Humors hätten sein können. Besonders Annette Frier und Bastian Pastewka werfen sich entsprechend meisterhaft die verbalen Bälle zu und switchen gekonnt durch die Dialekte und Stimmfärbungen. Da gab es höchst amüsante „Szenen einer Ehe“ zu belauschen, und sogar die Simultanübersetzung eines Gesprächs unter Chinesen wurde mir als Zuhörer geboten.

Das Buch von Kai Magnus Sting ist großartig abgedreht, erfreut mit witzigen Wortspielereien, glänzt mit Detailreichtum, bedient genüsslich hemmungslos jegliches Klischee und nimmt Anleihen von Monty Python bis Edgar Wallace, von Agatha Christie bis Arthur Conan Doyle. Mag es auch respektlos wirken, so ist dies doch eine liebevolle Hommage, mit der sich Kai Magnus Sting vor den Großen der Krimi-Zunft verbeugt.

Endlich gibt es ein wirksames Antidot für all diejenigen, die sich am süßlichen Kitsch, am Überfluss an Lichterketten, an Apfel, Nuss und Mandelkern, an „Last Christmas“ in Endlos-Schleife, an pappigen Lebkuchen, am überteuerten Glühwein, an einem unlustigen „Hohoho!“, an blinkenden Weihnachtsmannsmützen und an einer gezwungenen Besinnlichkeit sattgesehen, sattgehört, sattgegessen oder sonst wie gesättigt haben,…

…und so wünsche ich euch und all euren Lieben eine entschlackte Weihnachtszzzzz…

Der Schuss verhallt ungehört in den Weiten der Auen. In einiger Entfernung senkt der Weihnachtsmann die Waffe und murmelt in seinen weißen Rauschebart „Endlich ist er still!“. Neben ihm steht der Yeti und klopft ihm anerkennend auf die Schulter: „Guter Schuss!“. Arm in Arm verschwinden die Beiden im Dickicht des nahen Forsts, während über ihnen ein Sternlein blinkt: Es ist Advent!


erschienen bei der Hörverlag / ISBN: 978-3844540376
Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Hörexemplar!

[Rezension] Richard Johnson – ES WAR EINMAL EIN SCHNEESTURM

„Ohne Worte,…“

…gänzlich ohne Worte kommt diese reizende Geschichte aus. Kein Text lenkt von den Illustrationen ab, die dafür so viel mehr erzählen, als es ein Text vielleicht könnte. Dies ist wahrlich im besten Sinne des Wortes ein BILDERbuch. Richard Johnson kleidet seine Geschichte über Verlust und Zusammenhalt in märchenhaft anmutenden Illustrationen…

Bei einem Ausflug geraten Vater und Sohn in einen Schneesturm und verlieren sich aus den Augen. Der kleine Junge kann den Weg nach Hause nicht finden, doch die Tiere des Waldes nehmen ihn auf. Bär, Fuchs und alle anderen kümmern sich um ihn, und sie schließen Freundschaft. Nach einiger Zeit aber beginnt der Junge sein altes Zuhause zu vermissen. Gemeinsam mit dem Bären macht er sich auf die Suche nach dem Heimweg, und tatsächlich sind sie erfolgreich – Vater und Sohn können sich wieder in die Arme schließen.

 (Inhaltsangabe der Homepage des Verlages entnommen!)


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Richard Johnsons traumhaften Illustrationen sind atemberaubend schön und zogen mich augenblicklich in ihren Bann. Nur allzu gerne ließ ich mich zu dieser visuellen Reise verführen und mir eine Geschichte „erzählen“, die alle Sprachbarrieren überwindet und dafür reichlich Raum für die eigene Phantasie bietet.

Johnson wählte die Farbnuancen mit bedacht, ließ sie sanft ineinander verschmelzen und schuf so Bilder voller Zartheit, die gleichzeitig mit vielen Details überraschen: Ein Familienbild an der Wand in der Hütte verlockt zu weiteren Interpretationen, die Schneeflocken zeigen die Silhouetten der Waldtiere, und im Fell des Bären gibt es kleine Untermieter. Er porträtiert die handelnden Figuren – Menschen wie Tiere – sehr liebevoll und mit drolligem Charme.

Die traumhaften Wald- und Winterlandschaften beschwören die epische Weite der Welt herauf, wirken dabei aber nie bedrohlich, sondern bilden vielmehr den gelungenen Rahmen für diese reizende Geschichte.

Es ist eine Geschichte voller Atmosphäre, die mich sehr berührte und meine Sehnsucht nach einer besseren Welt (vielleicht sogar nach einer „heilen“ Welt) befeuerte. Es wäre so schön!


erschienen bei Annette Betz / ISBN: 978-3219119794
Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

[Rezension] Molly Thynne – EINGESCHNEIT MIT EINEM MÖRDER

Auch ihre Werke werden zum goldenen Zeitalter der Kriminalliteratur gezählt: Zwar erschien bereits 1914 der erste Roman von Molly Thynne (aka Mary Harriet Thynne, 1881–1950), doch erst Ende der 20er Jahre wandte sie sich gänzlich der Kriminalliteratur zu. Zwischen den Jahren 1928 und 1933 veröffentlichte sie höchst erfolgreich sechs Krimis, in denen sie die Handlung in außergewöhnlichen Settings spielen ließ, die ihre weitaus populärere Kollegin und Zeitgenossin Agatha Christie später ebenfalls verwenden sollte. So kann das Umfeld von EINGESCHNEIT MIT EINEM MÖRDER (1931) durchaus mit dem von Christies DIE MAUSEFALLE (1952) verglichen werden.

Der junge Bestsellerautor Angus Stuart ist auf dem Weg an die südenglische Küste, wo er seinen wohlverdienten Weihnachtsurlaub verbringen möchte. Doch ein Wintereinbruch macht die Straßen unpassierbar, und Angus quartiert sich notgedrungen in einem Dorfgasthaus ein. Bald hat sich ein illustres Grüppchen gestrandeter Reisender dort versammelt – und es schneit immer weiter. Zunächst ist die Bereitschaft groß, das Beste aus der Situation zu machen, die Reisenden freunden sich ungeachtet aller gesellschaftlichen Unterschiede miteinander an. Aber dann werden kostbare Juwelen gestohlen – und der aufdringliche, trinkfreudige Major Carew liegt ermordet in seinem Zimmer. Angesichts dieses Doppelverbrechens ist der einzige Polizist des eingeschneiten Dorfes überfordert, und unter den Gästen wächst die Angst vor dem nächsten Mord. Also nehmen der prominente Schachexperte Dr. Constantine und Angus mit einem weiteren Gast die Ermittlungen selbst in die Hand. Eine ebenso spannende wie aberwitzige Verbrecherjagd beginnt.

(Inhaltsangabe der Homepage des Verlages entnommen!)

„…goldenes Zeitalter der Kriminalliteratur“ und „…die Krimi-Entdeckung des Jahres!“: Um ihre neusten Ausgrabungen aus dem scheinbar unerschöpflichen Archiv der Krimi-Klassiker aus Great Britain an die Leserschaft zu bekommen, geizen die Verlage nicht mit blumigen Ausschmückungen auf Cover und Homepage. Auch Vergleiche mit der „Queen of Crime“ werden gerne bemüht – wie unlängst bei DAS RÄTSEL VON BADGER’S DRIFT. Doch Papier ist bekanntlich äußerst geduldig, und so werden viele Versprechungen gedruckt, die später dem Realitäts-Check nicht immer standhalten. Doch diese oder ähnliche Befürchtungen waren bei EINGESCHNEIT MIT EINEM MÖRDER völlig unbegründet. Vorab: Ich wurde blendend unterhalten!

Molly Thynne lieferte einen flott lesbaren, gut konstruierten Krimi, der selbst bei längeren Dialogen oder ausführlichen Beschreibungen keine Langeweile aufkommen lässt. Gerade die farbige Auswahl an handelnden Personen macht diesen Krimi so abwechslungsreich. Allein die Zusammenstellung unseres heldenhaften Teams mit dem jungen Bestsellerautor Angus Stuart, dem reiferen Schachexperten Dr. Constantine und dem bodenständigen Handelsreisenden Mr. Soames (der „weitere Gast“, der in der Inhaltsangabe des Verlages unberechtigter Weise namenlos bleibt) ist sehr reizvoll. Jedes dieser Teammitglieder wurde mit sehr eigenen Charaktereigenschaften ausgestattet und steuert so seine persönliche Sichtweise sowie individuelle Fähigkeiten zum Gelingen der Mission bei.

Doch auch wenn die Autorin die anderen Figuren nicht immer frei von Klischees porträtierte, so macht es doch Spaß, sie dabei zu „beobachten“, wie sie in dieser Geschichte agieren bzw. aufeinander reagieren. Hier treffen Personen aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten aufeinander, die sich aufgrund der Extremsituation, in der sie sich unfreiwillig befinden, nicht hinter Konventionen und Titeln verstecken können. Da sind Konflikte, Animositäten sowie gegenseitige Vorwürfe und Verdächtigungen unvermeidlich und gleichzeitig das Salz in dieser pikanten (Krimi-)Suppe.

Wie es sich für einen reellen „Whodunit“ gehört, gibt es auch hier eine üppige Anzahl an Verdächtigen und ausreichend Verwechslungen im Ambiente eines Landgasthofes (passenderweise mit dem Namen „Die Arche Noah“), dessen Flure sehr weitläufig sind und vielfältige Möglichkeiten bieten, unerkannt aufzutauchen und ebenso unerkannt wieder zu verschwinden. So gestaltet sich die Jagd nach dem/den Verbrecher*n zu einem turbulenten wie auch langwierigen Katz- und Maus-Spiel, das erfreulich wenig Tempo aus der Handlung nimmt.

So schenkte mir dieser Krimiklassiker aus der Feder einer mir bis dahin unbekannten Autorin mit seinem nostalgischen Charme eine Fülle an vergnüglichen Lese-Stunden.


erschienen bei Alibi (Dörlemann) / ISBN: 978-3038201793 / in der Übersetzung von Holger Hanowell
Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

[Rezension] NOCH 24 MAL SCHLAFEN. Ein literarischer Adventskalender/ ausgewählt von Ron Mieczkowski

Manchmal ist es recht interessant, die eigene verschriftlichte Meinung aus der Vergangenheit nochmals zu lesen. Da stolperte ich schon so manches Mal über Aussagen, die ich getätigt hatte, die ich heute so nicht mehr – oder zumindest nur in einer abgemilderten Form – äußern würde. Da schmetterte ich doch vor sieben Jahren folgende Worte voller Überzeugung heraus…

„Literarische Adventskalender brauche ich ungefähr so nötig wie eine verschleppte Bronchitis! – Nein, das wäre jetzt übertrieben und klingt, als würden mich „Literarische Adventskalendern“ in irgendeiner Art und Weise emotional berühren. Sie tun es nicht! Sie sind mir schlicht und ergreifend egal! Denn: Warum sollte ich Häppchen konsumieren, wenn ich den ganzen Happen haben kann. Will sagen: Warum sollte ich mir ein Büchlein mit 24 Zitaten Hermann Hesses zulegen, wenn ich für das gleiche Geld einen wunderbaren Gedichtband erwerben kann?“

Treuen Leser*innen meines Blogs wird es nicht entgangen sein, dass ich in den vergangenen Jahren – vornehmlich gerne bei der Rubrik LEKTÜRE ZUM FEST – auf Anthologien zurückgegriffen habe, die Geschichten mehrerer Autor*innen enthielten. Zwar stand nicht explizit „literarischer Adventskalender“ auf dem Cover, doch das Prinzip war schon sehr ähnlich. Somit senke ich demutsvoll mein Haupt und leiste Abbitte.

In diesem Jahr reiht sich beim Diogenes-Verlag in der langen, erfolgreichen wie kurzweiligen Reihe der Weihnachtsbücher mit NOCH 24 MAL SCHLAFEN ein echter literarischer Adventskalender ein, der sich deutlich von den ironisch-heiteren LAMETTA-Büchern abhebt. Wobei ausgerechnet die ersten drei Geschichten mich bedauerlicherweise nicht packen konnten und beinah meine Vorurteile in Bezug auf literarische Adventskalender noch befeuerten. Dabei maße ich mir nicht an, die literarische Qualität dieser Geschichten anzuzweifeln: Sie trafen schlicht und ergreifend nicht meinen Geschmack.

Aber so ist es nun einmal: Licht und Schatten liegen bei Anthologien oft dicht beieinander. Und vielleicht braucht es auch den Schatten, damit ich als Leser das Licht mehr würdigen kann. Denn bereits die vierte Geschichte WAS DER TEEKESSEL SUMMT von Else Ury katapultierte mich in „die gute alte Zeit“, wo Traditionen gepflegt wurden. Es folgte mit Evelyn Waughs MISS BELLA GIBT EINE GESELLSCHAFT eine bittersüße Erzählung um eine einsame Dame, die ein pompöses Weihnachtsfest plant. Anton Čechov lässt über die Weihnachtstage zwei KNABEN einen absonderlichen Plan schmieden, und Patricia Highsmith erzählt in ZUM VERSAGER GEBOREN die anrührende Geschichte eines stillen Helden. In DAS TRIPTYCHON VON DEN HEILIGEN DREI KÖNIGEN von Felix Timmermans erleben drei absonderliche Kauze an Heiligabend höchst Ungewöhnliches.

Beim Drehbuch zu Loriots Sketch VERTRETERBESUCH brach ich in schallendes Gelächter aus, da ich natürlich beim Lesen die Bilder vor Augen hatte. Doch bereits bei DAS CHRISTKIND von Rainer Maria Rilke liefen mir Tränen der Ergriffenheit über die Wangen, da das Schicksal dieses kleinen Menschenkindes mich so sehr rührte. Kristof Magnusson berichtet in EINE WEIHNACHTSGESCHICHTE sehr einfühlsam doch ganz unprädiziös von den letzten Tagen im Leben seiner Mutter, und Hans Fallada beschenkt uns in DAS VERSUNKENE FESTGESCHENK mit einer ganz wunderbar warmherzigen Novelle. Und auch Hans Christian Andersen lässt DAS KLEINE MÄDCHEN MIT DEN SCHWEFELHÖLZCHEN von einer schöneren Welt voller Wärme und Licht träumen.

Herausgeber Ron Mieczkowski hat in diesem Büchlein eher die stillen, melancholischen Geschichten versammelt, die zum Innehalten und Nachdenken anregen. Dabei wird die Heiterkeit durchaus auch bedient, allerdings feiner, subtiler und weniger plakativ lärmend. So schlich sich so manche Erzählung eher langsam in mein Herz, um mich dann so sehr zu begeistern, dass ich spontan begann, laut vorzulesen. Dies ist immer ein gutes Zeichen und bedeutet, dass mich das Gelesene vollumfänglich gepackt hat.

Auch in diesem Jahr hat der Diogenes-Verlag mit NOCH 24 MAL SCHLAFEN wieder eine bunte Pralinenschachtel mit literarischen Köstlichkeiten für Nachkatzen zusammengestellt, die eher die Geschmacksrichtung „zartherb“ bevorzugen.


erschienen bei Diogenes / ISBN: 978-3257248197
Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!